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Kommentar [1]
20. Oktober 2008

Wahnsinn in Tüten

Ein Gespräch zwischen Dr. Dirk Dobke und Herbert Hossmann.
Bekanntschaft mit Dieter Roth
HH: Dirk, du bist der Direktor der Dieter Roth Foundation, meine Frage ist: Hast du Dieter Roth, der 1998 gestorben ist, noch persönlich kennen gelernt und wenn ja, welche persönliche Beziehung hattest du zu ihm?

DD: Ja, ich betreue die Dieter Roth Foundation seit zehn Jahren und firmiere als Direktor. Das ist eine freiberufliche Tätigkeit, ich bin weder angestellt beim Sammler Dr. Buse, noch bei der Foundation. Ich habe Dieter Roth noch kennen gelernt und habe ihn 1994 zum ersten Mal kontaktiert im Hinblick auf mein Dissertations-
vorhaben, das ich damals über seine frühen Objekte und Materialbilder beginnen wollte. Bevor ich damit begonnen hatte, wollte ich ihn persönlich kennen lernen. Er hat mir auf meinen Brief hin geantwortet: Das Projekt sei völlig in Ordnung, ich könne gerne loslegen, alles Gute! Ich habe ihn dann in Basel getroffen und er hat mich eingeladen in seinem Atelier zu stöbern und in seinem Archiv zu wühlen. So war es mir möglich, in ungehobenen Schätzen zu graben, weil er damals einen großen Teil seines Archivs im Keller in der Hegenheimer Straße aufbewahrte. Dieser Kontakt ging dann bis zur Abgabe meiner Arbeit 1997 weiter. Und in den ersten Tagen 1998 hat er mich angerufen, als er gerade in Hamburg war, und mich gefragt, ob ich nicht in die Sammlung Buse kommen möchte. Er hat mich dann gleich Dr. Buse vorgestellt und mich damit eingeführt, ich sei wohl der geeignete Mann, der sich um die Sammlung kümmern könnte und Buse gefragt, ob er damit einverstanden wäre. Innerhalb von 10 Minuten war alles klar: Ich würde mich zukünftig um die Sammlung, um die Inventarisierung der Arbeiten und um die Öffnung für Interessierte kümmern.

HH: Hat Dieter Roth noch deine Dissertation gelesen? 

DD: Ja, er hat sie gelesen, er hat sie auch die ganze Zeit über ganz intensiv begleitet, das war seine Bedingung. Er war einverstanden, dass ich sie schreibe, obgleich er immer sehr skeptisch war gegenüber jeder Form von Kunsttheorie und Kunstkritik und das Schreiben oder Theoretisieren über Kunst zutiefst ablehnte. Und vor dem Hintergrund dieser Skepsis hatte er bereits einige frühere Ansinnen über ihn zu schreiben abgelehnt, sich jedenfalls so wenig kooperativ verhalten, dass diese nicht zustande gekommen waren. Es war in unserem Fall so, dass ich ihm von Zeit zu Zeit Kapitel aus meiner Dissertation geschickt habe mit der Bitte, sie zu korrigieren oder sie einfach nur zu lesen, und das hat er auch getan. Ich hatte jedes Mal eine gewisse Furcht, dass er ganze Seiten wegschmeißen, durchstreichen oder mir womöglich ganze Kapitel um die Ohren hauen würde, aber das ist nie passiert. Im Gegenteil, er war extrem kooperativ und professionell und hat mit spitzem Bleistift jedes Kapitel gelesen und korrigiert. Aber es gab in keinem einzigen Fall eine direkte Einflussnahme, dass er gesagt hätte, dieses oder jenes könne ich nun wirklich nicht schreiben, z.B. wenn es um Beuys ging oder um andere Künstler, mit denen er auf Kriegsfuß stand, sondern er hat ganz penibel darauf geachtet, dass das, was ich dargestellt habe, richtig beschrieben und benannt ist, und die Techniken richtig wiedergegeben werden etc. Die letzte Fassung der Dissertation, die ich dann der Universität eingereicht habe, habe ich ihm zugeschickt, mit einer Widmung vorne drin, vielen Dank Dieter Roth für die Unterstützung und so fort. Er hat sich dann noch einmal hingesetzt und diese schon fertige Fassung wieder durchgearbeitet und sie Seite für Seite um Anmerkungen, Skizzen und Kommentare ergänzt und sie mit Erklärungen und erläuternden Zeichnungen versehen. Diese so ausführlich ergänzte Fassung ist als Faksimile 2001 beim Verlag der Buchhandlung Walther König in Köln erschienen.

HH: Das ist wohl ziemlich einmalig, dass eine monografische Dissertation vom Künstler kommentiert neben der bereits vorhandenen und von der Universität angenommenen Endfassung noch einmal publiziert wird. Fandest du denn die Anmerkungen akzeptabel?

DD: Die waren wichtig und in Ordnung, nur an einer Stelle, bei der ich Beuys zitiere, schreibt er daneben: Starker Tobak! Mit den Anmerkungen habe ich aber gut leben können, weil es wirklich inhaltliche Ergänzungen waren. Es ist damit ein sehr schönes Werk, eine eigene und eigenartige Dissertation geworden. – Und du? Du hast Dieter Roth über den „Flachen Abfall“ kennen gelernt, wann war das, wie kamst du dazu?

