Performing »Performance«
von Margarita Tsomou
Wie zeichnet man Bewegung auf? Wie hört sich Tanz auf der Bühne an? Wie entsteht Bedeutung in einer Geste? Und was macht den Cowboy zum Cowboy? Diese und andere Fragen stellten die ersten Absolventen des neuen Hamburger Studiengangs „Performance Studies“ bei der Präsentation ihrer Abschlussarbeiten auf Kampnagel.
Präsentiert wurden dabei, sämtliche formale und szenische Mittel, wie sie bei einer klassischen Definition des Genres der „Performance Kunst“ gemeinhin angegeben werden: Video, Sound, Tanz und Bewegung wurden in intermedialen Darstellungen miteinander verknüpft, Sprache und Text wurden nicht-fiktional, sondern in vortragsähnlichen Formaten gesprochen und Props und Requisiten aus dem Alltag wie etwa eine Luftmatratze, eine Schultafel und ein lebendiger Goldfisch als semantische Ausgangspunkte für eine nicht-lineare, anti-illusionistische Vorführung von Akten angeeignet.
Solch eine spezifizische Beschäftigung mit Performance ist für den deutschen universitären Raum eine Neuigkeit. Vergleichbar mit anglo-amerikanischen Einrichtungen, wo „Performance und Dance Studies“ seit den 90ern eine Tradition haben, startete vor zwei Jahren an der Universität Hamburg ein interdiszi-plinäres Aufbaustudium, das theoretisch-analytische Reflexion und künstlerische Praxis in den Bereichen Performance, Theater, Bewegung und Tanz miteinander verbindet. Bislang eher als Genrekategorie der Bildenden Kunst betrachtet, wird hier Performance als szenische Kunst und als intermediale Körperpraxis begriffen und mit den neueren Entwicklungen des postdramatischen Theaters und dem akademischen Stiefkind der Tanzwissenschaft zusammengedacht.
Darüber hinaus möchte Gabriele Klein, Lehrstuhlinhaberin im Fachbereich „Bewegungswissenschaften“ und eine der wichtigen Initiatorinnen des Studiengangs, Performance nicht nur als spezielle Dar-stellungsform, sondern auch als soziale Kategorie verstanden wissen: Aus einer gesellschafts-theoretischen Perspektive soll die rituelle Aufführung des Sozialen in den Blick genommen werden, die entscheidend ist für die permanente Vergegenwärtigung von tradierten Werten und kulturellen Regeln in einer Gesellschaft. Performativität im Alltag wäre hier das Stichwort, mit dem sowohl theatrale Herstellung von öffentlichen Ereignissen als auch (Körper-) Inszenierungen des Selbst in Macht- oder Geschlechterdispositiven befragt werden.
Angesichts des Comebacks der Materialität des Körpers in akademischen Kreisen, des neuen institutionellen Interesses an Tanztheorie und -praxis (wie das seit 2006 laufende Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes „Tanzplan Deutschland“) und der diskursiven Sensibilität für die Politik des Performativen, scheint der Studiengang wie eine adäquate Reaktion auf sich neu verzweigende Entwicklungen und Fragestellungen. Die enge Kooperation und personelle Zusammenarbeit der „Performance Studies“ mit dem Tanzplan Hamburg und mit dem seit April 2007 eröffneten Choreogra-phischen Zentrum auf Kampnagel lässt darauf hoffen, dass in dem für Tanz und Performance bisher eher karg besäten Hamburg neue Impulse entstehen.
So hatten die ersten sechs Absolventen die Möglichkeit ihren Abschluss gleich auf Kampnagel und somit in einem professionellen Bühnenkontext vorzuführen. Dabei bewiesen sie zunächst dem dort versammelten Fachpublikum ihre Versiertheit, sich an den einschlägigen Problematiken des Performance-Komplexes abzuarbeiten.
