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29. Februar 2008

Bremen Übersee-Museum: „All about Evil“

von Wiebke Johannsen
Reisegedanken
Das Böse, das ist das Schwarze, das Glänzende, das Tiefe und Rätselhafte. Das ist das Fremde, das Mächtige und das Eisige. Das Heiße aber auch. Einst war es so: böse ist der Wolf und die Stiefmutter. Der Hund nicht und nicht die Mutter. Obwohl sie manchmal sagt: Jetzt werde ich aber böse. Böse sind die Schurken. Vor allem aber der Teufel mit seinen vielen Namen und Mitarbeiter-Innen (zu denen Dämonen und Hexen gehören). Überhaupt wächst das Böse mit uns und wird auch freier und frecher, als Gegensatz zu „brav“ verspricht es Mädchen Freiheit. Böse Mädchen kommen überall hin. Die lachen über: „Böse Menschen kennen keine Lieder“. Die wissen, dass Magda Goebbels ihren Kindern viel vorsang. Überall und immer ist es. Aber hat das Böse, sachlicher: das Schlechte ein Geschlecht? Einer der zahlreichen Hinweise der Ausstellungstitel, der lachen macht, weil er mehr bietet als den Wortwitz „Eve“ und „Evil“ und das schwarz-weiße Bild von Bette Davis, der bösen Diva, die nicht altern mag, aufscheinen lässt. War es nicht die erste Menschin, die Unglück und Ungemach über die Juden und Christen und eigentlich alle anderen auch brachte?
Eine beliebte Vorstellung ist die der zum Bösen besonders begabten Frau, als Kriegerin bei den Marines, als SS-Stiefelträgerin und überhaupt als Terroristin. Besonders radikal seien sie immer. Und überall auch, schließlich sind es Männergesellschaften, besonders leistungsorientiert und aufstiegsorientiert bzw. opferwillig (auch wenn es um Aufstieg in den Himmel geht.)?
Aber halt, so geht das nicht, das Denken über das Böse! Da muss doch erst einmal geklärt werden, was es ist. Vorrangig vor dem Unterschied der Geschlechter: es gibt das Übel, das Leid. Und das menschengemachte Böse. Vielleicht eine Schnittstelle zwischen Schicksal und Geschichte.
Letzteres ist größer, doch nicht erhaben wie eine Flutwelle oder eine Feuerwand. „Banal“ nannte es Hannah Arendt bei der Beschreibung eines Täters. Können Taten böse sein, die Täter banal?
Derlei Gedanken kommen mir auf der Fahrt von Hamburg nach Bremen.
Bremen, Überseemuseum – „Völker, Handel und Natur“ So der hauseigene Untertitel des Museums, das vis-a-vis des Hauptbahnhofs 1896 eröffnet wurde. Der damalige Anspruch, in repräsentativer, historischer Architektur, mit Lichthöfen und Galerien „die Welt unter einem Dach“ darzustellen. Heute mit den Schausammlungen Ozeanien, Asien, Afrika, Amerika aber auch Evolution, Lebensgemeinschaft Wald und Hafenstadt Bremen.
Starrende, gelbe Augen, schwarze Pupillenschlitze auf rot-schwarzem Grund: das Bildmotiv der Ausstellung appelliert an Kinderkellerängste, an B-Movie-Werwolffreunde, doch irgendwie auch an alle. Einem 80er Jahre Comic scheint aber die Ausstellungs-Typographie zu entstammen, rot-schwarz und tropfende Lettern und andre Scherzchen, kitschig. Die Themenbereiche: Das Böse in den Weltreligionen, Höllen und Unterwelten, Teufel und Dämonen, Bestien, Verführer, Hexen, Das Böse im Kinderzimmer, Das Böse im Film, Schutz durch Spezialisten, Schutz gegen das Böse, Flirt mit dem Bösen, Dämonisierung – und dann endet der Rundgang wieder beim Anfang, beim Bösen in der Religion. Wohlgemerkt: bei den Vorstellungen vom Bösen in den Religionen, wir befinden uns in einem ethnologischen Museum, nicht beim Bösen in den Religionen oder religiös motivierter Untaten.
