Speech DJing: die Sprache als Geräusch und / oder die Rede als Geschichte
Tim Stüttgen
Frühjahr 2007 im Hamburger Skam: Wenig Licht, viel Geräusch. Im Zentrum des kühlen Raumes stehen mehrere spärlich beleuchtete Tische, zwei Plattenspieler und ein Laptop. Das Künstlerduo Dani Gal (Jerusalem/Berlin) und Achim Lengerer (Frankfurt/Maastricht) legen Platten auf, lassen aber keine Lounge-Atmosphäre aufkommen. An allen Ecken des Raumes stehen und sitzen ZuhörerInnen und lauschen den disharmonischen Klängen des Vinyl-Archivs von Gal/Lengerer, mit dem sie unter dem Titel „Voiceoverheard“ gerade durch verschiedene Städte und Kontexte reisen.
Im Zentrum des Sets steht die Sprache: Reden von Politikern und Predigern, Aufnahmen von Menschenrechtsdemonstrationen, Kirchen-Gesängen, Kriegsschauplätzen. Manchmal gelingt es, zwischen den manchmal bis zu drei Ebenen verschiedenen historischen Geräuschen einen Zusammenhang zu identifizieren: Zum Beispiel die Medienberichterstattung um Patty Hearsts Entführung bei der Symbionese Liberation Army. Teilweise arbeiten Gal/Lengerer mit klaren Brüchen und Setzungen, dann wieder mit atmosphärischen Fadings. Aber welches Verhältnis hat überhaupt die Sprache mit ihrem spezifischen Kontext zu den Offenheiten des Mix?
Die mehrstündige Erfahrung ihres Speech-DJings war der Ausgangspunkt für zwei E-Mail-Konversationen, in denen ich den beiden Künstlern die gleichen Fragen stellte, welche die Bedingungen des Mixes in der Spannung von Sprache, Content und Historizität versus Sound, Geräusch und kontextauflösender Montage diskutierten.
Könnt Ihr zu Beginn etwas über Euer Zusammenkommen in einer Institution wie der Frankfurter Städelschule erzählen – und wie sich aus dem Kennenlernen eine gemeinsame Zusammenarbeit entwickelte? Was hat Euch interessiert, als ihr begonnen habt, Schallplatten zu sammeln? Und, um eine zweite generelle Frage nachzuschieben: Was ist für Euch das Interesse an den nicht-visuellen und auch nicht vielleicht klassisch marktfreundlichen Kunstpraktiken um Sound- und Text-Performances?
ACHIM LENGERER: Das Zusammenarbeiten hat sich sehr langsam ergeben. Ich hatte Danis Arbeit schon länger beobachtet, da wir ja beide and der Kunsthochschule in Frankfurt (Städelschule) studiert haben. Dani kam, während meines letzten Jahres an der Akademie, als Austauschstudent von Israel nach Frankfurt. Die Akademie ist sehr klein - das befördert zum einen natürlich, dass sich alle kennen und eine Ahnung, Einschätzung oder auch oft nur ein Vorurteil davon haben, wie jemand „ist“ (mein Lieblingszitat „sieht man der doch an der Nasenspitze an, dass die okay ist – meint auch die „richtige/anerkannte Arbeit macht und mit den richtigen/anerkannten Leuten rumhängt/befreundet ist“) und zum anderen, dass gerade diese kleine Welt, aus oben angerissenen Gründen, also aus Folge von sozialen Gruppendynamiken, ein Kennenlernen verhindert - so geschehen bei Dani und mir.
Bei meiner Abschlussarbeit an der Akademie habe ich eine erste Arbeit gemacht, die sich als Vorlage und als Objekt der Betrachtung eine Rede, und zwar die Eröffnungsrede des Sommersemesters 1933 an der Frankfurter Akademie, vorgenommen hat. Die Arbeit selbst bestand aus dem erneuten (Ab-)Lesen des Originalskripts der Rede durch alle Mitglieder der Städelschule im Jahr 2001. Die Städelschule war in den 20er Jahren ähnlich wie das Bauhaus in Dessau strukturiert. Aus diesem Grund gab es mit Willi Baumeister einen Lehrer, der gleichzeitig als Maler und als Leiter der Typographieklasse fungierte; Baumeister entwarf die - wie man heute sagen würde - „corporate identity“ des Institutes. Nach dem Wechsel 1933 übernahm ein lokaler Goldschmied mit Namen Bechthold die Leitung der Akademie, und die offizielle Typographie auf Briefbögen etc. wurde, jedenfalls anfänglich, die Frakturschrift. Um die neue Ausrichtung des Instituts bildlich und wörtlich zu manifestieren, wurde die Eröffnungsrede von Bechthold in gedruckter Form an repräsentative Personen in der Stadt verschickt; deshalb war der Text für mich archiviert zugänglich.
