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Kommentare [2]
15. Januar 2009

Netze – Ein Leitfaden zum Bestimmen

von Helene von Oldenburg

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Helene von Oldenburg hat eine neue Systematik entwickelt, mit der sie gleichermaßen Dinge und immaterielle Phänomene untersucht. Es handelt sich dabei ausschließlich um Netze.

Die Künstlerin und promovierte Agrarwissenschaftlerin fächert das Netz in Eigenschaften auf wie: Sichtbar, nicht sichtbar, ganz sichtbar; Differenzierungs-Funktion, Fang-Funktion, Schutz-Funktion; Knoten verschieblich, Knoten unverschieblich und viele andere mehr. Die Bestimmung eines Netzes beginnt sie in ihrem gerade herausgegebenen Buch immer mit dessen Anordnung im Raum, gefolgt von seiner Funktion und den allgemeinen Netz-, Knoten- und Fadeneigenschaften.


© Helene von Oldenburg


Helene von Oldenburgs systematische Untersuchung hat ihr Vorbild in dem Standardwerk Flora von Schmeil-Fitschen, welches im Jahr 1902 das erste Mal aufgelegt wurde. Heute bereits in der 95.ten Auflage, dient es immer noch Biologen zur Pflanzenbestimmung in Deutschland. Die Zeichnungen im Schmeil-Fitschen mußten damals so beschaffen sein, dass sie die formalen Kriterien für die Bestimmung einer Pflanze belegen konnten. Diese nachweisliche Funktion bestimmte den Blickwinkel, mit dem die Zeichnungen erstellt wurden und mit dem Helene von Oldenburg heutzutage ihre fotografischen Aufnahmen vornimmt. Die Fotos dienen ihr als Skizzen, um nachträglich eine genaue Bestimmung anhand der festgelegten Eigenschaftenpalette durchführen zu können. Wenn man sich vorstellt, dass die Grafiker vom Schmeil-Fitschen noch in den nächsten Wald gehen mußten, um ihr Anschauungsmaterial aufzustöbern, so sind es bei Helene von Oldenburg die alltäglichen Wege, auf denen sie ihre Sujets findet. Obwohl unspektakulär im Alltag gefunden, ist das Kontingent an Beispielen unendlich, wie einer/m schnell deutlich wird. Ein Beleg dafür, dass wir es mit dem Netz als einem Superzeichen zu tun haben. Vergleichbar in der universellen Bedeutung mit dem Kreuz für Wegerichtung und Kreuzung zweier Wege etwa, oder mit dem Kreis für eine geschlossene, eingegrenzte Fläche oder Menge, steht das Netz für den Akt der Verknüpfung. Die Künstlerin führt die Phänomene, welche das Netz als inhärente Struktur mitbringen, auf Schautafeln vor. Dabei werden Gedankenmodelle in Form von Zeichnungen oder Skizzen genauso als Phänomene begriffen wie etwa Kunststoffnetze, die mit Zitronen aus dem Supermarkt gefüllt sind. Helene von Oldenburg stellt sich uns als eine Flaneurin vor, die die Phänomene entlang ihrer alltäglichen Wegestrecken nur aufzusammeln braucht. Den eigenen Alltag zu wählen als einen Richtungsweiser für das Erstellen einer Kartierung oder eines selbstbestimmten Systems, dies kommt als Strategie aus der feministischen Tradition. Darüber ein unendliches Areal zu eröffnen, zeigt eine gelungene Selbstermächtigung. Die Netzkünstlerin hat, so scheint es, den entgrenzten Raum des Internets gelungen übertragen auf ein Offline-Kontingent. Dieses zieht sich rhizomartig durch immer mehr Phänomene - sobald man einmal den Blick dafür hat - und kann durch die zunehmende Geschwindigkeit im Erkennen von Netzstrukturen einen leichten Schwindel verursachen.


Mich erinnert das Vorgehen von Helene von Oldenburg an die Fotografen Albert Renger-Patzsch und Christopher Williams. Albert Renger-Patzsch erhielt im Jahr 1928 den Auftrag, mit einhundert Fotografien die damalige »Welt« bestmöglichst einzufangen. Jene einhundert Abbildungen in "Die Welt ist schön" wurden über seine subjektive Auswahl zusammengehalten. Sie zeigen so diverse Motive wie eine Pflanze und eine Industrieanlage nebeneinander gestellt. Allerdings rekrutierte Renger-Patzsch sämtliche dieser Aufnahmen aus Aufträgen, die er zuvor von der gerade aufblühenden Werbewirtschaft der 1920er Jahre und von botanischen Fachzeitschriften erhalten hatte. Christopher Williams orientierte sich im Jahr 1997 an Albert Renger-Patzsch und zeigte Fotografien unter dem Titel "For Example: Die Welt ist schön (Final Draft)". Williams übernimmt die Haltung von Renger-Patzsch und formuliert seinen eigenen, neuen Zusammenhang der wenigen Bilder, welche die Welt repräsentieren und schön erscheinen lassen sollen. Dabei bleibt er stets in enger formeller und konzeptueller Rückbindung an sein Vorbild. Williams läßt den Blickwinkel beispielsweise in der aktuellen Modefotografie nur ein wenig von den üblichen Normen abweichen, indem er seinen eigenen Fotografen direkt neben den Fotografen des Settings platziert. Das Bild wird dadurch im leicht veränderten Winkel aufgenommen und fängt dabei eine Irritation ein, die eine andere "Bildernische" eröffnet, mitten im genormten Geschehen eines Fotoshootings für Haarfrisuren etwa. Hier wird der Übergang von einem subjektiven Konzept (dem der KünstlerIn, einer einzelnen Person) hin zu einem objektiven System (die Bildernische als System, unabhängig vom Subjekt existierend) markiert. Auf dem Weg dorthin – und die Bewegung darin ist fortlaufend und kann niemals zum Stillstand kommen – entstehen wunderbare Bilder. Diese unaufhaltsame Bewegung zwischen einem Subjekt und einem Bildsystem hat Helene von Oldenburg ebenfalls in ihrem Konzept eingefangen, welches sie als promovierte Wissenschaftlerin (Thema der Dissertation: “Versuch zum Einfluß von bodentechnischen Massnahmen auf eine Sommerweizenmonokultur”) mit der notwendigen formalen Strenge durchzuführen weiß.

Sabine Falk


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Kommentare [2]
tran schrieb am 16.01.2009 10:09

toll vernetztes thema. mein favorit ist ja das simple tomatennetz. habe dabei eine gedankebrücke im kopf und sehe den "kernkraft - nein dank" aufkleber auf dem 13liter vw-bus meines bruders. herzlichen. tran

annette schrieb am 22.02.2009 17:25

*grins* .. aber wo bleibt das haarnetz? erinnert sich noch jemand an die dinger?
super arbeit!

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