Berlijn stinkt
Ansichten aus dem Gästebuch
der Tropenausstellung im Martin-Gropius-BauFotos von Regina Sarreiter mit einem Kommentar von Max Hinderer
Neben dem Katalog gibt es, wie üblich, auch ein Gästebuch, das am Eingang zur Ausstellung den BesucherInnen zugänglich ist. Auf den bisher ca. 40 beschrifteten Seiten halten sich die positiven und die negativen Äußerungen etwa die Waage (Stand vom 04.11.2008). Auffällig an diesem Gästebuch hier ist aber, dass es – im Gegensatz zum repräsentativen Katalog – ungewöhnlich viele kritische, bis verächtliche Kommentare zur Ausstellung von und für die BesucherInnen bereit hält und so einen vielleicht vernachlässigten Raum des Dialogs innerhalb der Ausstellung eröffnet. Dass ist insofern interessant, als dass der Martin-Gropius-Bau zu denjenigen Berliner Kultureinrichtungen gehört, die ein beliebtes Ziel für Schulexkursionen sind, und vor allem, weil sich die dort gerade präsentierte Ausstellung selbst als programmatisch für die deutsche Kulturpolitik bezeichnet.
Das Goethe Institut und die Staatlichen Museen zu Berlin zeigen die Ausstellung „Die Tropen - Ansichten aus dem Mittelpunkt der Weltkugel“, die vom 12.09.08 - 05.01.09 im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Pressetext: „Kuratiert wurde die Ausstellung von Alfons Hug, Leiter des Goethe-Instituts Rio de Janeiro, Peter Junge, Kurator des Ethnologischen Museums Berlin und Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums Berlin. Sie ist eines der größten Projekte, das die Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2008 unterstützt. Die Ausstellung ist eine Etappe auf dem Weg zum Humboldt-Forum, das künftig in der Mitte Berlins die außereuropäischen Kulturen als gleichwertig mit den Kulturen Europas präsentieren wird. Die Ausstellung schlägt zum ersten Mal in dieser Breite eine Brücke zwischen Werken, die in vormoderner Zeit entstanden und 85 zeitgenössischen Positionen. Zweihundert Kunstwerke aus Afrika, Asien, Ozeanien und dem tropischen Amerika aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin, die weltweit zu den wichtigsten gehören, treten in einen Dialog mit Werken von vierzig zeitgenössischen Künstlern.“
Die Tropenausstellung ist viele Ausstellungen. Zuerst in Rio und in Brasilia, wird sie jetzt in Berlin gezeigt; danach sind weitere Stationen geplant. Aber auch in Berlin ist sie zwei Ausstellungen: 1.) ein Vorgeschmack (quasi der institutionelle Teaser) für das, was ab 2013 im neu errichteten Berliner Stadtschloss das Humboldt-Forum darstellen will – und zwar das „in der Mitte Berlins“ lokalisierte institutionelle Aushängeschild der kulturellen Außenpolitik Deutschlands; und 2.) eine schlichtweg misslungene Ausstellung, die es vor allem schafft, beim vermeintlichen Versuch die eigenen kolonialen Vorurteile zu dekonstruieren, ihre neo-koloniale Haltung unterstreicht.
Noch mal zu Punkt 1.): Gerade Mittel- oder Fluchtpunkte nämlich, sind für das geometrisch geschulte Auge nicht nur einfach zu begreifen, sie helfen in der Regel die Darstellung komplexer Zusammenhänge funktional zu vereinfachen. Die derzeitige Ausstellung im Martin-Gropius-Bau funktioniert ganz genau so: Sie ist bei allem Übermaß an Exponaten reduktionistisch ausgerichtet. Die Tropen, der geografische Gürtel, der „die Welt zwischen nördlichem und südlichem Wendekreis“ umschließt, entspringt als begriffliche Kategorie der geografischen Bezeichnung einer Klimazone. Auf kultureller Ebene, wissen die Veranstalter zu erklären, sind die Tropen seit Jahrhunderten mitteleuropäischer Tradition die idealtypische Fiktion des Exotischen per se. „Die Tropen wurden zur Projektionsflächen eigener Wünsche und Träume, zu Konstruktionen unserer Kultur. Die Ausstellung über die Tropen hat deshalb auch und vor allem unser Bild von den Tropen zum Thema“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Mit Mittelpunkt der Weltkugel meinen die Veranstalter natürlich Berlin. Dazu Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe Instituts, bei seiner Eröffnungsrede: „Die Tropen sind die Mitte der Erde. Berlin ist die Tropenmetropole.“ An 200 Stücken aus der ethnologischen Sammlung der SPK also, soll sich aus gegebenem Anlass und in schwelgerischem Humanismus die Zentralperspektive des narzisstischen, gesellschaftlichen Subjekts der europäischen Moderne widerspiegeln – denn als deren höchster Repräsentant, als deutscher Kulturbotschafter auf globaler Ebene, will sich das Humboldt-Forum verstehen. Dafür gibt es bereits jetzt Applaus in den Feuilletons und von den höchsten politischen Rängen. Und wenn die deutsche Utopie eines nationalen Relaunch so zum Greifen nahe ist, dann lässt auch Lehmann freien Lauf: „Was im 19. Jahrhundert eine visionäre Idee war, kann heute im 21. Jahrhundert von uns realisiert werden.“ – Es scheint der nationalen Idiosynkrasie geschuldet zu sein, Fortschritt darin zu sehen, für einen Schritt nach vorne mindestens zwei zurück zu zählen. Aber genau solchen Formen der historischen Affirmation sollte hierzulande mit äußerster Skepsis begegnet werden.
