Kommentar von Harald Falckenberg zum unten stehenden Artikel von Lutz Hieber zur d12 und Zoe Leonard taz, 14.08.2007
Verpasste Chancen
Wie die documenta 12 die Kunst um ihren politaktivistischen Schneid gebracht hat, lässt sich an Zoe Leonhard zeigen.
VON LUTZ HIEBER
Die documenta 12 stellt die Inszenierung der Kunst in den Vordergrund. Ihre Präsentationsweise müht sich darum, die einzelnen Werke um jeden Preis mit Aura aufzupolstern. Gemälde werden dramatisiert, indem sie isoliert vor monumentaler einfarbiger Wand inszeniert werden, kleinere Skulpturen, indem sie auf Sockeln platziert werden. Diese Veredelungsstrategie, die das rein Formale betont, dient dem Aufladen der Werke mit musealer Würde - allerdings geschieht dies auf Kosten der Gehalte.
Im Falle von Fotografien besteht das beliebte Verfahren, die Gehalte zurückzudrängen und das rein Formale in den Vordergrund zu spielen, darin, auf Beschriftung zu verzichten. Denn dann bleiben, wie bereits Walter Benjamin feststellte, ihre Aussagen im Ungefähren stecken.
Beispielhaft lässt dich dieser Ansatz auf der documenta 12 in mehrfacher Hinsicht an Zoe Leonard erläutern. Ihre Arbeit "Analogue", die im Aue-Pavillon untergebracht ist, besteht aus mehr als 400 Fotografien. Die Bilder berichten von städtischen Veränderungsprozessen und zeichnen das langsame Verschwinden kleiner Läden und ihren Überlebenskampf in New Yorker Vierteln nach. Den Gegenpol dazu bilden Aufnahmen von Marken-Logos aus der globalisierten Welt, so beispielsweise aus Uganda oder Kuba. Die Kasseler Inszenierung neutralisiert die Bilder, indem sie auf genaue Beschilderung verzichtet. So kann das Ensemble ganz allgemein im Sinne einer Migration der Form aufgefasst werden. Dass solches Entschärfen nicht geboten ist, wird anderswo gezeigt: Auf der "Analogue"-Ausstellung im Wexner Center for the Arts in Columbus, Ohio, sind die Fotos mit Orts- und Jahresangaben versehen, damit die weltpolitischen Bezüge deutlich werden können.
Im Zusammenhang mit der Tendenz, die Gehalte der Werke in den Hintergrund zu drängen, wird auch auf der gegenwärtigen documenta wieder das weite Feld des künstlerischen Aktivismus ausgeblendet. Dieses bewusste Ausgrenzen zeigt sich deutlich daran, dass Roger Buergel und Ruth Noack, das Kuratorenpaar, zwar bei einigen KünstlerInnen einige Jahrzehnte in die Vergangenheit gegangen sind und das Umfeld ausgelotet haben - bei anderen aber nicht. So reicht die Spanne bei John McCracken von frühen Arbeiten aus den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart, ebenso verhält es sich bei Martha Rosler oder auch bei Trisha Brown. Auffällig ist nun, dass das Kuratorenpaar bei Zoe Leonard, die eine der Stars der documenta IX von 1992 war, von dieser an sich sinnvollen Strategie abweicht.
Bei ihr beschränkt sich die gegenwärtige documenta 12 auf die Präsentation von "Analogue". Ihre früheren Jahre und vor allem ihre weitreichenden künstlerischen Betätigungsfelder sind gänzlich ausgespart. Schon 1992 hatte Stefan Germer dem künstlerischen Leiter der damaligen documenta, Jan Hoet, vorgeworfen, Zoe Leonard als Einzelkünstlerin eingeladen zu haben, statt das Verhältnis von politischem Aktivismus und Kunstproduktion zu thematisieren. Und das hält sich bis heute durch.
