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11. Januar 2008

Besuch im Textilmuseum Neumünster

von Wiebke Johannsen

Besuch im Textilmuseum Neumünster

Das Stadtwappen weist den Weg in die ruhm- und dreckreiche Historie: Ein Wald aus Schloten, darunter schwimmt ein Schwan. Auf die qualmenden Schlote waren die Neumünsteraner Stadtherren vor gut hundert Jahren so stolz, dass sie diese vor ins Wappen hievten. Seltsam unschuldig kommt uns die Szenerie heute vor, der Fabrikant im schwarzen Gehrock, der sich den Zylinder aufs Haupt stülpt, Zeichen der Dampfmaschine, die ihn erhoben hat über seine neuen Untertanen und sein Schornstein-Wappen und sein neugotisches wappengeschmücktes Backsteinrat-haus. Vor dem ersten Weltkrieg war Neumünster das holsteinische Manchester, die rauchenden Schlote gehörten zu Leder- und vor allem Textilfabriken. Textil, Leitmedium der Industrialisierung. Das älteste Handwerk wurde zur ältesten Industriebranche. Die Flüsse, die Schwale und die Stör, waren vergiftet, schaumig, blau-grün. Die Luft voll Lärm, Ruß, Schwefel. Nur gut, dass der Schwan unter der idealisierten Silhouette der Stadt ein Imaginärer ist, nämlich das Wappentier der landesherrlichen Stormaner aus feudalen Zeiten. Abgebrochen sind die Schornsteine und "unsere" stehen heute in China. Vor 15 Jahren schloss Neumünsters letzte Textilfabrik.

Im Oktober 2007 öffnete das Textilmuseum „Tuch und Technik“ in Neumünster, ein Gewebe-Ausschnitt ist das Logo, die Fäden übereinander sehen aus wie Platten. „Tuch und Technik“ könnten Kette und Schuss sein und sind Thema und Exponat, „Tuch“, das klingt nach „betucht“ und den wohlhabenden Tuchmacherzünften (die Frauen stets ausschlossen), nach Walkmühlen und Webstuhl. Die musealisierte Technik präsentiert sich tot, harmlos und schön, ein Zoo-Effekt. Die Nicht-Technikerin schätzt das Ornamentale der Zahnradwand, das Poetische des Fadengewimmels auf den 1000 Spulen der Kettschärmaschine (Ariadne arbeitet nicht mehr mit Abacus), das Monumentale des „Dreikrempelsatzes“ – einer Garn-Fertigungsstraße.

Industrieromantische Erwartungen indes enttäuscht das Museum schon durch die Location. Kein Backstein-Historismus, kein rausgeputzes Maschinengewölbe, sondern ein Anbau an die Gelbklinker-Stadthalle der 1980er, gerühmte dänischen Architekten (Holscher, Axelssohn & Rasmussen), ein damals ungeliebter Bau. Der Museums-Anbau könnte Messehalle sein, das ist auch schon sein einziger KommentarFast 2.000 Quadratmeter, fast 4000 Jahre Geschichte. Schwerpunkt die letzten 200 Jahre.

Sprachfetzen sind deutlich älter: Die Kratzbürste, das sich verhaspeln, seine Felle davonschwimmen sehen, Fadenscheinigkeit ist aus vorindustriellen Zeiten.

Die ältesten Exponate gehören zu den Eindrücklichsten. (Und das wohl nicht, da hier mit spärlicher Beleuchtung ein ‚Dunkel der Geschichte’ inszeniert ist). Es sind neolithische, überfaustgroße Webgewichte, Lochsteine, die die Kettfäden straff zogen. Daneben und auch zu unsern Füßen die kleineren Spinnwirtel, Schwungmasse für die Handspindeln.
Erstaunlich genug: weltweit gibt es kaum Unterschiede in der Basis-Technologie. Wolle zupfen, Spinnen (das Spinnrad wird erst im 13. Jahrhundert erfunden), Webrahmen mit Gewichten. Frauenarbeit.
Rar sind Textilfunde, viel besser haben sich Waffen konserviert, viel genehmer für die konservative Geschichtsschreibung.
Vier bis zehn Schafe lieferten Wolle für die Kleidung eines Erwachsenen.
Sie wurde ausgezupft, nicht geschoren. Ob das weh tut?
Ein paar Stofffetzen gehören zum berühmten eisenzeitlichen „Thorsberger Prachtmantel“, ein Moorfund, der Spaten zerteilte ihn. Ein Geflecht aus Rätseln, Sprache und beigefügte Texte lösen es nicht auf.
(Moorfunde sind Niederlegungen, Depots aus vermutlich kultischen Gründen.)

Nach einer Aktivitätsstation (selber Weben, allerdings mit neonfarbenen Plastikstäben als Schussfäden) geht es gleich ins Mittelalter und zur Professionalisierung. Zünfte entstehen, das Weben wird zur Männerarbeit. Arbeitsteilig wird Garn gesponnen, gefärbt, gewalkt, geraut, geschoren. Die Herstellung von Leinen geschieht meist weiterhin für den (bäuerlichen) Eigenbedarf. Flachsen, Hecheln, Spinnen sind Tätigkeiten, die deshalb hier nicht erörtert werden.

