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9. Juni 2008

Zürich

von Tim Stüttgen


Zürich ist aufgrund seiner vielfältigen Verflechtungen zur internationalen Kapitalzirkulation in den letzten Jahren zum Schauplatz zahlreicher Actionfilme geworden. Auch wenn metropolischer Größenwahn und Architekur-Pathos hier nicht so einfach zu inszenieren sind wie in New York, Venedig oder Tokyo, braucht Hollywood wohl neue Kulissen in Europa – Zürich reicht da in seiner privilegierten Bürgerlichkeit schon symbolisch. Die Stadt hat immer noch etwas verschlafen Süsses an sich. Selbst im Sexarbeiterinnen-Viertel, in dem primär Migrantinnen aus Südamerika und Asien arbeiten, grenzt die Atmosphäre in diesen sommerlichen Tagen an eine verhältnismäßig friedliche Nachbarschaft. Die knapp gekleideten Brasilianerinnen sitzen so im Cafe, diskutieren laut und tanzen zur Musik, anstatt auf der Strasse zu arbeiten. Eine lustige Ferienstimmung, die ausnahmsweise nicht nur für die männlichen Touristen- und Freier-Gruppen gilt.

Der unspektakuläre, doch wegen dem Mix aus Gemütlichkeit und Sonne, Bergen und Seen und viel internationalem Geld evident vorhandene Luxus von Zürich, zeigt sich letztendlich in der gestylten Oberfläche. Urs Lehni und Gregor Huber, zwei eher alternative Designer aus der Stadt, erzählen mir dann auch gleich etwas von der Menge an Kollegen im Designerjob, dem Geld, das in der Stadt liegt, welches auch alternative, kulturelle Positionen überleben läßt – aber auch von der Trennung von Inhalt und Form, von schönen Oberflächen eben. „Wenn eine Bar aufmacht, hat sie gleich teure Designer-Stühle am Start. Mit billigen Materialien, 2nd-Hand oder Do-It-Yourself-Praktiken macht kaum jemand mal was gestalterisch Kreatives in dieser Stadt.“, erzählt Lehni.

In der Fußgängerzone, wo nur noch wenige Migrantinnen übrig geblieben sind, bewegt sich währenddessen eine gleichgestylte Menge. Hunderte Männer im Hemd und hunderte Frauen im Minirock, die alle aussehen, als würden sie Vogue lesen – und Vogue leben! Als ich wenig später die griechisch-schweizerische Choreographin Alexandra Bachzetsis frage, wo sie aufgewachsen ist, antwortet sie wenig überraschend: Zürich. Denn Bachzetsis´ Arbeit, die sie in den letzten Jahren mit dem Trio Company (also mit Tina Bleuer und Lies Vanborm) produziert, handelt eigentlich „nur“ von Weiblichkeit und Glamour, Sexyness und ihren hysterischen Abgründen. Bachzetsis interessiert sich für das Verhältnis von Feminität und Oberfläche, also von der Geschichte der Repräsentation des weiblichen Körpers im Tanz, im Film und in der Unterhaltungsindustrie. „Auch Frauen wenden den männlichen Blick an. Ein alternativer weiblicher Blick scheint mir fast unmöglich.“, sagt sie etwas pessimistisch, ohne zu verheimlichen, dass sie an ihrer affirmativen Arbeit durchaus viel Spaß hat. In der Tradition der feministischen Kunst aus den Siebzigern – und des feminin sexualisierten Arbeiterklassen-Entertainments ab den Zwanzigern – werden körperliche Unterhaltungsformen, die von Frauen performt werden, von ihren Arbeiten konsequent durchgearbeitet.