HH: Dieter Roth war mir schon in meiner Studentenzeit Mitte der sechziger Jahre aufgefallen. Er war zwar bekannt, man hatte seine Arbeiten aber kaum sehen können. Erst 1974 gab es die erste große Ausstellung von Dieter Roth, die Uwe M. Schneede im Hamburger Kunstverein ausgerichtet hatte. Die Ausstellung war überschattet von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Dieter Roth und Uwe M. Schneede, Auseinandersetzungen, wie bei vielen späteren Ausstellungen, bei denen sich die Veranstalter und der Künstler in die Haare gekommen sind. In dieser Ausstellung war im großen Raum des Kunstvereins die Arbeit „Flacher Abfall“ ausgestellt, die aus einer großen Anzahl von Ordnern bestand, aus denen unterschiedliche Gegenstände heraus quollen. Es waren Gegenstände, die er sonst weggeworfen hätte, die er nun aber in Ordner gequetscht oder eingeheftet hatte. Dieser Berg von Ordnern lag mehr oder weniger durcheinander im Kunstverein. Es hat mich als radikale und subversive Skulptur sehr beeindruckt. Ich hatte daher die Idee – und das hing damit zusammen, dass ich seit 1972 mit meinem belgischen Schwager Paul Lebeer und meiner Schwester Irmelin Lebeer eine Edition aufgebaut hatte, die sich speziell auf die Publikation von Künstlerbüchern konzentrierte – mit Dieter Roth eine Künstlerbuchedition des „flachen Abfalls“ herauszubringen, und zwar eine Edition in einer Auflage von 365 Exemplaren. Jedes Buch sollte Dieter Roths flachen Abfall eines Tages innerhalb eines Jahres enthalten.

Daraufhin habe ich Kontakt zu Dieter Roth aufgenommen, ihn Mitte 1974 hier in Hamburg in der Abteistrasse besucht und ihm das Projekt als gemeinsame Buchedition vorgeschlagen. Er hat sofort ja gesagt und war offenbar beeindruckt, denn es muss für ihn  merkwürdig gewesen sein, dass ein so junger Typ zu ihm kommt, ihm anbietet, eine derartig aufwändige Arbeit zu übernehmen, die ihn über einen sehr langen Zeitraum an ihn binden würde. Wir sind uns relativ schnell über die Einzelheiten einer Realisierung einig geworden und haben 1975/1976 die nach Tagen geordnete zweite Fassung des flachen Abfalls gemacht. Vom ersten November 1975 bis zum 31. Oktober 1976 hat er  mir jeden Tag ein Paket mit seinem ausgeleerten Papierkorb, seinem Müll und allem was so rum liegt und weggeworfen wird, geschickt. Ich habe die Gegenstände sortiert, in Plastikhüllen gesteckt und in Ordnern abgeheftet. Der Haufen flacher Abfall wuchs zu einem Berg von fast achthundert Sammelordnern an. Diese hohe Zahl erklärt sich daraus, dass er manchmal sehr produktiv war, da brauchte ich für einen Tag sechs oder mehr Ordner, bis alles untergebracht war.

Abbildung "Sammlung Flacher Abfall", Flick Collection © Estate Dieter Roth

DD: Ein Wahnsinn in Tüten!

HH: Wir haben dann versucht, die Ordner einzeln zu verkaufen, das hat damals aber nicht geklappt, das wollte keiner haben. Daraufhin haben wir uns geeinigt, die Sammlung zusammen zu halten und als ein Objekt in Ausstellungen zu zeigen und Sammlern und Museen zum Kauf anzubieten. Aber es ist damals nicht begriffen worden, um was es sich handelt. Und es hat mehr als 20 Jahre gedauert, bis eine Galerie, ein Jahr vor seinem Tod, Interesse gezeigt hat. Der flache Abfall befindet sich jetzt in der Sammlung Flick in Berlin.
Aus dieser Zusammenarbeit mit Dieter Roth hat sich eine bis zu seinem Tod anhaltende Freundschaft ergeben. Beinahe immer, wenn er nach Hamburg kam, haben wir uns gesehen, wir haben zusammen Musik gemacht, er hat seine Künstlerfreunde in unsere Wohnung mitgebracht, Gedichte, Texte vorgelesen.

DD: Wie bist Du mit der Situation des flachen Abfalls zurechtgekommen? Für mich ist das ein zweigleisiges Thema. Auf der einen Seite enthält der flache Abfall die Wertschätzung allen irgendwie gestalteten Materials. Das sagt er ja in Interviews und in Edith Juds Film sehr deutlich, indem er einzelne Seiten daraus hoch hält und sagt: An jedem einzelnen Ding hat jemand gesessen, der hat den Gegenstand gezeichnet, entwickelt und entworfen und der flache Abfall ist seine Art der Würdigung dieser Gestaltungsform. Das zweite Gleis geht in eine extrem autobiografische Richtung, im krassesten Fall in Form von benutztem Toilettenpapier und Kondomen etc., die in die Sammlung gewandert sind. War das für dich, als jemand, der damit umgeht nur alles reines Material und warst du dir dieser doch sehr intimen Nähe bewusst, die dabei entstanden sein muss? Das ist doch schon eine sehr ungewöhnliche Situation.

HH: Das ist natürlich für mich nicht nur reines Material gewesen. Ich bin in dem Jahr des Sortierens seines Abfalls Dieter Roth sehr nahe gekommen. Und ich habe es auch als eine Art von Auszeichnung verstanden, dass er das zugelassen hat. Nur zwei oder dreimal hat er einen Zettel weggeschmissen, den ich nicht lesen sollte. Er hat ihn in einen Umschlag getan hat, auf dem dann stand, bitte nicht öffnen, wohl weil dieser ihm besonders unangenehm oder peinlich war. Natürlich wanderte auch das benutzte  Klopapier, Präservative, Zigarettenstummel u. ä. in den Abfall, meistens waren es aber Manuskriptseiten, angefangene und verworfene  Briefe, Notizen, Zeichnungen, erhaltene und nicht mehr benötigte Post. Ich denke durch diese besondere Nähe habe ich die Chance gehabt, ihn vielleicht besser als viele andere verstehen zu können. Andererseits hat er mir mein Engagement bis zu seinem Lebensende durchaus honoriert, obgleich auch in unserer Beziehung es Jahre gegeben hat, in denen wir distanziert von einander gelebt und gearbeitet haben.

Dieter Roth Foundation
HH: Was verbirgt sich hinter der Dieter Roth Foundation?

