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16. Januar 2009

Regieren im Bildraum – Tom Holert im Gespräch mit Tim Stüttgen

In seinem neuen Buch „Regieren im Bildraum“ beschreibt der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Tom Holert anhand von Einzelanalysen die Veränderungen, die in der globalen Bildsprache seit dem 11. September 2001 stattgefunden haben. Holert, der sich seit den 90er Jahren mit Bildpolitik und visueller Repräsentation beschäftigt, untersucht wie die Macht der Bilder auf den Ebenen von Politik, Kultur und Medien verhandelt wird. Bildbedeutungen sind im 21. Jahrhundert nicht festgeschrieben, sondern werden fortlaufend neu definiert und können so immer wieder anderen Interessen dienen. Die theoretischen Grundlagen von Holerts Ausführungen liefert einerseits der Machtbegriff von Foucault und andererseits der Bildraumbegriff Walter Benjamins. So findet eine Verknüpfung zwischen post-
strukturalistischem Gedankengebäude und Kritischer Theorie statt, um zu einem Werkzeugkasten der Bildkritik zu gelangen. Eine Kurzfassung des Interviews wird demnächst in der 247ten Ausgabe der Züricher Roten Fabrikzeitung erscheinen.


Tim Stüttgen: Lieber Tom Holert, zuerst würde ich gerne kurz auf deinen Werdegang eingehen. Da dein neues Buch auch Überarbeitungen älterer Texte beinhaltet, würde ich gerne wissen, wie du diese für das Buch zusammengestellt und überarbeitet hast.

Tom Holert: Der Ausgangspunkt dieses Buchs war eine Einladung der Heraus-
geber/innen der Polypen-Reihe, die seit etwa drei Jahren im Berliner Verlag b_books erscheint. Im Gespräch schälte sich heraus, dass es interessant sein könnte, einige meiner Texte und Vorträge, die sich in dem Spannungsfeld von Politik, Popkultur und Visualität bewegen, zusammenzuführen. Als Kunsthistoriker und Kunstkritiker, der sich aber etwas vom Fach Kunstgeschichte gelöst hat und Prozesse der Medialisierung und Visualisierung auch außerhalb des Kunstfeldes beobachtet und erforscht, beschäftige ich mich seit den 1990er Jahren mit „visueller Kultur und Politik der Sichtbarkeit“, wie es im Untertitel des Readers „Imagineering“ heißt, den ich im Jahr 2000 herausgegeben habe. Im selben Jahr gründete ich mit Mark Terkessidis ein unabhängiges und virtuelles Forschungs-
institut, das Institute for Studies in Visual Culture, gedacht als Plattform für Projekte, die sich der Idee einer interventionistischen Forschung im Raum der politischen und visuellen Repräsentationen verbunden sehen.


© Montage: Michael Dreyer

„Regieren im Bildraum“ dokumentiert nun einen Teil jener Auseinandersetzungen, die ich seither mit einem durchaus heterogenen Spektrum von Phänomenen und Fragestellungen geführt habe. Parallel und im Austausch mit dieser Textpro-
duktion sind zwei Bücher entstanden, die ich gemeinsam mit Mark geschrieben habe: „Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert“ (2002) und „Fliehkraft. Gesellschaft in Bewegung – von Migranten und Touristen“ (2006). In „Regieren im Bildraum“ finden sich Texte, die auch als individuelle Weiterführung einzelner Aspekte dieser gemeinschaftlichen Arbeiten angesehen werden können. Auch wenn die Polypen-Reihe programmatisch der Entwicklung neuer kunst-
kritischer Modelle verschrieben ist, habe ich nach einigem Nachdenken beschlossen, in das neue Buch keine Texte aufzunehmen, die im Rahmen meiner Tätigkeit als Kunstkritiker entstanden sind, sondern eine – vielleicht etwas künstliche – Trennung zwischen meiner bildkulturwissenschaftlichen und meiner kunstkritischen Produktion vorzunehmen. Ein Ereignis, indem sich alle Texte des Buches zusammenfinden, um ein weiteres Licht auf sie zu werfen, ist der 11. September. Die Anschläge vom 11. September sind in ihren Folgen und in ihrer Struktur das global einschneidende Ereignis der frühen 2000er Jahre gewesen. Daran dürfte es wenig Zweifel geben, obwohl sich natürlich argumentieren ließe, dass andere, weniger „sichtbare“ Prozesse (etwa des „Klimawandels“, der „neuen Kriege“ oder auf den Finanzmärkten) die gravierenderen, nachhaltiger wirkenden Katastrophen darstellen. Der 11. September als Bildermaschine, die sich vor allem auf die Ereignisse in New York und Washington bezieht, wird in „Regieren im Bildraum“ allerdings eher in seinen Feldeffekten behandelt – als Super-Refe-
renz und -Legitimation für eine Militarisierung der globalen Bildsprachen oder für die wachsende Bedeutung von bildgebenden und bildspeichernden Verfahren als Polizei-Techniken der Kontrolle.
Die „Macht der Bilder“ ist „gemacht“
TS: Auch wenn Deine Texte verschiedene Phänomene behandeln – schwules Outing und Überwachung, Feminismus und islamische Regierungskonflikte, Repräsentationen von Migrant_innen und Politiker_innen – verbinden sie sich in zwar offener, aber nicht beliebig eklektizistischer Form zu einer visuellen Theorie der Bilderpolitiken. Kannst du etwas über das Spannungsfeld sagen, in dem du „die Macht der Bilder“ zu verstehen versuchst?