Im Theaterhaus Gessnerallee hatte die zweite Arbeit von Company, nach ihrem dreißigminütigen Striptease-Piece „Act“, Premiere. Und wie eine Premiere fühlte es sich, aufgrund der formalen und ästhetischen Vorgaben des Stückes, auch an. Champagner mit Erdbeere wurde an einer Bar gereicht, eine Djane (Lies Vanborm) legte dekadenten Soul auf. Zu rotem Licht konnten sich die Zuschauer an kleinen Tischen niederlassen und ihre Drinks schlürfen.Wenig später ging der Vorhang hoch, der vorher die Sitze versteckte. Auf ihnen saßen 10 Frauen fast surreal glamourös gestylt wie in einem Fellini-Film. Nachdem sie zusammen ein Lied geträllert und sich auf den Tanzboden begeben hatten, begann eine Show zwischen Nackttanz und Wrestling, Rock-Konzert und Cheerleading, Taschenmagie und Body Art. Die von all der Schönheit und fast Guerilla-artigen Selbstverständlichkeit geblendeten Blicke der Zuschauer wurden in den kommenden 75 Minuten genauso verwirrt wie affirmiert.In choreographisch ebenso brillianten wie witzigen Miniaturen, die in erster Linie unterhalten wollten, aber auch nicht ihre Abgründe und Melancholien versteckten, war der Zuschauer in einer Position von Unter- und Überforderung, Genuss und Entfremdung. Die Girls tanzten ihre Pieces mit gebrochener, aber immer präsenter Überlegenheit und einem kollektiven Self-Empowerment. Am Ende ging es dementsprechend fließend in eine wilde Party über, die zum widersprüchlich ausgetragenen Konzept der Veranstaltung gehörte.

Auch wenn Company sich dekadent durch die heterosexuelle Matrix des Zeigens arbeiten, sind es doch gerade die Nuancen und subtilen Beobachtungen, Verschiebungen und angeeigneten Wissenformen über das „Material“ zu Bewegung und Feminität, die die alte Frage: „Was ist eigentlich phantasmatische Weiblichkeit?“ mit viel Analyse der genauen Bewegungs- und Erotisierungstechniken außergewöhnlich spannend machen. Oberflächlich bleibt „Soiree“ ein angreifbares Stück, in genauer Beobachtung aber wird es eine schwierige Studie, die die negativen und positiven Klischees weiblicher körperlicher, auch sexueller Arbeit so klug wie ironisch ausstellt – und den Zuschauer in diesem überforderten „Genuss“ absichtlich etwas alleine lässt. (Mehr Infos hier: http://alexandrabachzetsis.com/work/soiree.html)

Gegen die Ambivalenz von Company war die Rote Fabrik, an deren Seeuferich am nächsten Mittag rumlag, ein eindeutig links-autonomes Projekt, dem seine Geschichte anzusehen ist. Erkämpft in den Achtzigern und ausgestattet mit einer Struktur, in der Konzerte, eine Zeitung, Parties und die Ausstellungen der Shedhalle stattfinden, ist die Rote Fabrik eine Art luxuriöses Reservat geworden, indem sich seit Jahren ein politisch-feministischer Diskurs etabliert hat, der die Fragen von Arbeit und Wirtschaft, Postkolonialismus und Queerness miteinander verbindet.

Aus diesem Reservoir kritischer Traditionen ist „Work To Do! Selbstorganisation in prekären Arbeitsbedingungen“ (siehe www.shedhalle.ch) entstanden, eine Recherche-Ausstellung, die sich weniger an materiellen Werken, als vielmehr an einer ausführlichen Archiv-Produktion orientiert. In ihr laden nicht nur eine thematische Linkliste und eine Buchsammlung zur Interaktivität ein, sondern es bereiten insbesondere die zahlreichen Skype-Meetings der letzten fünf Jahre den Boden für eine Diskussion, die in unglaublicher Dichte geführt wird und von prekärer kultureller Arbeit handelt. Es werden die Bedingungen thematisiert, die vom Freundschaftsdienst und dem politischen Ideal bis zur kaum aufhaltsamen Verarmung mit all ihren isolationshaften Folgenreichen . Bei den langen Skype-Gesprächen sammeln sich neben der zurzeit in Europa wohl omnipräsentesten osteuropäischen Theoretikerin und Künstlerin Marina Grzinic auch die junge Wirtschaftsjournalistin und Blog-Autorin Anya Kamenetz oder die Hamburger Queer-Aktivistin Chris Regn zum Gespräch. Die Frage, auch pointiert feministisch gestellt - „Wie kommuniziert frau eigentlich durch die ganzen Netzwerke, wie arbeiten Gruppen zusammen, und wie hält frau das aus“ – wiederholt sich dabei immer wieder – und wie so oft, mit lustigen Anekdoten genauso wie mit brauchbaren Analysen, wieso eine Gruppe auseinander ging oder sich ein Ort eben doch nicht so einfach politisieren ließ.

