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2. November 2008

Die beste Auslese. Qualitätsmedien, Heiden-Reich-Ranicki

von Ulrike Bergermann

Was bisher geschah: Literaturkritiker mit Fernsehgeschichte lehnt bei einer Fernsehpreisverleihung seinen Preis mit Verweis auf mangelnde Qualität der anderen Preisträger und des Fernsehens überhaupt ab, sämtliche Print- und Fernsehabteilungen thematisieren sofort die Qualität des deutschen Fernsehens, Literaturkritikerin schließt sich dem Kritiker an und wird ihrerseits von allen verlassen. Ein Strohfeuer der Pseudokritik zwischen Medien und Geschlechtern.

Jeder gewinnt: Die, die auf das Fernsehen schimpfen, haben Recht bekommen. Die, die das Fernsehen – vor allem das deutsche im internationalen Vergleich – verteidigen, haben Gelegenheiten dazu. Die, die über das Bildungsbürgertum schimpfen und die Massen ernst nehmen wollen, oder die, die Medienkompetenz anmahnen (wie Harald Schmidt, der der taz erzählte, er würde ja auch nicht den Fußball beurteilen, wenn er ein Interview mit dem Herta-Chef Jogi Löw gesehen habe), können es im selbstbewussten Brustton tun. Das Fernsehen gewinnt, weil es wieder einen intramedialen Wissenshorizont mehr anspielen kann (gerade vergeht keine Sendung ohne Witzchen: kleiner Gruss an die Qualtiätsdebatte!). Und die Printzeitschriften gewinnen, weil sie prominent besetztes Konkurrenzmedienbashing betreiben können.

Es ist für alle was dabei. Da kann doch etwas nicht stimmen.


Der kurze Rummel zeigt: Meinungspluralismus, wenn als ignorantes Nebeneinanderher gehandhabt, sucks. Kurz erfrischen autoritäre Literaturpäpste und –päpstinnen, wenn sie das unterbrechen. Aber Tatsache ist: Print- und Netzfeuilletons haben seit längerem begonnen, die anderen Medien intensiv zu kommentieren. Das Fernsehen ist zwar eigentlich selbst gar kein homomorphes Medium, sondern ein hochgradig zusammengesetztes, assimilierendes, wiederaufführendes, aber bis auf Kulturzeit, Metropolis und wenige andere Ausnahmen kann es andere Medien nur dann als andere wahrnehmen und diskutieren, wenn sich ein/e telegene/r Autor/in ins Studio bringen lässt – also ins einene Mindestformat gepresst wird. Der Unterschied zwischen Medienspezifiken wie dem individuellen Versenken (sprich Literatur) und unbegrenzt konsumierbarem Zerstreuen (per Glotze) ist im Extrem an denjenigen Formaten zu erfahren, die die Päpste am meisten aufgeregt haben: Talkshows, Castingshows, Lifestyle-TV.

Wettbewerb ist in diesen Fernsehformaten aufs Dümmste ausgestellt, wo die Auslese in der Welt der Literatur aufs Dümmste verschleiert wird.

Ein kurzer Rückblick unterstreicht das. Der Spiegel zitiert Marcel Reich-Ranicki, um die Qualität des Fernsehens zu steigern, müsste man "viele Leute rausschmeißen". Prima, das ist doch das Prinzip von "Deutschland sucht den Superstar": Auslese, der Beste setzt sich durch usw. Dann kommt noch ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut und kommentiert in bestem Deutsch: "Wir sind offen für Kritik und räumen ihr gerne Raum ein." (www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,583780,00.html, 13.10.08)

