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12. Januar 2007

Gelungen vergeschlechtlicht vom Bilderlesen Sprechen

Zum Symposium »Visuelle Lektüren« an der HfbK Hamburg (17./18.11.2006)

von Tim Stüttgen

Offen gesprochen, ist der Autor dieser Zeilen nicht gerade Fan der dominanten Auffassung der Gender Studies, die mit dem alten pastoralen Onkel Lacan im Bunde den Körper durch Sprache erklären wollen. Zu oft endet selbst bei jeder noch so engagiert feministischen Dekonstruktion des Phallus wieder alles beim Phallus. Deswegen war ich zugegeben auch etwas skeptisch, als eine Gruppe namhafter WissenschaftlerInnen sich traf, um zum wiederholten Male von den sowohl primär heterosexuell wie sprachbezogen besetzten Gender Studies in die Welt der Zeichen einzutauchen.

Körper, so meine queere Haltung, ist auch Zeit und Raum, Ereignis und Affekt, Relationalität und Intensität, und nicht nur Zeichen. Doch sich darüber zu ereifern, würde einem Kontext wie der anstehenden Konferenz an der HfbK Hamburg nicht gerecht. Zu genau wurden Positionen zueinander gezirkelt und ging es nun mal um genderkritische Bildlektüren. Bei der besitzen Zeichen nicht nur länger ihr ideologisches Gewicht, sondern auch ihre machtproduzierende Wirkung, von der durchdrungen wir tagein tagaus durch die sozialen Räume laufen, die sich nicht in so konstruierten Hermetiken wie dem Kunstkontext erschöpfen. Dazu muss man einfach auch dankbar bleiben, wenn die in Deutschland sowieso alles andere als zeitgemäß besetzten Hochschulen, mit all ihren maskulinistischen Genie-Konstruktionen und ödipalen Lehrervaterfiguren, sich zunehmend geschlechterpolitisch aktualisieren wollen.

Man kann nämlich vieles über die Hamburger Hochschule für Bildende Künste erzählen, doch eines wohl kaum: Historisch ist feministische oder gender-affine Praxis offensichtlich nicht gerade in ihren Strukturen verwurzelt. Glücklicherweise hat dies sich in den letzten Jahren geändert, in denen die poststrukturalistische Philosophin Michaela Ott und die Queer Theoretikerin Renate Lorenz Seminare im Theorie-Department anboten. Ein paar Jahre mehr (seit 2002) ist mittlerweile die feministische Kunst-Theoretikerin Hanne Loreck an der Schule. Mir erzählte sie einmal in einem Nebensatz, dass sie zum Start ihrer Arbeit mit ihren Positionen und ihrem Geschlecht noch ziemlich alleine auf Wald und Flur stand.

Schaute man sich den mit über einhundert TeilnehmerInnen beachtlich gefüllten Hörsaal in der Schule an diesem Wochenende an, so kann man ruhig mal darauf anstoßen, dass an der HfbK jedenfalls in Gender-Fragen andere Zeiten angebrochen sind. Hanne Loreck, unterstützt von der tatkräftigen Assistenz der Hamburger Künstlerin Katrin Mayer und des Kollegs "Dekonstruktion und Gestaltung: Gender“, hat zum Symposium "Visuelle Lektüren“ geladen. Den Beginn machte ein anderer Gender-affiner Kulturproduzent, der genau wie die feministische Künstlerin Michaela Melian nun eine Stelle an der Schule besitzt: Isaac Julien.

Mit einer selten gelungenen Mischung aus Vortrag und Arbeitspräsentation führte er durch seinen mittlerweile beachtlichen Werk-Körper, der ihm unter anderen die britische Turner Prize-Nominierung und einen Filmpreis in Cannes brachte. Einige seiner Video-Arbeiten wurden sogar in Gänze ausgestrahlt, bevor er mir im öffentlichen Interview Rede und Antwort stand. Dabei lässt sich in Juliens Antworten, wie in seinen Arbeiten auch, eine ambivalente Simultanbewegung beobachten: Einerseits sind sie seit Beginn dem Engagement um afrobritische Identität gewidmet, andererseits aber in eine Bilderproduktion involviert, die vor poetischer Homoerotik auratisch ausstrahlt. In den besten Fällen verlinkt Julien in die beiden oft getrennten politischen Felder zu einer gemeinsamen Bildsprache. Auch wenn er letztendlich betonte, dass es ihm nicht um Identitätspolitik gehe und es ja auch ästhetisch interessante Fragestellungen geben müsse, beantwortete er die Nachfrage nach seiner Politik der fast ästhezistisch aufgeladenen Splitscreens wieder mit einem Verweis auf die Poesie schwuler Kultur. Damit wurde eine grundlegende These der Veranstalterin Hanne Loreck offensichtlich: Selbst wenn Bilder und Zeichen nicht an sich Geschlechter besitzen, sind sie doch nicht von ihrer Vergenderung abzutrennen. Unmöglich: Zeichen außerhalb von Geschichte und Diskurs. Dieses Argument könnte auch zu einer Relektüre von Isaac Juliens Arbeiten im Kunstkontext benutzt werden: Seine manchmal nahe am opulenten Kitsch vorbeischlingernde Bilderproduktion hat mit schwuler Melancholie zu tun und nicht nur mit jamaikanisch-londoner Poesie.

