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19. Februar 2007

Gekaufte Demonstranten. Überlegungen zum Mieten von Körbchengrößen im öffentlichen Raum

von Ulrike Bergermann

Sicher war schon in den 1990ern eine Demo nicht mehr das, was sie einmal gewesen sein mag, wenn jemals. Wer etwa in Greifswald oder sonstwo Transparente wie »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«von Neonazis getragen sah oder die bepissten Müllberge nach einer Love Parade als fröhliche Zeichen unbefangener Antispießerkultur deuten musste, hat Räume und Symboliken öffentlicher Meinungsäußerung schon wandern sehen. Warum sich dann jetzt noch wundern, wenn Vermietungsagenturen unter ihre Güter- und Dienstleistungsangebote auch »Demonstranten« aufnehmen?

Vielleicht liegt es an einer alteingefahrenen Verwechslung von weißen Kitteln mit weißen Westen. Wenn der KBV, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, 170 Personen für eine sog. Kundgebung gegen die Gesundheitsreform bei einem Hostessenservice (sic!) anmietet. Nicht nur der Preis von 30 Euro befördert die Assoziation von Prostitution. Menschen in weißen Kitteln jedenfalls wurden am 15.12.2007 vor dem Reichstag mit den entsprechenden Parolen fotografiert, gefilmt, in den Nachrichten versendet.1 Am nächsten Tag erst wurde die Mietpraxis bekannt.2 In Erklärungsnot ließ die KBV verlauten, es habe sich nicht um eine Demonstration gehandelt, sondern um eine PR-Kampagne.Gesundheit für die Bilderpolitik
Ärztehostessen sind nur ein Mosaikstein in der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, in dem solche Orte, die der Allgemeinheit (der Nutzer, der AnwohnerInnen, oder für repräsentative, symbolisierte Plätze wie den vorm Reichstag auch: BeobachterInnen) zugehörig sind, von dort bestimmt werden, wo Geld ist.
Zwar braucht jede Demonstration, jeder Schlager-Move und jeder CSD Geld, Vereinsgeld, Sponsoren, aber das legitimiert sich durch ein ungefähres Allgemeinwissen um solche Strukturen (und nicht zuletzt durch Vertrauen in das Versammlungsrecht, die kommunale Vergabepraxis für die Nutzung öffentlichen Raums durch gemeinnützige oder private Träger je nach Zweck). Logos an Umzugswagen weisen das aus und werden bei Bedarf ausgepfiffen. Wenn die Ärztedarsteller vorm Reichstag fotografiert werden, entsteht eine neue Verknüpfung von Finanzierung, Verbandsinteressen und symbolischer Währung eines Bilds, das immer noch mit persönlicher Betroffenheit, Einsatzbereitschaft, Protest aufgeladen ist. Nun gehört der weiße Kittel, die weiße Weste der freien Meinungsäußerung offensichtlich nicht mehr denen, die sonst keine Öffentlichkeit bekommen. Symbole kann man kaufen, ihre Entwicklung in Auftrag geben, Bush verbietet Bilder von Särgen der Irakkriegsopfer, Greenpeace tuts ja auch nur noch mit Blick aufs Fotogene, es gibt keine unmanipulierten Bilder - so lässt sich mit mitwissendem Augenzwinkern konstatieren. Und wir sind schließlich nicht in China, nicht in den USA und nicht in Rußland. Und sind Latschdemos nicht schon lange langweilig. Und kann nicht jeder im Internet seine Öffentlichkeit finden. Und weiter: Warum noch für dpa posieren, wenn ich mein Handyfoto online stellen kann. Was soll die AufregungGesetz und Singular Die Internet-Firma Erento (http://www.erento.com/mieten/agenturen_personal_dienstleistungen/personal/demonstrant/)
bietet sei
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nfang 2007 über 200 Demonstranten zum Verleih an (Ende Februar waren es schon 324). Kunden, die medienwirksamen Protest brauchen, Lobbyisten und Verbände, deren PR-Abteilungen die Straße mitnehmen, sind mögliche Adressaten für Adeline und andere (siehe Bild).


