Und jetzt alle im Kreis – Zur Steuerungstechnologie Open Space
von Hans-Christian Dany
Im Sommer 2008 richteten der Kunstverein und die Kampnagel Fabrik die „Erste Hamburger Künstlerkonferenz“ aus. Auf ihr sollten Künstler und Künstlerinnen, Tänzer und Schauspieler, Kuratoren und Regisseure im Rahmen einer „Open Space Konferenz“ (OSK) ins Gespräch kommen. Was dabei herauskam mag spannend gewesen sein, soll hier aber weniger interessieren als das Format, mit dem es getan wurde.
Open Space Technologie, zu der OS-Konferenzen zählen, klingt wie eine Trittbrettidee des Open-Source-Gedankens, es handelt sich aber um eine Parallelentwicklung. Die Ähnlichkeit der namensverwandten Methoden liegt darin, dass sich beide mit Sprache auf einem Marktplatz befassen. Open Source organisiert das gemeinschaftliche Schreiben von Maschinensprache auf einem „Basar“, während die Technologie des Offenen Raums gesprochene Sprache und menschliche Interaktion mit dem Ziel der effektiveren Arbeitsteilung wie auf einem „Buschmarkt“ strukturiert. Erfunden wurde die Open Space Technologie 1985 von Harrison Owen, dem Präsidenten einer erfolgreichen Unternehmensberatung, die neben vielen anderen Kunden Shell, Boeing oder Die Weltbank berät. Zum OS-Konzept ließ sich Owen von den „unkontrollierten“ Märkten und rituellen Festen in den kleinen Buschdörfern Liberias anregen, wo er einst als Leiter eines Friedenskorps stationiert war. Dort sei ihm auch die Erkenntnis gekommen, die geometrische Grundform der Kommunikation sei der Kreis. Zu der Übernahme des Exotischen gesellte er mit der „coffee-break“ Metapher ein vertrautes rundes Bild, welches dazu dient, die OSK den Teilnehmern vorzustellen. Kaffeepausen wären auf Konferenzen das Ergiebigste, in ihnen kämen die wirklich wichtigen Fragen und Antworten auf den Tisch. Also verlängerte Owen die braun dampfende Pause, in dem er ihren Anfang und ihr Ende zu einem Kreis legte. Die kurze Freizeit wurde zum endlosen Tätigsein umgedeutet. Die Kreise in Raum und Zeit formalisierte Kommunikationstechniker zu einem Verfahren, das schnell ein großer Erfolg werden sollte. Nicht nur Unternehmen, auch Kommunen wendeten die Gesprächssteuerung bald an, um soziale Schieflagen wieder ins Gleichgewicht zu reden. Irgendwann entdeckten die zahlreichen Anbieter die Anwendung auf soziale Gruppen, seien es Jugendliche ohne Arbeit oder wie jüngst die „Hamburger Künstler“. In offenen Milieus bieten OSK die Möglichkeit, offene Zusammenhänge temporär in geschlossene Systeme zu verwandeln – also den Kreis zu schließen, um so im Mikromodell Transparenz in ansonsten schwer zu durchschauende Gefüge zu werfen.
Open Space Konferenzen sind den zahllosen Technologien zu zurechnen, die Gilles Deleuze als „Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen“ prognostizierte. Das „Open“ stellt sie als Offenheit vor, meint dahinter aber ein Aufschließen im Sinne von Einblick verschaffen. OSK sollen Energien und Wünsche offen legen, um sie in zielstrebigen Anordnungen neu aufzustellen. Erfasste Widerstände oder Reibungsverluste gilt es umzudeuten. Zum Einsatz kommen OSK oft in Unternehmen, die sich aufgrund mangelnder Identifikation ihrer Arbeitskräfte in einer Krise befinden. Hier lädt das Management zur Entwicklung neuer Leitbilder ein. Das erste Versprechen des inszenierten Ausnahmezustandes im Unternehmen liegt darin, dass in ihm alle gleichberechtigt sind. Das Management soll in der OSK den Angestellten zuhören, antworten soll es in einer Sprache, die alle verstehen. Zur Erzeugung einer kommunikativen Sonderzone tut die Leitung des Unternehmens so, als ob es seine Autorität an den Moderator abgibt, der im OSK-Jargon „Begleiter“ genannt wird. Er tritt bewusst antiautoritär auf, wodurch sich seine Autorität nochmals steigert.