DD: Die Dieter Roth Foundation ist ihrer Funktion nach die Vermittlungsstelle für die Privatsammlung von Dr. Buse, die er über fast dreißig Jahre mit Dieter Roth zusammen angelegt hat. Die Sammlung umfasst etwa 3.000 Werke und ist damit die mit Abstand größte und einzig repräsentative Sammlung von Dieter-Roth-Arbeiten überhaupt. Die Dieter Roth Foundation ist damit eine Institution, die von Künstler und Sammler gemeinsam geschaffen wurde. Ihre Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, zum einen die Sammlung zugängig zu machen und Anlaufstelle zu sein für jede Form wissenschaftlicher Recherche, von Bild- und Literaturanfragen und was man sich sonst noch alles vorstellen kann. Der Alltag sieht so aus, dass wir auf der einen Seite mit den Werken zu tun haben, d. h. wir geben sehr viele Leihgaben auf internationale Ausstellungen, das sind pro Jahr sicherlich sechs bis sieben Ausstellungen, die wir begleiten. Wir tun dies aber nur, wenn es sich um Ausstellungen handelt, in denen Dieter Roth eine gewisse Rolle spielt. Dann haben wir häufig Leute bei uns, die hier arbeiten und recherchieren, die im Archiv stöbern und die Möglichkeit nutzen, einige Tage die Literatur zu wälzen, oder einfach nur lesen. Dann bin ich gleichzeitig Anlaufstelle, Informationspool und versuche mit dem einmaligen Paket, das Künstler und Sammler über die Jahre zusammengetragen haben, selber zu arbeiten und das auch zugänglich zu machen.

Der Sammlungsbestand umfasst 580 Originale, die gesamte Druckgrafik ist bis auf ein paar frühe Unikatdrucke, die irgendwie, irgendwo von ihm verlegt wurden und derzeit nicht auffindbar sind, komplett. Die Künstlerbücher sind bis auf drei, vier ebenfalls komplett vorhanden, zudem alles, was er an Auflagenobjekten gemacht hat, alle Multiples und Editionen bis hin zu Schmuckstücken ist hier alles vorhanden. Ebenfalls die von ihm entworfenen Ausstellungsplakate und Einladungskarten. Ich versuche seit Jahren auch unpubliziertes Material wie Korrespondenzen u.ä. zu bekommen. Es gibt andere Sammler, die ihr Material zur Verfügung stellen, wie z. B. Kopien der Briefe. Ein Lehrer aus Hamburg, der sich intensiv mit Addi (Arthur?) Koepke befasst und die  Korrespondenz Koepke-Roth gesammelt hat, hat mir das dann freundlicher Weise in Kopie zur Verfügung gestellt. Ich versuche natürlich das auch ein wenig großräumiger zu fassen und Interviews mit den wichtigen Personen aus Roths Umfeld zu führen, Freunde, mit denen er viel zu tun hatte oder Mitarbeiter, die ihn in wichtigen Werkphasen begleitet haben wie z. B. als Drucker Karl Schulz und Hartmut Kaminski.

HH: Ihr kümmert euch also nicht nur um einen vorhandenen Grundstock, sondern sammelt auch alles, was jetzt noch dazu kommt: Biografien, Kritiken, Schriften etc.?

DD: Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte eine Sekretärin in der damaligen Kanzlei Buse die Aufgabe, alles zu sammeln, was über Dieter Roth erscheint und abzuheften. Dadurch haben wir einen annähernd vollständigen Bestand sämtlicher Einladungskarten und Ausstellungsplakate. Es sind außerdem alle monografischen Werke über Dieter Roth vorhanden. Und ich versuche ferner – aber das wird immer schwerer, je bekannter Dieter Roth wird – möglichst alles an Literatur zusammenzutragen, in der Dieter Roth vorkommt, sei es mit einer Abbildung oder in einem größeren textlichen Zusammenhang. Das fängt an bei wissenschaftlichen Arbeiten und reicht bis zu Ausstellungskatalogen, Büchern, Zeitschriften und so weiter. Das wird mir in den letzten Jahren dadurch erleichtert, dass ich mit Björn Roth, den Sohn Dieter Roths und Nachlassvertreter, vereinbart habe, dass ich mich in seinem Namen um die Bildrechte kümmere. Das heißt, wenn irgendeine Zeitschrift irgendwo auf der Welt ein Dieter-Roth-Bild veröffentlicht, verhandle ich mit denen, zu welchen Konditionen sie das Bild abdrucken dürfen. Dadurch habe ich einen ganz guten Überblick darüber, was gerade publiziert wird und über die Belegexemplare fülle ich unser Archiv und halte es dadurch auch sehr aktuell. Wir sind damit in den letzten zehn Jahren wohl zu der wichtigsten Anlaufstelle geworden, bei der man wirklich umfassend über Dieter Roth recherchieren kann. Dieses Archiv wird auch wahrgenommen und gut genutzt. Pro Jahr werden etwa zwei bis drei wissenschaftliche Arbeiten zu Dieter Roth geschrieben, die hierzu das Archiv nutzen und bei denen wir eine helfende Rolle spielen.


Dieter-Roth-Museum
HH: Lass uns jetzt über das Dieter-Roth-Museum sprechen.

DD: Das Dieter-Roth-Museum ist seit diesem Jahr ein offizielles Hamburger Privat-Museum.

HH: Wer gestattet euch, es Museum zu nennen?

DD: Es gab eine Kommission des Bezirksamtes mit Vertretern verschiedener Behörden, die uns vor kurzem eine entsprechende Bescheinigung geschickt haben. Das einzige, was sich damit verbindet ist, dass wir jetzt in den Hamburger Museumsverbund integriert sind.
Das Museum ist das ehemalige Büro und private Wohnhaus des Anwalts und Sammlers Dr. Buse in der Abteistrasse. Nachdem Dieter Roth im Juni 1998 gestorben ist, hat Dr. Buse das Haus im selben Jahr, also Ende 1998 verlassen und es ganz der Sammlung überlassen und zugänglich gemacht. Das ist insoweit auch interessant, als Dieter Roth wirklich vom ersten Tag an, als Buse dieses Haus bezogen hat, im Haus ein Zimmer hatte. Buse nutzte die oberen drei Etagen als Wohnraum und im Parterre befand sich die Anwaltskanzlei) und im Keller hatte Dieter Roth zuletzt sein Appartement und sein Atelier.




