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15. Februar 2009

Hamburgs fliegender Holländer...

von Barbara Uppenkamp

...oder wie ein Bauprojekt zum Geisterschiff wird und den Hamburger Senat gefangen nimmt. Mit fünf Computergraphiken überzeugten die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Philipp de Meuron im Jahre 2003 den Hamburger Senat, sie mit der Errichtung der Elbphilharmonie zu betrauen. Mit diesem Bau soll Hamburg ein neues Wahrzeichen von hohem Identifikationswert und internationaler Strahlkraft erhalten. Das wichtigste Ziel ist dabei nicht die Philharmonie selbst mit ihren drei Konzertsälen, deren größter zu den zehn besten der Welt zählen soll, sondern eine städtebauliche Setzung, die zum Identifikationsfaktor wird wie die Neue Oper in Sydney oder der Eiffelturm in Paris. Es handelt sich bei dem Monumentalbau um ein Kunstwerk, dessen repräsentative Wirkung jede andere Funktion überragt.


Nach einer Machbarkeitsstudie gab der Hamburger Senat 2005 seine Zustimmung zum Bau der Elbphilharmonie auf dem Kaispeicher A. Mit dem Bau wurde 2007 begonnen, und die Eröffnung der Elbphilharmonie war zunächst für das Jahr 2010 geplant. Die voraussichtlichen Kosten sollten sich für die Hansestadt zunächst auf 186 Millionen Euro belaufen, die hauptsächlich von den Bürgern erbracht werden sollen. Inzwischen liegen die Kosten bei 379,9 Millionen Euro, und der von der Hansestadt Hamburg zu tragende Anteil beläuft sich nach neuesten Berechnungen auf 323,3 Millionen Euro. Darin ist ein Betrag von 20 Millionen Euro für „Unvorhergesehenes“ einkalkuliert. Durch den Verkauf des Grundeigentums für die in der Philharmonie geplanten Wohnungen und durch die Weiterberechnung von Planungsleistungen sollen 19,1 Millionen Euro abgedeckt werden.






Der Haushaltsausschuß tagte am 20. Januar 2009 im Hamburger Rathaus und befaßte sich unter anderem mit den Kosten der Elbphilharmonie. »Die Linke« hatte zuvor am 6. Januar 2009 öffentlich und ausdrücklich die Kulturschaffenden in die Rathaus-Lounge eingeladen, um einen möglichen Baustopp der Elbphilharmonie zu diskutieren.
© Benjamin Renter


Bisher sind Spenden in Höhe von 57,5 Millionen Euro eingegangen, die zum größten Teil von Hamburger Mäzenen erbracht wurden. Eine an alle Bürgerinnen und Bürger gerichtete Spendenkampagne verfolgt augenscheinlich zwei Ziele. Zum einen soll jeder noch so kleine Betrag abgeschöpft werden, zum anderen soll die Identifikation der Hamburgerinnen und Hamburger mit ihrem neuen Wahrzeichen über eine Plakataktion gestärkt werden, welche die Namen der Spender publiziert. Weiteres Geld soll aus dem Konjunkturpaket des Bundes in Anspruch genommen werden. Das Projekt wird in einer Public Private Partnership realisiert. Projektkoordinator der Realisierungsgesellschaft ReGe mbH, die mit der Durchführung betraut ist, war bis September 2008 Hartmut Wegener, der sich in Hamburg durch die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs „verdient“ gemacht hat. Seitdem Wegener aufgrund der explodierenden Kosten für die Elbphilharmonie aus dem Projekt ausscheiden musste, liegt die Leitung bei dem Architekten Heribert Leutner, der zuvor schon Projektkoordinator bei der ReGe war, und Dieter Peters als Geschäftsführer der ReGe. Gegenüber der zuweilen selbstherrlich erscheinenden Amtspraxis von Hartmut Wegener ist damit ein Prinzip der gegenseitigen Kontrolle eingeführt.

