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26. April 2008

Angeblich Freie Kunst

Frank Wörler


"Hier wird geprüft, ob sie ein internes, auf Dauer angelegtes Qualitätsmanagement haben, das eventuelle Fehlentwicklungen beseitigt." (Holger Tiedemann, Behörde für Wissenschaft und Forschung Hamburg)

Die erste Fehlentwicklung in diesem Satz ist die Behauptung, Fehlentwicklungen als solche erkennen zu können, die zweite, dass ein Management unziemliche Entwicklungen beseitigen soll, die dritte schließlich, dass Qualität mit der Minimierung von Fehlern einhergeht. Um es vorwegzunehmen: Die Politik, die von der Wissenschaftsbehörde durchgesetzt wird, wird vor allem Eines produzieren: hermetische Operabilität. Und dies ist der Tod eines jeden möglichen Diskurses.

Die Hochschulpolitik hat sich mit ihrer Sprache, ihren Werten und Argumentationen sowohl von den Wissenschaften als auch den Praxen der Kunst verschreckt abgewandt, verachtet die Inhalte der Fachdiskurse und deren konkrete Weltbezüge, indem sie diese mit einem sachfremden Raster aus Kontrolle und Bewertung überzieht. Hochschulpolitik ist heute eine Unterabteilung von Wirtschaftspolitik. Die Erkenntnisorientierung von Forschung und Lehre wurde vollständig durch Verwertungsorientierung ersetzt. Auch für die Kunst hat man Verwertungsoptionen: Im "Talentstadt Hamburg"- Programm stellen Künstlerinnen die pittoreske Kulisse für das angenehme Leben einer Wirtschafts- und Technologieelite dar, die die Herren der Stadt werden sollen.

Der künstlerisch-wissenschaftliche Diskurs, der in Jahrzehnten an der HfbK von realen Menschen mit viel Einsatz aufgebaut wurde, wird verhöhnt von einer Präsidialverwaltung, die mit externen Agenturen Außendarstellungen entwickelt, die in ihrer Auswechselbarkeit von völliger Inhaltslosigkeit zeugen. Was selbstverständlich für die HfbK war, nämlich in die Stadt hineinzuwirken und aus ihr Impulse zu empfangen, wird zur kuratorischen Chefsache erklärt und administrativ kontrolliert. Die Hochschule als Institution, die sich über ihre tägliche inhaltliche Arbeit definieren konnte, wird so zum unsinnigsten aller Gebilde. Sie wird zur schlechten Imitation ihrer selbst.

Was ist Kunst? Was tut ein Künstler? Ist Kunst lehrbar? oder auch "Wie führe ich jemanden zur Freiheit bei dem Zwange?" sind Fragen, die zentral in der Praxis der HfbK standen. Diese Fragen sind für eine wissenschaftlich-künstlerische Betätigung sogar so grundsätzlich, dass sie einen Großteil des Studiums bestimmen. Weil sie immer wieder neu formuliert werden müssen, kann es zwar Antworten geben, aber kein universelles Konzept, das sie aufnimmt und festschreibt. Jedes solches Konzept müsste sofort wieder in Frage gestellt werden. Deshalb sind von außen aufgezwungene Systeme mit normativem "workload" und Lehrmodulen in allen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen undenkbar. Sie können zwar durchgeführt werden, aber nicht diskursgerecht begründet. Und deshalb wird im Alltag entweder das Modulkonzept oder aber der inhaltliche Diskurs scheitern.