Worauf sich Germers Kritik richtet, möchte ich kurz an den Ursprüngen und den gegenwärtigen Praktiken des künstlerischen Aktivismus in den USA beleuchten. Nicht zuletzt durch den kunstpolitischen Aderlass durch Diktatur und Krieg entwickelten sich die Kunstwelten in Deutschland und in den USA unterschiedlich. Damals waren die meisten Bauhaus-Lehrer und Dadaisten in die USA emigriert. Dadurch trocknete der avantgardistische Zweig in Deutschland aus, während diese Infusion in der Neuen Welt Früchte trug. Seit den 1960er-Jahren finden auch deshalb ästhetische Reaktionen auf politische Problemlagen in den kulturellen Zentren der USA in hauptsächlich zwei unterschiedlichen Formen statt.
Im einen Fall handelt es sich um einen Kunsttypus, der gesellschaftliche Probleme zum Inhalt eines individuellen Werks macht. Es handelt sich dann um traditionelle Kunstwerke, die Themen kritisch aufgreifen, also um Gemälde, Fotografien, Schauspiele, Romane oder Gedichte über politische Probleme. Dieser Typ politischer Kunst bleibt, was nach Peter Bürger für alle Werke der "Hochkultur" charakteristisch ist, von der Alltagswelt abgehoben.
Im anderen Fall geht es dagegen um einen Kunsttypus, der durch eine Veränderung der Funktion der Kunst in der Gesellschaft bestimmt ist. Dieser künstlerische Aktivismus greift die Errungenschaften der Avantgardisten des frühen 20. Jahrhunderts auf, er ist der kulturellen Beteiligung an politischen Aktionen verpflichtet. Meist entsteht er in Kollektivbewegungen, um die Ziele der Bewegungen zu artikulieren - und dadurch auch zu produzieren. Weil sich diese künstlerischen Praktiken meist in Formen von pragmatisch nutzbaren Gebrauchsgrafiken und -filmen ausdrücken, verharren sie nicht in der Abgeschiedenheit von Galerien, sondern zielen vielmehr auf eine wirksame Verbindung von Alltagsleben und ästhetischer Produktion.
Die jüngste Welle dieses künstlerischen Aktivismus entwickelt sich seit den frühen 1990er-Jahren in New York in Form von Künstlerkollektiven. Die meisten ihrer Mitglieder bespielen heute das internationale Parkett der Kunstwelt, ihre Werke waren bahnbrechend. Zoe Leonard arbeitete unter anderem in den Gruppen "Fierce Pussy" und "Gang", die jeweils etwa zehn Mitglieder umfassten.
"Fierce Pussy" kämpfte gegen Homophobie, die damals, auf dem Höhepunkt der Aids-Krise, bedrohliche Ausmaße angenommen hatte. "Gang" ging es um das Recht der Selbstbestimmung des eigenen Körpers, sowohl HIV-Infektion wie Geburtenkontrolle betreffend. Eines ihrer Plakate, mit George Bush sen. vor Marlboro-Rot, attackierte die schlechte Gesundheitsversorgung während des Golfkrieges 1991. Der für Zigarettenwerbung vorgeschriebene Warnhinweis war umformuliert: "Während Bush Milliarden ausgibt, um Cowboy zu spielen, haben 37 Millionen Amerikaner keine Gesundheitsversicherung. Alle acht Minuten stirbt ein Amerikaner an Aids." In einem anderen Plakat bezog Gang eine Gegenposition zum konservativen Versuch, ein Gesetz ("Title X") zu verabschieden, das Eheberatungsstellen und Ärzten verbieten sollte, das Wort "Abtreibung" in ihrer Beratung auch nur zu benutzen. Über einer Vagina steht der idiomatische Ausdruck "read my lips", der sinngemäß übersetzt wird als "pass mal genau auf!", wörtlich jedoch auch als "lies meine Lippen" aufgefasst werden kann. Darunter die Zeile "bevor sie versiegelt sind". Gang schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen zeigt das provozierende Plakat Flagge gegen die Anti-Porno-Fraktion des Feminismus (die in den USA stets starke Gegnerinnen hatte), zum andern heizte es die kritische Diskussion des angestrebten Maulkorbgesetzes an - das schließlich abgewehrt werden konnte. Zoe Leonard machte übrigens das "Lips"-Motiv zum Kern ihrer Installation auf der documenta IX.