TH: Ich bin davon überzeugt, und folge hierin weitgehend einer von Michel Foucault ausgehenden diskurs- und machttheoretischen Denkbewegung, dass sich die Phänomene der Medienkultur, die vorderhand vor allem eine visuelle Kultur ist (oder als solche wahrgenommen und verhandelt wird), nur verstehen lassen, wenn man sie als genealogisch produzierte untersucht. Das bedeutet, die Bildereignisse und Techniken der Visualisierung, mit denen ich mich beschäftige, haben alle eine Geschichte, eine Herkunft – sie fallen nicht vom Himmel, auch wenn die Terroristen am 11. September durch die Verwandlung von fliegenden Verkehrsmitteln in tödliche Waffen von oben dazu eingeladen haben mögen, dieses Ereignis als absolut unvordenklich und singulär zu betrachten. Meine Idee von „Bildraum“, die ich aus einigen Sätzen von Walter Benjamin aus den späten 1920er Jahren herleite, versucht, Bilder und Bildlichkeiten als umfassend aktivierte und aktivierende Konstellationen zu bestimmen. Wie einzelne Betrach-
ter/innen (oder User/innen) von visuellen Produkten durch diese verändert und zu Handlungen motiviert werden, kann nur mit Rücksicht auf eine Vielzahl von historischen, diskursiven, aber – letztlich – auch physiologischen Ebenen adäquat erschlossen werden. Die „Macht der Bilder“, von der Du sprichst, ist ja ihrerseits hochgradig „gemacht“; zugleich „macht“ sie etwas, das heißt, sie interagiert, erzeugt Reaktionsweisen, stimuliert, vernetzt oder zerstört.

TS: Mir scheint es, als würdest du die drei Dispositive (Staat, Pop/Kultur und Medien) als die primären ausmachen, welche das „Regieren im Bildraum“ verhandeln. Dabei verstehst Du unter Regieren nicht „nur“ repressive Politiken und Formen des Ausschlusses und der Zensur, gibt sondern auch „produktive“ Unterwerfungsstrategien, die den Volkskörper regierbarer machen sollen. Kannst Du anhand eines Beispiels diesen Ansatz erläutern? Ich frage dies, weil ich dadurch gerne zu dem Zusammenhang von Regieren und Gewalt kommen würde, der in dieser Konstellation eine vielfältige Dimension hat.