Atelier Dieter Roth

Die Kanzlei wuchs dann über mehrere Bürogebäude und Roth zog zunächst mit und war  im Haus immer präsent. Ich finde es daher beeindruckend, oder jedenfalls erwähnenswert, dass in dem Moment, in dem Roth stirbt, auch Buse das Haus verlässt.

HH: Dieter Roth hat mich noch kurz vor seinem Tod durch das Haus geführt, da wurde es als Kanzlei noch genutzt und ich fand es eindrucksvoll, wie er es mit seinen sperrigen, großen Objekten besetzt hatte: In alle Räume, ins Treppenhaus, in die Büros und Besprechungsräume war er „eingezogen“ und hatte sich damit in ein Gebäude eingenistet, das geschmackvoll, aufwendig, luxuriös und konservativ eingerichtet ist. Wenn man jetzt durch das Haus geht, verstärkt sich dieser Eindruck noch, weil die Möbel im wesentlichen in den Räumen belassen wurden und auch die ehemaligen Wohnräume so aussehen, als ob der Bewohner sie nur kurz verlassen hätte. So stehen und liegen überall Bücher und Gegenstände aus der Privatsphäre des Sammlers herum, die nun ebenfalls Teil des Museums sind. Ich fand, es hatte etwas sehr Amerikanisches, wo in großen Luxusvillen der Matisse über dem Kamin, die Picassos im Flur und der Modigliano im Schlafzimmer hängen. Aber die Kombination von komplexer und schwieriger (auch teilweise durch den Geruch aufdringlicher) Kunst mit der Privatsphäre von Arbeits- und Wohnraum ist schon außergewöhnlich.




Tischobjekte, Dieter-Roth-Museum

DD: Das wurde eine Zeit lang noch absurder auf die Spitze getrieben, als ich die ersten drei Jahre meine Führungen durch das Haus gemacht habe, während die Anwälte da noch arbeiteten. Die saßen in den gestylten, coolen Büros, mit den sperrigen Arbeiten Dieter Roths an den Wänden und die Anwälte waren physisch mit dabei, das heißt die Führungen gingen durch ihre Büros, man klopfte an die Tür, fragte, ob man stört oder nicht und stand dann mit sechs oder sieben Leuten vor dem Anwalt und erzählte über dessen Kopf hinweg etwas über die Werke, die an seinen Wänden hingen.
Es gab zwischenzeitlich verschiedene Pläne, ein großes Dieter-Roth-Museum zu errichten. Das hat sich aus verschiedenen Gründen letztlich zerschlagen. Und der Sammler hat sich bewusst dafür entschieden, dass das, was man später Dieter-Roth-Museum nennen würde, das Haus sein sollte, dessen Sammlung mit Dieter Roth tatsächlich gewachsen ist, in dem er seine Arbeiten gehängt und installiert hat. Das ging teilweise soweit, dass Roth Sideboards für die Büros entworfen hat, die eine bestimmte Höhe nicht überschreiten durften, damit darüber genügend Platz war, um bestimmte Werke zu installieren. In allen Wohn- und Kanzleiräumen hingen ausschließlich Werke von Dieter Roth.

HH: Kann man sich denn vorstellen, dass Dieter Roth in all den Räumen auch tatsächlich gelebt hat?

DD: Das kann man so nicht sagen. Er ist natürlich schon ein Exot im Haus gewesen, aber ein integrierter Exot. Er hatte ja in den früheren Jahren sein Atelier unmittelbar in der Kanzlei und es gibt diese Anekdoten, dass Mandanten, die ins Haus kamen, Dieter Roth in weißen langen Unterhosen über den Flur huschen sahen. Er wohnte da und gehörte dazu. Das war schon ein kleiner kalkulierter Anarchismus, den der Sammler schätzte und durchaus liebte. Roth und seine Werke waren so etwas wie das Gegenmodell zu dem cleanen, perfekt gestylten und gepflegten Wohn- oder Büroensemble, das dieses erst abrundete, das war eine wichtige Konfrontation.




Bibliothek, Dieter-Roth-Museum

HH: Ja, es war schon verblüffend als bei meiner ersten Begegnung in der Kanzlei Buse mir eine Vorzimmerdame öffnete, aus dem Mantel half, „Ach, Sie wollen zu Herrn Roth, warten Sie einen Augenblick“, und dann Dieter Roth in Hauspantoffeln angeschlurft kam.

DD: Ja, genau so. Er hat dort auch seine Wäsche getrocknet. Das habe ich noch in der Zeit als wir zusammen im Souterrain gearbeitet haben so erlebt.

H H: Das muss doch für Buse nicht ganz einfach gewesen sein?

DD: Irgendwie nicht, aber er hat damit auch keine wirklichen Schwierigkeiten gehabt, das hat er akzeptieren können, und Roth hat im Haus immer eine wichtige Rolle gespielt.

HH: Wie viele der Arbeiten werden im Haus jetzt gezeigt, gibt es noch weitere Bestände, die eingelagert sind?

DD: Wir haben noch zwei voll gestopfte Lagerräume mit sehr vielen Originalen und die Druckgrafik ist zu 90 % eingelagert.

HH: Wie ist der heutige Stand des Museums?

DD: Nach dem Tod Dieter Roths wurde das Haus noch für etwa eineinhalb Jahren als Bürogebäude genutzt. Als dann die Anwälte alle ausgezogen waren und es klar war, dass das Haus leer bleiben und das Dieter-Roth-Museum werden würde, sind wir durch das Haus gegangen, um die Hängung etwas zu verdichten. Es gestaltet sich jetzt so, dass man sagen kann, die oberen beiden Etagen sind weitgehend originale Dieter-Roth-Hängung, das erste Stockwerk ist halb original, hat aber gewisse Änderungen erfahren, weil wir auch andere Bilder unterbringen mussten (was daran lag, dass Buse ursprünglich zwei nebeneinander liegende Kanzleigebäude hatte, von denen 2000 eins aufgegeben wurde und die Bilder von dort in das heutige Dieter-Roth-Museum gebracht werden mussten). Wir versuchten sie so zu hängen, dass sie weitgehend der von Dieter Roth vorgegebenen strengen Chronologie folgen: Es beginnt unterm Dach (im Penthouse) mit den Werken der fünfziger Jahre, dann kommen die sechziger und siebziger Jahre und im Parterre werden die achtziger/neunziger Jahre präsentiert.