An der HfbK hat sich das Präsidium für einen Mittelweg entschieden: Es soll ein wenig der Diskurs und ein wenig das Modulsystem scheitern. Das Scheitern wird verteilt und als Ergebnis darf man Mittelmaß erwarten – dessen Qualität freilich gesichert wird. Denn nichts lässt sich besser bewerten, als das Mittelmaß, ist doch "Evaluation" die technokratische Vermittlung unabbildbarer Phänomene schlechthin. Dem Mittelmaß steht indes nicht der künstlerische Genius entgegen. Es steht ein jeweils konkreter Fachdiskurs entgegen, dessen Qualitäten sich aus diesem selbst entwickeln, d.h. jedes Fach bestimmt selbst, was fachintern als Qualität angesehen wird – in einem unabschließbaren Prozess.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist diese Autonomie von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre formuliert. Sie stellte einen wertvollen Beitrag für eine freiheitlich-demokratische Entwicklung des Landes dar. Diese Funktion beinhaltet, dass Kunst und Wissenschaft jeweils eigenständige Diskurskulturen nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln und betreiben können. So unsinnig es ist, einen Bäcker nach den Parametern der Fleischerinnung zu bewerten, so unsinnig ist es auch, alle Studiengänge einer Funktionalitätsprüfung, womöglich noch nach wirtschaftlichen Parametern oder unter festgelegten Zielvorgaben, zu unterziehen. Will man die künstlerischen und wissenschaftlichen Diskurse dem allgemeingesellschaftlichen Diskurs anschließen, vernichtet man jene. Der nichtallgemeine Diskurs definiert sich über seine relative Selbstbezüglichkeit.

Kunst und Wissenschaft erhalten Impulse aus möglicher Dysfunktionalität. Wird diese ausgeschlossen, kann kein Fortschritt erzielt werden. "Ursache ist da, wo es hapert." Die wichtigsten Entdeckungen, gerade auch in den Naturwissenschaften, wurden zufällig oder durch Fehler gemacht. Deshalb sind der forschende und der Verwaltungsdiskurs inkommensurabel. Ersterer könnte indes vereinbar mit einem politischen Diskurs sein, wenn dieser eine freiheitlich-emanzipatorische Entwicklung zum Ziel hätte. Dies zeichnet sich leider nicht ab. Ihr Misstrauen in den Menschen komplettiert die herrschende Elite mit einer maßlosen Überschätzung der "unsichtbaren Hand" des Marktgeschehens und technokratischer Apparate. Dass diese Apparate der brillanten Praxis des Wirtschaftsmanagements entstammen, versperrt den Blick auf ihre völlige Deplatzierung im Lehr- und Forschungsbereich.

Eine ähnliche Blindheit offenbart sich in der Einschätzung, dass alles, was nicht zur unmittelbaren Wertschöpfung beiträgt, privater Konsum wäre. So wird jede Arbeit zum "Hobby" deklariert, wenn sie nicht mit monetärer Entlohnung verbunden ist. Damit wird ein marktorientiertes Weltbild zur Totalität erhoben. Sollte dies heute staatliches Selbstverständnis sein, leben wir in einem diesbezüglich totalitärem Staat. Die Diffamierung aller menschlicher Tätigkeit, die nicht Wert schöpft, steht einer neoliberalen Glaubensgemeinschaft gut zu Gesicht, die sich überdies anschickt, die angestammten staatlichen Ressorts Bildung, Gesundheit und Verkehr in privates Geschäft zu verwandeln - zumindest bis deren Verluste schließlich vergesellschaftlicht werden müssen. Wird demnächst noch die Polizei privatisiert, steht auch hier einer legalisierten Mafia nichts mehr entgegen.

Was Politikerinnen und Behörden heute durchsetzen, ist die Förderung einzelner privater Interessen bei gleichzeitiger Diffamierung gemeinschaftlicher Arbeit, wie sie etwa durch die fortgesetzte unbezahlte Forschung Studierender an der HfbK betrieben wird. Künstlerische "Ausbildung" findet wesentlich im Austausch der Studierenden untereinander statt. Künstlerische Lehre ist immer auch Forschung. Studierende spielen als faktisch Lehrende eine mindestens so große Rolle, wie die offiziell angestellten Professorinnen. Professorinnen sind nicht überflüssig. Mit ihrer unerreichten Autorität setzen sie regelmäßige Versammlungen fest - ganz so, wie eine Familie so lange an den Feiertagen zusammenkommt, so lange die Großeltern noch leben.

Über viele Studierendengenerationen hinweg entwickelt sich ein Fachdiskurs, der innerhalb eines Jahrgangs weder erarbeitet, noch gelernt werden könnte. Die Produkte geistiger, aber auch naturwissenschaftlicher Provenienz entstehen immer kollektiv und sind selten innerhalb eines Studiums abzuschließen. Die nächste Studierendengeneration übernimmt diese und führt sie weiter. Es ist fahrlässig, dass dieser Aspekt universitärer Realität in keiner Verwaltungsvorschrift oder Studienordnung Niederschlag findet.