Die Taz zitierte Staatsrechtler Christoph Degenhart von der Universität Leipzig, der einen Missbrauch des Demonstrationsrechts und eine nötige Ergänzung des Grundgesetzes gegeben sah: Wenn die öffentliche Meinungsäußerung eine Frage des Geldes wird, sich diese Praktiken an der Grenze zur Sittenwidrigkeit bewegen, dann sei perspektivisch die Verfassung gefährdet.3

Wie fühlt man sich als gekaufter Demonstrant? Sagt man sich: ich bin Fotomodell? ich lass mich halt casten, das ist ein Repräsentationsjob wie andere auch, sonst kann man sich seine Chefs ja auch nicht aussuchen, weiß doch jeder dass das nur noch Symbolpolitik ist, solange es nicht für die Nazis ist, oder: wäre ja auch komisch, wenn die Ärzte vom Krankenbett weggingen? Ist ökonomischer, wenn hochqualifizierte Leute für ihren Stundenlohn arbeiten und sich billiger vertreten lassen?

Im Text zum Bild lautet die erste Zeile standardisiert bei jedem/jeder sogenannten »Demonstrant /PromoterIn«: »Wer eine Meinung hat soll sie sagen. Ich komme zu Ihrer Demonstration.« In gezielter grammatikalischer Verkennung nicht nur der Kommasetzung, sondern in einer Vertauschung von 'eine Meinung haben', 'seine Meinung sagen' und 'zur Demonstation kommen'. Du hast eine eigene Meinung? Prima, ich sage sie! Du lädst mich ein? Prima, ich komme (von Geld ist hier so wenig die Rede wie in einer Sexanzeige, und gerade dieses Fehlen macht es anrüchig).
Die Personen haben ebensolche Firmen-Artikelnummern wie die mietbaren Laster oder Geräte. Dass ein Mensch eine Artikelnummer trägt, fällt hier gar nicht mehr ins Gewicht, das muss man rational und kann man leicht ironisch sehen, wenn überhaupt Kommentierungsbedarf besteht. Artikelnummer 6603945459 jedenfalls, Adeline (ohne Nachnamen...), hat »sehr lange Haare«, »südländischen Erscheinungstyp«, Jeansgröße 28W-322, übernimmt wie Benedikt, Artikel Nr. 2953526431, aus Bonn, »europäischer Erscheinungstypq, Schuhgröße 44, den Standardtext, dass »nicht alle Demonstrationsthemen meiner Meinung entsprechen...« - also schon die meisten? – »... und von diesen möchte ich mich dann auch distanzieren. Diese wären z.B. Demos für den Rechtsextremismus, Diskriminierungen o.ä.« gut, sie werden nicht für Satzbau bezahlt, aber ich würde schon gerne wissen, wie so eine Distanzierung dann aussieht und wer jemals eine Demonstration für Diskriminierungen o.ä. organisiert hat.