In den fünf Computergraphiken, die 2003 den Hamburger Senat bewogen, die Elbphilharmonie nach Plänen von Herzog & de Meuron bauen zu lassen, wurde eine Vision von hohem künstlerischem Wert vorgestellt, die den unwahrscheinlichen und doch realistischen Fotoarbeiten Jeff Walls nicht unähnlich sind. Es sind auf Hochglanz gebrachte Fotomontagen von Räumen, in denen Menschen sich aufhalten, die irgendwie fehl am Platze wirken und in denen die natürlichen Größenverhältnisse teilweise aufgehoben sind. Der visionäre Charakter des Bauwerkes ist sicherlich eines seiner stärksten Charakteristika. Als schwierig erscheint es im Moment, die Baustelle mit der Vision in Einklang zu bringen. Dem dynamischen Entwurfsprozess stellt sich die Eigendynamik des Bauprozesses entgegen. Die Idee lässt sich nicht so flott in ihre materielle Existenz überführen. In der Produktion des Bauwerkes stellen sich alltägliche, vielleicht vorhersehbare pragmatische Probleme und einige Unwägbarkeiten ein, weshalb die ursprünglich für 2010 vorgesehene Eröffnung der Elbphilharmonie ins Jahr 2012 verlegt werden muss. So sind die aufwendigen Abstützungen und Nachgründungsarbeiten der Hauptfaktor bei der Kostenexplosion, die in der Hamburger Bevölkerung für immer mehr Unmut sorgt.

Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron besteht seit 1978 und agiert heute weltweit mit Niederlassungen in London, München, Barcelona, San Francisco und Tokio. Zu ihren international bekannten Bauten gehören das Olympiastadion in Peking, das sogenannte Vogelnest (2008), und der Umbau des Bankside-Kraftwerkes von Giles Gilbert Scott in London zu Tate Modern (2000). In Deutschland sind die Architekten durch den Neubau des Münchner Fußballstadions Allianz-Arena (2005) einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Weitere Bauten in Deutschland sind die Bibliotheken der BTU Cottbus (1999) und der Fachhochschule Eberswalde (1996). Wie bei Tate Modern handelt es sich bei der Elbphilharmonie um den Umbau eines am Wasser gelegenen Industriebauwerkes in städtebaulich prominenter Lage. Beide Bauten sind technische Monumente der Nachkriegsmoderne, riesige Ziegelblöcke, die bereits dem Abriss preisgegeben waren. Das Bankside-Kraftwerk wurde ab 1947 gebaut und 1952 in Betrieb genommen. Vollständig fertiggestellt war es erst 1963. Als Ölkraftwerk wurde es nach der Ölkrise 1978 unrentabel, und die Abschaltung erfolgte 1981. Wie in Hamburg gab es auch in London zunächst den Plan, die Fläche privaten Investoren zu überlassen, die für das städtebaulich bedeutende Industriemonument keinen Respekt übrig hatten. Was für das Bankside-Kraftwerk die Ölkrise war, war für den Kaispeicher A die Einführung der standardisierten Europalette mit den Maßen 120 x 80 x 14,4 cm. Entwickelt von den Bundesbahnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz als Tauschsystem um Leertransporte zu reduzieren, wurde die Europalette schnell ein europaweit eingesetztes Mittel für Transport und Lagerung. Die Betonpfeiler des Kaispeichers A, die die Speicherböden trugen und die innere Struktur des Gebäudes ausmachten, standen jedoch zu dicht, um sie wirtschaftlich effizient mit Europaletten bepacken zu können. Auch das Rangieren mit Gabelstaplern erwies sich in den engen Zwischenräumen als nahezu unmöglich. Einen zusätzlichen Einbruch bedeutete der dramatische Rückgang der Stückgutfracht gegenüber dem Siegeszug der Containerschifffahrt. Dies brachte schließlich die gesamte Speicherstadt in Gefahr. Ende der 1980er Jahre bildete sich eine Bürgerinitiative mit dem Motto „Rettet die Speicherstadt“, um einen Verkauf der Gebäude durch die Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG (HHLA) an Spekulanten zu verhindern. 1991 wurde die Speicherstadt unter Denkmalschutz gestellt. Damit war die Bausubstanz gerettet, der Strukturwandel im Hafen verhinderte jedoch eine Nutzung im ursprünglichen Sinne. Die einzige Ausnahme bilden die orientalischen Teppichhändler, die nach wie vor ihre Waren in der Speicherstadt umschlagen und deren Lager trotz der Aufhebung des Freihafenstatus der Speicherstadt 2003 noch immer Zollausland sind. In die übrigen Speicher, in denen bis in die 1980er Jahre Tee, Kaffee, Kakao und Gewürze von Quartiersleuten gelagert und verfeinert wurden, zogen Designer, Agenturen und privat geführte Museen ein, darunter jüngst das umstrittene „Internationale Maritime Museum Hamburg“ des Ex-Springer-Vorstandsvorsitzenden und Militariasammlers Peter Tamm im Kaispeicher B. Heute kann sich die HHLA glücklich schätzen, die Speicherstadt nicht verkauft zu haben, sondern stattdessen selbst an den steigenden Mieten der umgenutzten Gebäude zu verdienen.