Im Offenen Raum gibt es keine Podien und keine Redner, die von ihnen herunter sprechen. Die gestufte Anordnung wird durch einen sich flach erstreckenden „Marktplatz“ ersetzt, auf dem Kleingruppen sich sammeln und miteinander diskutieren. Innerhalb der Kreise, die sich um selbst gestellte Einzelfragen zum vorgegebenen Hauptthema sammeln, ergreift, wer sprechen will, einen Stift und notiert, nachdem was er gesagt hat, zusammenfassende Stichworte auf einem in der Mitte liegenden Papierbogen. Die Protokolle werden dann auf Stellwänden zwischen den Kreisen zu Wandzeitungen zusammengesetzt, die hinterher ausgewertet werden. Wer das Interesse an seiner Gruppe verliert, steht einfach auf und schweift zwischen den Kreisen umher, bis ihn irgendwo das Gespräch wieder packt. Der Begleiter erklärt dies als „Gesetz der zwei Füße“ und alle sollten sich als „Schmetterlinge“ und „Hummeln“ begreifen. Die ansonsten ungefragten, jetzt in Tierbilder verwandelten Arbeitskräfte sind am Anfang etwas zurückhaltend und misstrauisch. Die Gespräche plätschern so dahin. Nach einer Weile entsteigen aber einige ihren Kokons und werden wunderschöne „Schmetterlinge“, weil es sich bei dieser Verwandlung letztlich um eine Arbeitsanweisung handelt, sonst würde das Gesetz der zwei Füße die Reinigungskräfte und die Leute vom Band vermutlich aus dem Raum führen. Außerdem sind alle hier so nett und offen. Immer mehr Münder öffnen sich, auch weil ihre Körper glauben, alle würden das hier tun. Staunend stellen die von der Atmosphäre Weichgespülten sprechend fest, ihnen wird nicht nur zugehört, nein, große Augen sehen sie an. Ihre Wünsche, Ärgernisse und Ängste werden neben die der besser Bezahlten und mit mehr Macht ausgestatteten an die Wände gepinnt. Ich habe das selbst am eigenen Mund erlebt.
Die Handlungsanweisung des Begleiters – heute sprechen alle Ungleichberechtigten gleichberechtigt - wirkt in den klar gestuften Verhältnissen als Konfusionsstrategie, da sie einen Widerspruch zwischen unvereinbaren Inhalten in sich birgt. Gezielt dosiert lassen paradoxe Handlungsanweisungen ihren Adressaten kaum eine Möglichkeit, sich der Paradoxie der Nachricht zu entziehen. Ihre Bindung an den Sender – letztlich das Unternehmen, vertreten durch den Begleiter – verbietet es ihnen, die Anweisung als Metakommunikation zurückzuweisen. Das in die Strategie eingeweihte, sich aber ahnungslos gebende Management (oder andere Auftraggeber der Konferenz), wird hingegen durch seinen Wissensvorsprung doppelt mit Macht ausgestattet. Einige müssen sich bald beherrschen, aus all dem was ihnen zu Ohren und Augen kommt, nicht sofort Steuerungstechniken abzuleiten und an den sich immer weiter Entblößenden zu erproben. Der Moderator hat ihnen erklärt, sie müssten es stundenlang aus ihren Leuten hervorquellen lassen. Ziel sei es, im Redefluss der sich Öffnenden nach Redundanzen zu suchen, also wiederholbaren Sequenzen menschlicher Interaktion, die als rückkoppelbare Schlaufen in die zielstrebigen Steuerungsbefehle des Unternehmens eingepflegt werden könnten. Parallel wird im Mikromodell einer Gemeinschaft inszeniert, was die Kybernetik Homöostase nennt – dieses Charakteristikum selbst organisierender Systeme federt Bedrohungen seines Gleichgewichts ab, um die Stabilität des Gefüges zu wahren. Anders formuliert wird die scheinwirkliche Atmosphäre eines sich selbst organisierenden Organismus hergestellt, um dessen Möglichkeiten im Rahmen fremdbestimmter Arbeit abzuschöpfen.
