Wir zahlen nicht für eure Krise!
12.03.2009 | 16:51 Uhr | Alter: 10 Jahre

Wir zahlen nicht für eure Krise! 


www.kapitalismuskrise.org


Aufruf von Intellektuellen, Kulturschaffenden, Künstlerinnen und Künstler zum Globalen Aktionstag gegen die Folgen der Krise des Kapitalismus am 28.  März 2009  


Alle wissen es doch. Es wird seit zwei, drei Jahrzehnten in der Kultur, in den Wissenschaften, in der Bildung gekürzt, die Arbeitsmöglichkeiten bei Medien, Rundfunk und Fernsehen  verschlechterten sich. Stellen wurden abgeschafft, Subventionen gestrichen, Förderungen eingestellt, Theater oder Übungsräume geschlossen, Ateliers dicht gemacht, unzählige  Kulturschaffende  hingehalten und entmutigt. Die Einkommen sanken für viele, die Prekarisierung der Autoren, der Künstler, der Filmemacher, der Lehrer, der Kreativen nahm  zu. Die Kultur wird zum aufwändigen Event, die Bildung muss teuer bezahlt werden – aber die, die arbeiten, die gestalten, schreiben, filmen, malen, lehren, bekamen davon wenig.  


Aber es ist nicht das Geld allein. Die Möglichkeiten der freien Lehre verschlechtern sich. Es wächst der sanfte Zwang, das anstrengende Ringen um kritische Einsicht und Erkenntnis  aufzugeben und stattdessen das Positive zu schreiben, zu zeichnen, zu denken. Der Druck  zur Beschönigung steigt, die „Meinungskorridore“ der Gesellschaft werden enger.  In der  Meinungs- und Kulturindustrie wird kritisches Denken zunehmend schwierig. Unter dem Label des Pluralismus und der Toleranz werden Konflikte beschönigt, Differenzen nivelliert und Antagonismen geleugnet. Es bleibt nur Talk-Show. 


Wofür das alles? Für eine Wettbewerbsfähigkeit, von der das Überleben Deutschlands abhängig sein soll: „Auch Du bist Deutschland“. Für ein Wirtschaftswachstum, das stetig  zunehmen muss und Wohlstand für alle in Aussicht stellt, ohne das je eingelöst zu haben. Für einen Kapitalismus, der endlich demokratisch aufgeklärt, die ökologischen Probleme im Blick,  die Menschenrechte verwirklichend, die Armut auf den Kontinenten bekämpfend den alltäglichen Kompromiss erleichterte. 


Noch vor kurzem schien es möglich. Kleine und größere Ersparnisse geschickt platzieren, mit dem Berater ein wenig plaudern, das Portfolio klug mischen, nach Rücksprache mit dem  Steuerberater die Versicherung abschließen  – und mit ein klein wenig Glück hätte man Anteil am neuen Reichtum, den die Banken, die Unternehmen, die Regierungen versprachen.  


Es klappt nicht. Schon 2000, 2001 wurden viele ihrer Ersparnisse beraubt; viele, die hofften, mit Aktienkauf am Boom teilnehmen zu können, blieben verschuldet zurück. Nun die Krise der Banken, der Finanzmärkte, der so genannten Realwirtschaft. Für viele bedeutet sie den Verlust ihrer Ersparnisse, für die sie Jahrzehnte gearbeitet haben, oder die kriechende  Minderung der Aktienwerte, geringe Verzinsung, schleichende Inflation. Am Ende gehen Jahre des eigenen Lebens verloren – angeeignet von Banken. Durch Betriebsschließungen  und Stellenabbau werden Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Unzählige Menschen weltweit verlieren ihre ohnehin schon dürftige Existenzgrundlage.  


Die Regierungen versprechen Garantien. Doch für wen? Können wirklich Vermögensbestände gesichert werden, die ein Vielfaches des Bruttosozialprodukts ausmachen? Wer zahlt dafür,  wer trägt die Kosten?  Bisher ist es den Reichen und Mächtigen in der Regel gelungen, das Risiko abzuwälzen: Sozialisierung der Verluste, Privatisierung der Gewinne. Es gibt keine  Transparenz. Unter dem Vorwand des Krisennotstands wird die Demokratie weiter eingeschränkt. Die Gesetze zur Sicherung der  Finanzmärkte ermächtigen die Regierungen, an der Öffentlichkeit, an den  Parlamenten vorbei zu handeln: Lenkungsausschuss, Leitungsausschuss, G8,  G20, Aktivitäten überall: Neue Ordnung, neue Regulierung, neuer  Kapitalismus.