Der Haushaltsausschuß vom 20. Januar 2009 im Hamburger Rathaus verhandelte die Kostenexplosion von "Elfi".
© Benjamin Renter



Ähnlich wie in London kam der Vorschlag der Architekten Herzog & de Meuron in Hamburg erst auf den Tisch, nachdem bereits ein Wettbewerb abgeschlossen war. Die ursprünglichen Pläne für den Kaispeicher A sahen vor, hier unter der Bezeichnung Media City Port ein Büro- und Medienzentrum mit 50.000 qm Bürofläche zu errichten. Dies hätte zu einer totalen Privatisierung des Geländes geführt. Von den eingereichten Entwürfen war derjenige des Wettbewerbssiegers Benthem Crouwel noch der beste unter lauter schlechten. Zum Glück, so muss man sagen, wurde der Media City Port wegen des Markteinbruchs bei den Neuen Medien und dem damit verbundenen Mangel an Investoren 2002 verworfen. Schon zu dieser Zeit wurde im Hamburger Senat darüber nachgedacht, hier eine Philharmonie zu bauen, nach den Wünschen der damaligen Kultursenatorin Dana Horáková in Kombination mit Aquadome und Beatles-Museum. Vielleicht veranlasste dieses sinnlose Projekt den Stadtplaner und Investor Alexander Gérard, aus Eigeninitiative 2003 bei den Architekten Herzog & de Meuron eine Projektskizze für die Philharmonie in Auftrag zu geben, die er dem Senat vorstellte. Gérard schied 2005, versehen mit der Semper-Medaille des Hamburger Senats, aus dem Projekt aus.

Wie bei Tate Modern entschieden sich die Architekten bei der Elbphilharmonie dafür, den Ziegelblock stehen zu lassen. War für die Realisierung der Elbphilharmonie die vollständige Entkernung des Kaispeicher A notwendig, so blieb von dem Londoner Kraftwerk sogar die große Turbinenhalle erhalten, die als Ausstellungsfläche für temporäre Installationen dient. Tate Modern hat sich zu einem Besuchermagneten entwickelt. Das Museum war für 1,8 Millionen Besucher jährlich ausgelegt und muss heute über vier Millionen Besucher im Jahr verkraften. Dies macht einen Erweiterungsbau notwendig, der im Olympiajahr 2012 fertiggestellt sein soll und wiederum von Herzog & de Meuron erstellt wird.