Ich habe damals auch Dani diesen Text lesen lassen, bei ihm mit der dreifachen Brechung durch die Zeitverschiebung (Übertragung heutigen, geschichtlichen Wissens auf das Dokument), die Form (Visualität des Textbildes, Schwierigkeit beim Entziffern der Frakturschrift) und der Sprache (Deutsch als Fremdsprache-Israelisch). Jedenfalls war das unser erstes langes Gespräch, beim dem sich gemeinsame Interessenfelder gezeigt haben und auch ein grundsätzliches Interesse an der Arbeit des jeweils anderen.
Danach gab es eine lange Pause, und vier Jahre später haben wir uns verabredet, um einige Platten aus der Sprach-Plattensammlung anzuhören, die Dani in der Zwischenzeit anzulegen begonnen hatte. Ich denke, beim gemeinsamen Hören einer Platte mit einem Eleanor Roosevelt-Interview hat sich ein Gefühl eingestellt wie "ah, da reagiert jemand auf ähnliche Qualitäten, Eigenschaften von (hier reproduzierter) Sprache/ Gesprochenem/von Stimme“- wir haben bei diesem Treffen, zusätzlich zu den gemeinsamen Interessen auch eine ähnliche Sensibilität für diese Form von Tonereignissen festgestellt.Die Plattensammlung ist allein eine Arbeit von Dani. "Voiceoverhead“ ist das gemeinsame Projekt, bei dem Dani und ich für die Auftritte auf dieses Archiv zurückgreifen. "Nicht visuell“ und "marktfreundlich“ sind zwei Kategorien, die sich erstmal weder gegenseitig einschließen noch ausschließen. Auf den Markt möchte ich nur soweit eingehen, dass es für mich schon eine Rolle spielt, meine Betätigungsfeld so zu erweitern, dass ich nicht von einer speziellen gesellschaftlichen/sozialen Gruppierung oder Klassifizierung allein abhängig bin, sondern mich mit meiner Arbeit in verschiedenen Rollen und in verschiedenen Kontexten bewegen kann. Für eine potentielle Beteiligung (affirmativ oder nicht) am Markt spielt die Kategorie "visuell - nicht visuell“ erstmal keine Rolle. Vermarktbar ist ja alles, was mit menschlichem Kapital (irgendeine Form von Arbeit) aufgeladen ist. Für die Auftritte würde ich die Kategorie “nicht-visuell“ gerne aufnehmen: Unser Set-up enthält keine "nicht-funktionalen“ visuellen Elemente, und der Zuschauer/Hörer sieht nur das technische Equipment auf den Bühne, das wir für den Auftritt tatsächlich benutzen.
DANI GAL: Vorneweg noch mal: Dieses E-Mail-Interview ist keine Konversation und in diesem Sinne kein wirkliches Interview, auch wenn der Leser das Gefühl haben mag, dass wir sprechen, nachdem ich diese Sätze alleine vor meinem Computer eingetippt habe. Das ist vielleicht ein guter Punkt anzufangen, um weiter über unser Spoken Word-Projekt nachzudenken.
Eine unserer Lieblingsplatten, die wir in fast jeder Show benutzen, ist ein Interview mit Eleanor Roosevelt. Der inoffizielle Ton des Gespräches produziert ein starkes Gefühl von Aufrichtigkeit – eine sehr außergewöhnliche Qualität Roosevelts. Wenn mandieser Platte aufmerksam zuhört, kann man beginnen nachzuvollziehen, wie Menschen Rede benutzen und was der Effekt von mitgeschnittenen Dokumenten ist. Während der Performance verändern die ZuhörerInnen ihre Position zum Geräusch, wenn der Sprecher zu ihnen spricht. Wenn die Publikumsgeräusche dazukommen, finden sie sich in einer objektivierten Position wieder und werden Zeugen einer historischen Situation.
