Allianzen und Widerstände
Cornelia Sollfrank und Prof. Dr. Marie-Luise Angerer Köln, 15.07.2008
Prof. Dr. Marie-Luise Angerer, die derzeitige Rektorin der Kunsthochschule für Medien in Köln, gehört zu denjenigen PräsidentInnen und RektorInnen, die sich explizit gegen Bologna ausgesprochen haben. THE THING Hamburg wollte genauer wissen, was Frau Angerer dazu bewogen hatKunsthochschule für Medien in Köln Cornelia Sollfrank: Was die Kunsthochschule für Medien in Köln (khm) von den meisten anderen Kunsthochschulen unterscheidet ist, dass sie vergleichsweise jung ist und eine sehr spezifische Ausrichtung hat. Vielleicht beginnen wir einfach damit, dass Sie die Schule kurz vorstellen.
Marie-Luise Angerer: Die khm wurde Anfang der 1990er Jahre gegründet und ging aus der damaligen Werkbundschule hervor, die geschlossen worden war. Die Reste dieser Schule wurden übernommen und sollten mit einem medialen Schwerpunkt gekoppelt werden. In diesem Prozess waren die Leute vom WDR sehr aktiv und es entstand ein Konglomerat mit verschiedenen Schwerpunkten. Einer war Film und Fernsehen, ein anderer Medienkunst, und Mediengestaltung war so eine Art neue Brücke für beide. Angeboten wurde ausschließlich ein post-graduales Studium; zu den Anfangsstudierenden gehörten beispielsweise Stahl Stenslie,und knowbotic research. 1993 wurde Siegfried Zielinski als Gründungsdirektor berufen, um das Grundstudium aufzubauen. Zusätzlich zum postgradualen Studium war es dann möglich, ein 8-semestriges grundständiges Studium zu absolvieren. Dieses ist auf vier Fächergruppen aufgebaut: Medienkunst, Mediengestaltung, Film und Fernsehen, Kunst und Medienwissenschaften (inklusive Sound und experimentelle Informatik). Derzeit sind wir dabei, diese Struktur grundlegend zu verändern. Gerade letzte Woche wurde im Senat verabschiedet, dass wir uns künftig in drei Bereiche aufstellen, die schlicht und einfach heißen werden: Kunst, Film, Wissenschaft und Forschung. Zum Forschungsbereich gehören Sound, die experimentelle Informatik, alles, was als expanded oder experimental Design bezeichnet werden kann, und was im Moment überall zu hören ist: Art and Research.
C.S.: Das heißt, auch Sie bauen die Hochschule um, aber nicht genau nach den Vorgaben von Bologna. Was ist nun neu und was wird nur anders benannt?
M.-L.A.: In der Kunst habe ich die „Medien“ gestrichen, weil ich gesagt habe, da gibt es eine lange Diskussion, und alle, die mit Medienkunst zu tun gehabt haben, stehen vor der Frage, ja was soll denn das? Wir sagen jetzt einfach „Künste“ und in diesen Bereich gehört von der Fotografie bis zur medialen Szenografie alles. Die Animation schiebe ich hinüber zum Film, weil sie doch stärker im Filmischen zu verorten ist und alles, was sich mit Forschungsfragen verknüpfen lässt, wie zum Beispiel Internet, Web 2.0 und alles, was man derzeit in den digitalen Bereichen unternimmt, schiebe ich zur Forschung. Im Theoriebereich haben wir die „Ästhetik“, die jetzt gerade neu besetzt wurde mit Peter Bexte, Nachfolge Zielinski, dann gibt es die Stelle von Hans-Ulrich Reck, „Kunst im medialen Kontext“ und noch meine Professur, die „Medien- und Kulturwissenschaft, [Gender]“ heißt – und derzeit vertreten wird. Wir haben gleichzeitig eine Entscheidung darüber getroffen, dass wir die Fächergruppen, die sich zu kleinen Fachbereichen entwickelt haben mit bestimmten Kompetenzen und Entscheidungsbefugnissen, verändern. Wenn wir Ernst machen mit dem einen Studiengang, der die KHM ist, dann müssen wir auch diese Einteilungen über Bord werfen und sagen, es gibt einfach ein großes Repertoire, woraus die Studierenden ihre Projekte machen. Die Entscheidungsfindungen sollen zukünftig stärker die gesamte Schule im Auge haben und nicht nur die Interessen der einzelnen Fächergruppen. Und die Forschungstätigkeit hatten wir vorher auch schon, aber die wird jetzt einfach sichtbarer.