Exkurs: Fackeln der Freiheit. Eine frühe gekaufte Demo
Spin Doctors, bekannt aus Tony Blairs Regierung, haben die Aufgabe, jede Nachricht regierungsfreundlich umzuformulieren. Den Begriff spin doctoring gibt es (mit Ausnahme einer früheren Nennung4) seit der Amtszeit von Ronald Reagan 1984, dessen Presseagenten gleichzeitig die Berater zuerst des Kandidaten, dann der Regierung waren und deren Aufgabe darin bestand, sich nach den Pressekonferenzen unter die Reporter zu mischen und positive, optimistische Statements von sich zu geben. Bis heute heißt der Bereich hinter der Bühne, der für die Presse reserviert ist, »spin alley», das Reden der Berater »spin patrol». Trotzdem ist Spin doctor fast nie eine Selbstbezeichnung, zwar mittlerweile ein beliebter und hochdotierter Beruf, aber der Manipulation stets verdächtig.5 Auch der sogenannte »Father of Spin», Edward L. Bernays (gestorben 1995 im Alter von 103 Jahren), distanzierte sich vom Namen Spin doctor.6 Seine berühmteste Aktion war die Mobilisierung einer riesigen Konsumentenschicht für Lucky Strike. Die Frauen rauchten in den 1920er Jahren nicht – wie also diese potentiellen Käuferinnen gewinnen? Slogans wie Smoke statt sweets; dancers reach for a cigarette, smoke is good for the vocal chords bescherten schon im ersten Jahr der Kampagnen 1928 einen Riesengewinn.7 Dass Bernays bereits 1930 wusste, dass Nikotin im Tierversuch Krebs erzeugt, dass er seiner Frau das Rauchen verbieten wollte, aber weiterhin Kampagnen über die Gesundheit des Rauchens betrieb, demonstriert drastisch die verlogene Seite dieser Geschichte. Als 1929 die Gewinne noch gesteigert werden sollten, weil Frauen, die nur im Haus rauchen, ja die Gelegenheit verpassen, das auf der Straße zu tun, erfand Bernays einen pseudoemanzipatorischen Demonstrationszug unter dem Motto »Torches of Freedom« , Fackeln der Freiheit, in der Presse lanciert durch Aussagen seiner Sekretärin (die leugnete, dass sie dafür bezahlt wurde) und College-Absolventinnen, und die Fotos der gut gekleideten, auf der Straße Zigarette rauchenden Frauen gingen um die Welt. Die Eroberung der Straße, die von männlich besetzten Symbolen, die Erweiterung auch sexuellen Spielraums ist verwoben mit ihrer Vermarktung - eine Ausbeutung, die im Gegenzug allerdings auch für eine Öffentlichkeit sorgte, die ohne das »Kommunikationsfeld Kapitalismus« und die Sprachen des Geldes nicht erreicht worden wäre.
Unter/laufenDas heißt: die Benutzung der emanzipatorischen Aura öffentlicher Raumnahme von verschiedenen Seiten ist alt, alle Spieße können umgedreht werden, und das erinnert an künstlerische Praktiken, die sich entsprechende Formate schon lange nutzbar machen. Ob die Yes Men als Manager in hochkarätigen Veranstaltungen auftreten und kapitalistische Theorien ins Absurde übersteigern8 - oder ob wiederum Nike versucht, urbanen Räumen halbwegs unerkannt ihr Branding aufzudrücken9: Repräsentationstechniken und der Gebrauch von public spaces sind nicht mehr umstandslos auf ein bestimmtes Set an Intentionen oder Ideologien zurückzuführen. Wo die aktuellen Verschiebungen stattfinden, was erwartbar wird oder wo noch für eine mittlere Weile Provokationspotential sitzt, muss jeweils ausgetüftelt werden. Und ist ebenfalls bei Bedarf anzueignen. Die Schanzenturm-Ini könnte sich allerdings nur Ein-Euro-DemonstrantInnen leisten.No rentoDass in der Erento-Rubrik »Demonstrant mieten« noch der Begriff »Promoter/in« auftaucht, illustriert neuere Verwischungen von Fremd- und Selbstbestimmung. Wie schön einfach ist es dagegen noch zu verstehen, dass Ole von Beusts Regierung ebenso das Volksbegehren außer Kraft setzt wie juristisch einwandfreie Volksbeschlüsse schlicht ignoriert: Hier steht noch Herrscher gegen Volk, und wer den Hebel manipulieren kann, gewinnt. Erento, die KBV und Adeline bilden ein kompliziertes Konglomerat, das eine Gouvernementalisierung verschiedener Akteure unserer medialen Mainstream-Öffentlichkeiten anzeigt.
Erentos Werbeslogan »All you can miet« trifft es schon ganz gut: Hier gilt nicht mehr »All you can eat« , das grenzenlose Angebot, denn ich kann gar nicht so viel essen wie ich, irgendwie Teil dieses Konglomerats, kotzen möchte.
Öffentlich ist da, wo alle, die hinschauen, wissen müssen, dass die Fackeln der Freiheit von Hostessen getragen werden können. Öffentlichkeit hat sich freundlicherweise in verschiedenste Medienöffentlichkeiten vervielfältigt, in denen wiederum – unfreundlicherweise - weiblich gegenderte Pappen Auftritte hinlegen, die zumindest für einen kurzen historischen Moment noch zu ärgern vermögen: Das Format Transparent ist durch die politischen Lager gewandert, auch eine Party kann ein Politikum sein, und was nicht meiner Meinung entspricht, davon möchte ich mich dann auch distanzieren, nachdem ich gekommen bin.