© Montage: Michael Dreyer

TH: Ich beschäftige mich derzeit noch einmal sehr intensiv mit der Frage, wie
die aktuellen Grenzregime auch als Bildräume in dem oben skizzierten Sinne verstanden werden können – eine Forschung, die an die Studien in „Regieren im Bildraum“ anknüpft und in Verbindung steht zu den Recherchen, die Mark und ich im Kontext des Kölner „Projekt Migration“ und unseres Buches „Fliehkraft“ unternommen haben. Mich interessiert konkret besonders, wie die US-ameri-
kanisch-mexikanische Grenze in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten zu einem multidimensionalen und durchaus populären Experimentierfeld der Bildproduktion geworden ist. Migrant/innen und Kulturproduzent/innen arbeiten daran, das Territorium der Grenze als kulturellen und sozialen Raum zu thematisieren, die Parameter seiner Sichtbarkeit zu bearbeiten und damit das Monopol der staatlichen und parastaatlichen Überwachung der Grenze und Kontrolle der Migration zu brechen. In einigen Projekten wie dem „Border Film Project“ offenbart sich aber auch die Ambivalenz eines solchen Aktivismus. Die Initiatoren dieses Projekts verteilten im Sommer 2005 Einwegkameras an Migrant/innen und an die so genannten minute men, also freiwillige, inoffizielle Grenzpatrouillen auf der US-amerikanischen Seite der Grenze. Auf diese Weise sollte eine unabhängige visuelle Produktion über die Grenzraum-Realität angestoßen werden. Die eigene kuratorische Position blieb in der Durchführung und der Publikation des Projekts allerdings seltsam unterbelichtet. Dies ist symptomatisch für die „Evidenz“, die dem Grenzgeschehen anhaftet. Ein bestimmtes Bildrepertoire wird ebenso wie ein dazugehöriges Bild-Begehren vorausgesetzt – bei allen Beteiligten. In Hollywood und in der mexikanischen Spielfilmszene hat sich beispielsweise ein Subgenre herausgebildet, das insbesondere auf den Markt der Migrant/innen zielt: Grenz(melo)dramen, mal aus der Perspektive der Grenzpolizei, mal aus der des migrantischen Projekts – wobei sich beide Perspektiven zu der des Grenzregimes ergänzen und einen geteilten Bildraum ausprägen. Diese Filme informieren – als einer von vielen medialen Faktoren - das Verhalten der Akteure, konstituieren ein gesellschaftliches Imaginäres, das wiederum einer spezifischen Performativität der Grenze zugrunde liegt. Weniger akademisch ausgedrückt: die Akteure der Grenze handeln immer schon in Hinblick und Rücksicht auf das aktuelle oder virtuelle Bild, das sie von sich und andere von ihnen erzeugen.
Gewalt findet nicht nur in der Realität statt, sondern wird durch repräsentierende Akte ausgesteuert und punktuell verstärkt
TS: Gewalt ist sicherlich eine der affektgeladensten Bildinformationen. Wenn man sich schon anschaut, wie sehr Zensur und Gewalt, Gerichtsfotos als Zeugnis von Gewalt, und Repräsentation von Gewalt als „Hingucker“ und „Effekt“ in den Aufmerksamkeitsräumen der Medien einen komplexen Raum aufreißen. Kannst Du den Status von Bildern, die Gewalt „transportieren“, in seiner Ambivalenz umreißen?

TH: Das Bild, das eine gewaltsame Handlung oder die Folgen eines gewaltsamen Akts repräsentiert – das heißt: ein Bild, das dem entspricht, was Roland Barthes einmal „Schockfoto“ genannt hat – ist nur eine Spielart des Nexus von Gewalt und Visualität, wenn auch eine besonders wirkmächtige. Der Visualisierung des Leidens anderer kann dabei unterschiedlich motiviert und inszeniert sein. Eine humanitäre „Politik des Mitleids“, ein weit verbreiteter bildproduktiver Modus, beruht auf Annahmen über globale Asymmetrien, die die einen zu Opfern, andere zu Tätern und wiederum andere zu Helfern machen. Die Gewalt findet hier nicht nur in der Realität der physischen und psychischen Akte statt, sondern wird durch repräsentierende Akte ausgesteuert und punktuell verstärkt – etwa, indem der Opferstatus einer Gruppe oder eines Individuums durch Bilder ihres Leidens festgeschrieben und kommuniziert werden. Die Praxis der Bilder vollzieht sich deshalb stets in einer Sphäre, in der sich Begriffe von Recht und Gerechtigkeit, Beweis und Gegenbeweis, politischer Teilhabe und Marginalisierung zu - immer neuen - Begründungsrahmen fügen.



© Montage: Michael Dreyer

TS: Eine darauf folgende Nachfrage könnte lauten, wie sich Bilder „von Gewalt“ mit der Gewalt, die durch sie ausgeübt wird, verschränken, wie Gewalt auf Bildern gerechtfertigt oder an verschiedene Subjekte, die für sie Verantwortung übernehmen sollen, vermittelt wird.