Diese verwirrende Position verschwimmt sogar noch mehr, wenn die Aufnahmen nicht von sprechenden Personen, sondern beispielsweise einem Krieg oder einer Demonstration sind.Diese Erfahrung kann nur mit Sound geschehen, weil das Publikum keine fixierte Perspektive wie in einem Film hat, wo die Grenze zwischen der Leinwand und dem Zuschauer sehr klar ist. Wenn wir über die Diktion des Bildes nachdenken, ist das Foto im Film ein totes Ding. Sein Tod ist evident – beim Geräusch könnte man vom Gegenteil sprechen.
Achim, besonders von Dir weiß ich, dass Du dich immer wieder für Re-Inszenierungen, Reformulierungen oder Re-Stagings von Gesprächssituationen, Filmdialogen oder gar Gruppendiskussionen interessiert hast. Trotzdem ist Dein Ansatz nicht im klassisch interdisziplinären Sinne wissenschaftlich-diskursiv. Wie würdest Du deine Interessen beschreiben?
ACHIM LENGERER: Hm. Ich versuche einzuordnen, was ein wissenschaftlicher, interdisziplinärer und diskursiver Ansatz wäre und das ganze im klassischen Sinn. Der Ausbildung nach bin ich gelernter bildender Künstler, mit Abschluss an einer deutschen Kunsthochschule und momentan "Researcher“, wie das so schön heißt, an der Jan-van-Eyck-Akademie in Maastricht (NL). Dieser Begriff, der im englischsprachigen Raum seit einer geraumen Zeit für, ein projektorientiertes künstlerisches Arbeiten steht, zeigt eben schon sehr deutlich eine Differenz zum deutschsprachigen Raum, da sicher, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt, eine Übersetzung des Begriffes "Research“ ins Deutsche mit "Forschung“ eher Verwirrung statt Klärung hervorrufen würde. Mit der Übersetzung researcher=Rechercheur, also mit jemandem, der ein bestimmtes Arbeitsfeld bearbeitet und Informationen zusammensucht, ohne unbedingt Spezialist auf diesem Fachgebiet sein zu müssen, kann ich schon eher etwas anfangen und es ist sicher, bezogen auf eine künstlerische Praxis, der im Deutschen verständlichere Begriff.
Wenn ich jetzt noch einmal versuche, diesen Begriff von so etwas wie "information as art and art as information“ abzugrenzen, geht es weniger um ein Ausstellen und Herstellen einer Arbeit, die primär aufklärend ist, also überprüfbares Wissen weitergibt. Der Prozess der Wissensaneignung ist ein Durchgangsstadium beim Herstellen einer Arbeit. Zu einem bestimmten Zeitpunkt liest man viel und viel durcheinander, geht also vom Geschriebenen aus, ohne dass die bildnerische/filmische oder performative Arbeit zwangsläufig Textelemente enthalten müsste. In meinem Fall schlage ich mich mit einem Themenfeld um/im Bereich Film/Soundtrack/Performance herum.
Bei meiner X-lecture, die ich demnächst im Kunstverein Braunschweig zeigen werde, führe ich das (für mich) ganz exemplarisch vor. Sie besteht aus drei Elementen: Aus einer Tonebene, die eine Narration enthält, aus einem gelesenen Text, in dem ich über die Art und Weise der Herstellung dieser Tonspur nachdenke und gleichzeitig die Erzählung selbst (und das Phänomen der „Stimme“) an autobiografische Ereignisse knüpfe, und drittens aus einer performativen Ebene, die nicht-sprachlich Fragmente der Erzählung vorführt und zeigt.
DANI GAL: Meine Plattensammlung war der Punkt, durch den wir in Kontakt traten. Achim hat mit Sprache schon eine lange Zeit gearbeitet und ich begann, die Platten zu sammeln. So machte es Sinn für uns, etwas mit den Platten zu tun und noch einmal Leben in diese vergessenen Aufnahmen und Geschichtlichkeiten zu bringen.
