Stadtteilumgestaltung statt Stadtteilaufwertung oder die Kunst ist das Erste
von Günter Westphal
Der Montagabend im Pudelclub war für mich produktiv und irritierend zugleich. Produktiv: endlich einmal raus aus dem eigenen Saft und hören und spüren was andere denken und bewegen. Irritierend: die Feststellung, wie viele der anderen sich bereits in den Fängen der IBA befinden.
Zurückgeworfen auf die eigene Arbeit im Münzviertel verunsicherte mich der Abend vorerst zutiefst. Doch diese Verunsicherung ist über die Tage gewichen und die Trennschärfe zwischen meinem Arbeitsansatz einer Stadtteilumgestaltung „von unten“ und einer Stadtteilaufwertung „von oben“, wie diese seit 2 Jahren beispielhaft durch die städtische IBA mit Hilfe von importierter Kunst „von außen“ in Wilhelmsburg betrieben wird, erscheint mir klarsichtiger. Zweifellos ein Erfolg des Abends. Deshalb hier mein Dank an die Organisatoren des Clubabends.
Doch die hinzugewonnene Klarsicht zeigt mir allerdings auch überdeutlich, dass der Erfolg meiner Arbeit vor Ort noch immer auf schwankendem Boden steht. Denn die (Macht)frage über die Gestaltungshoheit zwischen „von unten“ und „von oben“ ist auch im Münzviertel noch nicht entscheidend geklärt und mein Arbeitsansatz einer emanzipatorischen Quartiersumgestaltung „von unten“ kann noch jämmerlich scheitern.
Aber was ist nun mein Arbeitsansatz der Stadtteilumgestaltung im Münzviertel und worin unterscheidet sich dieser zur tradierten Stadtteilentwicklung in Wilhelmsburg oder anderswo?
Mein Arbeitsansatz ist ein künstlerischer und ich arbeite ohne Auftrag. In Wilhelmsburg arbeiten die Künstler und Kuratoren im Auftrag der IBA. Diese steckt die Arbeitsfelder ab, in denen sich die Künstler und Kuratoren bewegen dürfen. Sie kommen von außen und entschwinden wieder dorthin. Ihre Arbeiten sind kurzfristig angelegt und werden den ansässigen Wilhelmsburgern als eine fremdbestimmte Eventveranstaltung dargeboten. Ausnahmen bestätigen die Regeln und werden sogar von der IBA begrüßt, solange diese Verstöße die Gesamtstrategie der IBA im Rahmen ihrer dirigistischen Stadtentwicklungspolitik „von oben“ nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Meine Kunstarbeit im Münzviertel beinhaltet etwas anderes. Sie ist unabhängig, langfristig und zugleich nachhaltig angelegt und stellt praxisbezogen die Frage nach der Interventionskraft von Kunstkriterien + Praxis innerhalb von öffentlichen, sozialen und politischen Räumen. Mit einem solchen Arbeitsansatz ziele ich gemeinsam mit weiteren Quartiersaktivisten auf eine Stadtteilumgestaltung in deren Mitte nicht die Vertreibung von ökonomisch Schwächeren steht, sondern eine soziale und räumliche Umgestaltung, die die ureigenen Potentiale des Quartiers herausschält, hegt und befördert.
Unter dem Motto: „Rosen in Münzstraße, Sonnenblumen in die Westerstraße und eine Gärtnerei in die Jugendwerkstatt Rosenallee 11“ bewege ich mich seit 6 Jahren im Münzviertel und herausgekommen ist dabei im Rahmen der Hamburger „Aktiven Stadtteilentwicklung 2005-2008“ eine „Themengebietsanmeldung Münzviertel“. Diese Anmeldung haben wir Quartiersaktivisten unter dem Label: „Stadtteilinitiative Münzviertel“ gemeinsam mit dem bezirklichen Fachamt für Stadt- und Landschaftsplanung Hamburg-Mitte inhaltlich erarbeitet.
Collage »Rosen in die Münzstrasse,......«: Die Rosenpiraten, 2005
Schlüsselprojekte dieser Anmeldung sind neben der zukünftigen Bebauung des ehemaligen Geländes der Schule für Schwerhörgeschädigte Münzstraße 6 für besondere Formen des Wohnens, des Arbeitens und Studierens im genossenschaftlichen Eigentum die nachhaltige Standortsicherung der Jugendwerkstatt Rosenallee 11 als quartiersbezogene Produktionsschule Münzviertel.
Im Juli 08 wurde die Anmeldung von der BSU (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt) positiv beschieden und ab 1. Oktober 08 wird das Quartier für die nächsten 4 Jahre offiziell als Themengebiet ausgewiesen in dessen Mitte die Kunst - als das Erste - in der Schnittmenge von Sozial, Bildung und Stadtplanung steht.
Zurzeit arbeiten wir intensiv an einen Konzeptentwurf - »Produktionsschule Münzviertel« „Eine Modellschule für die Verschränkung von Pädagogik, Kunst und Quartiersarbeit“ -. Die tatsächliche Einrichtung einer solchen Modellschule vor Ort wird in den nächsten Monaten zur ersten harten Nagelprobe für unsere künstlerisch-soziale Stadtteilumgestaltung „von unten“.
Ein weiteres Arbeitsfeld mit Sprengkraft wird in den nächsten 4 Jahren im Münzviertel - und hoffentlich auch anderswo - der dringend notwendige öffentliche Diskurs über die Honorierung von Kunstarbeit innerhalb von öffentlichen, sozialen und politischen Bezugsfeldern sein.
Münzviertel Strassenfest 2006
»Hängehaus«: Farbian Nischtkowski; Fahne »A CITY DRAGGED«: Till Krause