TH: Verantwortlichkeit für Bilder und deren Effekte – das ist ein wichtiger Punkt. Auch und gerade, wo die sich Frage nach der Gewalt von und mit Bildern stellt. In „Regieren im Bildraum“ plädiere ich indirekt dafür, die Frage der Intentionen und Motive in der Produktion und Rezeption von Bildern aus den Mülltonnen der Dekonstruktion wieder herauszufischen. Behauptungen über die Autorschaft oder die Signatur von visuellen Ereignissen sind problematisch. Aber man muss mit ihnen immer dort rechnen, wo Bilder in die Dynamik eines Tribunals, einer Verhandlung, eines Prozesses geraten, also dorthin, wo es um Verfügungsmacht, Legitimität, Autorität usw. geht. Zweckbindungen und Interessen liegen jedem Bildgebrauch zugrunde, auch dort, wo Bilder frei von Zwecken wirken sollen.
Wer hat das Recht an ihrem/seinem Bild? Und warum? Wer kann aus welchen Gründen die Umlaufgeschwindigkeit von Bildern kontrollieren? In solchen Fragen steht letztlich immer die politische Ökonomie einer gegebenen Bildlichkeit zur Debatte. Aber zugleich, und nicht einmal im blanken Widerspruch zu einem Denken in Strukturen und System, auch die individuelle Motivation und Affektion im Kontext einer visuellen Kultur. Die Gewalt „in“ Bildern ist zu unterscheiden von der Gewalt „durch“ Bilder, aber ebenso wichtig für die Kritik von visuell vermittel-
ten Gewaltverhältnissen sind die Apparate und Technologien der Vermittlung selbst; die Kritik an einer Gewaltdarstellung, die verunglimpfend, die Menschen-
würde verletzend, ein Herrschaftsmodell verherrlichend sein mag, ist an die Kritik der Ermöglichungsbedingungen solcher Darstellungen zu koppeln. Wie konnte es zu den Fotografien von Abu Ghraib kommen? Warum haben die Bilder der terroristischen Attentate in Mumbai im November 2008 oder von den Straßenkämpfen in Athen im Dezember 2008 so gefesselt? Ein kontinuierlicher Wechsel zwischen teleskopischer und mikroskopischer Analyse der aktuellen Bildräume ist erforderlich, um zu begreifen, warum sich bestimmte Typen von Bildern durchsetzen und andere unsichtbar bleiben und wer für eine solche Aufteilung des Visuellen Sorge trägt.


© Montage: Michael Dreyer

TS: Trotz der tiefen Dimension, wie Bilder wirkungsmächtig Politiken verhandeln, scheint deren Funktion und Lesart nicht festgelegt. Aneignungen und Umarbei-
tungen, Blogs, andere Lesweisen und Culture Jamming werden permanent angewandt – wo Macht ist, ist auch Widerstand...? Kannst Du ein Beispiel nennen, wo propagandistische Bilder für Gegenaktionen umgedeutet wurden? Glaubst du an eine wenigstens temporäre, strategische Aneignung von Sprechweisen oder Bildern der Massenmedien oder Bilderlogiken des Staates? Oder siehst Du dort primär starke Grenzen?

TH: Nein, die Lektüre und Verwendung von Bildern ist nur sehr bedingt lenkbar; seine fundamentale Deutungsoffenheit ist, politisch gesehen, ein großes Problem und ein großes Potential des visuellen Bildes zugleich. Die Kommentarbedürftig-
keit stellt nur vermeintlich ein Defizit dar – sie ist immer auch eine Ressource für Gegensinn. Guerilla-Taktiken zwischen Karikatur und Image-Verschmutzung nutzen diese Ressource immer wieder. Insofern bin ich natürlich der Ansicht,
dass die Ontologie des Visuellen für Spiel- und Handlungsräume gewissermaßen garantiert. Man muss sie nur zu nutzen wissen. Dieselbe Agenturfotografie von vermummten Demonstranten im Straßenkampf entfaltet ja ganz unterschiedliche Bedeutungen und kann gegensätzliche Argumentationen stützen, je nachdem, ob sie in der Bild-Zeitung oder in der „Jungle World“ abgedruckt wird. Ein Ereignis wie die Schuh-Attacke des irakischen Journalisten Muntadhar al-Seidi auf George W. Bush vom 15. Dezember 2008 zieht andere Bild-Ereignisse nach sich. Fotografien und Fernsehaufnahmen, YouTube-Videos und Blog-Einträge zeigen Schuhe oder Bilder von Schuhen schwenkender Demonstranten, eine Smart-Mob-
mäßige Vorführung der konditionierten Reflexe der globalen Bildmedien. Dass die Bilderproduktion rund um die Schuhkampagne eine effektive Maßnahme im Kampf um Aufmerksamkeit und Sendezeit war, wird niemand bestreiten. Aber sie ist auch deshalb so erfolgreich und populär, weil sie bestehende Skripte aufgreift und fortschreibt: Skripte historischer Insurrektionen, Skripte anti-amerikanischer Propaganda, Skripte der Beleidigung unter Männern, Skripte des Kulturkampfs usf. Nicht zuletzt wird hier auf unterschiedlichen Ebenen Gewalt verübt und visualisiert: von der Gewalt des Schuhe werfenden Journalisten über die Gewalt der Sicherheitsleute (und Kollegen) und der anschließenden (bildlosen) Folter durch die Polizei – bis zur Gewalt des Medienformats „Pressekonferenz“ selbst.

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