Wir müssen zeigen, dass wir das nicht akzeptieren. Sollen wir dieselben, die das alles verursacht und mitbetrieben haben, so weitermachen lassen? Wir müssen es selbst in die  Hand  nehmen. Jetzt. Die Gesellschaft muss über Alternativen jenseits des Kapitalismus nachdenken und neue Perspektiven entwickeln. Wir sollten sofort damit anfangen.  


Aktive Intoleranz gegenüber denen, die uns ausplündern! 


Prof. Dr. Alex Demirovic, Prof. Dr. Margit Mayer, Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Prof. Dr. Bodo Zeuner, Prof. Dr. Isabell Lorey, Prof. Dr. Günter Mayer, Prof. Dr. Michael Brie, Prof. Dr. Brigitte  Kahl, Dr. Jan Rehmann,

Kommentare [2]
étoile rose schrieb am 15.03.2009 15:49

"Alle wissen es doch. Es wird seit zwei, drei Jahrzehnten in der Kultur, in den Wissenschaften, in der Bildung gekürzt, die Arbeitsmöglichkeiten bei Medien, Rundfunk und Fernsehen verschlechterten sich..."

ich frage mich bei solchen zeitlichen formulierungen immer, von welchem status denn ausgegangen wird. denn wenn man schreibt "seit zwei, drei jahrzehnten ist alles schlechter" dann klingt das immer, als hätte es vorher das goldene zeitalter gegeben und dahin wollen wir wieder zurück. aber was war denn vor zwei, drei jahrzehnten? die goldenen siebziger jahre des wohlfahrtstaates waren da. aber mir scheint dass da auch das einzige jahrzehnt war, indem es besser ging, denn die 50 und 60ger ware doch sicher kein eldorado für bildung, kunst und kultur was chancen und förderungen betrifft, schon garnicht für frauen. ich kenne mich auch nicht sehr gut darin aus muss ich sagen, aber ich wünsche mir einfach etwas mehr genauigkeit in artikeln, denn es wird so oft die "alles geht bergab" litanei runtergeradelt und ich frage mich, ob das die richtige art der kritik ist. denn zu sagen "es gibt zu wenig geld für kunst, bildung, kultur und alles wird der wirtschaft untergeordnet", das stimmt ja, aber nimmt man der kritik nicht den wind aus den segeln, wenn man als einziges kriterium den vergleich zu "früher" hat, wo anscheinend alles besser war? was genau kritisieren wir denn?

Karl-Heinz Schulze schrieb am 28.03.2009 18:55

Hallo Mitmenschen,
ich habe den Text eher durch Zufall gefunden. Was war in der alten BRD vor der "Vereinigung" besser? Ich komme ja aus den DDR Teil eines nicht mehr existierenden Deutschlands. Wie empfinden eigendlich die "Brüder und Schwestern" aus dem Westteil die Einheit? Ist es ein Fluch, ein Segen oder eine Belastung? Für mich ging persönlich ein wunderschöner Traum in erfüllung. Ich lernte Menschen im "Westen" kennen, welche zu meinen zuverlässigen Freunden zählen, welche ich nicht missen möchte. Wir tauschen uns über alles aus was so das Leben an Fragen oder scheinbaren Problemen stellt. Das empfinde ich als riesigen persönlichen und wissensmäßigen Gewinn. Verlustig ging uns der menschliche Zusammenhalt, die Solidarität und vor allen das Mitfühlen können. Diese unsägliche Geldgesellschaft macht den Menschen zum Wolf in Menschengestalt. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das wollte ich von unser schönen Insel Rügen nur einmal mitgeteilt haben. Danke für das Lesen meiner Zeilen.
Mit freundlichen Grüßen
K-H. Schulze

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