HH: Wer ist für die Hängung verantwortlich?

DD: Das haben Björn Roth, Dr. Buse und ich immer gemeinsam gemacht. Es ist damit ein gewisser Rahmen vorgegeben (zu große Spielräume haben wir dabei nicht, wollen wir auch nicht wahrnehmen) und es bleibt eine gewisse Authentizität. Wir haben uns mit der Hängung nach der großen Renovierung im Haus, die bis Mitte 2007 ging, viel Zeit gelassen, manches mit großer Sorgfalt ausprobiert und waren uns in den meisten Fällen relativ schnell einig.

HH: Hattet Ihr die Vorstellung, an einem Gesamtkunstwerk zu arbeiten, das, wenn alles  zusammengetragen und installiert ist (Werke, Möbel, Bücher, Gebrauchsgegenstände), als vollendet nicht mehr verändert werden darf?

DD: Nein, so weit würde ich nicht gehen, es ist meines Erachtens immer legitim etwas zu ändern, wenn es einem nicht mehr gefällt. Damit würde man Dieter Roth auch nicht gerecht. Das Starre würde auch zur Kunst und zur Persönlichkeit Dieter Roths nicht passen. Und keiner von uns wäre so dogmatisch zu sagen, an diese Wand kommt kein anderes Bild, als das, was dort immer gehangen hat. Wenn ein Bild aber wirklich für eine Wand gemacht worden ist, dann bleibt es auch da. Es soll natürlich ein lebendiges Museum bleiben. Und es gibt ja noch drei weitere Gebäude, die von der Dieter Roth Foundation bespielt werden. Das eine ist das Bürogebäude auf dem ehemaligen Gelände des Schimmelmuseums, das mit Dieter Roths „Piccadilly“-Arbeiten bestückt ist, dann gibt es an der Alster die Anwaltsvilla, in der ausschließlich Druckgrafik hängt, und es gibt noch einen kleinen Neubau (Pavillonbau), in dem Arbeiten aus dem Schimmelmuseum gezeigt werden sollen.




Treppeninstallation, Dieter-Roth-Museum


HH: Wenn man das Museum besuchen will, wie ist das möglich?

DD: Ein Besuch ist nur nach Vereinbarung möglich. Anmeldungen erfolgen am einfachsten und besten über das Internet. Die Führungen organisiere ich. Man kann nur mit Führung durch das Haus gehen; das ist ein externes Angebot von mir. In dem Sinne gibt es keine Öffnungszeiten.

HH: Muss man Eintritt zahlen?

DD: Das Museum kostet keinen Eintritt, ich nehme aber ein Honorar für die Führung.

HH. Und wenn StudentInnen oder arme KünstlerInnen kommen?

DD: Für beide Gruppen, die am stärksten interessiert sind, wird dies im Einzelfall ausgehandelt. Wenn da einer drei Tage sitzt und recherchiert, dann bezahlt er mich nicht in Stunden umgerechnet für drei Tage, sondern man muss schauen, ob das überhaupt was kostet. Das hängt im Wesentlichen davon ab, ob ich sowieso im Haus bin, oder ob ich extra kommen muss. Das ist so etwas wie Aufwandsentschädigung und hängt davon ab, wie stark der Besucher mich tatsächlich fordert. In dem Moment, in dem das so ist, dass er/sie sagt, ich komme an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit, er/sie mich interviewt, mit mir zweimal durchs Haus geht und den ganzen Tag bleibt, dann muss ich auch ein Honorar verlangen, weil das meine Arbeitszeit ist. Ich werde ja nicht von der Foundation oder dem Sammler dafür bezahlt, dass ich anwesend bin. Ich müsste streng genommen von jedem bezahlt werden, der mit einem Anliegen an die Dieter Roth Foundation kommt. Das ist das Modell des Sammlers, der sagt, er hat viel Geld in die Sammlung gesteckt und bezahlt die laufenden Kosten. Er will aber nicht noch für die Vermittlung und Betreuung der Sammlung bezahlen. Das soll sich im besten Fall selbst tragen.

HH: Wird das Angebot nennenswert wahrgenommen? Ist das Museum überhaupt bekannt?

DD: Es wird als Museum in der Tat bisher leider nicht sehr stark wahrgenommen. Es gab einen starken Zulauf nach dem Art-Artikel 1998  („Das geheime Museum Dieter Roth“) da war es für eine Zeit bekannt und wurde stärker besucht, jetzt gibt es schon hin und wieder Führungen, das ist aber eher das so genannte Kunstpublikum (z.B. wenn ein Kunstverein die Organsation des Besuchs seinen Mitgliedern anbietet) und das sind in der Regel Leute, die schon eine recht genaue Idee davon haben, was sie besuchen wollen.