Wie in London steht der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg in Zusammenhang mit der Umwandlung eines ganzen Stadtviertels. Parallelen bestehen, neben der Bewerbung um eine Olympiade, die den internationalen Ruf einer Stadt um ein Vielfaches potenziert, in der Aneignung und Umdeutung des Ortes, ohne die bestehende Architektur radikal zu verändern. Trotz der Monumentalität der Lösungen bleibt die Geschichte des Ortes erlebbar. Den Architekten Herzog & de Meuron gelingt es, das Neue in Einklang mit dem Überlieferten zu bringen, ohne in einen vordergründigen Historismus zu verfallen, wenn auch von der historischen Substanz nur die Hülle übrigbleibt. So vermittelt die Elbphilharmonie als eine Art Scharnier zwischen der historischen Speicherstadt und der Hafencity, die auf dem Gelände des Sandtorkais und des Kleinen Grasbrooks neu entsteht. Auf dem im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Gelände des Sandtorhafens, der 1864 der erste moderne Hafen Hamburgs mit Gleisanschluss und Dampfkränen war, befanden sich zuletzt Containerstellflächen, Gleisanlagen und ein 1964 in Betrieb genommenes Kraftwerk der Hamburger Elektrizitätswerke (HEW), das 2000-2002 abgebrochen wurde. Die weiter östlich gelegenen, 1983 und 1994 errichteten Großsilos der Kaffeelagerei GmbH wurden für die Hafencity abgerissen und durch ein neues Kaffeelager auf der Hohen Schaar ersetzt. Als positiv ist die Sensibilität für den Ort zu bewerten, die bereits Werner Kallmorgen beim Wiederaufbau der Speicherstadt nach dem Zweiten Weltkrieg bewies. Der Grasbrook ist eine Insel, die für die Entwicklung des Hamburger Hafens seit dem zwölften Jahrhundert von zentraler Bedeutung ist. Im frühen siebzehnten Jahrhundert wurde er in die durch den niederländischen Ingenieur Johan van Valckenburgh entworfenen Befestigungsanlagen einbezogen. Hier siedelten vorzugsweise Niederländer und Schauerleute, die im Hafen arbeiteten. Im neunzehnten Jahrhundert wurden die niederländische Siedlung und die Hafenarbeitersiedlung abgerissen, um Platz für Speicherbauten zu machen. Johannes Dalmann war der Planer und Gestalter der Hafenanlagen auf dem Grasbrook. Am Ort des späteren Kaispeichers A entstand zunächst der Kaiserspeicher (1875), der direkt von den Seeschiffen aus bepackt werden konnte. Im Inneren des Kaiserspeichers lagen Gleise, sodass die Waren zum Weitertransport direkt auf die Bahn verladen werden konnten. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Kaiserspeicher schwer beschädigt. Auf demselben Grundstück und in ähnlichen Dimensionen errichtete Werner Kallmorgen 1963-66 den Kaispeicher A, der als ein bedeutendes industrielles Bauwerk der Nachkriegsmoderne anzusehen ist, welches auf die Geschichte des Ortes und die umgebenden Bauten trotz seiner Monumentalität Bezug nimmt. Eine vergleichbare Sensibilität bringen auch Herzog & de Meuron auf, indem sie den Bau der Elbphilharmonie als eine Handlung, als einen Umgang mit dem Ort und mit dem vor Ort Bestehenden begreifen. Dies ist ein für Hamburg ausgesprochen seltenes Verfahren. Allzu häufig sind die Stadtväter bereit, ältere, sogar denkmalgeschützte Bausubstanz dem Mammon zu opfern. Ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit ist der Abriss des Bismarckbades in Altona, der gegen den per Bürgerbegehren erklärten Willen der Bevölkerung erfolgte, um der Erweiterung eines Einkaufszentrums Platz zu machen. Auch um die Seefahrtschule (1931/32) an der Rainvilleterrasse, ein bedeutender Bau der Moderne in exponierter Lage, kann es einem Angst und Bange werden. Das einzige vertretbare Nutzungskonzept bei denkmalgerechter Erneuerung wurde von einem Reeder vorgelegt, dessen Angebot jedoch zugunsten eines Investors aus den USA ausgeschlagen wurde, der die Schule abreißen und an ihrer Stelle eine Luxusklinik errichten wollte. Zum Glück, so lässt sich sagen, entpuppte sich dieses Projekt als Windei, und so bleibt erst einmal zu hoffen, dass die Wirtschaftskrise dafür sorgt, dass dieses für Altona und Hamburg bedeutende Baudenkmal erhalten bleibt.






Öffentlich zugänglicher Haushaltsausschuß im Hamburger Rathaus vom 20. Januar 2009
© Benjamin Renter


Konsequent verfolgen Herzog & de Meuron in der Planung ihrer Bauten eine Überlagerung von Bau und Bild. Dies zeigte sich bereits im Ricola-Gebäude in Mulhouse (1992-93) mit einer Fassade, deren transparente Polycarbonatplatten von innen mit einem immer wiederkehrenden Motiv nach einem Foto von Karl Blossfeld bedruckt wurden. Bei der Universitätsbibliothek in Cottbus sind es Glasplatten, in welche Bildmotive eingeätzt sind. Bei der Elbphilharmonie sollen speziell geformte Glasplatten mit einem individuellen Raster bedruckt werden, das die Sonneneinstrahlung mildern soll. Sinn für Fiktion und Symbolik beweisen die Architekten mit der riesigen, gläsernen Welle, die auf den Kaispeicher A gesetzt werden soll. Von der Elbe aus betrachtet, erscheint der Bau wie ein riesiges Schiff mit geblähten Segeln, eine Vision, die zugegebenermaßen ansprechend wirkt. Durch die Trapezform des Kaispeichers vorgegeben erscheint der Bau mit Bug und Heck ausgestattet und erinnert so an das Chilehaus von Fritz Höger (1924), jedoch nicht wie dieses an einen Ozeandampfer, sondern eher an einen Riesensegler. Im Bug dieses Schiffes sollen die 43 Luxuswohnungen untergebracht werden, die zum sogenannten kommerziellen Mantel gehören. Im Rahmen der Public Private Partnership sollen private und öffentliche Nutzungen Hand in Hand gehen. Außer den Luxuswohnungen gehören zum privat genutzten Mantelbereich ein Fünfsternehotel, ein Wellnessbereich, Gastronomie und Parkplätze für 510 Autos, die im Block des Kaispeicher A untergebracht werden sollen. Die Piazza, die sich auf dem ehemaligen Dach des Kaispeichers und unter dem darauf aufsetzenden Wellengebirge aus Glas befindet, und die drei Konzertsäle sind der öffentliche Bereich des Gebäudes. Monumentale Rolltreppen sollen bis zum Dach des Gebäudes hinaufführen.

