Was tun? Bildpolitik gegen Nazis
von Dirck Möllmann
Der Symbolklau geht um. „Autonome“ Nationalisten kopieren Kampfstrategien und Auftreten der militanten Linken. Man blickt nun auch im radikalen Milieu kaum noch durch, wessen Klamotte für was steht.
Neulich in der Linie S 1 fragt mich ein junger Mann in Schwarz gekleidet, ob dieser Zug nach Barmbek führe. „Ja, na klar“, antworte ich, um kurz darauf gemeinsam mit allen anderen aus dem Waggon komplimentiert zu werden: „Hauptbahnhof, alle aussteigen, der Zug endet hier!“ 1. Mai 2008, 10:30 vormittags, die S-Bahn Richtung Barmbek war unterwegs blockiert worden. Auf dem Bahnsteig laufen wir einer großen Menge in Schwarz gekleideter Leute in die Quere, die zügig von einer ebenso beeindruckenden Anzahl bewaffneter Polizisten geleitet wird. Der Mitfahrer aus der S-Bahn ist, wie ich, nun völlig verwirrt und fragt die grüne Begleittruppe, wie er denn jetzt nach Barmbek käme, er wolle zur Demonstration. Sie werden ihm den Weg gewiesen haben, ich wollte zum Glück nur nach Berlin. Zu meiner Verwunderung aber war die Gruppe, die auf dem Bahnsteig im Kordon begleitet wurde, nicht zuzuordnen: Linke Antifa – rechte Schläger – ein Trainingstrupp Zivile? Letzteres wohl kaum und rückblickend waren es wohl Nazis, aber wer weiß? Mittlerweile stöhnt selbst der durchgeknallte Sicherheitsminister, dass es angesichts der radikalen Speerspitzen auf der Straße immer schwerer fällt zwischen Linken und Rechten zu unterscheiden. Es bleibt nicht nur bei uniformen Demokutten, sondern es kommt zum regelrechten Symbolklau von Zeichen linker Identität, wie an diesem Tag in Barmbek zu beobachten war.
Poster "Antifaschistische LKW-Konzert" © Aggregato
Veranstaltungsgruppe 2008
Sie nennen sich „Autonome Nationalisten“, tragen Schwarz von Kopf bis Fuß, bewegen sich gedrängt in dichten Blöcken oder in aggressiven Splittergruppen durch’s Gelände. Sie haben vermutlich den linken militanten Widerstand, oder was sich dafür hielt, studiert im heißen Bemühn, sind nun vermummt und tragen Kapuzenpulli, Basecap, Sonnenbrille, schwarze Handschuhe, mitunter auch das altbekannte Palästinensertuch. Die biedere Wehrsportgruppe der 1980er Jahre mit Landser-Tarnmütze, Springerstiefel und HJ-Haarschnitt hat an modischer Bedeutung wohl verloren. Der neue Schlägerstyle ist im Getümmel kaum noch als rechtsnational auszumachen. Mit Irokese, Piercing und der ganzen Anti-Nummer der punky Achtziger geht’s gegen die NPD-Spießer in den eigenen Reihen (1), aber mehr noch, und mit blutigem Ernst, gegen irritierte Polizei und linke Gegner.
Naziaufmarsch, 1. Mai 2008, Screnshot aus dem Web
Nazis mit Intifada-Transparent © Rasloff, ADF
Die „autonomen“ Nazis schreien Parolen gegen Kapital und Globalisierung und sie übernehmen die Aufnäher mit der schwarzen und der roten Fahne, bis dahin das Erkennungszeichen der „Antifaschistischen Aktion“.