Aus dem Netzwerk dieses künstlerischen Aktivismus bildete sich später - im Herbst 2004 - im East Village Manhattans, als der Präsidentschaftswahlkampf tobte, eine neue Gruppe, die ebenfalls politisch und künstlerisch Partei ergriff. Ihr Ziel war es, den amtierenden Präsidenten George W. Bush loszuwerden, der die Bevölkerung belogen hatte, um einen unseligen Krieg anzuzetteln. Die Gruppe entwarf das Motiv "Im voting Bush out", das von einer Internetseite für den persönlichen Gebrauch heruntergeladen werden konnte. Nach der beigegebenen Gebrauchsanleitung konnten die Druckvorlagen verschiedener Größen benutzt werden, um Plakate, Aufkleber, T-Shirts oder Transparente herzustellen. Die funktionale Gestaltung ist auf einem Kleinlastwagen selbst im Verkehrsfluss gut lesbar.
Die US-Kunstwelt trägt dem künstlerischen Aktivismus Rechnung. So waren auf der Barbara-Kruger-Retrospektive des Whitney Museums in New York, die vor einigen Jahren stattfand, selbstverständlich die Demonstrationsaufrufe und politischen Plakate der Künstlerin neben jenen Werken ausgestellt, die für Galerien bestimmt waren. Dazu zählt das berühmte "Your Body Is A Battleground" (Dein Körper ist ein Schlachtfeld), das zu einer großen Demonstration in Washington aufrief. Zu sehen war auch das Plakat mit dem Bild des New Yorker Kardinals OConnor, dem die Künstlerin den Spitznamen "Pope Fetus I" (Papst Fötus I.) verpasst hatte, weil er als einer der Hardliner der katholischen Kirche beharrlich daran arbeitete, die errungenen Selbstbestimmungsrechte wieder rückgängig zu machen.
In den USA sind, wie diese Beispiele zeigen, die aktivistischen Kunstpraktiken durchaus lebendig. Indem sie jedoch den ästhetischen Aktivismus verschweigt, schwingt sich die Documenta-Leitung auch 2007 noch auf, selbstherrlich genau den Strang der künstlerischen Aktivität wegzubügeln, der die Errungenschaften des ehedem durch Diktatur und Krieg aus Europa vertriebenen Avantgardismus fortführt. Gleichwohl kann auch diese Kunstshow, obwohl dem Kunstgefühl des konservativen Bildungsbürgertums verpflichtet, die wachsende Bedeutung des internationalen Austauschs nicht ignorieren. Die Chinesin Hu Xiaoyuan stickte - auch das ist in Kassel zu sehen - subtile Zeichnungen mit eigenem Haar auf Seide. Der Südafrikaner Guy Tillim schildert - als Fotoreporter - den Wahlkampf des Jahres 2006 im Kongo. Tatsächlich kann die Kunstwelt heute nur noch weltumspannend gedacht werden. Dadurch wird die Hoffnung genährt, dass die segensreichen Wirkungen der kulturellen Globalisierung schließlich doch eine der künftigen documentas aus dem Dornröschenschlaf der Nachkriegszeit wach rütteln wird.
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Der Artikel von Lutz Hieber zur d 12 am Beispiel von Zoe Leonard trifft den Nagel auf den Kopf. Dazu noch eine weitere Information.