C.S.: Wie durchlässig ist es für Studierende zwischen den drei Bereichen?
M.-L.A.: Absolut. Wir haben sogar überlegt, ob wir ohne jede Einteilung auskommen, aber sie ist auch eine Form der Organisation. Mit nur frei schwebenden Clustern zu arbeiten, ist ganz schwierig. Die drei Bereiche treffen sich aber in bestimmten Kommissionen und im Senat, wo die Entscheidungen getroffen werden, die die gesamte Schule angehen. Wenn zum Beispiel eine Professur frei wird, wird in diesen Kommissionen darüber beraten, ob man sie und wie eventuell umwidmet. Ich möchte eine Struktur, die es ermöglicht, darüber nachzudenken, ob wir die gleiche Professur wieder brauchen oder wollen, oder ob in einem anderen Bereich jemand dringend gebraucht wird. Im medialen Bildungs-Kontext verändert sich viel, worauf man flexibel reagieren können muss.
C.S.: Aber es klingt auch nach Zentralisierung und danach, dass die Position der Rektorin dann mit mehr Macht ausgestattet ist.
M.-L.A.: Ich weiß, es klingt gefährlich, aber ich brauche größere Flexibilität und auch die Möglichkeit, Dinge schneller zu verändern, das Lehrangebot, die Professuren.
C.S.: Wie gefährlich das ist, hängt letztendlich von den Entscheidungsstrukturen ab.
M.-L.A.: Wir haben letzte Woche die oben beschriebene Entscheidung im Senat getroffen, worüber ich sehr glücklich bin, weil wir jetzt endlich weiter arbeiten können.
C.S.: Wie ist nun derzeit das Studium organisiert und welche Abschlüsse kann man hier erwerben?
M.-L.A.: Der 8semestrige Studiengang endet mit einem Diplom, und die Postgraduierten studieren vier Semester und beenden das auch mit einem Diplom. Das ist relativ unsinnig, aber den meisten ist es noch nicht so unangenehm aufgefallen, dass sie rebelliert hätten. Aber wir können jetzt nicht einfach so weitermachen – auch aufgrund der ganzen Veränderungen in der Hochschullandschaft.
C.S.: Wie sieht es nun genau aus mit der Ausnahmeregelung für die Kunstausbildung?
M.-L.A.: Seit 1. April dieses Jahres gibt es das neue Kunsthochschulgesetz, welches für die Kunst und die Musikhochschulen von NRW gilt. Dieses besagt im Prinzip nur, dass die Kunst- und Musikhochschulen die Freiheit haben, sich die Form auszusuchen, die für sie die beste ist. Das heißt, sie müssen sich nicht den Bologna-Richtlinien anpassen, aber sie können natürlich, wenn sie es wollen. Und die Musikhochschulen sind auch gar nicht so abgeneigt; das scheint für sie ganz gut zu passen. Allianzen und Widerstände C.S.: Es kursiert das Gerücht, dass Sie mit Markus Lüpertz, dem Rektor der Akademie in Düsseldorf, eine Allianz geschlossen haben, um Bologna abzuwenden … und die Freiheit der Kunst/ der Kunstausbildung zu erhalten …
M.-L.A.: Das ist lustig, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Richtig ist, dass es in Düsseldorf an der Kunstakademie etwas anders aussieht. Von Anfang an, als diese Reformen ins Gespräch kamen, hat Markus Lüpertz, der Rektor, klargestellt: Ohne mich. Und Lüpertz hat relativ viel Macht hier. Er vertritt das klassische alte Künstlerbild, dafür steht er ein, und zwar 100%ig; er ist eine Eminenz. Wenn Lüpertz mit seinem Stock auf den Boden klopft, dann trauen sich auch die Beamten im Ministerium nicht mehr dagegen zu sein! Lüpertz hat einen sehr guten Kanzler, Herrn Lynen, dieser war maßgeblich als Jurist an der Gesetzeserarbeitung beteiligt.
C.S.: In welcher Form tritt Herr Lüpertz da auf? Wie wird zum Beispiel der Widerstand gegen Bologna inhaltlich begründet und in welcher Form?