1
Tausende von Arztkitteln wehten bei der Aktion »Geiz macht krank« vor dem Deutschen Reichstag. Mit der längsten Garderobe der Welt protestierte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gegen die Gesundheitsreform Die Garderobe war 400 Meter lang und bestand aus 170 Balken. Diese waren jeweils 2,50 Meter lang und wurden von 170 jungen Menschen gehalten. Den allerletzten Kittel hängte KBV-Chef Köhler an den Nagel. Köhler ist Arzt, die 170 »jungen Menschen« nicht. Von der KBV irreführenderweise als »Studenten« bezeichnet (in einer Bildunterschrift auf der Webseite, die hochaufgelöste Fotos zum Download anbietet), waren sie für 5.000 Euro angemietet. In der offiziellen Presse-Einladung der KBV stand allerdings kein Wort von einer PR-Kampagne. Laut der “Berliner Zeitung” war die Aktion vor dem Reichstag sehr wohl als politische Kundgebung angemeldet. Für eine PR-Aktion hätte eine eigene Verwaltungsgebühr bezahlt werden müssen. Vgl. KBV: Eigentor vorm Reichstag. Mit einer ziemlich instinktlosen Aktion hat die KBV das Jahr der Ärzteproteste mit einem Eigentor beendet, 18.12.2006, www.aerztlichepraxis.de/rw_5_News_politik_NewsID_1166446151_Drucken.htm, oder www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,454936,00.html.
Der »KBV-Mediaservice« bietet Bildmaterial der Aktion zum Download: www.kbv.de/presse/5143.html. (Dort steht immer noch die Bildunterschrift »Studenten hängen Kittel an die Garderobe».
2
Und zwar von der Bildzeitung. Bildblog nimmt ausnahmsweise Bild in Schutz: www.bildblog.de.
3
Nico Pointner, »Demonstranten ab sofort zu mieten« , taz, 6.1.2007, S. 6. Vgl. Wolf Schmidt, »Mächtige Meinungsmieter« , ebd. S. 18.
4
Christian Mihr, Wer spinnt denn da? Spin Doctoring in den USA und in Deutschland: Eine vergleichende Studie zur Auslagerung politischer PR, Münster, Hamburg (Lit) 2003, S. 61.
5
Im Versuch, den Begriff ins Deutsche zu übersetzen, schrieb die FR, er habe »etwas von grauer Eminenz von Manipulation, von Fachmann im Spinnen von politischen Netzen. Vielleicht ist Hexenmeister die treffendste Übersetzung« , mit einem Repertoire aus der weiblich konnotierten Verdachts- und Intrigengeschichte. Entstanden in den 1920er Jahren in den USA, wuchs die Nachfrage für das, was dann PR, Public Relations, hieß, vor allem in den 1940er Jahren mit der Verbreitung des Fernsehens enorm, zunächst nur vor Wahlen, heute immerzu: Politik ist zur »permanenten Kampagne« geworden. In Deutschland beginnt die Geschichte »staatlicher Öffentlichkeitsarbeit« zwar auch in den 1920ern, floriert aber erst im Nationalsozialismus. Goebbels las begeistert die Schriften von Hans Domitzlaff; der Amerikaner Ivy Ledbetter Lee arbeitete für Hitler und die IG Farben; die drei Gründungsväter der deutschen PR (Albert Oeckl, Carl Hundhausen, Franz Ronneberger) unterhielten sämtlich Verbindungen zu Hitler, waren Mitarbeiter oder Verteidiger des Nationalsozialismus. Über die Nachkriegsgeschichte wäre zu viel zu erzählen; Berufsverbände, Fachzeitschriften, Selbstverständnis und Ausbildung in Public Relations oder »Politikberatung« wären zu besprechen.
6
Larry Tye, The Father of Spin. Edward L. Bernays and the Birth of Public Relations, New York (Henry Holt) 1998.
7
Weitere geheime Strategien bestanden darin, Meinungsführerinnen, Sportlerinnen oder populäre Opernsängerinnen (Atmung!) in der Zigarettenwerbung einzuspannen, oder auch darin, Grün als Modefarbe der Saison 1934 zu lancieren, als Umfragen zeigten, dass Frauen die Lucky-Strike-Packung mit dem grünen Ring als unpassend zu ihrer Garderobe empfanden.
8
Vgl. www.theyesmen.org.
9
Vgl. Friedrich von Borries, Wer hat Angst vor Niketown? Nike-Urbanismus, Branding und die Markenstadt von morgen, Rotterdam (episode publishers) 2004; Lukas Wieselberg, »Das Just-Do-It-Marketing«. In: Jungle World, Nr. 24, 5.7.2002, S. 21; Krystian Woznicki, »Ein Interview mit Tom Holert zum Themenkomplex IT-Business, Intelligenz-Rassismus, Nike und Sport: Brainware im Strukturwandel« . In: Die Springerin, »Outside Europe«, Nr. 4, Wien, 2000; Verena Dauerer ,»Den öffentlichen Raum neu formatieren. Die Nike-Strategie« [Interview mit Friedrich von Borries]. In: de:bug, Januar 2003, S. 30. Fotos: Unbezahlte CSD-Demonstrantinnen

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