Dennoch gehört der Auftakt zum Interessantesten und Strukturiertesten der an Objekten proppenvollen Ausstellung. (Übrigens eine Übernahme aus dem Tropenmuseum Amsterdam, erweitert vom Überseemuseum Bremen.) Unterschiedliche Konzepte und Erklärungsmuster des Bösen gäbe es, Konflikte resultieren auch daraus, das Böse sei in uns selbst (so die Ausstellungstexte). Die sind recht schlicht. In Vitrinen dazu Gestalten der Religionen, für den Hinduismus und den Buddhismus, die keinen Ursprung des Bösen kennen, das Böse vielmehr zeitlos aufgenommen und befriedet haben im Gegensatzpaar mit dem Guten und den Generationenvertrag in der Form des Karmas erfanden, der Dämonenkönig Rawana aus Thailand, eine Schattenspielfigur, Rama, der ihn tötet. Die vierarmige, Zunge rausstreckende Kali, aus Nepal Yama und Yamatanka, zornig und mit Rinderköpfen, aus Tibet Hayagriva mit dem Pferdekopf.
Und viele andere mehr. Daneben die Geschichten und Gestalten der Juden und Christen: Das Böse als das gefallene und gewesene Gute, Michael kämpft gegen Lucifer. Und der Sündenfall im Garten Eden. Gott ist gut, aber Ungehorsam ist nicht gut. Und weit interessanter als der, ist der Kampf zwischen Gut und Böse. Großartig (und einzeln) kämpfen z.B. Georg und Michael gegen Drachen, Schlangen, Heidentum etc. pp. Wobei die Schlange nicht von Anfang an böse war. Vergeblich sucht die Besucherin nach der Rückbindung an Gesellschaft und Gender.
Doch Schau- und Sensationslust werden befriedigt, z.B. durch heutige Plakate von evangelikalen Missionen aus Nigeria, die im Comicform den Vorzug des Christentums gegenüber indigenen Religionen erklären. Da gewinnt ein weißer, muskulöser Christ(us) gegen den dunklen, gehörnten und beschwänzten Teufel im Boxring, Titel: Kinnhaken für Satan. Auf dem christlichen Boxhandschuh lesen wir „2000 Kg“. Beeindruckend das Gewand eines Hexenjägers aus Kamerun, 20. Jahrhundert, einer blauer Leinenfaltenwurf mit angenähten Kauri- und anderen Muscheln. Zwei Masken übereinander.
Auf der anderen Seite der luftschlangenbehängte bolivianische Gott „El Tio“, lehmgeformt, mit einer Zigarette im Pappmachée-Kopf, um die Gestalt, die ohne Beschriftung eine Installation wäre, vielleicht verwiese auf ein städtisches Obdachlosenmilieu, Opfergaben wie Schnaps und Zigaretten.
Zugleich eine Einstimmung in die „Räuberhöhlen-Anmutung“ der großen Völkerkundemuseen der Kolonialstaaten und Städte. Ein Bruch allerdings die portierartig aufgestellte schauspielergroße Figur von Darth Vader aus „Star Wars“, ein gefallener Guter auch er, wie der Text erläutert.
Mich beschleicht bei derlei Vergleichen immer so ein Zapp-Gefühl, in alle Erdteile mal reinglotzen, wenig verstehen und davon viel vergessen, es bleibt der Eindruck „schön bunt“ und „wie exotisch aber auch!“. Sicher geht das der Weitgereisten und der Religionswissenschaftlerin anders.
In die „Höllen und Unterwelten“ geht’s durch einen Schlund, echte Geisterbahn-Optik. Dem Bösen wird ins Auge geblickt. Die Geschichten aus Norddeutschland, präsentiert im PC zum Anwählen, sind nicht fremder als die islamische Hölle (Iran, 15. Jahrhundert), wo zur Strafe das eigene Fleisch gegessen wird. Überall im Norden hinterließ der Teufel Hufeisen, Steine und andere Spuren. Schade: mit dem Teufelsmoor hat ER gar nichts zu tun, Teufelsmoor bedeutet taubes, also unfruchtbares Land. Eine endgültige Trockenlegung dieser Sehnsuchts- Landschaft. In vielen Kulturen streunen und kläffen Höllenhunde. Weiß man, warum? Weder die Hunde noch die Schildchen verraten es. Auch die Teufel und Dämonen nicht, die von mir ungezählten im nächsten Kabinett. Da denke ich: in der Hölle gibt es sicher auch keine Antworten.
Richtig ärgerlich finde ich den anschließenden Gang mit Gittern rechts und links, hinter denen ausgestopfte Tiere (aber auch Dämonen) posieren. Das Böse gerät richtig aus dem Blick. Tiere können schließlich nicht „böse“ sein. Als Text entweder der Name des Tiers (ach, ein Eichhörnchen!) oder die Info, dass ein Hasen-Treffen in Wirklichkeit ein Hexen-Treffen sei.