M.-L.A: Natürlich mündlich bei den Rektoren-Konferenzen, aber auch sehr viel im direkten Gespräch mit den Zuständig en im Ministerium. Wir sind im Land NRW ja nur sieben Kunst- und Musikhochschulen. Und mit diesen sieben sind die Zuständigen im direkten Kontakt. Sie sind zum Beispiel im Vorfeld auch nach Wien gefahren, haben mit Schmidt-Wulffen gesprochen, dem Rektor der Akademie, haben sich diverse andere Modelle angesehen, um die Erfahrungen anderer in die eigene Politik einfließen zu lassen. Das Herausnehmen der Kunst- und Musikhochschulen aus den Reformen war ein riskanter Schritt für sie, der genau bedacht sein musste. Und Lüpertz hat immer wieder klargemacht, dass es seiner Meinung nach keinen Sinn macht für die Freie Kunst.
C.S.: Und die khm ist ja nicht eine reine Kunsthochschule, sondern eher ein Hybrid wegen der Ausrichtung auf Film und Fernsehen. Aber Sie haben die Ausnahmeregelung für die Freie Kunst für sich geltend gemacht?
M.-L.A.: Ja, und als wir dann unseren Entwurf in der Kunsthochschulrektoren-Konferenz vorgestellt haben, wollten die anderen Rektoren der anderen Bundesländer das natürlich auch. Nun ist das Gesetz tatsächlich im April rechtswirksam geworden; danach gab es wieder eine Konferenz in Saarbrücken, bei der Herr Lynen, besagter Düsseldorfer Kanzler, berichtete, und dann kamen von Hamburger und Stuttgarter Präsidenten Anfragen, die ziemlich kritisch und auch etwas spöttisch waren.
C.S.: In welche Richtung?
M.-L.A.: So in die Richtung, was wir jetzt davon hätten? Was wir meinen, dadurch gewonnen zu haben. Wir sind ja vom Ministerium nicht ganz entlassen worden. Die Kunsthochschulen unterstehen teilweise noch dem Ministerium, während die Universitäten die volle Autonomie erhalten haben. Ich halte von dieser Autonomie jedoch relativ wenig. Das kann man schon seit Jahren verfolgen, gerade in Ländern, die etwas schneller waren. Aber auch wir machen inzwischen fast alles im eigenen Haus. Die Berufungen werden hier durchgeführt. Und jedesmal denke ich mir, hätte ich doch nur ein Korrektiv außer Haus. Es ist extrem schwierig und der Demokratie bringt es wenig; man streitet in den eigenen Reihen nur noch mehr. Der Rektor/ die Rektorin ist die letzte Entscheidungsinstanz. Es ist eine große Verantwortung, die einer Person damit aufgebürdet wird. Und die große Macht der RektorInnen halte ich für sehr problematisch.
C.S.: Sind es denn die Rektoren persönlich, oder sind diese auch wieder an Gremien gebunden?
M.-L.A.: Da muss man jetzt genau unterschieden: In Wien, zum Beispiel, hat der Rektor eine große Macht, aber immer verbunden mit dem Hochschulrat.
C.S.: Setzt sich der Hochschulrat aus internen oder externen Mitgliedern der Hochschule zusammen?
M.-L.A.: Aus externen. Und die haben unterschiedliche Kompetenzen. Oftmals sind sie aus der Wirtschaft. Und die Rektoren sind explizit angehalten, dass Personalpolitik Strukturpolitik ist. Wenn ich etwas ändern muss, und das muss ich, kann ich das vor allem über Personalpolitik machen. Also ist Personalpolitik Chefsache.
C.S.: Was heißt das genau?
M.-L.A.: Das heißt, der Rektor hat eine relativ große Freiheit zu sagen, bei einer Berufung, zum Beispiel, der Dreiervorschlag, der vor mir liegt, interessiert mich nicht, ich möchte eine neue Liste, oder ich kann sagen, ich nehme den Dritten, der passt mir am besten.
C.S.: Und diese Entscheidung lag früher beim Ministerium.
M.-L.A.: Genau, früher hat das Ministerium die Liste abgesegnet oder nicht. Und jetzt wird das alles in den eigenen Reihen gemacht.
C.S.: Das heißt, es hat eine Machtverschiebung zugunsten der Hochschulen und vorallem auch zugunsten der RekorInnen stattgefunden.
M.-L.A.: Absolut. Reformen
C.S.: Können wir nochmal auf die Ausbildung hier und die geplanten Änderungen zurückkommen.