Der große Konzertsaal ist konzentrisch angelegt und erinnert im Querschnitt an die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun (1960-63). Die Raumhierarchien sind aufgehoben. Damit folgen Herzog & de Meuron dem Prinzip des Totaltheaters, das getragen von den Utopien des Expressionismus 1928 von Walter Gropius und Erwin Piscator entwickelt wurde. Das wesentliche Element ist die zentrale Anlage der Bühne, um die herum die Zuschauerränge auf mehreren Ebenen angeordnet sind. Gegenüber den beiden kleineren Sälen, die dem konventionellen Prinzip der Gegenüberstellung von Bühne und Publikum folgen, hat der große Konzertsaal fließende Übergänge, die die Hierarchie von Bühne und Zuschauerraum aufheben. Die Akustik des Saales wird von einem riesigen Reflektor bestimmt, der im Zentrum über der Bühne aufgehängt ist. Er reflektiert Licht und ist ein wesentlicher Faktor für die Entfaltung des Klangs im Raum. Die Akustik wurde in Zusammenarbeit mit Yasuhisa Toyota (Nagata Acoustics, Tokio) an einem 1:10-Modell erarbeitet, das seit Oktober 2008 in einem Pavillon auf den Magellanterassen ausgestellt ist. An neueren Beispielen für Konzerthallen lassen sich die Casa da Música in Porto (Rem Koolhaas, 2005), das Kultur- und Kongresszentrum in Luzern (Jean Nouvel, 1998), die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (Frank Gehry, 2003), die Neue Philharmonie in Luxemburg (Christian de Portzamparc, 2003), das Auditorium Parco Musica in Rom (Renzo Piano, 2002), der Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia, Ciudad de los Arte y los Ciencias (Santiago Calatrava, 2006) und das Sage in Gateshead bei Newcastle upon Tyne (Norman Foster, 2004) anführen. Mit dem Sage Gateshead verbindet die Elbphilharmonie, dass sie nicht allein auf klassische Musik ausgerichtet sein soll. Es sollen auch Weltmusik-, Jazz-, Pop- und Schlagerkonzerte stattfinden. Daher sind die Hallen auch für elektrisch verstärkte Musikinstrumente geeignet. Dem elitären Image der Philharmonie begegnet Jacques Herzog mit den Worten, dass er die Begeisterung eines Fußballstadions mit der Faszination einer Kirche kombinieren wolle. Die Elbphilharmonie soll als ein Haus für alle wahrgenommen werden. Dazu sollen ein musikpädagogisches Programm sowie ein Instrumentenmuseum zum Anfassen und Ausprobieren beitragen, das bisher in der Laeiszhalle seinen Platz hatte. Die Laeiszhalle und die neue Philharmonie stehen gemeinsam unter der Intendanz von Christoph Lieben-Seutter, der 2006 berufen wurde und zuvor Generalsekretär des Wiener Konzerthauses war. Er sieht vor, dass die Laeiszhalle weiterhin für klassische und romantische Konzerte genutzt wird, während die Elbphilharmonie einen Schwerpunkt in der modernen und zeitgenössichen Musik sowie den groß orchestrierten philharmonischen Werken haben soll, für die bisher nur die Staatsoper als Aufführungsort infrage kam. Das Hausorchester der neuen Elbphilharmonie soll das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks werden.