Ähnliche Mechanismen greifen, wenn ungebundene Arbeitssuchende von den Arbeitsvermittlern als den Kontrolleuren ihres Anschlusses an den Geldfluss dazu genötigt werden, sich einmal wirklich kommunikativ in ein Gespräch einzubringen. Bei Künstlern kommt die Entfremdung hinzu, sich ständig darstellen (bewerben) und offen sein zu müssen, um in die Zirkulation der Arbeit und erst recht des Geldes eintreten zu können. Nicht selten tut eine verstärkte soziale Trennung unter „Selbständigen“ ihr Übriges. Hat die doppelbödige Wohlfühlatmosphäre der Konferenz am Abend ein Ende, streben alle schnell auseinander. Manche scheinen peinlich berührt von ihrer entkleideten Subjektivität. Andere fragen sich, ob das ganze Gerede nun den kostbaren Sonntag wert war? Eigentlich kam kaum etwas auf den Punkt, aber irgendwie war es schön, die Kollegen mal so gelöst, offen und ganz ohne Maske zu erleben. Einsichten wurden da laut. Und wie nett die Chefs (Arbeitsvermittler, Lokalpolitiker, Intendanten, Kuratoren etc.) sich benommen haben - kaum zu glauben.
Da die Homöostase in einem scheinwirklichen Körper bei weitem nicht alles bereinigt, was vergiftet ist, muss anschließend das Management den Rest aufarbeiten. Die Auswertung der Protokolle liefert Material dafür, mit welchen Versprechungen sie die Leute noch bei der Stange halten können, wie sich Widerstände in die Ziele des Unternehmens umformen lassen und welche Normabweichungen umgedeutet werden müssen. Umdeutung meint hier, den sprachlichen und emotionalen Rahmen, in dem inhaltliche Fragen beurteilt werden, durch einen anderen zu ersetzen und dadurch deren Gesamtbedeutung zu ändern, ohne etwas an den Bedingungen in denen der Steuerungskreislauf wirkt zu verändern. Wo das alles nicht funktioniert, müssen letztlich störende Elemente ausgeschlossen werden, um Widerstände abzubauen. Den Teilnehmern wird anschließend ein Leitbild oder etwas in der Art, samt verplapperter Protokolle präsentiert, in dem sich der Konsens ihrer entleerten Wünsche spiegelt. Müssen größere Umdeutungen in der Seele des Unternehmens vorgenommen werden, wird die Parole vom „lebenslangen Lernen“ bemüht, um besondere Kraftakte oder eine Aufbruchsstimmung einzufordern.
Da sich mittlerweile viele Unternehmensberater und Wirtschaftspsychologen auf dem OSK-Markt tummeln, hat sich die von keinem Patent geschützte Technologie der Menschenführung immer weiter verfeinert und modifiziert. Dass die Grundprinzipien der OSK trotzdem noch an die systemische Transaktionsanalyse mit ihren „Familienaufstellungen“ erinnern, ist kein Zufall, da beide Psychotechnologien auf den Annahmen der Kybernetik fußen. Der Name dieser Wissenschaft leitet sich vom griechischen Wort kybernetes für Steuermann her, im Lateinischen wurde daraus der gubernator und im Englischen der governor – seine etymologische Reise bewegte sich von der Schifffahrt zur Regierung. Das Hauptinteresse, des in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als neues Paradigma erkannten Theoriegeflechts, kennzeichnete biologische und technologische Verhaltensformen und Operationen, die sich von der bis dahin verbreiteten Auffassung einer eindeutigen Übereinstimmung von Ursache und Wirkung oder Reiz und Reaktion grundlegend unterscheiden.
Das Interesse am nicht-kausalen, sondern kreisförmigen Verhalten entstammte dem militärischen Anliegen, das Verhalten von angreifenden Flugzeugen zu bestimmen, um dieses absehbar zu machen. . Begannen die Angreifer vom erwarteten Verhalten abzuweichen, ging es darum, die Abweichung wieder mit einzubeziehen, um sie weiterhin kontrollieren, genauer, vernichten zu können. Um die Herausforderung zu bewältigen, studierten die Pioniere der Kybernetik die Lernprozesse von Polypen oder das Wachstum riesiger Panzer bei Süßwasserfischen. Ihre mathematisch-technologischen Übersetzungen aus der Biologie wollten sie in Sätzen und Mechanismen formulieren, welche „die Glätte eines Eies von Brancusi“ haben sollten. Finanziert wurde all das von einer Stiftung des berühmten New Yorker Kaufhauses Macy. Als für die Steuerung wesentliches Element wurde das „Feed-back“ ausgemacht. Die Kontrolle des Verhältnisses von Welt und Ziel, glaubte man durch eine optimale Kommunikation via Rückkopplung zwischen Fühlern, deren Auswertung an den Computer und ihrer Übermittlung an die als „Greifer“ bezeichneten Effektoren zu erreichen. Siegen hieß: Die Schlaufen optimal kommunizieren zu lassen.