M.-L.A.: Wir werden für das Wintersemester 2009/10 für die Postgraduierten zwei Masterstudiengänge entwickeln. Das grundständige 8semestrige Studium belassen wir mit dem Diplom. Die Master werden ganz unabhängig davon aufgebaut sein. Sie sollen vor allem offen sein für Leute aus dem weiteren In- und Ausland. Und sie sollen auch so offen bleiben, dass weiterhin Leute mit den unterschiedlichsten Backgrounds zu uns kommen können. Bei den Postgraduierten herrscht bei uns traditionell die große internationale und disziplinäre Vielfalt. Wir haben unter den Postgraduierten Leute, die Literatur studiert haben und bei uns Film machen, oder sie haben Chemie studiert und machen jetzt Netzkunst oder was auch immer. Der eine Master wird einen Schwerpunkt in Art and Research haben, der zweite einen Schwerpunkt Bewegte Bildgestaltung, Kamera, Fotografie, etc.
C.S.: Was jetzt anders ist als beim 3gliedrigen Bologna-Modell, ist, dass anstatt des Bachelor Sie hier ein Diplom haben. Und dafür werden acht Semester studiert und nicht sechs. Bedeutet das nicht auch, dass Ihre Abgänger mit ihrem Diplom an anderen, insbesondere ausländischen Masterstudien nicht zugelassen werden?
M.-L.A.: Nein, das bedeutet es nicht unbedingt. Es ist oft so, dass unsere Absolventen nach ihrem Studium bei uns einen Master anderswo machen (z.B. in den USA), aber hin und wieder beklagen sie, dass unser Diplomstudium nicht als Master angerechnet wird.
C.S.: Als dritten Ausbildungsschritt bieten Sie auch eine Promotion an ...
M.-L.A.: Ja, seit zwei Jahren haben wir auch einen Promotionsstudiengang. Das ist ein klassischer Dr. phil., den die Professoren betreuen, die dazu berechtigt sind.
C.S.: Was sind dann dafür die Zulassungsbedingungen?
M.-L.A.: Bei Künstlern sind wir relativ streng, weil wir kein praktisch ausgerichtetes PhD wollen. Das heißt, jemand, der von einer Akademie kommt und dort eine Meisterklasse gemacht hat, kann nicht zugelassen werden. Wir akzeptieren nur einen universitären Abschluss.
C.S.: Warum wollen Sie KünstlerInnen nicht zulassen?
M.-L.A.: Wir konzentrieren uns im Moment einfach auf unser neues Grundstudium, dann auf die neuen Master und dann sehen wir weiter. Diese Um- und Neuplanungen sind sehr aufwendig und mühsam, so dass man nicht alles auf einmal machen kann.
C.S.: Aber gerade wenn Sie einen neuen Schwerpunkt Art and Research definieren, wäre es doch nahe liegend, nicht wieder die klassische Trennung zwischen Kunst und Wissenschaft aufrecht zu erhalten, sondern gerade an sinnvollen interdisziplinären Modellen zu arbeiten.
M.-L.A.: Klar, und wir werden uns sicherlich um diese Diskussion nicht herum schummeln können.
C.S.: Zumindest wenn der erste Master-Jahrgang durch ist, wird diese Diskussion fällig werden.
M.-L.A.: Genau. Und dann können wir auch sagen, ob wir Leute mit Master-Abschluss akzeptieren.
C.S.: Dann scheint sich ja einiges zu bewegen hier. Und ich stelle mir auch vor, dass an der khm Reformen grundsätzlich leichter möglich sind, einfach weil die Strukturen noch nicht so verkrustet sind wie an einer altehrwürdigen Akademie (zum Beispiel Wien ...) und auch keine Professoren hier drin sitzen, die schon seit 35 Jahren im Amt sind und die sich allen Veränderungen widersetzen.
M.-L.A.: Schmidt-Wulffen hat uns – und damit meinte er uns, die wir uns dem Bologna-Richtlinien verweigerten, also Lüpertz, mir und anderen – einmal vorgeworfen, wir seien einfach faul. Diese Haltung „Wir haben es schon immer so gemacht in der Freien Kunst, und wir lassen uns da nicht rein reden, und es versteht sowieso niemand, was wir hier machen“ fand er nur entsetzlich. Das ist für ihn der Inbegriff für faul, unbeweglich, überaltert, erstarrt und lächerlich und den neuen Zeiten in keinster Weise mehr gerecht werdend. Und an manchen Stellen mag er sogar Recht haben.
C.S.: Aber offensichtlich kann man nicht alle in den gleichen Topf werfen ...
M.-L.A.: Ich weiß nicht, was die Kunstakademie in Düsseldorf macht. Für uns ist es einfach notwendig, die eigene Institution unter die Lupe zu nehmen und zu überprüfen, inwiefern das, was man ist und anbietet, noch auf der Höhe der Zeit ist.
