Geburtstag im Wheelies
ELAY, bzw. das Schreib-Forsch-Projekt droht einzuschlafen. Er hat es nicht geschafft, zu meiner täglichen Routine zu werden, so wie ich es mir vornahm. Vielleicht ist es in SL zu langweilig? Es ist dort so langweilig, wie man es sich macht - das ist jetzt meine Motivationsbehauptung! Ansatz zum Endspurt. Seit ein paar Tagen bekomme ich mails aus SL, die mich zur »Wheelies«-Geburtstagsfeier einladen. Das »Wheelies« ist eine von Simon Walsh/Stevens (SL/RL) betriebene Diskothek. (Siehe auch Text »Captain Buckrodgers«) Simon sitzt im Rollstuhl und ist ein spastisch gelähmter Mensch. Er ist in den Berichten über SL präsent, wird als einer derjenigen benannt, die SL für sich positiv nutzen.
simonstevens.com/blog/
Die Medienberichterstattung hat sich etwas gedreht. Nachdem bisher eher so eine Goldgräberstimmung wie zu Zeiten des Internet-Booms heraufbeschworen wurde und die Möglichkeiten für Geschäfte suggeriert wurden, folgt jetzt die Ernüchterung, vom Anfuhrer selber. In einem Interview mit dem Gründer sagte dieser, dass der wirtschaftliche Nutzen überschätzt wird, es bestenfalls ein gutes Feld für Marketingtests etc. sei.
www.focus.de/digital/games/second_life/tid-6740/second-life_aid_65229.html
Ich will zur Wheelies-Geburtstagsfeier und finde sie nicht. Unter »Wheelies« tauchen nur Nutzergruppen von Harley Davidson und anderen Motorrädern auf. Bei allen steht gleich der »listing fee« daneben, was ich so verstehe das es nicht mehr möglich ist, kostenlos in SL rein zu kommen. Ich war etwa einen Monat nicht mehr »hier« und die Zeiten scheinen sich geändert zu haben für finanzielle Looser wie mich. Zu allen Suchbegriffen, die mich bisher ins Netz brachten (Adidas, Toyota, Mercedes etc.) finde ich nur Nutzergruppen und dann rechts daneben Orte mit listing-fees. Sogar bei den Depressiven ist nix mehr umsonst. Kein Arsch will Typen wie ELAY, die kein Geld, kein Land und auch sonst nur skurrile Ambitionen haben.
Ich denke, vielleicht kann mir das Programm ja gegen Widerstände - »resistance« - helfen. Das Ergebnis sind wieder Nutzergruppen, die meisten ziemlich klein.
resistance D
Number of members: 1
Forbidden Fruit
Number of members: 2
201st Resistance Armada
Number of members: 3
Die Top Four sind:
Monkey Island Pirate Club
Number of members: 239
Suffugium Refugees
Number of members: 268
SL'ers against Age Verification!
Number of members: 378
XXX PLAYGROUND CLUB VIPS
Number of members: 711
Zum Glück kann ich den Status meiner»Freunde« aufrufen. Omaha, der mich vor dem »Fridericianum« fotografierte ist »offline«. Mein Freund Simon ist »online« und ich bitte ihn um eine Teleportationseinladung, die er sofort ausführt. Ich lande diesmal direkt auf der Tanzfläche des »Wheelies« - nicht wie bisher unter Wasser.
Mir fehlt etwas die Phantasie um hier mitzutanzen. Ist wie in einer Dorfdisko. Ich schreibe nebenher an diesem Text. Alle sind begeistert und tanzen so richtig ab. Ich fühle mich behindert. Ich höre nur das Plätschern eines virtuellen Baches. Auf meine Frage, was zu tun sei, soll ich einen Music-Player-Knopf drücken, den ich nicht finden kann. Auf einmal verschwindet mein Cursor wenn ich ihn über das SL-Fenster bewege und es ertönt ein lauter metallener etwas rhythmischer Klang. Captain BuckRodgers hat wohl sein Angebot wahr gemacht und mir diese Behinderung programmiert. Ich kann nicht hören, was andere hören und die Kontrolle über meinen Avatar habe ich auch verloren. Das nimmt nach einiger Zeit wieder ab und ich kann weiter nach dem Knopf und irgendeinem music-player suchen, den ich resetten soll.