Das Schimmelmuseum
HH: Eine besonders spektakuläre Arbeit, das so genannte „Schimmelmuseum“ hat Dieter Roth für seinen Sammler ab 1990 – mit einer Unterbrechung von vier Jahren –  bis zu seinem Tod errichtet. Es ist weltweit als einmalig beschrieben und als Vermächtnis Dieter Roths wahrgenommen worden.
Dieter Roth besuchte mich im Herbst 1993. Er hatte eine exzellente Flasche französischen Rotweins dabei und sagte, wenn du etwas Zeit hast, komm mal mit, ich möchte dir eine neue Arbeit zeigen, und dann mit dir den Wein trinken. Er führte mich in das Schimmelmuseum, das er mit seinem Sohn und einer Gruppe junger Isländer in einem kleinen unscheinbaren Haus an der Alsterchaussee eingerichtet hatte. Es wurde zwar noch darin gearbeitet, aber es war meinem Eindruck nach im Wesentlichen schon fertig. Selten hat mich etwas so berührt, denn es war für mich die totale Umkehrung von allem, was ich bisher mit Museum und mit musealer Bewahrung verbunden hatte. Die Radikalität des Künstlers, zu fordern, die von ihm geschaffenen Gegenstände und sein Museum sollten sich selber zerstören, die darin aufgeschichteten Türme sollten zusammenbrechen und vergehen und die um das Gebäude gepflanzten schnell wachsenden, aggressiven Klettergewächse sollten das Gebäude umschlingen und bei seinem Zusammensturz zudecken, das schien mir fast unglaublich. Seitdem hat mich die Frage beschäftigt, was eine derartige Verweigerung für die Kunst und meine Einstellung zu ihr bedeuten könnte. Warum scheuen wir uns so sehr, zu akzeptieren, dass Kunstobjekte auch unwiederbringlich vergehen, sterben können?

Als Ergänzung noch eine kleine Anekdote: Ich habe Dieter Roth auch gefragt, wer das Schimmelmuseum zukünftig besuchen könne, und da hat er mir von einer dreispaltigen Liste erzählt: Die erste listet Personen auf, die jederzeit das Museum besuchen können, die zweite enthält Namen von Personen, die nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Künstlers und des Sammlers das Haus betreten dürfen, und die dritte nennt die Personen, (darunter viele prominente Ausstellungsmacher, Kunstkritiker und Künstler), denen es nicht gestattet ist, das Museum zu besuchen.

Als es dann kurze Zeit später zu dem Zerwürfnis mit dem Sammler gekommen ist und Dieter Roth die Arbeiten eingestellt und Buse den Schlüssel zurückgegeben hat, konnte ich – etwa Mitte 1997 – beobachten (mein täglicher Weg ins Büro führte mich immer am Schimmelmuseum vorbei), dass am Haus gearbeitet wurde. Der Vorgarten und die in ihm aufgestellten Objekte waren verschwunden, es wurde klinisch weiß gestrichen und ich fürchtete, es sei ausgeräumt worden. Ein halbes Jahr vor Dieter Roths Tod habe ich Silvester 1997 in Konstanz verbracht und bekam dort einen Anruf von Dieter Roth aus Basel, mit der Frage ob ich nicht rüberkommen wollte. Wir haben uns am nächsten Tag getroffen, Neujahr 1998. Dabei kam die Rede auch auf das Schimmelmuseum und ich habe ihn gefragt, was denn damit nun geschehen würde. Er sagte, er wisse es nicht, er habe keinen Kontakt zu Buse. Ich habe ihn daraufhin gefragt, ob er sich vorstellen könne, wenn das Hamburger Museum zerstört wird, es an anderem Ort neu zu installieren. Darauf antwortete er, nein, dazu sei er zu alt, zu erschöpft und ausgepowert. Das Schimmelmuseum sei sein künstlerisches Vermächtnis. Auf meine Frage, ob er sich nicht denken könne, dass Buse auf seinen Anruf warte, erwiderte er lediglich: Meinst Du wirklich?

Ich bin dann nach Hamburg zurückgefahren und war überrascht von ihm Mitte Januar 1998 einen Anruf zu bekommen, in dem er mir mitteilte, er hätte Kontakt mit Buse aufgenommen, das Schimmelmuseum solle nun zukünftig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, aus ihm entfernte Bilder seien bereits wieder zurückgebracht worden, und sie hätten sehr schnell einen fähigen Kunstwissenschaftler gefunden, der die Betreuung der Sammlung von Buse übernehmen könne. Das warst dann du.

DD: Diese Geschichte war mir bisher nicht bekannt. Was du geschildert hast, ist eine der Versionen der Dieter Rothschen Darstellungen des Schimmelmuseums. Um zu verstehen, was geschehen ist, muss ich weiter zurück gehen. Buse und Dieter Roth haben Anfang der achtziger Jahre damit angefangen, die Sammlung zu vervollständigen. Dieter Roth hat Listen seiner wichtigen Werke aufgestellt, die noch in der Sammlung fehlten, und hat Buse entsprechende Ankaufsempfehlungen gegeben. Durch die dann erfolgten Ergänzungen wurde eine der bisher privaten, und den Neigungen Dr. Buses folgende, Musealisierung der Sammlung erreicht.
Ganz sicher ist, dass Dieter Roth persönlich wünschte (und das ist auch aus meiner Sicht unbestritten so), dass die Zeit Ende der sechziger Jahre, also die Arbeiten unter Verwendung vergänglicher Materialien, einen großen Raum in der Sammlung einnehmen sollten. Buse hat einige zentrale Arbeiten zurückkaufen können, z. B. aus Roths Zeit seiner Lehrtätigkeit in Providence, sowie frühe Objekte und Multiples, die damals entstanden sind. Aber es gab eine große Zahl von Arbeiten aus der Zeit, die nicht mehr auf dem Markt waren, z. B. das große „Gewürzquadrat“, das damals in der Ausstellung im Kunstverein Hamburg 1974 gezeigt worden war, oder die Zuckerlandschaft, die in der Sammlung Lauffs in Krefeld ist, also Objekte in Privat- oder Museumsbesitz. Damals muss Dieter Roth die Entscheidung getroffen haben, die wichtigen Arbeiten aus dieser Zeit, die nicht zurückgekauft werden konnten, in ähnlicher Weise noch einmal auszuführen. Das ist der Hintergrund der Arbeiten, die für das Schimmelmuseum entstanden sind. Dieter Roth hat diese Schlüsselwerke nicht kopiert, es sind keine Repliken, sondern er hat sie ähnlich noch einmal ausgeführt. Aus dem „Gewürzquadrat“ wurde das „Gewürzkubikel“, aus dem damaligen Quadrat wurde dabei ein Rechteck, die Zuckerlandschaft wurde nunmehr auf eine Tischkonstruktion aufgestockt und die Schokoladentürme wurden in neuer Form höher und umfangreicher installiert. Jede dieser Arbeiten wurde einzeln signiert. Das ist Dieter Roth immer wichtig gewesen, dass die Einzelwerke auch mobil sind. Diese „Mobilität“ ist ein zentraler Gedanke, der sich durch sein ganzes Werk zieht, so wie die zersägten Bilder oder die Kofferobjekte (zerteilte Schreibunterlagen, die so geschnitten sind, dass sie in einen Koffer passen).