C.S.: Vielleicht ist die Lösung, dass man zwei oder drei Kunstakademien nach dem alten Modell weiterlaufen lässt, ganz interessant. Zum einen scheint es starke Verfechter dieses Modells zu geben, zum anderen haben die Studierenden ja die Auswahl. Sie müssen nicht nach Düsseldorf gehen, aber wenn sie kleine Malerfürsten werden wollen, können sie es – zumindest versuchen. Und der Kunstmarkt hat ja nach wie vor einen großen Bedarf nach Künstlern, die das alte Künstlerbild aus dem 18.Jahrhundert vertreten – als Ware, sage ich mal zynisch. Man könnte dann eine „(Nicht-)Ausbildung zum Genie“ als so etwas wie „berufsqualifizierend“ bezeichnen, denn genau da liegen ja die Bedürfnisse des Kunstmarktes. Es ist doch sehr erstaunlich, wie nahe das alte Akademiemodell gerade den Marktinteressen ist. Also kann man Herrn Lüpertz nicht einmal vorwerfen, dass er nicht marktorientiert ausbildet!
M.-L.A.: Wirklich gut an den Bologna-Beschlüssen ist, dass dadurch eine große Diskussion entstand – und diese Diskussion war längst überfällig. Andererseits finde ich das, was Schmidt-Wulffen in Wien macht, auch nicht ganz unproblematisch. Ich verstehe, dass er aus bestimmten Gründen gar nicht anders vorgehen konnte. Ich kenne ja die Akademie aus meiner eigenen Studienzeit in Wien, und damals war es einfach ein verstaubter Kasten, den ich nie betreten habe. Man wusste, das ist die Akademie, aber es gab einfach keinen Grund, da rein zugehen. Es gab keine einzige Veranstaltung. Heute ist die Akademie in Wien ein Zentrum für intellektuelle Auseinandersetzung. Das geht jetzt nicht alles auf das Konto von Schmidt-Wulffen, denn davor war schon Ute Meta Bauer da mit ihrem Institut für Gegenwartskunst, damit hat das alles begonnen. Aber Schmidt-Wulffen ist jetzt extrem konsequent in der Besetzung der Professuren; es werden viele neue Professuren ausgeschrieben; er ist rigoros darin, welche Leute genommen werden. Texte zur Kunst sind inzwischen beinahe vollzählig vertreten… Man muss jetzt einfach mal sehen, was für Kunst da entsteht. Die Vertreter des Ministeriums hier in NRW haben sich die Wiener Akademie ja angesehen und waren nicht so überzeugt davon, dass dieses Vorgehen unbedingt so gut für die Kunst ist. Das fand ich sehr interessant. Wenn man sich nämlich anschaut, warum die Wiener Akademie im Zentrum des Interesses steht, dann ist es eben vor allem wegen der intellektuellen Auseinandersetzung; es sind vor allem Theoriestellen, die im Moment Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Diedrich Diedrichsen, Tom Holert, Sabeth Buchmann etc. Es wird ein großer Fokus auf Kunst-Theorien und Forschung gelegt. Laut Schmidt-Wulffen müssen künftige KünstlerInnen ein Theorie-Verständnis haben, innerhalb dessen sie sich verorten können, der neue Künstler muss sich vermarkten können usw. Auf jeden Fall bin ich neugierig, was für Kunst und KünstlerInnen bei diesem Modell entstehen. Sicher ist, dass sich das kunsttheoretische Umfeld in Wien schon sehr beeindruckend verändert hat.
C.S.: Ich denke, dass die Koexistenz der verschiedenen Modelle im Moment sogar wichtig ist, denn sie arbeiten ja auch für verschiedene „Märkte“ hinterher. Es existieren sehr viele Kunstwelten und Kunstbegriffe parallel nebeneinander, deshalb wäre es absurd jetzt das einzig richtige definieren zu wollen. Was in Wien gemacht wird, scheint dabei das eine Ende der Skala zu sein, während Düsseldorf das andere Ende ist; dazwischen gibt es alles Mögliche andere.
M.-L.A.: Dem würde ich auch zustimmen.
C.S.: Wie würden Sie nun ihre Kritik an den Vorgaben von Bologna zusammenfassen?
M.-L.A.: Ausbildung statt Bildung. Eine starke Orientierung auf praktische Fächer zu Ungunsten der Geistes- und Kulturwissenschaften. Damit natürlich auch der Kunst.
C.S.: Wie dominant schätzen Sie das System ein, innerhalb dessen Ausbildung stattfindet? Glauben Sie, dass eine Umstrukturierung hin zu Bachelor, Master, PhD mit Credit Point System sich negativ auf die Entfaltung künstlerischer Persönlichkeiten auswirkt?