In der betont unrepräsentativ präsentierten Ausstellung finden sich zwischen den Bildschirmen, die die Skype-Meetings zeigen, auch filmische Arbeiten. Die undogmatisch kuratierte Auswahl von Videos scheut kein Format, und neben Dokus (wie „Queering Work“ von Karin Michalski und Sabina Baumann, D/CH 2007) und dokumentierten Interventionen (z.B. von Jennifer Parker und Tina Takemoto in eine Ausstellung von Matthew Barney: „Drawing Complaint“, USA 2006) finden sich auch fiktive Arbeiten oder Youtube-Clips mit schrägen Funden aus der Entertainment-Industrie. „Bleiben Sie bitte am Staatsapparat! Queerfeministische und postkoloniale Disidentifikationen rund um Autonomie und Arbeit.“, heißt die Filmauswahl von Frederike Hansen, deren Höhepunkt nicht nur die mitreißende Fake-Doku „Born In Flames“ (USA 1983) war, die die Idee eines gewaltbereiten, militanten Feminismus inszeniert, sondern auch Dolly Parton´s Performance von ihrem Working Class-Hit „9 to 5“, den sie mit Jamie Lee Curtis und einigen Riesenpuppen bei der Muppetshow performte (http://de.youtube.com/watch?v=mpKAA2VxWY8). Man könnte oder sollte am besten Tage in dieser Ausstellung verbringen, nicht weil sie so außergewöhnlich außergewöhnlich wäre, sondern weil den KuratorInnen eindeutig das Material am Herzen liegt und das Angebot, sich in offener Langsamkeit die weit reichenden Informationscluster anzueignen, was sicher eines ihrer nützlichsten Ziele ist. Kritische Analyse und Vertiefung des Diskursmaterials wäre, wenn man in der Stadt ist, wirklich machbar. Die Ausstellung repräsentiert also nicht nur eine Recherche, sondern regt wirklich zu dieser an. Vielleicht wäre es sogar hilfreich, kritische SoziologInnen Führungen durch die Ausstellung veranstalten zu lassen – bei der Masse des hochindividuellen Materials wäre eine ordnende Hilfe sicher nicht schlecht, um sich mit ihm nachher nicht ähnlich alleine und überfordert zu fühlen wie der Kreative auf dem Arbeitsmarkt. Symbolisch ließe sich nach dieser engagierten Ausstellung gar fragen, was wir KünstlerInnen, TheoretikerInnen und BürgerInnen eigentlich jetzt mit all diesen Informationen machen, die wir uns auf den diskursiv aufgeladenen und politisierten Ereignissen der kritischen Kulturszene so angeeignet haben. Mit Gedanken wie diesen saß ich schon bald wieder im Flieger der Swiss-Airlines, welcher außergewöhnlich schicke Ledersitze hatte und Stewards, die Essen ohne Aufpreis anboten. Relativ pleite und voll von Luxus ging es also wieder gen Heimat. Der Kreativstress erlaubt keine Ferien – das Reisen unterstreicht nur seine globale Dimension, in der sich Elitäres und Prekäres für ein weiteres Plateau die Hand geben.



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