Als Roth das alte Haus sah, das an der Stelle stand, an der Buse das Dieter Roth Museum bauen wollte, fand er das Gebäude mit seiner schimmeligen Hülle ideal für genau diese Werkphase der Arbeiten, die zwischen 1965 und 1971 entstanden ist. Es ist sein persönlicher Rückgriff auf diese Zeit, geknüpft an die Intention, sie museal erlebbar zu machen und in einer neu gefassten Form zu präsentieren. Und er hatte freie Hand: Buse ließ ihn in diesem Haus inszenieren, wie er es wollte und so konnte diese intensive und einmalige Installation entstehen...

HH: ... die man noch heute nur noch im Internet betrachten kann!

DD: Ja, wir haben sie zum Glück gut dokumentiert, in Großformaten, aber auch in so genannten Panoramen, so dass man auf unserer Website noch eine virtuelle Tour durch das Schimmelmuseum machen kann, um so wenigstens einen gewissen Eindruck davon zu bekommen.

Aber der Reihe nach: Der erste Bruch, der dir seinerzeit aufgefallen ist, als du bemerkt hattest, dass vom Schimmelmuseum die Pflanzen entfernt worden sind, hing keineswegs mit dem Sammler zusammen, geschweige denn mit Dieter Roth. Der war zu dieser Zeit nicht in Hamburg, weil der Kontakt zwischen ihm und Buse unterbrochen war. Vielmehr erfolgten Veränderungen auf Grund einer Intervention des Bezirksamtes, dass eine Beschwerde an Buse geschickt hatte, weil das Haus verwahrlost aussehe. Es hieß, die Nachbarn hätten sich beschwert, weil der Vorgarten voll Gerümpel sei und Pflanzen wild über die Fassade wüchsen. Die Behörde verwies auf die so genannte „Außenalsterverordnung“, die genau vorschreibt, wie die Fassaden in diesem Bereich auszusehen haben, wie hoch die Hecken sein dürfen etc. Für das vornehme Pöseldorf war es nicht erträglich, ein Haus einfach verfallen zu lassen. Buse hat sich daraufhin entschlossen, die Pflanzen zu entfernen, den Vorgarten säubern zu lassen und die Objekte (sie bestanden aus Material, das in der Umbauphase gewonnen war), die Dieter Roth dort aufgestellt hatte, zu beseitigen. An Stelle des mit Unkraut zugewachsenen Vorgartens wurde ein helles Kiesbeet angelegt und die Fassade weiß gestrichen. Damit war es wieder ein sauberes weißes Häuschen mit einem gepflegten Kiesvorgarten.

Dieter Roth hat mir in der Zeit der Funkstille zwischen Buse und Roth, als wir wegen meiner Arbeit an der Dissertation intensive Kontakte hatten, von dieser Entwicklung erzählt. Er befürchtete, Buse würde in seiner Abwesenheit beginnen, das Haus zu „verschönern“. Aber man muss fairer Weise sagen, dass Buse lediglich auf die Intervention der Stadt reagiert hat. Er wollte keine Diskussion dahingehend, das rottige Gebäude als Kunstwerk definieren zu müssen. Er hat es innen so gelassen wie es war, da ist nichts verändert worden. Als Dieter Roth im Januar 1998 wieder nach Hamburg kam, teilte er mir seinen Plan mit, ich sollte Führungen machen – sowohl durch die Villa als auch durch das Schimmelmuseum. Das habe ich dann auch getan und es immer als einen ganz besonderen Ort wahrgenommen, wobei ich das Ganze eher als eine temporäre Installation begriffen habe. Dieter Roth hat mir gegenüber auch – anders als du es eben beschrieben hast – nie betont, dass es ein besonderes, museales Werk sei. Er war, im Gegenteil, immer vorsichtig und betonte, das Wort „Schimmelmuseum“ käme nicht von ihm und er wüsste auch nicht, ob dies ein guter Name sei. Und sicherlich sei das Wort „Museum“ nicht von ihm gekommen. Auch Buse hat immer den temporären Charakter der Installation betont: „Wir gucken mal, wie lange wir das halten können“. Für später war das große Museum geplant...

Auf jeder Führung durch das Schimmelmuseum habe ich zum Abschluss betont: Genießen Sie es, freuen Sie sich daran, atmen Sie noch einmal tief diesen klebrigen Geruch ein, denn es kann sein, dass es in einem Jahr oder schon in einem halben nicht mehr existiert. Dafür bestand es dann doch relativ lange, was damit zusammenhing, dass Dieter Roth 1998 starb und dadurch bestimmte Planungen nicht mehr realisiert werden konnten. Kurz vor seinem plötzlichen Tod gab es ein Treffen zwischen Dieter Roth, Björn Roth, Dr. Buse und mir, in dem Dieter Roth ganz klar gesagt hatte, er sei unter großen Mühen und Anstrengungen bereit, das Schimmelmuseum in das neue Museum umziehen zu lassen und ein letztes Mal neu zu installieren. Diese Zusage war für den Sammler ganz wichtig – sie ist auch bei uns aktenkundig geworden – weil das eine Zusage war, die es ihm überhaupt ermöglicht hat, weiterzumachen. Björn Roth hat dann nach dem Tod seines Vaters den Abriss nicht gestoppt, weil ja abgemacht war, dass man irgendwann das Schimmelmuseum abreißen und woanders neu installieren würde. Als dann aber nach dem Tod Dieter Roths das Museum öffentlich wurde, bekam es eine merkwürdige Art von Unantastbarkeit und wurde erst richtig „museal“. Die Erörterung eines möglichen Abrisses wurde tabuisiert. Das hat es für alle Beteiligten so schwierig gemacht, eine gute Lösung zu finde. Fünf Jahre lang passierte dann erst einmal gar nichts. Erst in der Phase als ein Großteil der Werke für die Retrospektiv-Ausstellung verliehen war, hat Buse entschieden, es abzureißen und den Neubau zu beginnen. Und nachdem alle Werke herausgenommen waren und sogar gewisse Wandstücke und Wandbilder vom Restaurator gesichert waren, ist das Gebäude beseitigt worden.
   