M.-L.A.: Das kann man heute noch nicht sagen. Dass andere Künstlertypen daraus möglicherweise hervorgehen, kann schon sein. Stärkere Produzenten und Vermarkter ihrer selbst. Doch die Heterogenität der Künstlertypen hat es immer schon gegeben. Heute orientieren sich die Studierenden – vielleicht zwangsweise – zu früh und zu stark am Markt. Die Reglementierungen desselben sind auch viel größer geworden, denken Sie z.B. nur an das Urheberrecht, das für Filmer und mit filmischen Bildern arbeitende Künstler sehr stark unter Druck setzt. KünstlerInnenbilder
C.S.: Sie haben bereits geäußert, dass die RektorInnen/PräsidentInnen nun mehr Macht besitzen und das bedeutet auch, dass sie ihre persönlichen Vorstellungen mehr umsetzen können. Ich würde gerne noch von Ihnen hören, was Sie persönlich mit der Reform verbinden – gerade vor dem Hintergrund, dass Sie Geisteswissenschaftlerin und Feministin sind, denn die neue und jüngere Generation der Hochschulleiter hat ja in der Regel eine ganz andere Ausbildung durchlaufen.
M.-L.A.: Ja, ja, da kommt jetzt eine ganz andere Generation von – Managern ...
C.S.: Ihre inhaltlichen Setzungen sind wahrscheinlich andere. Wobei ich mir auch vorstellen kann, dass die Konflikte zu rein adminstrativen Tätigkeiten vorprogrammiert sind. Kennen Sie das Interview zwischen dem Präsidenten der Kunsthochschule Hamburg, Martin Köttering, und dem dort lehrenden Professor für Philosophie Hans-Joachim Lenger? [1] Ich finde es sehr aussagekräftig und besonders ist mir aufgefallen, wie sie die Rollen unter sich genau aufgeteilt haben: auf der einen Seite der von gutem Willen aber auch Sachzwängen geleitete Verwalter und Pragmatiker, auf der anderen Seite der kritische Philosoph, der sich für Gesetze nicht interessiert. Obwohl sie in der der Sache selbst nicht weitergekommen sind, bilden sie zusammen doch eine Einheit. Das verhält sich nun bei Ihnen etwas anders: Sie sind Verwalterin und Intellektuelle in Personalunion. Was bringt die Geisteswissenschaftlerin Angerer für ein Künstlerbild mit und wie sollten diese KünstlerInnen „produziert“ werden? Was können KünstlerInnen lernen, was müssen sie lernen? Kann man Kunst überhaupt lehren? Meistens fallen ja die wirklich inhaltlichen Fragen bei der Reformdiskussion unter den Tisch.
M.-L.A.: Manchmal denke ich einfach, ach, KünstlerInnen sollen einfach machen und irgend etwas kommt dabei heraus. Fertig. Diese ganze Kunstakademiewelt ist doch ziemlich absurd. Aber dann denke ich wieder, nein, es muss eine Auseinandersetzungsmöglichkeit für angehende KünstlerInnen geben. Es ist peinlich, wenn die Leute keine Ahnung haben von der Geschichte, keine Ahnung davon, was es alles schon gegeben hat und gibt, und keine Ahnung haben von einem gesellschaftspolitischen Diskurs. Wenn ich von meinem eigenen Arbeitsfeld ausgehe, dann ist ein Anliegen von mir die Stärkung von Wissenschaft und Forschung; das ist mein persönliches Interesse, und ich gebe das offen zu. Ich würde gern in diesem Bereich Fragestellungen erarbeiten und erforschen, die primär nicht wieder dazu dienen, einen Film zu machen oder eine Installation, sondern die auch darüber reflektieren, was zur Zeit in den Künsten oder im filmischen Bereich passiert. Ich habe letztes Jahr das Buch „Vom Begehren nach dem Affekt“ publiziert, was für mich vor allem so etwas wie ein programmatischer Entwurf war, in dem ich Bereiche angesprochen habe, wovon jeder einzelne eine eigene Bearbeitung und Vertiefung brauchen würde. Ich würde gern den affektiven Shift, den man überall beobachten kann, ausführlicher analysieren. Er führt, dazu dass das Leben, das Klima, die Umwelt plötzlich Themen sind, die alle wie vom Himmel herunter zu fallen scheinen und nur mit mangelnden Ressourcen begründet werden.
C.S.: Können Sie nochmal genauer beschreiben, was Sie unter dem affektiven Shift verstehen?