Ich sehe Simon in seinem Rollstuhl und merke, dass ich mich nicht wirklich für das Geschehen hier interessiere, mir fremd vorkomme, wie auf der Abi-Fete einer Schule die ich nicht besucht habe. Es wird beim Tanzen miteinander geredet und sich gegenseitig angefeuert.
Die Chat-Konversation ist verstummt, ich kann sie neben meinen »word«-Fenster beobachten, vorher war sie rege. Vielleicht stehen jetzt alle um ELAY herum und versuchen ihn zu reanimieren, weil er auf der Tanzfläche umgefallen ist. Oder es leuchtet über seinem Kopf das Schild: »schreibt gerade in Word-Office einen Text über das was er hier sieht, hat Fotos gemacht und ist irgendwie nicht dabei«.
Aber jetzt fangen sie wieder an zu klatschen und sie rufen sich zu, wie laut sie squeeken. Ich spüre meine Halsschmerzen und will nach Hause. Ich werde darüber informiert, dass in zehn Minuten der »contest« endet, es gibt 250 Lindendollar zu gewinnen. Da mache ich noch mit, das will ich noch abwarten, vielleicht gewinne ich ja mein erstes Geld. Ich tippe die "join contest"-Schaltfläche und stelle danach fest, dass ich in der "female"-Kategorie eingestiegen bin. Beim Versuch mich auch noch als Mann zu registrieren vergebe ich aus Versehen meine Stimme. Ich habe mich auf einen der DANCE Klumpen gestellt - will auch mal tanzen. Ich klicke „dance“ an und nix passiert ich frage in die Runde, wie ich denn tanzen könne und werde darüber belehrt, dass ich über dem DJ-Pult eine rotierendes Ding berühren solle. Das finde ich erst nicht, weil ich nach etwas Plattenspielerähnlichem suche. Dann sehe ich es, es ist ein weißer dicker Balken. Ich werde höflicherweise noch einmal gefragt, ob jemand meinen Avatar animieren dürfe und nachdem ich „ja“ drücke, tanze ich genau so beknackt wie die anderen auch. Mal Wild-Street-Style mäßig nahe am Boden, dann wieder ganz latin lover, später als House-Tunte die Arme über dem Kopf schwingend. Was tut man nicht alles für Geld. Herausstechen tue ich so aber nicht aus der Menge, also versuche ich das Wahlergebnis anders zu beeinflussen. Ich bitte die Tänzer für mich zu stimmen, da ich noch nie einen Preis gewonnen habe und auch kein Linden Geld hätte und wissen wolle, was dann passiert, wenn ich welches habe. Um die Ekstase des Avatars vor der Punktetafel besser nachvollziehen zu können zeige ich drei Tanzbilder:
Die anderen fliegen wie verrückt rum, ich verlasse mich auf meine Ausstrahlung. Das hat letztlich nicht geholfen. Carolin Gausman wurde mit vier zu null Stimmen Siegerin, Neferon Nevadan, dem ich aus Tolpatschichkeit meine Stimme schenkte, gewinnt bei den Männern. Gejubel, Geklatsche und Gekreische. Dies ist nicht mein Ort. Ich überlege, ob ich mich einfach wegteleportiere oder leicht gedemütigt durch die Gänge zum Ausgang schlendere, es könnte mir ja jemand nachlaufen und mich aufhalten und aufheitern. Das passiert nicht, und so schleiche ich noch immer animiert tanzend - die „stop all animations“-Funktion funktioniert nicht - nach Hause. Vor der Disko mache ich noch ein Foto von den dort rumstehenden Rollstühlen. Ich tanze noch immer.
Es war wie mit sechszehn in der Disko, alle scheinen sich zu kennen und johlen sich augenzwinkernd zu. In RL konnte ich tanzen, dass war dann ein schöner Ausgleich, machte Spaß und fühlte sich gut an. Meinem bekloppt sich gebährdenden Avatar beim Tanzen zuzusehen beglückt mich jedoch nicht. Offenbar taugt SL in meinem Falle nur zur Reaktivierung pubertärer Traumata.