HH: Damals hat eine Initiative, die im wesentlichen aus Cornelia Sollfrank, Nana Petzet und mir bestand, eine Kampagne gestartet, um den Abriss des Schimmelmuseums zu verhindern, bzw. eine Diskussion hierüber einzuleiten und den Vorgang öffentlich zu machen. Es ist uns auch gelungen, die Unesco (ICOMOS) zu interessieren, die das Schimmelmuseum in die Liste der besonders gefährdeten Objekte von hohem kulturellen Wert aufgenommen hat. [1]
   
Obwohl wir großen Wirbel in den Medien ausgelöst haben, konnten wir leider keinen Einfluss mehr nehmen auf die Entscheidung, dieses einmalige Kunstwerk zu vernichten. Was passiert denn nun mit den gesicherten Einzelobjekten aus dem Schimmelmuseum?

DD: Wichtige Einzelwerke sind in die Villa überführt und in die jeweiligen Werkzusammenhänge des Museums integriert worden.




Schokoladenköpfe, Dieter-Roth-Museum

Vier größere Objekte kann man in ihrer derzeitigen Form nicht in der Villa zeigen, u. a. den hohen Schokoladenturm, der konzeptuell so angelegt ist, dass er unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht und sich selbst zerstört und sich auch nur dort aufbauen lässt, wo er auch wirklich zerbrechen kann sowie Objekte, die stark schimmeln, wie die Obstfenster (das waren 2 Meter hohe Glasrahmenkonstruktionen mit verfaulendem Obst) oder kleinere Schimmelfenster. Diese sollen in einem Raum im Neubau gezeigt werden. Das Gerüst für den Schokoladenturm (er muss noch mit den Schokoladenköpfen gefüllt werden) ist bereits installiert und die Obstfenster, die Schimmelfenster und die Schokoladenküche sind schon wieder aufgebaut, aber noch nicht in der Form, dass man sagen könnte, dass sie fertig inszeniert wären. Es ist derzeit noch eine Situation zwischen Lager und musealer Präsentation.

Alle Fotos: Herbert Hossmann, © Dieter Roth Foundation

[1] Warum habe ich mich an der Initiative beteiligt, für wen haben wir
uns engagiert, gegen wen haben wir agitiert?

Zunächst einmal: Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass das Schimmelmuseum die zentrale Arbeit Dieter Roths war, da sie all seine Ideen und künstlerischen Vorstellungen – auch seine Verachtung gegenüber Kritikern, Kunstmanagern und Sammlern, gegenüber dem Genialen und Musealen – auf den Punkt gebracht hat. Allein schon deswegen was das Schimmelmuseum einzigartig.

Daher kann es mich nicht interessieren, ob Dr. Buse das Museum abreißen durfte, ob Dieter Roth oder seine Erben von einem temporären oder einem dauerhaften Verbleib ausgehen konnten oder nicht. Dass es zerstört worden ist und dass die Einzigartigkeit und künstlerische Bedeutung des Schimmelmuseums (jedenfalls in Hamburg) nicht erkannt worden ist, das ist der eigentliche kunst- und kulturpolitische Skandal. Kein Verantwortungsträger (und damit meine ich diejenigen, die die Entwicklung von Kunst und Kultur in der Stadt maßgeblich bestimmen) hat sich ernsthaft mit dem Problem befasst bzw. befassen wollen. Es wurde bewusst versäumt, Lösungsmöglichkeiten zu finden und auf den Sammler zu zugehen.

Da sich in Hamburg keiner den Schuh anziehen wollte, haben wir mit ICOMOS das Problem vom regionalen in den internationalen Kontext gehoben, um auf diese Weise den Druck auf die Stadt zu verstärken. Auch diese Intervention wurde in Hamburg vom Tisch gewischt. Bestes Beispiel hierfür ist die Kunstzeitschrift ART, die zwar über die ICOMOS-Konferenz in Berlin ausführlich berichtete, aber das im ICOMOS-Katalog gefährdeter Kulturgüter vorgestellte Schimmelmuseum schlichtweg verschwieg.

Als schließlich der Abrissbagger mit dem Zerstörungswerk begann, war klar, dass wir nur noch die Kunstöffentlichkeit informieren konnten. Das ist uns über unsere Presseerklärung gelungen, die über die dpa versendet wurde: hunderte von Zeitungen weltweit haben das Ereignis gemeldet. Und Hamburg wurde – leider – einmal mehr als kunstfeindliche Stadt wahrgenommen. Dann flossen Krokodilstränen; doch zu einer Diskussion ist es auch dann nicht gekommen.

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Weitere Beiträge auf THE THING zum Schimmelmuseum:

"Wenn die Katze fort ist, tanzen die Mäuse"
Im Winter 2004 wurde eines der wichtigsten Werke von Dieter Roth in Hamburg zerstört: Das Schimmelmuseum an der Alsterchaussee.
Vom 28. Januar bis zum 19. Februar 2004 beobachtete Nana Petzet mit einer Gruppe von Freunden den Abriss.


"The Schimmel Files"
Materialien, die die Arbeit der Initiative zur Rettung des Schimmelmuseums sowie das Interesse der Medien und Denkmalschützer am Abriss des Schimmelmuseums dokumentieren

Kommentar [1]
tran schrieb am 24.10.2008 12:22

der text hat spass gemacht. verrück ist die geschichte mit dem flachen abfall. gerne hätte ich noch mehr erfahren über die auseinandersetzungen von dieter roth und uwe m. schneede bei der ausstellung im kunstverein.

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