M.-L.A.: Mittlerweile sind überall, wohin man schaut im Theorie- und Forschungsbereich, Emotion und Affekt primäre Themen. Es geht nicht mehr – wie in den 1970er Jahren – um die Frage, wie sich Menschen identifizieren mit filmischen Vorbildern, sondern heute ist die Frage: Wie wirkt ein Film, und wie wirkt ein Film möglichst affektiv. In den digitalen Künsten ist die Rede davon, dass der Mensch mit seinem gesamten Sinnesapparat in die Apparate eingespannt wird und die Medien Signale sind, die direkt im Gehirn wirken, die die Menschen affektiv ansprechen und diese reagieren dann als Organismus auf eine künstlerische oder natürliche Umwelt. Wenn jemand sich damit auseinandersetzt, dann muss er/sie diese Dinge auch theoretisch zumindest bis zu einem gewissen Ausmaß begreifen können und auch eine Politik, die dahinter steht oder ein Gesamtdispositiv erahnen können. Es geht nicht darum, TheorieexpertIn zu werden, aber zumindest zu wissen, dass es diese Diskurse gibt. So wie ein Filmer wissen muss, warum Godard wichtig ist, muss die mittlerweile große Geschichte und Theorie der medialen Künste bekannt sein.
C.S.: Das impliziert ein Künstlerbild, das einen gewissen Reflexionsgrad besitzt; ein/e KünstlerIn muss wissen, wo er/sie steht und was er/sie will – außer sich auszudrücken.
M.-L.A.: Es ist mir auf jeden Fall zu wenig, wenn jemand sagt, ich hab so eine Idee und die würde ich gern irgendwie umsetzen.
C.S.: Obwohl es meist ja so anfängt mit der Kunst…
M.-L.A.: Ich sage auch nicht, dass dann alles verloren ist, im Gegenteil, dann beginnt die Arbeit. Ein anderes Interesse von mir wäre, auch wieder stärker an den Netzkünsten und digitalen Künsten weiterzuarbeiten. Die khm war da in den 1990er Jahren sehr präsent; dann gab es die interessierten Studierenden nicht mehr, und der Film wurde sehr stark und heute, glaube ich, dass es wieder sehr interessant sein könnte, das wieder aufzugreifen.
C.S.: Das hing sicher auch mit dem Medien- und Internethype zusammen und der Dotcom-Blase. Und was Netzkunst anbelangt, teile ich Ihre Einschätzung: Wie könnte sie vorbei sein, wenn das Internet das wichtigste globale Kommunikationsmedium geworden ist? Netzkunst mag keine Präsenz im Kunstbetrieb haben, aber das sehe ich eher positiv. Eine der herausragenden Vorzüge der Netzkunst ist ja, dass sie auch unabhängig vom Kunstbetrieb agieren kann. Zudem sind der Umgang mit Computer und Internet alltäglich geworden; aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Technikangst vieler Kunstrezipienten weitgehend verschwunden ist. Das Publikum akzeptiert digitale und netzbasierte Kunst längst; Technikgegnerschaft in der Kunst ist wohl eher kunstpolitisch begründet.
M.-L.A.: Ich bin überzeugt davon, dass es der richtige Zeitpunkt ist, diesen Bereich als Forschungsschwerpunkt wieder zu aktivieren. Und Festivals wie die ars electronica und die transmediale arbeiten ja auch kontinuierlich an der Entwicklung dieser Kultur.
C.S.: Ausserdem geht es – meiner Meinung nach – auch nicht nur um das künstlerische Potenzial, sondern um die gesellschaftliche Bedeutung der neuen digitalen Technologien. Und diese gesellschaftliche Bedeutung und die politischen Implikationen müssen auf jeden Fall von der Kunst reflektiert werden. Daran anknüpfend und in Bezug auf die Ausbildung: Was betrachten Sie als die Aufgabe von KünstlerInnen in der Gesellschaft? Und was geben Sie den Studierenden mit, damit Sie diese Aufgabe erfüllen können?
M.-L.A.: Zum einen, dass die Leute gute Kunst machen, gute Filme. Ich freue mich über viele Filme, die hier entstanden sind, und ich glaube, dass die Leute einen guten Blick haben, auf feine Momente achten, auf Kleinigkeiten, auf gute Geschichten, dass sie gut erzählen können, dass sie ein Gespür haben für die richtigen Themen und einen kritischen Blick entwickeln. Bei den MedienkünstlerInnen würde ich mich freuen, wenn sie noch stärker in den gesellschaftlichen Raum eingreifen würden; das kann auch spektakulär sein, so dass man sieht, dass KünstlerInnen auf eine ganz spezifische Weise etwas zeigen oder bewegen. Und ich würde nicht sagen, sie sollen die Natur nochmals erfinden – wie Olafur Eliasson; davon rate ich eher ab.