Nach gelungener Eröffnung wurde am darauf folgenden Samstag ein kleiner Marathon an Beiträgen begonnen: Acht Vorträge plus eine Performance bildeten den intensiv gefüllten Tagesrahmen, der Lektüreformen des Visuellen durch eine Vielheit gendertheoretischer, postkolonialistischer oder aus Disability-Studies-beeinflusster Positionen diskutierbar machte. Einführend unterstrich Hanne Loreck selbstreflexiv den allzu alltäglichen Anlass der Konferenz: "Tagungen zum Bild sind an der Tagesordnung.“ Doch gerade wegen dem sich überschlagenden Mengen und Tempi all der Kongresse zu den wogend zunehmenden "Bilderfluten“ scheint Lorecks Einführung auf grundlegend einleuchtender Spur. Ihre Kritik gilt der Hegemonialisierung und Generalisierung von interpretierenden Ableitungen gegenüber der zunehmenden Bilderproduktionsmenge als auch den Katastrophen-anrufenden Begriffen, die mit ihr verlinkt sind: "Bilderflut oder visuelles Zeitalter sind zu populären Parolen geworden, deren Populismus es dringend zu untersuchen gilt. So wiegt einen eben jene zitierte Bilderflut im Wohlgefühl einer gleichsam natürlichen Katastrophe und macht vergessen, dass selbige erst aus einer Naturalisierung des Mensch-Maschine-Konnexes hervorgeht.“

Andrea Seier machte mit der Eröffnung der Vortragsrunde gleich gute Stimmung. Wurde von Isaac Julien schon das Blaxploitation-Kino zitiert und gefeiert, spannte Seier den Bogen zum Revival der afroamerikanischen und bei Postfeministinnen beliebten Ikone "Jackie Brown“, die Quentin Tarantino ins postmoderne Kino-Gedächtnis einschrieb. Michaela Ott machte beim Kino und dessen wenigen weiblichen Ikonen weiter: Hier war es die posthumane Soldatin Ripley, gelesen als eine das ödipale Dreieck überschreitende Kämpferin, die sich aus der ödipalen (Rollen-)Wiederholung im technischen Zeitalter zu lösen vermochte. Den komplexen Begriff des "Unwahrnehmbar-Werdens“ von Gilles Deleuze verortete Ott in der paranoiden Bildsprache des Science-Fiction-Filmes. Die Aliens scheinen immer anwesend zu sein, in jedem Bild mitzuatmen und -zukeuchen, auch wenn sie selten sichtbar sind. Damit machte Ott auch die affektiven Möglichkeiten des Lesens sichtbar, die für sie eine filmtheoretische Chance darstellen. Nicht etwa, um sich post-ideologisch von den Bilderwelten und Wunschmaschinen des Films eskapistisch wegtragen zu lassen, sondern um dem Gegenstand des Kinos, das mit Zeitlichkeit und Rauminszenierung, licht- und farbdurchtränkter Mise-En-Scène oder Sound arbeitet und so die Zeichen in Bewegung versetzt. Die beiden ersten Vorträge verband dabei auch ein produktiver Widerspruch in der Rezeption der Gegenstände: Wie Filme und Philosophien von Männern anerkennen, die das "Frau-Werden“ inszenieren und denken wollen, ohne zu unterschlagen, dass diese Bilder von heterosexuellen Männern geschaffen wurden und aus hinterfragbaren Konzepten der Aneignung von Begriffen der Weiblichkeit entstanden?

Nach den Interpretationen zum Kino kamen auch Vortragende aus dem Interface von Theorie und Praxis kamen zu Wort. Die Filmemacherin und Kuratorin Sandra Schäfer zeigte Auszüge aus ihrem noch unvollendeten Projekt "Passing the Rainbow“, das wiederum die Dreharbeiten des afghanischen Films "Osama“ (2004) thematisiert, in dem eine junge Frau, um Geld für ihre Familie zu verdienen, in die Rolle eines Jungen schlüpft. Bei Schäfers Beitrag wurden nicht nur die Produktionsbedingungen von "Osama“ thematisiert, sondern auch die Zukunft der Hauptdarstellerin im Verhältnis zu ihrer Geschlechtlichkeit im sozialen Bund: Genau so interessant wie die Bilder vom Dreh wurde deswegen die abschließende Diskussion um die persönliche Geschichte der Darstellerin, welche sich scheinbar erst für ihren performativen Gender-Switch, mit dem sie auch im sozialen Raum aneckte, sehr begeisterte, aber mittlerweile nach der Verunsicherung ihrer Familie und der Ehe mit ihrem Mann immer mehr Abstand von der Rolle zu suchen schien.