Antifa Gegendemonstranten, 1. Mai 2008, Screenshot aus dem Web
Diese Rechten nennen sich jetzt „Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion“. Auch benutzten Nazis in Barmbek eine echte Antifa-Fahne mit echtem Aufdruck, wahrscheinlich echt geklaut, mit echt zynischem Gejohle als Sichtschutz ausgerechnet für den Nazi-Anwalt Jürgen Rieger, ein Video davon gibt es bei Bild.de zu sehen.(2) Neben den Scharmützeln am Rande, die oftmals brutal geführt wurden, ist für die große nationale Gesamtwirkung alles recht und billig, was gegen Kapital und Globalisierung agitiert oder es wird eben in einfachste Fascho-Perspektive gerückt. Denn der Feind, so heißt’s, ist das Großkapital und die Weltverschwörung liegt fest in jüdischer Hand, die als Krake den Globus im Griff hat. So zeigen es die rechten Transparente und mancher Linke wird womöglich (heimlich) nicken. Jew York City war ein Stichwort in den Neunzigern und es gibt es wohl schon länger. Kleinster gemeinsamer Nenner im Anti-
Kapitalismus sind die Juden, Israel, Hauptsache antisemitisch. Die palästinen-
sische Intifada gilt als Vorbild und Erfolgsmodell für rechtsextreme Agitation, sozusagen eine faschistische Hamas für die Sozialarbeit und Mobilisierung der Marginalisierten. Deswegen ist die Palästina-Fahne auf Nazi-Demos gern gesehen, die israelische Nationalfahne wirkt dagegen wie ein rotes Tuch. Hierin ähnelt sich die Meinung von Rechtsnationalisten und den Anti-Imps, die in Israel den Aggressor sehen, und wahrscheinlich stimmen manche Anti-Faschisten gerne zu. Die Gemengelage wird langsam unübersichtlich, man muss schon genau hinschauen. Was tun?
Mit einem Aufruf zum „antifaschistischen lkw-konzert“, 2 Tage vor dem 1. Mai, reagierte ein hiesiges Aktionsbündnis gegen die genehmigte Nazi-Demo. Es gab musikalischen Agitpop auf der Straße mit Lokalgrößen auf der Ladefläche. HipHop, Streetstyle, Dubbing, Elektro, Punk – den Naziaufmarsch zu verhindern, war das Motto. Über 5000 Leute kamen, ein großer Erfolg. In der Vorbereitung zum LKW-Konzert war die zunehmende Ununterscheidbarkeit der radikalen Outfits von Rechts und Links ein Diskussionsthema für die OrganisatorInnen. Ein Ergebnis ihrer Debatte war unter anderem, eine bewusst symbolfreie Gestaltung des Werbeplakats zur Mobilisierung der Massen auszuwählen.
Flyer "Antifaschistische LKW-Konzert" © Aggregato
Veranstaltungsgruppe 2008
Die Veranstaltungsgruppe entschied sich dafür, eine abstrakte Grafik von Hans Stützer zu verwenden. Ein genauer Blick darauf lohnt sich, weil beim ersten Hinsehen kein Gegenstand zu erkennen ist, man muss schon zweimal gucken. Grob gekratzte Striche, abwechselnd bunte Farben und explosionsartig auseinander treibende Zentren signalisieren Dynamik, Dichte und Zusammenhalt. Dennoch bleiben Bild und Text durch Unterleger säuberlich voneinander getrennt. Buchstaben und Zahlen transportieren die Informationen im seitlich gestürzten Aufruf und in der Unterzeile mit den Band-Infos. Oben links, ganz klein, die großmäulige Aufschrift „this poster kills fascists“. Scheinbar ein klassischer Fall, der Text wird zum Rahmen des Bildes oder mit Unterlegern von der Zeichnung abgehoben, die Grafik selbst bleibt auf den ersten Blick ohne Aussage. Die Machart zitiert jedoch Verfahren der modernistischen Avantgarde nach 1945. Künstlerische Vorgehens-