C.S.: Aber es scheint ein sehr erfolgreicher Ansatz zu sein!?
M.-L.A.: Das auf jeden Fall. Ich würde mir aber wünschen, mit den Mitteln, die Eliasson verwendet, ganz andere Dinge zu erreichen.
C.S.: Zum Beispiel?
M.-L.A.: … eine installative Umsetzung von Handywellen; die kann nicht nur von allen Leuten ganz einfach nachvollzogen werden, sondern hat auch eine gesellschaftliche Relevanz.
C.S.: Es geistert ja diese Zahl durch diverse Statistiken, dass nur 3% der Kunststudierenden später von ihrer Kunst leben können. Wie gehen Sie damit um, dass Sie junge Leute ausbilden, die fast alle hinterher von ihrem Beruf nicht leben können?
M.-L.A.: Da können wir mit gutem Gewissen sagen, dass dies in unserem Fall nicht stimmt. Die Leute sind alle sehr gut ausgebildet, was technische Fertigkeiten betrifft, was gestalterische Kompetenzen, was ein visuelles Gespür betrifft. Sie können alle einen Job finden.
C.S.: Bringt das nicht auf der anderen Seite genau das Problem mit sich, dass die Versuchung groß ist, einfach einen Geldjob zu machen und die Kunst hinter sich zu lassen
M.-L.A.: Man muss natürlich entscheiden, was man will. Es passiert nicht selten, dass Studierende hier bei mir sitzen und sagen, wenn ich den Job aber nicht mache, dann weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Aber ich sage dann, es gibt immer wieder ein Stipendium, immer wieder eine Möglichkeit; wir versuchen die jungen KünstlerInnen auch möglichst lange nach dem Studium zu unterstützen – mit Preisen, Stipendien und dergleichen. Ob man sich auf die Kunst und ein Leben als KünstlerIn einlässt oder nicht ist jedoch eine Entscheidung, die jede/r für sich selber treffen muss.
C.S.: Aber die Entscheidung, nur Kunst zu machen fällt umso schwerer, je leichter es ist, eine gut bezahlte Alternative zu haben. Gerade die ersten zehn Jahre nach dem Abschluss sind sehr hart, voller Zweifel und Unsicherheit. Man muss schon sehr sicher sein, dass man genau das will, sonst bleibt man nicht dabei. Aber dazu gehört auch eine Vision, wo man hin will, oder was man erreichen will mit der Kunst und ein Selbstverständnis, warum will ich KünstlerIn sein. Das kann sich nur in einer Auseinandersetzung entwickeln, die auch in die Ausbildung gehört.
M.-L.A.: Ganz bestimmt, und wir haben sicher Lehrende hier, die das intensiv betreiben, z.B. Matthias Müller, Marcel Odenbach, Jürgen Klauke, Julia Scher. Das sind alles Persönlichkeiten, die die Studierenden extrem pushen und herausfordern. Und auch immer wieder in Frage stellen. Natürlich wird es Leute geben, die nachher irgendwo anders landen, aber viele sind sehr gut.
C.S.: Hier taucht wieder die Persönlichkeit des Lehrenden auf – und damit der klassische Akademie-Gedanke: Der Lehrende ist durch seine „geglückte Individualität“ das Vorbild des Studierenden.
M.-L.A.: Es ist beides zusammen. Auf jeden Fall braucht es auch starke Persönlichkeiten, die für etwas einstehen. So ist auch unsere Auswahlkommission, die die Aufnahme der neuen Studierenden macht, sehr streng, sehr genau, welche Leute zugelassen werden. Wir haben eine große Kommission und alle, die darin gearbeitet haben, sind sich einig, dass es die beste Kommission ist, auch weil die KollegInnen sich untereinander sehr schätzen. Der erste Durchlauf sind die Mappen, dann werden ca. 70 BewerberInnen zum Interview eingeladen, davon werden ca. 40 – 50 aufgenommen.
C.S.: Und wie sieht es mit Studiengebühren aus an der khm?
M.-L.A.: Auch das können wir selbst entscheiden. Wir verlangen noch keine.
[1] Das Interview Köttering/ Lenger ist abgedruckt im Newsletter Nr.47 der HfbK
Was heißt "affektiver shift" ?