Als Fliegender Holländer entpuppt sich die Elbphilharmonie insofern sie die Stadt in ungeahnte Krisen stürzt. Den Hamburgern ist ihr Prestigeobjekt nun gar nicht mehr so geheuer. So mancher fragt sich, ob das Ende der Fahnenstange schon erreicht ist oder wie teuer es noch werden kann. So erscheint die Elbphilharmonie nun als ein imaginäres Schiff, das die Hanseaten ihres lieben Geldes beraubt. Piraten allerdings haben auch ihre Geschichte auf dem Grasbrook, wurden doch hier der Legende nach die Vitalienbrüder Klaus Störtebeker und Gödeke Michels 1400/1401 hingerichtet. Ist die Elbphilharmonie nun ein Geisterschiff, das mit gefrorenen Segeln gegen den Wind durch stürmische Gewässer kreuzt, so befindet sich der Hamburger Senat als Geisel an Bord. Aussteigen kann keiner mehr, und Rettung erhofft man sich allein durch die Zahlung der immensen Lösegeldsumme.

Quellen:

Norbert Baues, Ulrich Cornehl, Sebastian Giesen: „Das Neue gegen das Alte“. Werner Kallmorgen – Hamburgs Architekt der Nachkriegszeit, Ausst.-Kat. Ernst-Barlach-Haus Hamburg, Hamburg/ München: Dölling und Galitz, 2003
Till Briegleb: Eine Vision wird Wirklichkeit. Auf historischem Grund – die Elbphilharmonie entsteht, Hamburg: Murmann, 2007
Ulrich Cornehl: Raummassagen: der Architekt Werner Kallmorgen 1902-1979, Hamburg/ München: Dölling und Galitz, 2003
Hermann Hipp: Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster, Köln: DuMont, 31996
Rowan Moore, Raymond Ryan: Building Tate Modern. Herzog & De Meuron transforming Giles Gilbert Scott, London: Tate Gallery, 2000
www.elbphilharmonie.de
www.tate.org.uk
deu.archinform.net/arch/291.htm
www.benthemcrouwel.nl/portal_presentation/offices/media-city-port

Kommentare [4]
HerbertHossmann schrieb am 17.02.2009 00:19

Ein wenig mehr kritische Reflexion hätte ich mir im Bericht über die Elbphilharmonie schon gewünscht.

Zur Vorgeschichte gehört auch, dass die Architekturpläne für einen Konzertsaal in der Hafencity von Alexander Gerard auf eigenes Risisko und eigene Kosten 2001 bei Herzog und Meuron in Auftrag gegeben wurden. Mit den fünf Computergraphiken wurde dem Senat 2003 von Alexander Gerard offeriert, wenn sich die Stadt Hamburg für den Entwurf von Herzog & de Meuron entscheidet, wird die Investorengruppe um ihn die geschätzten Kosten von 40 Millionen Euro für den Bau der Philharmonie über Wohnungen und ein Luxushotel sowie private Stiftungen und Fördervereine für Musik finanzieren. Die Stadt stellt lediglich das Grundstück kostenlos zur Verfügung. Den großzügigen Investoren wurde das Projekt aber schnell zu heiß. 2005 gaben sie es der Stadt zurück und ließen sich mit 11 Mio Euro von ihr abfinden. Die Sempermedaille an Alexander Gerard kam dann noch „oben drauf“.

Dass spektakuläre und komplexe Architekturen teurer werden als geplant, ist – vor allem wenn der Staat der Auftraggeber ist – nichts Neues. Und ist das Projekt erst einmal in der Realisierungsphase, brechen bei den Kosten alle Schranken. Es ist ja nicht nur die Sydney Oper hierfür berühmt, sondern auch der jüngst eröffnete Konzertsaal von Jean Nouvel in Kopenhagen, der mit 240 Mio Euro dreimal so teuer wurde als geplant, oder das von Eric Moralles entworfene und 2004 eröffnete Parlamentsgebäude in Edinburgh, dessen Kosten von urspünglich 10 bis 40 Mio auf 410 Mio zu steigen.