weisen also, die mit dem Material und seiner Bearbeitung solch wichtige Ziele der Nachkriegszeit visualisierten wie Freiheit, Authentizität, demokratische Identität, Direktheit bis hin zu politischen Positionierungen der Linken. Die aufgekratzten Farbgründe wurden mehrfach überarbeitet und erinnern an die Kindertechniken der Art brut. Die Linienstrahlen auf schwarzem Grund erzeugen ein Gefühl der Anspannung und tragen in ihrer Nervosität zur dynamischen Gesamtwirkung bei. Diese abstrakte Darstellung von Emotion und Dynamik, findet ihre Vorläufer beispielsweise in der Kunstrichtung Informel, die das Bildprogramm der internationalen Nachkriegsmoderne bis hin zur radikalen Gesellschaftskritik der Situationisten geprägt hat.(3) Ein Beigeton dominiert das Netz aus Strichen. Mehrere Zentren mit den Primärfarben Rot, Grün, Blau, etwas Orange, spritzen auseinander wie kleine Rorschach-Flecken. Die Farbpalette erscheint wie aufgefächert, ohne einer bestimmten Symbolkraft den Vorzug zu geben. Wer will, kann die Formen zu deuten versuchen: Rorschach und Tachismus sind Methoden, die einen aktiv schauenden Betrachter voraussetzen, einen oder eine, die selbst denken will. Im Einsatz als Mobilisierungsplakat wird diese Wahl der Technik zur programmatischen Aussage. Kaum zu erkennen, rechts unten, verbirgt sich ein anderes Bild unter dem Linienflechtwerk, so etwas wie ein Stadion – gar ein Bunker? Die Frage bleibt offen. Die Gestaltung enthält keine weiteren Hinweise, keine plakativen Symbole, lesbare Zeichen oder stillschweigende Styling-Codes. Sie verzichtet auf wieder erkennbare grafische Elemente, nur die Schriftinfor-
mation will gelesen werden. Ungewöhnlich für ein heutiges politisches Plakat, das aus Anlass des Widerstands gegen Nazis entworfen wurde. Selbst El Lissitzky bezog sich auf die Farben Rot und Weiß, auf Dreieck und Kugel, um die widerstreitenden Lager der russischen Revolution zu bezeichnen. Stützer versucht hingegen, unter sich wandelnden politischen Bedingungen, mit einer offenen und strukturellen Form, mögliche plakative Aneignungen durch die Gegner zu unterlaufen. Zu schnell wird heute die Botschaft übernommen, verdreht und erneut in den medialen Kampf der Symbole eingespeist. All die subversiven Strategien der Werbeguerilla haben es ja vorgemacht. Für den politischen Kampf bezieht sich das Plakat, nah am künstlerischen Informel, deswegen implizit auf die idealistische Weltsprache Abstraktion mit all ihren heute problematisch gewordenen Universalismen und elitären Ansprüchen (klassischer Avantgarde-
begriff, individualistische Westkunst, freiheitliche Demokratisierung etc.). Das Plakat signalisiert bei aller unmittelbar optischen Wirkung oder spontanen Geschmacksurteilen ein Maß an kritischer Distanz durch die Wahl der bildneri-
schen Verfahren, ohne auf die Agitation mit Schrift und Zahl zu verzichten. Für eine Plakatgestaltung bleibt angesichts der höchst unerfreulichen Verquickung der Symbole politischer Agitation wahrscheinlich nicht mehr zu tun. Die Inhalte der Zeichensprache müssen auf einem anderen Feld verhandelt werden: Nazis raus! – Wohin auch immer, am besten ganz weg.
(1) Vgl. www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26022/1.html
(2) Vgl. www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26022/1.html; http://de.indymedia.org/2008/04/213611.shtml
(3) Informel gilt als Sammelbegriff für eine Kunstströmung, die nach 1945 in Reaktion auf den Faschismus und im Kontext des Existenzialismus in Frankreich Formen so genannter gegenstandsloser Malerei ausgearbeitet hat, wie z. B. die Gruppen CoBrA, SPUR, WIR oder auch einzelnen Positionen (wie Wols, Schumacher, Götz). Die gestisch ausgeführte Abstraktion wurde als Spur der Befreiung in Zeichnung, Druckgraphik und Malerei interpretiert und fand verschiedene Ausprägungen wie z. B. Tachismus oder Art Brut. Informelle Kunst wurde schnell international bedeutsam und war oft von einem explizit politischen Selbstverständnis begleitet. Sie hatte Einfluss bis in die Zeit der Situationisten in den 1960er Jahren, deren Protagonisten sich von Informeller Kunst absetzten, um neue gesellschaftliche Räume für politisch-künstlerische Aktionen zu erschließen.