Kann man Eure Performances wie die, die Ihr im Hamburger SKAM veranstaltet habt, als DJ-Sets beschreiben? Sind Eure Setups streng formalistisch oder je nach Lokalität anders ausgerichtet? Wie verhält sich Eure Arbeit zu DJ-Praktiken und Club-Kontexten? Gibt es spezifische Aneignungen oder Bezüge, oder würdet Ihr Eure Perspektive generell davon unabhängig sehen und einem eher geschlossenem Feld der Bildenden Kunst zuordnen?
DANI GAL: Ich denke nicht, dass wir zur DJ-Kultur gehören, aber in unserer Performance existieren klare Referenzen zu ihr. Wir sind sicher mehr mit dem Feld der Soundart als mit der DJ-Kultur verbunden. Ein Feld der DJ-Kultur, das mich zu dieser Plattensammlung inspirierte, war die Hip Hop-Kultur mit ihren Praktiken des Samplings und wie die DJs Spoken Word als ein dekoratives Element in ihrer Musik benutzen. Wir versuchen das Gegenteil: Wir benutzen überhaupt keine Beats, und Samples sind unser einziges Material. Spoken Words gehen durch einen Abstraktionsprozess und werden musikalische Patterns oder das, was elektronische Komponisten Sound-Teppiche nennen. Sprache, die ihre Kohärenz verliert, wird zu Noise. Der Live-Act ist dabei ein wichtiges Element, weil wir versuchen, das historische Ereignis zu rekreieren – im Sinne von Sounds.
ACHIM LENGERER: Sicher, die technischen Voraussetzungen sind die gleichen wie bei einem normalen DJ-Set; ebenso die Praxis des Aussuchens, Mischens, Überlagerns von vorproduzierten/ fremdproduzierten Materialien. Den Raum zu verdunkeln und somit, soweit als möglich, visuelle Elemente (auch Dani und mich) auszuschalten, ist schon sehr bewusst gesetzt; die Verdunklung verhindert außerdem, dass sich die Zuhörer beim Hören gegenseitig betrachten (was mir in solchen Situationen immer passiert). Ich finde es angemessen und richtig, jeden einzelnen Hörer in die Situation des (Zu-)Hörens zu drängen, gerade auch, um mit längeren, stilleren Passagen arbeiten zu können. Wir verwenden oft Stücke, die sich mit einem zweiten, dritten Tonfragment überlagern und achten dabei auf die Eigenrhythmen der Sprachfragmente, so dass wir durch die Überlagerungen Polyrhythmen erzeugen können, oder besser gesagt, wir versuchen diese Polyrhythmen den Materialien selbst abzuhören (z.B. bei Reden der Black Panther Bewegung). Eine konzertähnliche Situation ist sicher notwendig, um dies auch auf Hörerseite rezepieren zu können.
Ihr vergleicht Eure Arbeit unter anderem mit dem Hans-Peter Feldmanns Zugang zu seinem Foto-Archiv oder auch mit den aufgegriffenene Footages in den Arbeiten von Richard Prince. Wie genau ist das gemeint und – mit Verlaub – hinkt die Übersetzung von visuellem zu audiovisuellem Material nicht ein bisschen? Sind die von Euch gestalteten Abende nicht gerade durch die Ambivalenz und Uneindeutigkeit der Sounds interessant? Ist das Mix nicht gerade durch seine unklaren Schnitte und verdoppelten Ebenen vielleicht noch ambivalenter als jedes visuelle Zeichen?
Ich habe mich bei diesen Gedanken auch gefragt: Was passiert mit dem "Content“ der politischen Rede, mit denen die Platten voll sind? Wird er zu bloßsem ästhetischem Effekt? Oder kann man nach dem Tode des Autors vielleicht sogar von einer Tendenz der göttlichen, historischen Rede über die Zeit hinaus sprechen, die im Zeitalter des Digitalen und der Gespeicherten Medien eine andere Qualität als die der historischen Verfasstheit bekommt?
ACHIM LENGERER: Der Vergleich mit Feldmans Arbeit hinkt natürlich und stammt ursprünglich von mir; Dani war damit nie einverstanden. Gemeint hatte ich zum damaligen Zeitpunkt, eine Parallelführung des Bildinhaltes/des Abgebildeten mit einer gleichzeitigen Sensibilität (mit einer Tendenz zum Fetischismus, sowohl bei Feldmann als auch Prince) gegenüber des Trägers/des Objektes = des Photos. Bei den Schallplatten verhält es sich ähnlich im Bezug auf das Objekt "Schallplatte" (im Jahr 2007) und den Fetisch der "aufbewahrten Stimme“. In diesem Sinn ist die Haltung des Sammelns (und Auswählens) ja schon in sich selbst ambivalent.