"Wie in echt, und ohne zu schwitzen!" (Gästebucheintrag, gez. Biddy) Dass der gepuderte Kulturbegriff des deutschen Idealismus ein Klassenproblem hat, genau das weiß auch das 19. Jahrhundert. Was uns nun die internationalen vom Goethe Institut und der Kulturstiftung des Bundes geförderten „zeitgenössischen Positionen“ unfreiwillig deutlich machen können, ist die Einsicht, dass dieses Problem zu existieren nicht aufgehört hat. Im Gegenteil, die Umstände einer globalisierten Welt im 21. Jahrhundert erfordern, für ein so ehrgeiziges Projekt wie das Humboldt-Forum, umso beharrlicheres neo-koloniales Engagement. Die ethnologische Sammlung der SPK als repräsentative Glanzleistung kultureller Außenpolitik zu präsentieren, ist keineswegs naiv gegenüber kolonisierungskritischen Diskursen – naiv wäre es, hinter der Ausstellung ein kritisches Vorhaben zu vermuten. Es ist perfide: eine strategische Ignoranz. Perfide an der Ausstellung ist vor allem die Instrumentalisierung der Verfügbarkeit von technologischem Dispositiv und modernistischem Selbstverständnis für „außereuropäische“ KünstlerInnen. Deren technologisch teilweise sehr aufwendige Multimedia-Installationen kontrastieren dabei zu gewollt mit den anderen für die Ausstellung entstaubten „außereuropäischen“ Exponaten aus dem Ethnologischen Museum. Offensichtlich will das Goethe Institut damit seine Patenschaft als inszenierte Fortschrittsleistung in den Dienst bringen. Die strukturelle Trennung von denjenigen Werken, die individuellen Autorsubjekten zugeordnet werden und denen, die nach Jahrhundert und Landstrich geordnet werden, wird dadurch aber nicht aufgelöst, sondern gar unterstrichen. Dass sich „zeitgenössische Positionen“ – etwa eine 360°-Videoprojektion von Maurício Dias/Walter Riedweg, die den Karneval in Rio erlebbar machen will, oder gar ein nachempfundener Dschungel-Shop von Mark Dion – dafür als legitimatorisches Korrelat an die Hand nehmen lassen, zeigt nur allzu deutlich, wie sehr sich die teilnehmenden KünstlerInnen dem Hegemonieanspruch des Humboldt-Forums verpflichtet fühlen müssen.
Wenn die Tropenausstellung erklärtermaßen die Vorankündigung des Humboldt-Forums ist, dann ist doch das wirklich verheerende daran, dass das selbst erklärte Prestigeprojekt der internationalen Kulturpolitik Deutschlands seine Legitimation aus genau derjenigen strukturellen Differenz bezieht, die das Label der „kritischen Kunst“ vom ethnologischen Objekt unterscheidet. Und zwar ohne das zu problematisieren, sondern im Gegenteil, indem gerade diese Differenz hinter dem Deckmantel des kulturellen Austauschs wiederum legitimiert wird – und zwar mit allen kolonialen Implikationen.
Die Ausstellung an dieser Stelle als „kuratorisches Armutszeugnis“ auszuweisen (Gästebucheintrag: „anmaßend, überheblich, blöd“), wäre aber bei aller Sympathie für die Wortwahl beschwichtigend. Es ist sympathisch aber nicht beruhigend, wenn das Gästebuch, zwischen Liebesbotschaften von offenbar gelangweilten Schülern, dutzende von echauffierten Kommentaren enthält. Es ist nicht beruhigend, weil das Buch spätestens im Januar verschwindet. Und weil sich unterdes auflagenstarke Feuilletons (z.B. Süddeutsche Zeitung) und Kunstmagazine (im erscheinen, KUNSTFORUM-Band Nr.195 „Hot Spot Tropen“) kooperativ in den Windschatten dieser neokolonialen Kulturpolitik unter re-nationalisiertem Label begeben haben. Das ist ernüchternd. Das ist enttäuschend. Das stinkt.
Neulich gab es am 27. November 2008 im Deutschlandfunk einen politischen Kommentar, der sich über das Humboldt-Forum echauffierte: "Die positive Besinnung auf die eigene Herkunft" sei das Schloss, zu dem sich nun niemand bekennen wolle. Die Ausstellung der Kunst Afrikas, Asiens usw. aber würde die Suche nach den "kollektiven Wurzeln" verhindern. Der Autor Andreas Krause Landt resümiert: "Wo sich fünfhundert Jahre europäischer Bau- und Kunstgeschichte konzentrierten, wünschen sie (die Verteidiger des Humboldt-Forums) sich Einbäume aus Ozeanien. Dafür braucht man bestimmt kein Schloß". Es gibt also noch eine andere konservative Position, die mit dem Schloß die Rezentrierung deutscher Identität erhofft - wo selbst eine Neo-Koloniale Ausstellung die Identitätsbildung stören könnte.