Inspirierend war auch die Auseinandersetzung mit Christoph Schlingensiefs prominenter TV-Show "Freakstars 3000“, die die Medienwissenschaftlerin Ulrike Bergermann aufwarf. Ihr Fazit für das auf politische Provokation angelegte Projekt ließ darauf schließen, dass auch eine politisierte und meta-reflexive Mediensatire wie die Schlingensiefs nicht vor bedenklicher Ausstellung der behinderten Subjekte schützt. Schlingensief, der sich in den Neunzigern zum möglicherweise prominentesten Impresario des politischen Theaters und der Medienkritik in Deutschland gemausert hatte, wurde so auf doppelte Weise hinterfragt. Einerseits, weil seine Konzepte von Integration minoritärer Subjekte in den Beruf des Schauspielers einen fragwürdigen Authentizitätsbegriff aufweisen, wie Laien und Behinderte das wahre Leben auf die Bühne brächten. Andererseits, was noch fataler sein mag, dass seine ambitionierten Spektakel, die die Verlogenheit klassisch pathologischer Vorführungen von prekären Subjekten in den Medien brechen wollen, in Gesten der Überschreitung und Destruktion verharren, die die behinderten Kollaborateure nur noch intensiver den Blicken der Kamera aussetzen und einer damit einhergehenden Gefahr der Instrumentalisierung, die sich nicht mehr um Grenzen schert, entgegenbewegt. Leider gab es, wie so oft beim Genre "Konferenz/Symposium“, nicht mehr genug Zeit zur Debatte.

Mehr Raum für Diskussion hätte man sich auch bei Marie-Luise Angerers Vortrag gewünscht. Angerer stellte kritische Fragen an die von ihr beobachteten Entwicklung vom "unbewussten zum affektiven Lesen“ und den zunehmenden Hype in Theorie, Kunst und Gesellschaft um das Fühlen, das Erleben und Empfinden jenseits des Sprachlichen. Laut Angerer stehe bei der Verschiebung vom Sprachlichen zum Affektuellen nicht weniger auf dem Spiel als die Definition des Humanen – was Angerer ausschließlich negativ bewertete. Überzeugend war dabei besonders Angerers Politisierung der Positionen. Oft laufen auch die Gender Studies in Gefahr, bei den riesigen dekonstruktivistischen Textumwälzungen und Medienreflektionen diese nicht mehr klar positioniert herauszuarbeiten. Weniger überzeugend war hingegen der Kurzschluss zwischen theoretischen Diskursen und Kunstproduktion, historischer Analyse und dem Bezug zu gesellschaftlichen Räumen. Die Paranoia, dass überall der Affekt herrsche und dieser die Sprache, das Humane und die Geschlecherdifferenz abschaffen würde, womit wir einem Zeitalter der Barberei entgegenrollten, wird weder den komplexen Gesellschafts-Maschinen zwischen Theorie, Kunst und sozialer Praxis gerecht noch den Kräfteverhältnissen innerhalb der Akademie, in denen der zeichentheoretische bis psychoanalytische Diskurs zur Zeit eindeutig hegemoniell ist. Man darf gespannt sein, ob Angerers bald erscheinendes Buch zum Thema diese Fragen beantworten wird.

Trotz diesem kulturpessimistischen Ausblick endete die erfolgreiche Konferenz mit viel Gelächter: Jim Ostrahachic und Werner Hirsch performten das "Reden Über Frauen“. Misogyne bis mystifizierende Zitate von Regisseuren wie Fassbinder, Godard oder Almodovar wurden vom Drag King-Performance-Duo mit Subtilität so kritisch durch den Dreck gezogen, dass man manchmal gar nicht mehr wusste, ob einem das Lachen besser ein weiteres Mal in die freie Luft entfliehen oder im Halse stecken bleiben sollte. Natürlich entschied man sich für ersteres, stellt doch gerade der zweite Konferenztag dem unglücklichen Reden über Frauen das aufregende Reden von Frauen gegenüber.

link zur veranstaltung:
www.genderstudies-hamburg.de/index.php

link zur site der gender studies hamburg:
www.genderstudies-hamburg.de/index.php

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