Bei dem erwähnten Eleanor Roosevelt Stück ist das für mich exemplarisch: Auf was reagiert man (Dani/ich) da eigentlich? Warum wählen wir diese Stimme aus, wenn es nicht allein um den Inhalt und das Erzählte geht?Ich habe mir gerade den Barthes-Text über den Tod des Autors noch mal zur Hand genommen und die betreffende Stelle, auf die Du anspielst, rausgesucht:
"Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die 'Botschaft' des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [écritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur. Wie die ewigen, ebenso erhabenen wie komischen Abschreiber Bouvard und Pécuchet, deren abgrundtiefe Lächerlichkeit genau die Wahrheit der Schrift bezeichnet, kann der Schreiber nur eine immer schon geschehene, niemals originelle Geste nachahmen. Seine einzige Macht besteht darin, die Schriften zu vermischen und sie miteinander zu konfrontieren, ohne sich jemals auf eine einzelne von ihnen zu stützen."
Tim, Du sprichst davon, dass die Platten “voll mit Content” sind, der von uns sicher zu keinem Zeitpunkt in all seinen Verästelungen und mannigfachen Bezügen überschaut/begriffen/in den Griff gebracht werden kann. Wir legen also eher ein Netz aus ("der vieldimensionale Raum"), in dem sich dann die Inhalte verfangen und auf verschiedenen Ebenen akkumulieren können. Was wir auf jeden Fall umgehen, ist eine Art Tonmontage, wie sie im dokumentarischen Hörspiel vorkommt, also mit Tonschnitten zu arbeiten und so etwas wie Anschlüsse zu erzeugen. Barthes spricht an einer anderen Stelle des Textes vom "surrealistischen Stoß/Ruck" ("saccade"), der für ein plötzliches "Durchkreuzen von Sinnerwartungen" steht. Er argumentiert, dass mit der Sprache als System (Code) nur gespielt werden kann, es aber unmöglich sei, diesen Code (im Sinne der Surrealisten) durch Subversion zu zerstören. Wenn wir mit Brüchen und harten Übergängen im Programm arbeiten, wäre es wünschenswert, in dieser Richtung verstanden zu werden/vorzugehen - der Stoß/Ruck (gerne auch ein wenig plump und ungeschickt) anstatt eines sauberen Tonschnittes mit Sinnübertragung.
Wie verhält sich überhaupt das Sonische zum Text bei Euren Sets? Ist ein Set erfolgreicher, wenn die ZuhörerInnen den Sprechenden erkennen? Oder hat es nicht eine ganz andere, vielschichtigere Qualität, wenn die Sprache selbst zum Sound einer sehr eigenen Struktur und Qualität gerinnt? Wie sieht ihr das Verhältnis zwischen Ästhetik und Inhalt? Welche Rolle spielt letztendlich die Referenz des Sprechenden, die, zugespitzt ausgedrückt, sowohl in der Funktion des prominenten Effekts – Oh, das ist Patty Hearst, wie cool! – als auch in entkontextualisierter Uneindeutigkeit bestehen könnte?
ACHIM LENGERER: Wir geben keinerlei Hinweise darauf, wer spricht oder in welchem Kontext das Gesagte geäußert wurde. Was eine daran anschließende oder vorgeschaltete Frage wäre: In welchem Kontext sind die Platten, die wir benutzen, hergestellt und vertrieben worden, zu welchem Zweck? Die Plattencover tauchen bei unseren Performances nicht auf, obwohl oder gerade weil sie, für sich genommen, ein höchst-interessantes Zeichenfeld abdecken - das schließt sicher noch mal an deine Frage bezüglich Feldman/Prince an. Aber wir lassen diesen Aspekt ganz bewusst aus den Auftritten heraus und gehen damit, wenn man so will, gänzlich in die Richtung des Textes von Barthes:
"In Frankreich hat wohl als Erster Mallarmé in vollem Maße die Notwendigkeit gesehen und vorausgesehen, die Sprache [langage] an die Stelle dessen zu setzen, der bislang als ihr Eigentümer galt. Für Mallarmé (und für uns) ist es die Sprache, die spricht, nicht der Autor. Schreiben bedeutet, mit Hilfe einer unverzichtbaren Unpersönlichkeit - die man keineswegs mit der kastrierenden Objektivität des realistischen Romanschriftstellers verwechseln darf - an den Punkt zu gelangen, wo nicht >ich<, sondern nur die Sprache >handelt< [>performe<]."