Neumünster, das kommt vom Neuen Kloster, dem Novum Monasterium des 12. Jahrhunderts, liegt auf der Geest, in einem unfruchtbaren und bald ausgelaugten Flecken. Ende des 18. Jahrhunderts erlebt hier die Tuchmacherei einen deutlichen Aufschwung, das liegt an der Eingliederung ins dänische Königreich.
Hiersind zu bestaunen die Färbemittel in Wort und Gestalt: Wau für Gelb, Krapp für Rot und Braun, Waid, später Indigo für Blau, Färberdiestel, Cochenille für Scharlach ist das teuerste und Pottasche, auch Kaliumcarbonat genannt, diente als Lösemittel für alle.
Im gleichen Jahr 1774, da Neumünster dänisch wurde, nahm am ehemaligen Kloster-Standort die Tuch-Manufaktur des Zuchthauses ihren Betrieb auf. Die weiblichen und männlichen Zöglinge des knapp 50 Jahre zuvor gegründeten Zuchthauses sind bereits vorher anhand ihrer Kleidung als „ehrliche“ oder „unehrliche“ zu unterscheiden. Das illustriert trefflich zwei Herrschafts-Regeln: Teile und Herrsche und Arbeit (alt) als Strafe (ein Konzept, das wir der Reformation verdanken).
Und im Ergebnis lässt sich sehen, dass Zwangsarbeit nix taugt: die Tuchmacher, verpflichtet, im Zuchthaus spinnen zu lassen, beklagten sich immer wieder über die schlechte Qualität des Garns. (Ein Faden, den ich gern weiterverfolgen würde.)

Nicht nur eine andere Art von Disziplin braucht es für die Industrialisierung (industria = lat. Fleisz, Betriebsamkeit), auch mehr Energien. Den Auftakt macht eine alte, intensivierte. Pferde betreiben eine Göpelanlage. 1824 dann die erste Dampfmaschine, wie überall ein englisches Fabrikat.

Eines meiner Lieblingsexponate ist nicht „echt“; die famose „Spinning Jenny“ ist nur ein Nachbau. „Spinning Jenny“ kam 1767 in England zur Welt, ab 1799 arbeitete sie auch in Deutschland. Arbeitet? Nein, „Jenny“ ist nur ein Halbautomat, sie wird mit menschlicher Muskelkraft betrieben, acht bis 130 Spindeln füllte sie gleichzeitig, d.h. macht aus Rohgarn Garn.
Ein Museumsmitarbeiter, der in den 1990ern noch in einer Neumünsteraner Textilfabrik arbeitete, erklärt die Funktion und Arbeitsweise der hölzernen Kleinwagen-groszen Spinnstuhls.
Leider vergaß ich zu fragen, ob Mann oder Frau sie - beidhändig, stehend - bediente.

Neben „Jenny“ – ob der Erfinder hiermit Gattin oder Tochter „ehren“ wollte? – ein großer Webstuhl, der sich in meine Gedanken eingewoben hat, dessen Name schon vorher ein Teil meines fadenscheinigen Textilwissens war und dessen Anweisungen oder Gedächtnis ich ein oder zwei Jahrhunderte später datiert hätte. Neben der „Spinning Jenny“ steht ein Jacquard Webstuhl, mit dem komplizierte, figürliche und festliche Muster mit groszen Rapporten gewebt werden können und der mit dem Speichermedium der aneinandergebundenen Lochkarte funktioniert. 1805 von Monsieur Jacquard ersonnen. Pro Schussfaden eine Karte (habe ich das richtig verstanden?) und die Pappkarten laufen oberhalb und quer zu den Fäden auf dem Rahmen. Der/die WeberIn sitzt quasi im Webstuhl.

Zu den Bildern, die sich der Besucherin eingeprägt haben, zählt auch die aus dem „Wolf“ herausspringende Wolle. Flusen, die eine Maschine verlassen wie Popcorn eine Pfanne. ArbeiterInnen sammeln die Wollkügelchen wieder ein und füttern den „Wolf“, d.h. die Reissmaschine mit der gereinigten Wolle. Das Bild ist in stummen Lehrfilmen der 30er und 50er Jahre zu sehen und in neueren Aufnahmen neben einer noch funktionsfähigen, aber ruhenden Maschine. Sie stammt aus der mittelständischen Wollspinnerei Wilfried Wiese, die von 1851 bis 2000 aus Rohwolle vor allem Strickgarne spann. Die Eheleute Wiese sind um die Betriebsschließung herum interviewt worden. Im Sonntagsstaat sitzen sie aufgeregt auf dem Sofa und man merkt, dasz sie ungewohnte Sprecher sind.
Auch aus den anderen Video-Interviews ehemaliger Neumünsteraner Angestellten und Arbeitern, kann man Wissensbrocken, besser: Flocken mit heim nehmen.


Es ist wohl unfair, Kritik an einer Ausstellung zu äußern, indem man Abwesendes aufzählt. Das Tuch + Technik-Museum fokussiert auf die „Localhistorie“ im Fadenkreuz der Textilindustrie. Irgendwo muss der Faden schließlich auch gekappt werden. Und ich wüsste doch gern: Was geschieht mit der Wolle der heutigen holsteinischen Schafe? Wer spinnt und webt die Tuche, die wir am Leibe tragen? Oder ist alles Plastik?


www.tuch-und-technik.de
Adresse: Kleinflecken 1
24534 Neumünster
Tel. 04321-559 58 10
Öffnungszeiten: Die-Frei: 9-17 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertag: 10 – 18 Uhr

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