Die Arbeiten der Künstlerin waren für den Aue-Pavillon und die Neue Galerie vorgesehen. Wegen der ungesicherten klimatischen Verhältnisse im Aue-Pavillon hatte die Künstlerin die mehr als 400 Fotografien als Ausstellungskopien hergestellt. Die d-12-Leitung weigerte sich, die dafür entstandenen Kosten in der Größenordnung von U-Dollar 25.000 zu übernehmen. Die Kopierkosten sollten doch bitte von den Galerien der Künstlerin in New York und Köln übernommen werden, da diese doch von dem durch die Ausstellung auf der d12 erzeugten Mehrwert profitierten. Es kam zu einer längeren Auseinandersetzung mit der Künstlerin und den Vertretern des von der d 12 angeblich ausgegrenzten Marktes. Die Galerien erklärten sich schließlich bereit, die Hälfte der Kosten zu übernehmen. Das aber reichte der d-12-Leitung nicht. Zwei Wochen vor der Eröffnung – die Arbeiten von Zoe Leonard waren längst installiert – kam das Ultimatum: Die Künstlerin solle auf den Ersatz der Kosten vollständig verzichten, sonst würde man sie aus dem Programm der d 12 herausnehmen. Die Künstlerin und die Galerien weigerten sich, darauf einzugehen.
Die Eröffnung der d 12 erfolgte aus naheliegenden Gründen ohne Intervention. Aber nur knapp zwei Wochen später wurde der Künstlerin und den Galerien durch die d-12-Leitung mitgeteilt, dass man die Arbeiten der Künstlerin in der Neuen Galerie wegen Behinderung des Publikumsverkehrs abgebaut hätte, verbunden mit der knappen Frage, wohin man diese zurückschicken solle. Das in der Tat ist der Geist der d 12 in ihrer Haltung gegenüber den Künstlern.
Dem Fazit von Lutz Hieber, dass die d 12 dem Kunstgefühl des konservativen Bildungsbürgertums verpflichtet ist, kann ich nur zustimmen. Das ist die Kernaussage meiner Polemik, die um einige Sätze verkürzt in der letzten Ausgabe der „Kunstzeitung“ veröffentlicht wurde. Hier die vollständige Fassung:Erhabenes Zwielicht. Die d 12 als höfische InszenierungDer kulturimperialistische Ausstellungsentwurf eines Amerikaners in Venedig steckt uns noch in den Knochen, jetzt Kassel als weiterer Fall eines selbstherrlichen Kuratorentums ohne Rücksicht auf Verluste. Buergel und Noack ein großes Lob vorweg: In Sachen Chuzpe, Ignoranz und Arroganz erzielen sie Höchstwerte. Der Koch kommt nicht, Reis- und Mohnfeld perdu, die Karlsaue ein Jammertal. Der Orkan „Franz“ hat eine einzelne Mohnblume zum Erblühen gebracht, dafür aber den Holzturm von Ai Weiwei umgerissen. Fragt sich, ob der groß angekündigte Aufmarsch von 1001 Chinesen realisiert wird. Man hört und sieht wenig, Auskünfte werden verweigert. Ai Weiwei nennt sein Projekt „Fairytale“, ein Abenteuer aus 1001 Nacht und, wie der Künstler betont, in Kassel, der Stadt der Märchenerzähler Grimm, bestens aufgehoben. Ein Hinweis? Wohl schon mehr.
Mystifikation und bewusste Fehlleitung kennzeichnen die Taktik der Documentaleitung. Die drei nebulösen Leitmotive: Ist die Moderne unsere Antike? (im Anschluss an Baudelaire), Das bloße Leben (bezogen auf die Verletzlichkeit menschlicher Existenz), und Was tun? (Lenin-Zitat) werden nicht weiter thematisiert – wie auch. Es soll um Bildung gehen und, so Buergel: „Wir müssen die Schönheit für die Kunst zurückerobern“. Kritik ist nicht zugelassen. Wer diesen Ansatz nicht verstehe, „sei halt Verlierer im evolutionären Wettbewerb“ (Rundfunkgespräch) und müsse „das mit seinem Analytiker besprechen“ (Spiegel-Interview 2004). Endlich ist Schluss mit dem Spektakel kommerzialisierter Kunst und politischer Inhalte! Die Zauberformel gegen Markt und Politik heißt „Migration der Form“. Die Kuratoren wollen die einzelnen Werke „formalästhetisch in spekulative Bezüge“ zueinander setzen und „Formenschicksale“ belegen. Von Kunstkritikern im Vorfeld der d 12 ist dieser Ansatz einer keimfreien Kunst vielfach begrüßt worden.