Damit könnte man auch die Frage beantworten, wie es mit dem Erkennen steht: Sicher sind wir uns bewusst, dass der Hörer manche der SprecherInnen (je nach Auftrittsland) besser zuordnen kann als andere, aber wir arbeiten nicht darauf hin. Wir überprüfen das Programm eher darauf, Positionen, die im deutschsprachigen Kulturraum zu bekannt wären, nicht zu benutzen (ein Beispiel hierfür wäre "Ich bin ein Berliner" aus der 1963er Rede von Kennedy). Die Plattensammlung setzt aber dennoch einen soziologischen und gesellschaftlichen Rahmen, aus dem wir heraus arbeiten und definiert damit auch einen (wenn auch weiten) Kontext: Sie umfasst zeitlich Schallplatten ab circa 1910 bis zur endgültigen Durchsetzung der CD in den 90er Jahren, und geografisch Schallplatten aus dem europäischen, amerikanischen und israelischen Raum.
DANI GAL: Ich denke, wir würden uns letztendlich wünschen, dass die Sammlung durch den gleichen Prozess geht, wie wir es tun, während wir das Set aufbauen. Einerseits die ästhetische Erfahrung davon, wie mitgeschnittene historische Ereignisse und Reden wieder zum Leben erwachen in einem anderen Raum, andererseits die Erfahrung davon, wie solche Aufnahmen, die zur Konstruktion von gesellschaftlicher Geschichte gehören, abstakt werden und ihre originale Bedeutung verlieren, um zu Noise zu werden.
Wie vorbereitet sind Eure Sets, wie spontaneistisch können sie werden? Habt Ihr beide bewusst verschiedene Rollen im Ablauf?
ACHIM LENGERER: Ich antworte jetzt auch noch auf die Frage nach dem Verhältnis des Sonischen zum Text, was ich in der vorherigen Antwort ein wenig verschluckt hatte: Dieses Programm, das Du gehört hast, ist das dritte seit dem Beginn unserer Zusammenarbeit vor zwei Jahren. Zu Beginn der Arbeit hören wir einfach Platten zusammen an und filtern nach dem Prinzip "Klingt als akustisches Ereignis interessant?" Stücke heraus und merken Sie vor. Das Programm zu bauen und zusammenzustellen funktioniert dann sehr stark nach einem "trial and error"-Verfahren. Einer spielt etwas, der anderer probiert etwas dazu aus und so weiter. An einem bestimmten Punkt nehmen wir Tracks auf und hören sie wieder in Ruhe an, trinken Kaffee, probieren weiter. Daraus entstehen kurze Fragmente, zwei bis fünf Minuten lang. Aus diesen Fragmenten wird das gesamte Programm gebaut, wobei manche der Tracks in Variationen und Bearbeitung (Vorder- und Hintergrund/Positiv- und Negativformen etc.) wieder auftauchen. Wichtig ist nur, dass alle Stücke an einem Punkt des Programms direkt (live!) von der Platte kommen; die Weiterbearbeitungen am Computer können davor, danach oder parallel auftauchen. Für die Auftritte ist so ein genauer Ablauf festgelegt, der aber freie Passagen enthält, etwa, wenn etwas live am Computer bearbeitet wird; dabei ergeben sich natürlich jedes mal andere Dynamiken und Zeitabläufe.
DANI GAL: Der Arbeitsprozess dreht sich generell um die Ästhetik der Rede und historische Aufnahmen. Wir versuchen, verschiedene Qualitäten von Sound und Stimme in den Schallplatten zu finden und herauszufinden, wir sie zusammen funktionieren könnten. Wir versuchen, eine Empfindung dafür zu bekommen, was ein aufgenommenes Stück in uns hervorbringt und wie es das damalige Publikum tangierte. Dann suchen wir nach Brücken zwischen zwei Ereignissen, die ähnliche Effekte haben mögen, wie zum Beispiel die Marschgesänge von Marine-Soldaten und eine ekstatische Gospelgebets-Situation in einer Kirche in Harlem.
