Männlichkeit als performative Praxis
Symposium der Performance Studies Hamburg, 16.06.2007
von Tim Stüttgen
Eine kleine Konferenz an einem Tisch, an dem alle Mitwirkenden nebeneinander passen und sich sogar noch intensiv unterhalten können: Das ist unter den vielen Konferenzen zum Thema Gender eher selten. Ob das hier als bewusst zurück gezogenes Forschungs-Symposium geplant war oder gar das Sujet der Männlichkeit nur wenig Publikum anlockte, weiß ich nicht – aber ich fand das alles hier recht fein. Face-to-Face-Diskussionen und die Möglichkeit, einer Vortragenden sogar ohne Fernglas in die Augen schauen zu können, bleiben in wissenschaftlichen Zusammenhängen eine Seltenheit. Zwischen uni-internen Kolloquia und repräsentativen Konferenzen, an denen höchstens einmal bis keinmal nachgefragt werden kann, gibt es immer noch wenig Zwischenräume, in denen akademisches Wissen verhandelt wird.
In den Räumlichkeiten des Fachbereiches Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg war es jedenfalls gemütlich und übersichtlich – und das gute Dutzend an ZuhörerInnen beschäftigte sich mit einer der ältesten und doch teilweise ungebrochensten (Macht-) Konstanten der Weltgeschichte, nämlich der der Männlichkeit – als performativer Praxis. Zeitgemäß ist das sicher: Während Weiblichkeit seit Jahrzehnten von den wichtigen Ideologiekritiken des Feminismus in fast jeder Fasson und Begrifflichkeit, ob als Konstruktion oder Performance, Maskerade oder Artfakt diskutiert bis dekonstruiert wurde, blieb Männlichkeit, wie die queere Philosophin Beatriz Preciado einmal anmerkte, von der Debatte merkwürdig unangetastet. Der tragische Nebeneffekt: Anstatt auch männliche Körper und maskulinisierte Performances als ähnlich erarbeitete bis inszenierte zu lesen, blieb sie als naturalisierter Code unhinterfragt in die Diskurse eingeschrieben oder gar vollkommen als vordiskursive Kondition der patriarchalen Machtstruktur gedacht. Als wäre „Dirty Harry“ einfach so, wie er ist – und nur Madonna eben nicht.
Deswegen traf dieses Symposium einen Punkt, der hoffentlich noch andere produktive Baustellen nach sich ziehen wird. Eine davon bearbeitete die Tänzerin und Kulturwissenschaftlerin Vera Knolle. Wie Männlichkeit von Männern seit Mitte der Neunziger als reflexives Zitat seiner selbst eingesetzt wurde, war das Thema ihrer Vortragsperformance „Excercises in Bad Rhetorics“. Knolle, die man primär aus den Bereichen des modernen Tanzes und Kollaborationen mit Xavier LeRoy, Alice Chauchat oder Eszther Salamon kennt, gab mit ihrer Durchmischung von Text und Performance einen inspirierenden Auftakt. Sie reinszenierte die bekannten Gesten von Schauspielern wie John Travolta aus „Saturday Night Live“und dessen Selbstzitate in „Pulp Fiction“ als Beispiel für eine performative Referenz auf Männlichkeitszeichen, die ihr körperliches Agieren ausstellt und aus einer Distanzierung heraus neu über sie verfügt. Bei ihrem unterhaltsamen Überblick selbstironisch-distanzierter Männlichkeits-Inszenierungen hätte ich trotzdem gerne noch mehr gewusst, etwa woher dieser Twist männlicher Körper-Inszenierungen kam und warum er entstand. Zugespitzt ließe sich fragen, ob sich nicht gerade hegemonielle Körper eine Ironisierung leisten, um ihre Position nach einem Akt der Reflexivität wieder zu festigen.
Fragen nach den Verschiebungen und den Funktionen (in) der Performance von Männlichkeit stellte auch Katharina Pewny. Arbeiten von Jochen Roller, Frans Poelstra oder das DragKinging von Barbara Kraus wurden auf Aspekte der „visuellen Arbeit“ an Männerkörpern und der Distanzierung, des Zeigens und Verbergens der Geschlechtsmerkmale ausdifferenziert, um einen Einblick in „Maskulinität in der Performancekunst“ zu geben, den Pewny anhand verschiedener Video-Ausschnitte anbot. Ihre finale These endete mit einem bewusst gesetzten Widerspruch: Einerseits ist phallische Signifikation immer noch in seiner Verbindung von Maskulinität und sozialer Macht präsent, andererseits hat aber auch durch die Möglichkeit der Imitation und Täuschung „die Kastration stattgefunden“. Pewnys ungelöster Spagat verweist dabei auch auf den noch jungen, aktuellen Stand von Forschungspositionen zu performten Maskulinitäten. Abseits der gefeierten Aneignungen von Männlichkeit bei Frauen ist anscheinend noch unklar, inwieweit performative Akte des Männlichen zersetzend auf Machtzusammenhänge wirken oder nicht.