In solchen Fällen drängt sich der Verdacht auf, alle Akteure (die Politiker, die Architekten, die Investoren und Baufirmen) setzen mit (mindestens fahrlässig herbeigeführten) falschen Kostenschätzungen ein Objekt ins Werk, das bei realistischer und verantwortungsbewusster Kostenplanung politisch nie hätte durchgesetzt werden oder die Akzeptanz der Bürger finden können. Fehlt aber das Geld, wird ihnen der Spendenbeutel hingehalten. Auch das ist in Hamburg gründlich misslungen. In gleicher Weise wie für den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden sollte eine breite patriotische Begeisterung und Spendenwilligkeit erreicht werden. Doch eine Mobilisierung der Bevölkerung in Dresden, die dort wegen des besonderen Schicksals der Frauenkirche, der Betroffenheit der ganzen Stadt und ihrem Symbol für Versöhnung möglich war, war auf Hamburg nicht zu übertragen. Hätte es nicht zwei Großspenden gegeben, wären die übrigen bisher eingegangenen Spenden von den zu ihrer Akquirierung erforderlichen Kosten längst aufgefressen. Erschwerend kommt hinzu, dass es den Verantwortlichen nicht gelungen ist, das Projekt aus den negativen Schlagzeilen zu bringen. Übrigens: ein ähnlicher Effekt wie beim Tamm'schen Marinemuseum.

Die wichtigste Frage allerdings, die im Beitrag von Uppenkamp nur kurz angerissen ist, stellt sich nach der künftigen Nutzung, den daraus folgenden Betriebskosten und den Risiken für den Kulturhaushalt. Die offiziellen Auskünfte sind so dürftig, dass der Verdacht auftaucht, die Elbphilharmonie sei von Beginn an ohne ein schlüssiges inhaltliches Konzept geplant. So ist lediglich bekannt, dass der große Konzertsaal zu den zehn besten der Welt zählen und seinen Schwerpunkt in der modernen und zeitgenössischen Musik, sowie den groß orchestrierten philharmonischen Werken haben wird. Die Laeiszhalle, die berühmt ist wegen ihrer großartigen Akustik, soll weiterhin für klassische und romantische Konzerte genutzt werden.

Die Erwartung, es würde in Hamburg ein neues, junges, zahlungskräftiges breites Publikum entstehen, das die Konzerte u.a. des NDR Sinfonieorchester (dem Hausorchester der Elbphilharmonie) mit Werken moderner und zeitgenössischer Musik besuchen und den großen Saal sieben Tage in der Woche füllen wird, erscheint ebenso wagemutig wie die Hoffnung der für Kultur und Touristik Verantwortlichen, das Hamburger Besuchsprogramm mit seinen drei Schwerpunkten, Musical, Hafenrundfahrt und Reeperbahn könne durch einen vierten, dem Konzert in der Elbphilharmonie, automatisch erweitert werden und damit die Besucherzahlen in die Höhe pushen.

Politischer Wille ist auch, dass die Elbphilharmonie als ein Haus für alle wahrgenommen wird. Es ist nur noch zynisch, wenn in diesem Zusammenhang auf der offiziellen Plattform erzählt wird, es würden in der Elbphilharmonie auch Weltmusik-, Jazz-, Pop- und Schlagerkonzerte stattfinden, die Hamburger dürften kostenfrei die Aussichtsplattform auf dem Dach des Speichers betreten und die Besucher des Instrumentenmuseums die Instrumente anfassen. In Leonce und Lena sagt der Schulmeister den Bauern: Erkennt was man für euch tut, man hat euch gerade so gestellt, dass der Wind von der Küche über euch geht und ihr auch einmal in eurem Leben einen Braten riechen dürft.

Petra Schellen schrieb am 03.03.2009 15:32

Ein gut recherchierter Text, der alle wesentlichen Punkte enthält; ich möchte ein paar Dinge anmerken:

Was die Sensibilität im Umgang mit dem Ort betrifft, kann man geteilter Meinung sein. Fakt ist, dass hier so gut wie kein Denkmalschutz waltet und tatsächlich nur die Außenmauern sowie die touristisch-pittoresken Kräne stehen bleiben. Im übrigen ist der parasitäre gläserne Bau, der den Architekten sicher auch als Versuchtsfeld dient, höher als der Kaispeicher - das war aus Vermarktungs- und Kostengründen "nötig"-, sodass der Schwerpunkt der Konstruktion extrem hoch gerät. Das Kostet Stabilität und Symmetrie. Die Statik des Baus musste intern mehrmals neu berechnet werden.