Gibt es ein Ziel Eurer Arbeit? Wie bewertet Ihr die Arbeit selbst? Wann ist eine Arbeit gelungen, wann eine Plattensammlung abgeschlossen? Einerseits scheint mir Eure Praxis sicher prozessual, andererseits ist alleine mit dieser Formulierung noch wenig gewonnen. Macht Ihr Aufnahmen von den Abenden? Werden sie im Rahmen von CDs oder Editionen weiter verwertet?
DANI GAL: Wir würden gerne ein Album produzieren. Dafür benötigen wir aber noch einige Zeit. Ich denke, dass wir zufrieden sind mit einer Performance, wenn wir aus sie noch einmal aus der Distanz hören können und sie immer noch für uns interessant klingt. Dazu gehört auch, dass sie uns auch noch nach der eigenen Produktion inspiriert und überrascht.
ACHIM LENGERER: Momentan arbeiten wir bei jedem Auftritt mit der gleichen Grundstruktur und erweitern und verändern diese beim Proben, vor den Auftritten, das Programm - geplant ist, daraus eine Edition zu machen, aber einen Zeitrahmen gibt es bis dato dafür noch nicht. Außerdem gibt es ein großes Ausstellungskonzept (von "Voiceoverhead") in Zusammenarbeit mit der Jan-van-Eyck-Akademie, das hoffentlich Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres in Holland realisiert wird. Hierfür arbeiten wir mit bildenden Künstlern und Musikern zusammen, um unsere Position in einen Kontext zu setzen. Es wird in dieser Ausstellungum die bildliche und objekthafte Präsentation von sound- und sprachbasierten Vorgehensweisen gehen.
Im Mix verschwimmt Eure Autorenschaft mit der der Sprechenden. Zu was? Glaubt Ihr daran, dass vielleicht das Radikale auf "historische-Sprechende-Beziehen“ eine angemessene Möglichkeit ist, zeitgenössische Kunst zu machen?
ACHIM LENGERER: Barthes: "Kehren wir zu Balzacs Satz zurück. Niemand (das heißt: keine Person) spricht ihn. Nicht sein Ursprung oder seine Stimme sind der wahre Ort der Schrift, sondern die Lektüre. Ein anderes, sehr präzises Beispiel macht das verständlich: Neue Forschungen (J.-P. Vernant) haben die grundsätzlich doppeldeutige Natur der griechischen Tragödie erhellt. Deren Text ist aus zweideutigen Worten gewoben, die von den Protagonisten nur in einem Sinn verstanden werden (in diesem ewigen Missverständnis liegt gerade das >Tragische<). Es gibt jedoch jemanden, der jedes Wort in seiner Zweideutigkeit versteht - und zusätzlich auch noch sozusagen die Taubheit der Figuren. Dieser Jemand ist niemand anderes als der Leser (beziehungsweise hier der Hörer). So enthüllt sich das totale Wesen der Schrift. Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen. Es gibt aber einen Ort, an dem diese Vielfalt zusammentrifft, und dieser Ort ist nicht der Autor (wie man bislang gesagt hat), sondern der Leser."
Ich glaube, wir sind sicherlich Autoren/Gestalter eines Behälters und dessen "Sounds". Der Auftritt ist so ein Behälter, in dem die verschiedenen Komponenten zusammenfallen und sich (auch wörtlich bei unserer Arbeitsweise mit parallelen Spuren) überlappen - die Ausstellung, auf die ich persönlich sehr gespannt bin und die wir auch gerne hier in Deutschland zeigen würden, wäre ein anderer, zweiter Behälter. Mit dem Begriff "content" - übersetzt a) Gehalt und b) Inhalt, kommt man zu einer brauchbaren Konzeption von / Nicht-/Autorenschaft in Bezug auf unsere Arbeitsweise.
Sicher, ist es eine Möglichkeit, aber eine unter tausend anderen. Warum wir gerade diese Praxis gewählt haben, dürfte letztendlich wohl (zumindest fuer mich gesprochen) im Dschungel meines persönlichen "vieldimensionalen“ Raumes liegen und weniger daran, eine paradigmatische Forderung zur Kunstproduktion im Jahre 2007 aufzustellen.