Gilles Deleuze’ 1990 vage in die Welt gesetzter Begriff der Kontrollgesellschaft ließ die kommunizierenden Schlaufen erahnen, welche bald eine in alle Richtungen fliehende Bevölkerung durchziehen sollten. Dem Philosophen blieb aber keine Zeit, um seine in einem kurzen Essay formulierte Ahnung genauer zu prägen. Mittlerweile bewegt sich der Totalitätsanspruch der Kontrolle und unmittelbaren Kommunikation durch Rückkopplungen im offenen Milieu zielsicher auf die Verwirklichung der gestellten Prognose zu, von der damals bei Deleuze zu lesen war, dass „die härtesten Internierungen einer freundlichen und rosigen Vergangenheit angehören“.
Bei der „Ersten Hamburger Künstlerkonferenz“ handelte es sich vielleicht nicht einmal um die vorsätzliche Anwendung einer perfiden Steuerungstechnologie. Eher schien dort wieder einmal die fatale Mischung aus Selbstoptimierung, Opportunismus und politischer Instinktlosigkeit zu greifen, mit der allerorts halbbewusste Agenten die Verhältnisse der Kontrollgesellschaft normalisieren. Solchen Fehlleistungen sollte kein Feed-back gegeben werden. Darüber hinaus zwingt der aggressive Anspruch des kybernetischen Kapitalismus, das Leben in allen seinen Zwischentönen zu erfassen, immer dringender zu der Frage, in welcher Form sich noch miteinander austauschen lässt, ohne von den falschen Kreisen erfasst zu werden oder besser noch, diese zu stören. Eine Auseinandersetzung, die gerade auch in der Kunst geleistet werden könnte, anstatt fragwürdigste Anordnungen aus der Wirtschaft stumpf nachzuäffen.
lieber hc,
die open space-geschichte scheint mir nach meinen recherchen tief in die verteidigung von öffentlich zugänglichen grünfächen, freiflächen etc. verwickelt zu sein. zumindest gibt es dafür im internet zahlreich hinweise. Siehe weiter unten. ich finde es wichtig, diesen begriffs- und bewegungsraub zu betonen, damit die "erfindung" von harrison als werte umkehrender klau markiert wird. und du nicht das fortschreibst, was durbahn im interview zu bildwechsel so treffend mit dem fehlenden gedächtnis an die (praktizierten) alternativen anspricht. der entscheidende punkt ist doch, dass hier aus selbstorganierten prozessen eine technologie entwickelt wurde und die nun von oben auf erfolgreich versprengte, unzufriedene individuen wieder angewandt wird, um ihnen zumindest das gefühl zu geben, nicht allein zu sein und sie von der anstrengung zu befreien, sich mit anderen von sich aus zusammen zu tun. was ja gemeinhin als aussichtslos und naiv abgetan wird.
gruß rahel
dies aus der biografie von mr. harrison owen:
"1973 - 1976 Director, Education, Prevention and Control Programs, National Heart, Lung and Blood Institute (NIH). Responsible for the design and management of the patient, public and professional education programs."
1978 - Present President, H.H.Owen and Co. The primary business of the company has been to develop, test and market an approach to the enhancement of organizational culture in large social systems, especially under conditions of radical change (transformation)."
dies von einer seite, die man findet, wenn man sich für die geschichte des begriffs "open space" interessiert. Liz Christy:
"In 1975 the CENYC Open Space Greening Program was started by Liz Christy (who also founded the Green Guerillas). The Open Space Greening Program provided a tool and book lending library, on-site assistance to groups in all 5 boroughs, the publication of practical, how to information regarding leasing, site evaluation, participatory design principles, composting to help groups recycle organic wastes for conditioning the alkaline rubble to make a better soil. Exhibits, lectures and eventually a GROW TRUCK were added to provide essential services to needy community projects anxious to transform a vacant lot into a tiny Eden. Through CENYC seedlings were distributed, when available. Other groups including the Green Guerillas also distributed free trees, shrubs, and other plant materials starting in the mid 1970's. In 1978 Liz Christy added a Plant-A-Lot program to the Open Space Greening Division of CENYC. This new program provided cash for soil, trees, and shrubs for community projects whose sponsors have demonstrated their diligence and dedication. Participatory planning, design, and training in the construction of these new open spaces are exciting and hopeful."
www.lizchristygarden.org/lcbh_files/liz%20christy.htm