Zugleich beruhigend und die Schaulust befriedigend ein ovaler Schwarzer Kasten, den die Besucherin umrundet und hineinblickt in die Macht der Verführung. Richtig schön, hier keine blöden Texte zu lesen. Wahrscheinlich auch der einzige humorvolle Part der Schau, die vermutlich von ca. 20 Leuten konzipiert wurde. Wilhelm Buschs (nicht) verführter Antonius, eine Quietsche-Ente mit roten Hörnern, das Panoptikum funktioniert. An der Wand drum herum darf natürlich Gustav Gründgens als großer Verführer nicht fehlen und die Information, dass Mephisto attraktiver geworden sei. Für mich neu die Tatsache und die Bilder von Meerjungfrauen mehrerer Kulturen – böse sind sie. Und gehen aufs Ganze, der javanischen Nyi Blorong etwa muss mann ganz dienen. Warum Meer, warum Frau? Bei diesen Geschichten mag eine ja noch sinnend am Pool oder am Strand sitzen und Undinen-Träume träumen. Wo es aber, wie im nächsten Kapitel um den vieltausendfachen Mord an „Hexen“ geht, wird das Nichtfragen oder Nichtwissenwollen kriminell. Text-Kostprobe: „Bibi Blocksberg, moderne Großstadthexe oder Karnevalsgestalt – Hexen sind in Europa wieder in und auch nicht mehr sonderlich böse. Vor einigen Jahrhunderten war dies anders: Die Hexenverfolgungen kosteten im Mittelalter und der frühen Neuzeit unzähligen Menschen, meist Frauen, das Leben. (...)“ (Ausstellungskatalog).
Dazu gibt’s dann u.A. eine Pappmachée-Hexe aus Mexiko, um 1985 und der Holzschnitt von Hans Baldung Grien (1510), der bei keiner Hexen-Darstellung fehlt. Da wird es dann etwas spezieller - und unfreiwillig komisch: „Zeitweise entwickelte sich eine regelrechte Hexenhysterie. Dieser Wahn schien vor allem in Zeiten von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen und Umbrüchen auszubrechen. Diese Hexenjagden sind in Europa vorerst Geschichte, aber die Vorurteile bestehen noch immer.“ Heute gibt es noch Vorurteile gegen Hexen und ein „Wahn“ eine „Hysterie“ (sic) kann offenbar (wieder) „ausbrechen“.
Die Besucherin muss dann noch hindurch durch vollgestopfte Kinderzimmer, kann (stumme!) Filmszenen betrachten und steht dann wieder vor Vitrinen mit Hilfsmitteln (an der Museumskasse sind übrigens auch welche zu haben) und wundert sich. Sie wundert sich, wovor die hübschen Bastelarbeiten der diversen Kulturen schützen sollen. Vor Hexen, vor Hexenverfolgung, vor Zahnweh oder Unwetter? Der Böse Blick wird natürlich auch abgehakt. Und Werbung inkl. Naschwerk in Satansform. Und erstaunlicherweise auch „Gothic“ – hat man es mit Satanismus verwechselt? Am Ende im kleinen Kapitel „Dämonisierungen“ noch etwas ärgerliches, das bezeichnet ist für diese Ausstellung: Antisemitische und andere rassistische Karikaturen, kommentarlos, jedoch mit Herkunftsnachweis als schöne bunte Bilderwelt.
Überfressen und hungrig zugleich lässt sich die Besucherin dann im Museumscafé nieder.
Märchenhaft gesagt: das Mädchen hatte gefragt, was denn nun das Böse sei und wird von oben von verkleideten Groszen Leuten mit Kübeln voller Monstren-Mumien-Mutationen begossen, bis es nicht mehr fragt.
Modern wollte man wohl auch sein - empfiehlt man doch das „flirten“ mit dem Bösen. Ratlos aber bleibt die Besucherin, die dieses nicht vorhatte, sondern sich für das Böse selbst, die Frage des Menschen-gemachten Bösen, die Frage, warum Menschen Böses tun, interessierte, nicht bloß für die Ausdrucks- und Deutungsmuster des „Bösen“.
Bremer Überseemuseum 17.11.2007 bis 18.5.2008

www.uebersee-museum.de

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