In der Hochschulpolitik wird heute davon ausgegangen, dass die Universität ein Ort ist, an dem asoziale Individuen, ihren persönlichen Profit suchend, in Bildung investieren, um Jahre später Kapital daraus zu schlagen. Da sich die Studienordnungen an diesem ideologischen Bild orientieren, kann man davon ausgehen, dass solche Menschen tatsächlich bald die Hochschulen bevölkern werden. Viele Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen der HfbK haben in den letzten Jahren vorzeitig ihr Studium beendet, weil sie die institutionellen und inhaltlichen Veränderungen nicht mehr ertragen konnten. Durch diesen Bruch ist bereits heute ein irreversibler Schaden entstanden, da die Erfahrenen den laufenden Diskurs nicht mehr an die Jüngeren weiterreichen konnten.

Abschließend darf darauf hingewiesen werden, dass die Hochschulreformen für soft faktorisierte Fachdiskurse bereits heute gescheitert sind. Sie wurden den Fakultäten bar jeder inhaltlichen Begründung und von oben aufgezwungen. Sie werden ihrem Gegenstand nicht gerecht, sondern überführen ihn in ein Spektakel, das als solches völlig inhaltsleer ist und selbst im hegemonialen ökonomischen Diskurs nur so lange Bestand haben wird, bis auch diese Blase zerplatzt.

Kunst wird oft mit dem, der Kunst nachgelagerten, Verwertungsprozess gleichgesetzt. Folgt man dieser möglichen aber tendenziösen Auffassung nicht, erhält man ein Bild von Kunst als etwas potentiell Widerständigem, das in der Geschichte oft zensiert und verfolgt wurde. Alle Herrschaftsverhältnisse lassen diese Option stets offen. Auch das Grundgesetz wird die Kunst und Wissenschaft nicht vor weitergehenden Reglementierungen bewahren - so viel lassen die Erfahrungen dieser Tage ahnen.

Was jedoch, trotz dieser permanenten Bedrohung, denk- und machbar ist, ist eine öffentliche Institution "Kunsthochschule", die sich in ihrer Spezifik, Autonomie und Widersprüchlichkeit einer gesellschaftlichen Aufgabe stellt, die nicht völlig im Ökonomischen aufgeht. Voraussetzung wäre die Anerkennung der fragenden, kollektiven Arbeit, die jeder künstlerische und wissenschaftliche Diskurs - auch - ist. Oder, versuchsweise in die Welt der Verrechenbarkeiten gespiegelt: Eine Haushaltsbilanz, in der die Diskursarbeit der Studierenden nicht auftaucht, reicht nicht hin, die realen Verhältnisse abzubilden.

"Qualität" schließlich wird durch die inneren Widersprüche der konkreten Forschungen und die kritisch reflektierte Kontinuität der Lehre erreicht. Dem steht die (sinn)bezugslose Modularisierung - oder Containerisierung - von Inhalten und die Organisation von Lehre als Ware unvereinbar entgegen.


Modularisierung von Bildung: Alles Gute kommt von oben.


Kommentare [2]
ulrike schrieb am 27.04.2008 09:39

bei aller sympathie oder gerade wegen dieser und mit dem sicher gemeinsamen wunsch nach nachhaltigkeit für die geäußerten wünsche: wäre jetzt ein folgeartikel sehr schön, indem klar gemacht wird, ob die kritik an der modularisierung, wie sie hier formuliert ist, nicht "schule" und jede studienordnung betrifft, und wie bitte "diskursarbeit" zwischen den generationen kommuniziert werden soll ohne institutionalisierte formate. mit 'dem menschen' und 'dem diskurs' kommt man nämlich nicht an gegen 'das ökonomisierte verwaltungsdenken', und diese alte dichotomische gegenüberstellung ist nun wirklich nicht komplex genug. wie der artikel selbst impliziert, wenn er doch eine hochschule will.

Tristan von Neumann schrieb am 29.04.2008 13:35

Adorno hat das mal wieder erkannt. Schon vor langer Zeit.

@ulrike:

Die "institutionalisierten Formate" haben jahrhundertelange Tradition. Sie heißen "Vorlesung" und "Seminar". :)

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