Jetzt nach der Eröffnung werden sie umdenken müssen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Die Künstler sind zu Dienstleistenden degradiert, ihre Werke lediglich Bausteine der Ausstellung und Beweisträger der kruden Ideen von Buergel/Noack: „Wir holen die Arbeiten aus ihren authentischen Kontexten heraus und schaffen mit der Ausstellung einen neuen, einen radikal artifiziellen Kontext“. Das Medium ist die Ausstellung, aber auch insofern fehlt jegliche Struktur. Die d 12 soll nach der Vorstellung der Kuratoren ohne zentrale Botschaft und programmatisches Statement auskommen. Die Migration der Form beschränkt sich auf wenige formale Vergleiche. Leitbild, gewissermaßen roter Faden der Ausstellung, ist das lange, dicke Tau mit Nadeln von Sheela Gowda. Der White-Cube-Charakter wird durch einen farbigen Anstrich der Wände beseitigt, so einfach geht es. Die Räume sind in erhabenes Zwielicht getaucht. Die Bedeutung einzelner Arbeiten wird durch Anstrahlung hervorgehoben. Das also ist sie, die Schönheit im Sinne der Kuratoren. Die d 12 ist zu einer privaten Inszenierung höfischen Charakters verkommen. Kein Wunder, dass Buergel/Noack den Kasseler Bahnhof – der Bahnhof ist im Verständnis der Moderne Ort und Symbol des Aufbruchs – aus dem Programm genommen und zum ersten Mal in der Documentageschichte das Schloss Wilhelmshöhe in die Ausstellung einbezogen haben.
Auch für Humor ist gesorgt, allerdings nur in Form der Realsatire. Zu einem Projekt der d 12 befragt, äußerte Buergel in der Pressekonferenz: „Es haben mehrere Möglichkeiten bestanden, wir haben uns für die intelligenteste Lösung entschieden.“ Im Audio-Guide gewährt er „einige kleine, wiewohl ausgesuchte Einblicke ... auf Korrespondenzen und Familienähnlichkeiten, von denen wir nicht wissen, was sie bedeuten, ja, ob sie überhaupt etwas bedeuten.“ Uns drängt sich die Frage auf: Sind die Kuratoren dumm oder werden wir Rezipienten für dumm verkauft. Viel spricht dafür, dass beides richtig ist. Die Pointe der d 12 ist, dass Buergel/Noack mit ihrem historisierenden und musealen Rekurs auf die höfische Ästhetik und das Schöne exakt dass beschreiben, was wir im heutigen Kunstbetrieb mit den Celebritys und den Vertretern des Jetsets erleben. Hier wie dort geht es um Selbstdarstellung, Luxus und Verschwendung. Noack im Interview: „Wir sind doch reine Lustmenschen. Wir wollen verführen. Wir wollen genießen!“ Und doch gibt es Unterschiede. Die Schönen und Reichen verschwenden eigene, Buergel und Noack öffentliche Mittel. In der ZEIT hat Buergel geäußert, dass er nach den Erfahrungen der d 12 mit Künstlern der Gegenwartskunst nichts mehr zu tun haben und sich der angewandten und alten Kunst zuwenden wolle. Hoffentlich hält er diesmal Wort.
Harald Falckenberg, 9. Juli 2007
P.S.
In Wien halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Buergel die Nachfolge von Peter Noever im Museum für angewandte Künste übernehmen soll. Man beginnt, seinen Äußerungen in der ZEIT damit wenigstens einen gewissen Sinn abzugewinnen.
Personalisierende Sichtweisen greifen zu kurz – eine kritische Anmerkung zu Harald Falckenberg
Um es gleich vorweg zu sagen: Mein taz-Artikel handelt nicht davon, wie der eine Künstler oder die andere Künstlerin von der documenta-Leitung behandelt worden sind. Vielmehr geht es darum, dass ein ganzer Bereich künstlerischer Praktiken, nämlich der des künstlerischen Aktivismus, ausgeschlossen wird.