Wie ambivalent nämlich männliche Körper ihre Macht inszenieren und sich diese Inszenierungen in den letzten Jahren verschoben haben, war das Thema des Vortrages „Maskulinität, Macht, Repräsentation“, in dem sich die Politikwissenschaftlierin Paula Diehl mit Repräsentationen des italienischen Präsidenten und Fernsehsender-Besitzers Silvio Berlusconi beschäftigte. Das eingangs gezeigte Bild eines Berlusconis in Badehose sah Diehl als Aspekt eines Paradigmenwechsels politischer Repräsenation seit den Umwälzungen postmoderner Visualität, in denen sich Konstruktionen des ernsthaften Politikers mit denen des privat und persönlich abgebildeten Stars und des erfolgreichen Managers vermischen. In der anschließenden Diskussion war kaum mehr auseinander zu halten, in welcher der Repräsentationsformen überhaupt ein Primär-Berlusconi zu finden sei. Denn der Neoliberalismus verlangt dem Politiker verschiedenste Performance-Formen zur visuellen Verbreitung ab – wovon Berlusconi scheinbar profitiert. Das zeigt auch der just im Kino zu bewundernde Spielfilm des italienischen Regisseurs Nanni Moretti „Der Kaiman“. Von der italienischen Linken als Waffe für die nächsten Wahlen erwartet, scheiterte der politische Filmemacher an der Kritik, die ihm vorwarf, dass er als schauspielernder Impersonator Berlusconis einer unterhaltsamen Mimesis so nahe kam, dass eine distanzierte Kritik unscharf wurde.
Wer bei dieser eintägigen Konferenz mehr Debatte erhofft hatte, wurde im abschließenden Vortrag des Soziologen Stefan Hirschauer befriedigt. Hierschauer, einer der prominentesten Kritiker der Gender Studies, fragt nach, mit welchen empirischen Studien sich überhaupt die Momente nachweisen lassen, in denen männliche und weibliche Performances im Alltag als selbige gelesen werden. Die Beispiele aus den Tagebüchern seiner StudentInnen eines Forschungsprojektes, das in alltäglichen Situationen prüfen sollte, wann unwissende Gegenüber die ForscherInnen geschlechtlich identifizieren oder an welchen Fragen und Akten Entscheidungen über das Geschlecht des Gegenübers trafen, brachten die Diskussion einerseits von der Bühne begrüßenswert nahe dem sozialen Raum und dem Alltag, gab andererseits aber auch wenig Aufschlüsse, die von bekannten Erfahrungen und Theorien zum Thema abwichen. Provozierender bis inspirierender waren Hirschauers Positionen in der Abschlussdiskussion, in denen er den Gender Studies vorwarf, populistische Klischees zu verbreiten und auf einer Geschlecherdifferenz herumzureiten, die nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspräche. An seiner Kritik an den zu zeichen- und repräsentationslastigen Entwürfen vieler Gender-Diskurse gibt es wenig auszusetzen – doch leider erwies sich sein Überlick über die Gender und Queer Studies selber als ähnlich in überholten Stereotypen verhaftet, wie er das den Disziplinen vorwarf. Auch wenn viele empirische und genealogische Positionen in Deutschland leider nicht auf dem Tagesplan stehen – es gibt sie. Kritische Studien zu Verhältnissen von Wissenschaft und Geschlecht, Medizin und Sex von TheoretikerInnen wie Beatriz Preciado, Marie-Helene Bourcier, Anne Fausto-Sterling oder Thomas Laqueur haben allerdings Hirschauers Forderung, nicht auf Kleider, sondern auf Reagenzgläser und medizinische Diskurse zu schauen, schon länger lehrreich umgesetzt. Gerade die Queer Theorie, die in seiner Kritik an den Gender Studies nicht vorkommt, hat die Wissenschaftskritik unter Einbezug der Naturwissenschaften schon lange auf dem Tagesplan.
Um ein Symposium wie dieses insgesamt lehrreicher zu gestalten, hätte vielleicht eine Unterscheidung zwischen Performance und Performativität, Akt und Inszenierung geholfen. Nicht immer scheint es in den noch jungen Performance Studies klar, welchen der Begriffe sie wie umrissen auf ihre eigenen Praktiken anwenden. Doch nicht umsonst existieren die eingeführten Differenzen zwischen Performativität, Performance und Inszenierung – diese Begriffe in einen zu legen, macht das Verstehen gegenderter Artikulationen deutlich unschärfer.
So haben die Performance Studies in Hamburg also, wie auch Margarita Tsomou in ihrem Artikel „Performing Performance“ beobachtete noch ein Stück Arbeit in Sachen Differenzierung vor sich. Umso erfreulicher, dass sie mit ihrer Themenauswahl nahe am Zeitgeist diese Arbeit nicht nur anregen, sondern auch selber suchen.