Sehr geehrter Christian B., sehr geehrte LeserInnen,
es hat uns sehr gefreut, als wir feststellten, dass hier in diesem Forum die Veränderungen in Wilhelmsburg und die Rolle der Kunst darin thematisiert werden.
Tatsächlich sehen wir uns als WCW-Gallery in Wilhelmsburg in einer komplexen Rolle und darum gefordert, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort zu reagieren.
Wir möchten an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um unsere Position(en) darzustellen, da wir hoffen, auf diese Weise einige Behauptungen zu entkräften, welche Herr B. in seinem Forumsbeitrag "Kreativ und modern in Wilhelmsburg?" vom 19.08.08 aufstellte.
Vorweg sei jedoch noch eingeräumt, dass der Zeitungsartikel in der "Welt am Sonntag" vom 17.08.08, auf welchen Herr B. Bezug nahm, in der Tat irreführend ist und Interpretationen zulässt, die gänzlich den Absichten der Mitglieder der Galerie widersprechen. Im Zuge des Interviews wurde ein zwei-stündiges Gespräch mit der Verfasserin Marie Teresa Giese geführt, welches anschließend auf einen Absatz mit drei falschen Zitaten verkürzt wurde. Neben dem Fehlen unseres Galerie-Namens kam in dem Artikel ebenso wenig zum Ausdruck, welche Widersprüche wir abzuwägen haben, in welche sich eine "Galerie in Wilhelmsburg" bringt.
Ebenfalls nicht zu lesen war davon, dass die Standpunkte unserer Mitglieder keinesfalls einhellig, sondern in manchen Fragen konträr ausfallen.
Was sind also unsere Standpunkte?
Es ist unbestritten, dass Galerien und Künstler heute eine wichtige Rolle einnehmen, wenn es um die Strukturierung von Stadtbezirken geht. Der Vorgang, auch unter dem geflügelten Wort "Gentrifizierung" bekannt, zeichnet sich als dialektischer Prozess. Wie Herr B. bereits darlegte, verdrängt die Aufwertung eines Stadtteils meistens die bisher Ansässige Bevölkerung. Andererseits bietet die Veränderung den Bewohnern auch Chancen, auf die viele von ihnen warten.
Für uns als Galerie gab es kaum eine Alternative zu Wilhelmsburg. Notgedrungen wählten wir den Standort, weil Andernorts die Mietpreise unbezahlbar wären. Auf diese Weise eröffnet uns die Strukturschwäche Wilhelmsburgs Räume zur Realisation unserer Bestrebungen.
Diese sind nicht von vorne herein marktorientiert. Die Intention der Galerie war und ist Kunst zu zeigen, die den Mitgliedern gefällt und dabei einen Ort der Zusammenkunft zu schaffen, welcher sich mit seiner Umgebung in Beziehung setzt. Unter anderem daraus ergibt sich die janusköpfige Aussendarstellung der Galerie, sind sich ihre Mitglieder doch bewusst, dass sie mit ihrer Arbeit (und ihrer Präsenz) jene Grundlage zerstören, die es ihnen anfangs ermöglichte, ihren Ideen Form in der Wirklichkeit zu geben.
Entlang dieses Widerspruchs positionieren sich die Teilhaber der WCW-Gallery unterschiedlich. Von der "Galerie als Bühne" bis zum kommerziellen Showroom reicht die Bandbreite. Die Bewegung zwischen diesen Polen bleibt als beständiger Prozess aufrechterhalten.
Künstler unter den Mitgliedern betrachten den Standortvorteil nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten. Für sie ist es die Chance, den Prozess der Gentrifizierung kritisch zu reflektieren, indem sie sich offen mit ihm und seinen Auswirkungen konfrontieren. Was bedeutet es, als Künstler die Rolle eines Galeristen einzunehmen? Wie positioniere ich mich in einer Entwicklung, deren Teil ich unentrinnbar bin und die ich nicht aufhalten kann? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Diese und ähnliche Fragen stellen sich jeden Tag aufs neue und die Antworten fallen verschieden aus.
Im Klaren sind sich die Galeristen der WCW-Gallery allerdings darüber, dass sie bloß ein kleines Rädchen im Getriebe der Maschinerie sind. Ihre Rolle zu überschätzen wäre daher sicherlich falsch.
Der weiße Ausstellungsraum ist bisher noch ein Fremdkörper in diesem Stadtteil, was die Welt-Redakteurin zu der "Pionier"-Metapher hingerissen hat.
Ein Pionier- Gedanke trifft insofern zu, als dass eine Infrastruktur, wie sie etwa in einem Szene-Stadtteil selbstverständlich ist, noch fehlt. Auch ist man "fremd" als Betreiber einer Galerie in einer Umgebung, in welcher es zum Teil an Grundlegendem mangelt. Jedoch passt derjenige Aspekt des Wortes "Pionier" nicht zu unseren Intentionen, der die aggressiven, expansiven Tendenzen desjenigen meint, der sich bereichert.
Natürlich ist es spannend für junge Menschen, die weitgehend in behüteten Verhältnissen aufgewachsen sind, sich an einen raueren Ort zu begeben. Doch das Ausmaß an Zynismus reicht nicht aus, um die "multikulturelle" Vergesellschaftung in Wilhelmsburg als verkaufsförderndes Argument anzuführen.
Anders dagegen die städtisch-private Gesellschaft der Internationalen Bauausstellung (IBA). Mit ihrer Hilfe soll - zentral geplant und verwaltet - der Wert des vorhandenen Humankapitals abgeschöpft und in finanziellen Mehrwert umgewandelt werden. Bemerkenswert ist dabei: die WCW-Gallery wurde von der IBA der Welt-Redakteurin anempfohlen, ohne dass es je eine Kommunikation zwischen der Galerie und der IBA gegeben hätte, geschweige denn einer Zusammenarbeit.
Mit freundlichen Grüßen,
WCW-Gallery
Ist dieses ganze Getue um Wilhelmsburg nicht unglaublich langweilig? Das ist dort doch höchstens noch ein völlig vermurkster Spielplatz für irgendwelche IBA-Hansel (nebst Entourage).
Wenn ich irgendwas interessantes und spannendes anfangen wollte, dann wohl eher, sagen wir, in Jenfeld oder Billstedt.