Außerdem möchte ich auf die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt hinweisen, die mein Vorredner schon ansprach: Sowohl was die Finanzierung als auch was die PR betrifft, avisiert der Senat fast ausschließlich die spektakuläre Optik des Baus, die dereinst Touristen locken soll. Die aber werden bloß auf die Plattform, nicht etwa in Privatwohnungen oder ins Hotel gehen können, von wo aus man die wirklich schöne Aussicht genießt. Außerdem ist dies ein Konzerthaus - sprich: Man braucht nicht Eintagsfliegen-Touristenbesucher, sondern Abonnenten, damit der Intendant wirtschaften kann. Wie die zu akquirieren sind, weiß niemand - zumal deren Zahl beträchtlich sein muss: In den großen Saal der Laeiszhalle ( die ja weiterhin bespielt wird) passen 2023 Personen, in den der Elbphilharmonie nochmals 2150. Macht über 4000, die künftig regelmäßig in - meist klassische - Konzerte gehen sollen. Diesbezügliche Akquise-Ideen hat der Intendant bislang nicht geäußert. Und die Senatorin verweist auf andere Städte - z.B. Köln -, in denen das funktioniert habe. Aber die Kölner Verhältnisse sind komplett anders. Überdies wird der Intendant kaum
Subventionen für den Spielbetrieb bekommen; er ist froh, wenn er Strom und Licht von dem Betrag zahlen kann, den ihm die Kulturbehörde zuschießt. Womit also teure, einzigartige Künstler finanzieren?

Und schließlich: Der Konzertsaal - nach dem "demokratischen" Weinberg-Prinzip konzipiert - eignet sich keineswegs gleichermaßen für Klassik wie für Pop. Er ist eindeutig auf Klassik ausgerichtet - und darauf arbeitet Akustiker Toyota hin. Für Pop, Weltmusik etc. wird man Stoffbahnen hineinhängen müssen, um den Nachhall zu mindern. Eine Crux, weil man solche Konzerte und ihre erfahrungsgemäß großen Zuschauerzahlen dringend brauchen wird, um das Haus zu füllen.

Ein Außenseiter schrieb am 17.03.2009 15:50

Ein äußerst gut recherchierter Artikel. Allgemeine Anmerkung: Als Außenseiter und stiller Beobachter der scheinbar ewig herumlarvierenden, im vergeblichen Mühen um immer neue post-strukturalistische Argumente einer Kritk an der Elbphilharmonie gefangenen, müßigen Diskussion um dieses Bauwerk möchte ich bekennen: "Ich find's eigentlich nicht schlecht". Ich bin jung, nehme regen Anteil an der Hamburger off-Kunst- und -Kulturszene und bin mir ihrer schwierigen Situationen sehr bewusst. Und dennoch - die Elbphilharmonie muss fernab dieser Thematiken beurteilt werden. Hier ist ein großartiges Projekt geplant, das in seiner Anlage der Metropolregion Hamburg vollends gerecht wird. Wenn das ach so tolle, abgefuckt arm-aber-sexy Berlin sich drei Opernhäuser leisten kann, dann kann Gottverdammtnochmal das reiche Hamburg sich auch eine Konzerthalle mit guter Akkustik leisten. Reich genug ist es. Und es verdient diesen Bau. Überkommene pseudo-linksintellektuelle Phrasen nerven nur noch (mit schönem Gruß an die emsigen Mosaik-Kritik-Bienen von der Echo-Liste)

wolodja schrieb am 18.03.2009 19:48

Ein äußerst kluger Kommentar, lieber Außenseiter: Besondere Anmerkung: Die gefangenen Müßiggänger, Kritiker (nicht nur der Elbphilharmonie), die Post-Srukturalisten und Post-Kapitalisten mühen sich vergeblich, wie wahr! "DIE ELBPHILHARMONIE WIRD HAMBURG UND DEUTSCHLAND SO SEXY MACHEN, WIE BERLIN DAS NIEMALS KÖNNTE!" Gut, dass ich alt bin und mit der Hamburger off-Kultur nichts zu tun hab, leider höre ich deshalb auch nicht so gut und werde in der Elbphilharmonie die meiste Zeit vom dritten Rang aus ins Parkett gucken und davon träumen, wie es wäre auch so ein erfolgreicher Kulturschaffender zu sein, der anderen mit seiner WIRKLICH intellektuellen Subversion zeigt: Off sein, heißt noch lange nicht zu den Kulturbanausen zu gehören!

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