Die FAZ, besonders erfreut ob der Debatte, fragt MRR nach, was genau so "erbärmlich" gewesen sei, und erhält die Antwort, es sei der harte Stuhl und das lange Warten bei der Preisverleihung gewesen (www.faz.net/, 12.10.08). Dass "der ZDF-Intendant Schächter eine schallende Ohrfeige bekommt und anschließend von einer Sternstunde des Fernsehens spricht", ist der FAZ auch aufgefallen, aber Hubert Spiegel kommt nicht auf die Idee, dass sich hier ein Medium seine eigene Interessantheit inszeniert – ist MRR doch erst durchs Fernsehen zum Literaturpapst geworden (woran sogar das Handelsblatt erinnert, www.handelsblatt.com/journal/vermischtes, 13.10.08). Der Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, den die FR bemüht, erinnert daran, dass man den MRR aus dem Literarischen Quartett bei der Preisverleihung zu sehen bekam: "spontan, polternd und selber ziemlich willkürlich und ungerecht" (www.fr-online.de, 13.10.08). Wer sollte nun die Trophäe aus dem Studio mitnehmen? MRR überließ das der Fernsehproduzentin Katharina Trebitsch, die könne ihn sich ja aufs Klo stellen (später war zu lesen, dass sie übrigens Reich-Ranickis Biografie für die ARD verfilmt).
Interessanterweise haben neue Internetseiten wie "Zehn Sendungen, die MRR sehen sollte" (verlinkt von der Homepage www.reich-ranicki.de: www.quotenmeter.de) aus der Liste ohne Begründung fiktionale Genres ausgeschlossen – das wäre mal auszudenken: Fiktion kann sowieso keine Qualität bieten (erwidert man dem Literaturkritiker)? Oder sind die unschlagbar fiktiven Bilder zu fürchten?

Elke Heidenreich, mit "Lesen!" selbst ZDF-Literatur-Quotenstar, formuliert am 12.10.08 auf faz.net unter "Reich-Ranickis gerechter Zorn" einen Text inklusive "Scham", "Grottendummheit", "Zumutungen", "Hässlichkeit" und verrät, dass sie gerne die Laudatio gehalten hätte, nicht der verblödete Gottschalk (dessen Name nun endgültig Programm geworden zu sein scheint) – aber der Sender habe in einer beachtlichen Reihenfolge "das Spontane längst verlernt, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso". Bekanntlich ist das ZDF ihrer Aufforderung nachgekommen und hat die Kulturanthropologin entlassen. Und DIE ZEIT tritt hinterher und vermeldet, dass MRR selbst, von Heidenreich gerade noch so hoch gepriesen, sich nun auf die Seite des männergebündelten Ziehsohns Gottschalk geschlagen hat und in der Bunten (!) nun schimpft, es sei sie, die sich "miserabel benommen" habe: "Sie hat noch intrigiert. Sie wollte, dass man Thomas meine Laudatio wegnimmt, um sie selbst zu halten" (http://images.zeit.de/text/online/2008/44/heidenreich-gekuendigt). (Es versteht sich von selbst, dass das gleiche Verhalten bei Männern mutig oder aufrecht genannt und durchaus positiv bewertet wird).

Die Sortierungen sind durcheinander geraten: Literatur versus Fernsehen – oder Hochkultur versus niedriger Massengeschmack – oder Bildung versus Unterhaltung: das hat alles mit der Debatte zu tun, kann die Gemengelage aber nicht mehr durchstrukturieren. Übersichtlich bleibt nur quer dazu eine ganz alte Struktur:
Die Frau ist die mit der Trophäe auf dem Klo oder die als Intrigantin ausgeschlossene Kämpferin. Unterm Strich bleibt eben doch alles in der Familie der Männer, die sich duzen, verbrüdern, in eine TV-Genealogie eingehen – und im Geschäft bleiben.




Links:
ZDF-Preisverleihung auf Youtube (12.10.2008)
ZDF-Sendung "Aus gegebenem Anlass", Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Thomas Gottschalk über das Niveau des Deutschen Fernsehens, 17.10.2008
Elke Heidenreich kommentiert (Auschnitt aus der SWR-Landesschau, 14.10.08)

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