Allerdings tragen die künstlerischen Leiter der documenta 12, Buergel und Noack, die Verantwortung für das Ausgrenzen dieses ganzen Feldes, und deshalb muss sich Kritik an der Kasseler Großausstellung zunächst an sie richten. Doch sie für alle Fehler allein verantwortlich zu machen, hieße nichts anderes, als eine dominierende kunstpolitische Tendenz auf Personen zurückzuspielen. Denn auch in diesem Falle greift das bloße Personalisieren von Fehlentwicklungen zu kurz, weil darin auch eine Strategie des Nicht-Thematisierens gesellschaftlicher Ursachen liegt.
Ein Grundproblem der deutschen Kunstwelt besteht darin, dass die Beaux-Arts-Tradition, die bereits im frühen 20. Jahrhundert durch das Bauhaus wie auch durch den Dadaismus attackiert wurde, hierzulande noch immer am Leben gehalten wird. Durch Krieg und Diktatur wurden die Avantgardisten ins Exil getrieben, viele davon fanden in den USA ihre neuen Wirkungsstätten. Dort hatten sie Schülerinnen und Schüler. In Mitteleuropa führte dieser kulturpolitische Aderlass jedoch zu einer Verarmung, die auch nach 1945 wirkmächtig blieb. Damit ist die kulturgeschichtliche Grundlage bezeichnet, als deren Symptom die documenta 12 gesehen werden kann.
Doch glücklicherweise ist alles geschichtlich Gewordene veränderbar. Auch die deutsche Kunstwelt ist sicher nicht allein durch Sachzwänge bestimmt.
Wenn die Verhältnisse verbessert werden sollen, kommt, worauf ich im Bezug auf den Kommentar von Harald Falckenberg ausdrücklich hinweisen möchte, den Akteuren des Distributionsbereichs besondere Verantwortung zu. Da gibt es zum einen die staatlich beschäftigten LeiterInnen von Museen, Kunstvereinen und Großausstellungen, also – wie man sagen könnte – die Kunstbürokratie. Zum anderen sind, vor allem auf dem Feld der Gegenwartskunst, jedoch auch die privaten Sammler tätig. Weil private Sammlerinnen und Sammler durchaus kreativ sein, ihren eigenen Interessen und Neigungen folgen könnten, wären sie – im Prinzip jedenfalls – in der Lage, ein Korrektiv des eher zum Konventionellen neigenden staatlichen Systems zu bilden.
Deshalb obliegt es nicht nur den jeweiligen Funktionsträgern des staatlichen Systems, sondern in noch viel stärkerem Maße den privaten Sammlern, kreativ zu einer lebendigen Kunstszene beizutragen. Doch leider sehe ich auch unter den deutschen Sammlern nur selten jemand, der über den Tellerrand der herrschenden Konventionen blickt (Wilhelm Schürmann ist eine dieser Ausnahmen).
Die meisten Sammler jedoch passen sich an, weil sie darauf schielen, höhere Weihen durch das Museum zu erhalten. Diese Selbstbindung an ein System aufzubrechen, das auf einer problematischen Traditionsschiene fährt, wäre allerdings an der Zeit. Deshalb möchte ich Sammlerinnen und Sammler ermutigen, das enge Korsett des mitteleuropäischen Kunstbegriffs zu verlassen: Begeben Sie sich auf eine Entdeckungsreise, die zu den Früchten führt, die aus der Saat der historischen Avantgarde hervorgingen. Sie werden sie vor allem in den aktivistischen Praktiken der künstlerischen Kollektivbewegungen finden, die sich seit den 1960er Jahren in den kulturellen Zentren der USA immer wieder gebildet haben. Und Sie werden sicher auch EinzelkünstlerInnen wie Zoe Leonard und viele andere vor diesem Hintergrund besser verstehen.
Lutz Hieber, 18.08.2007
Hallo,
bezüglich zum Thema ist eine Umfrage unter
www.01pla.net gestartet:
Wie finden Sie das Auswahlverfahren der Documenta 12?
Danke für Mitmachen,
Grüsse,