Gleich zu Anfang wurde das klassische Thema jeder Aufführung, die Frage nach Präsenz und Abwesenheit des Performers auf der Bühne aufgegriffen: „MEing, ME and Myself“ experimentierte mit einer Möglichkeit der Repräsentation des Performersubjekts, das das Ich in einer Reihe mediatisierter Spiegelungen (etwa mehrfache und simultane Reproduktionen der Performerin auf Videoleinwänden oder durch ihren sich zum Wort „ME“ formenden Körper) reflektiert, aber die auftretende Person dabei kaum oder nur still in Erscheinung treten lässt. Das Spiel mit dem Schock gewohnter Wahrnehmungs-muster wurde auch durchgespielt: Im Stück „PerHearance“ war der Zuschauer dazu gezwungen, den Schritten einer Tänzerin im stillen Theaterraum zuzuhören – die übliche Rezeptionsweise von Tanz als visuelles Spektakel, sollte damit möglicherweise gebrochen und um die Komponente des „Sounds“ von Bewegung erweitert werden. Beliebt war auch die Thematisierung des Performativen in einer Vortrags-situation. Monica Antezana inszenierte einen intermedialen Vortrag über Cunningshams tanztheoretische Überlegungen und Darwins Evolutionstheorie, der an die allseits bekannten PowerPoint-Präsentationen angelehnt war. Doch durch die wiederkehrenden Tanzeinlagen zu Mainstream Hip Hop und die willkürlich durcheinander geworfene Zitate beider Herren, wurde die lineare Narration als Fake (etwas lapidar) kenntlich gemacht. Wie so oft bei Fake-Vortrags-situationen dieserart, konnte man sich nicht sicher sein, ob es sich dabei um eine gelungene Kritik am Wissenschaftshabitus oder vorsätzlichem Infotainment handelte. Mit einem vergleichsweise unaufgeregt vorgetragenen Text operierte die Performance von Marthe Leinweber, die den semantischen Effekt einer Geste an den unterschiedlichen Kommunikationsmodi von Sprache, Gebärde und Tanz zu explizieren suchte. Die Frage nach der Bedeutung von Gesten und ihrer sozialen Konstruiertheit durchzog den ganzen Abend. In einer trocken-minimalistischen Vorführung zeigte Sabine Beßmann was passiert, wenn eine biologische Frau maskuline Gesten und Akte eines Cowboys performed, um dabei Zitate von Johnny Cash und John Cage miteinander zu vermengen.
Allen Arbeiten war die für die Performance charakteristisch distanzierte Attitude gemein, mit der die Performer das „als ob“ des Theaters hinter sich lassen, um die illusionistische Verkörperung zugunsten einer (selbst-) reflexiven Darbietung der Präsenz im hier und jetzt auszutauschen.
Wenngleich die Arbeiten genug Anlass zur Reflektion des Genres gaben, hing dem ganzen Abend dennoch etwas Beklemmendes an. Alle sechs Performances wurden auf einer Bühne aufgeführt, die in der klassischen Frontalsituation des Theaterraums die Zuschauertribüne vom präsentierten Geschehen trennte. Mit der Begründung, es handele sich um Abschlussprüfungen, wurden die Performances zusätzlich auf eine Dauer von zwanzig Minuten begrenzt. Dieser situative Kontext ließ im Raum eine stillschweigende Übereinkunft über die Natur des Gesehenen entstehen, verortete die Arbeiten unmittelbar und eindeutig in die künstlerische Kategorie der „Performance Kunst“ und schien die Wirkung und das Vermögen der Arbeiten zur ästhetischen Überraschung entscheidend zu limitieren. Möchte man den Performancebegriff zum Zweck einer Offenlegung gesellschaftlicher Rituale, tatsächlich in seiner sozialen Dimension anwenden, könnte man jene Abschusspräsentation selbst als performativen Akt denken, der die Regeln der „Performance Kunst“ sowie ihre konventionelle Beherrschung rituell aufführte.
Es ist nun nicht neu zu erwähnen, dass die Bedeutung eines Werks von seinem Präsentationskontext abhängt und dass dieser Mechanismus bei der Performance als einer auf Interaktivität angelegten Praxis besonders stark greift. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kritik am Theater und an seinen Rezeptionsbedingungen als immanente Implikation für die Entstehung von Performance Kunst gilt, scheint es um so paradoxer, dass die Arbeiten der ersten Performance-Absolventen zurück in die Guckkastenbühne verortet wurden – der Versuch sie dafür passend zu machen, schien sowohl die möglichen Lesarten der Beiträge bestimmt, als auch die Arbeiten selbst in den eigenen Genre-Rahmen beschränkt zu haben.
Natürlich: man muss bedenken, dass die gezeigten Performances entstanden sind, um eine Prüfung in einer universitären Institution abzulegen und solche Prüfungsrituale bestimmten Setzungen und Auflagen unterliegen. Vielleicht ist es dennoch nicht abwegig darüber nachzudenken, dass die Auflagen für die Präsentation der Abschlussprüfung genau so weit formuliert sein könnten, wie der Performance-Begriff des jungen Studiengangs selbst.
Überall wo sich Alltag aufführt, hat Performance das Potential als situative Versuchsanordnung zu wirken und sich auch außerhalb des legitimierten Raums der Kunstinstitution nicht nur als ästhetisches Artefakt sondern auch als soziale Kritik zu präsentieren. „Performance Studies“ hat in Hamburg nun ein neues, umkämpftes Feld aufgespannt, das die Diskussion um seine Bedingungen und Praktiken erst eröffnet. Das hiesige Publikum freut sich auf StudentInnen und KünstlerInnen, die auch jenseits von institutionellen Legitimationsstützen Performance in Hamburg etablieren und – auch wörtlich gesprochen – mehr Bewegung in die Stadt bringen.
Anmerkungen:
Tanzplan Hamburg wird von Tanzplan Deutschland, dem Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes zur Förderung des zeitgenössischen Tanzes, und von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert und findet in Kooperation mit Kampnagel Hamburg statt.
Partner: MA-Studiengang Performance Studies / Universität Hamburg, siehe www.k3-hamburg.de und www.tanzplan-deutschland.de