Schimmel und Erde
Süddeutsche Zeitung, von G.K.
"Im A meisenhaufen wimmelt es./ Der A ff isst nur Verschimmeltes!" – heißt es bei Wilhelm Busch. Bei Dieter Roth ist es eher umgekehrt: Bei ihm fressen die Ameisen das Verschimmelte weg; ein Affe ist aber noch ncith gesichtet worden im »Schimmelmuseum« in Hamburg, obwohl es durchaus denkbar wäre, dass einige der Skulpturen aus Schokolade, die dort dem kariösen Zahn der Zeit ausgeliefert waren, die Form von Affen hatten. Schließlich hat Roth andere Tiere – Hasen zum Beispiel – dutzendweise aus Schokolade gegossen; und auch den eigenen kahlen Schädel hat er immer wieder aus verderblichen Materialien nachgeformt und dann dem Verfall preisgegeben. Das plastische Selbstporträt aus Vogelfutter, das er den Vögeln im Garten zum Fraß vorsetzte, war wohl das stärkste Stück Selbstdemontage von eigener Hand.
Dieter Roth hat die Vergänglichkeit als ästhetisches Element in der Kunst des 20.Jahrhunderts eingeführt. Viele seiner Installationen sind aus hinfällligen Materialien zusammengefügt, die mutieren träge in Richtungen, die niemand vorherbestimmen kann, befleißigen sich einer Kinetik von unerträglicher Langsamkeit, wechseln aus dem festen Zustand in fließende, wuchernde, kriechende, flatternde Existenzformenhinüber und nehmen unsanft von allen fünf Sinnen Besitz.
Nirgendwo hat Roth dem Verfall konsquenter aufgelauert als in dem heruntergekommenen Remisengebäude an der Alsterchaussee in Hamburg, in dem er in den Achzigern zentnerweise Käse, Schokolade und andere organische Mutanten auf Regale gepackt und ihrem natürlichen Schicksal überlassen hat. Das vitale Biotop sollte sich mitsamt seinem Gehäuse irgendwann selber aufzehren, doch dazu wird es nun nciht mehr kommen, denn gestern ist das Haus der strengen Düfte, das die Dieter Roth Foundation als Dependance des eigenen Museums betreut hat, abgerissen worden – nachdem sein transprtabler Inhalt betulich zerlegt und verpackt worden ist.
Was immer der Grund was für diesen drastischen Eingriff der praktischen oder ökonomischen Vernunft in diese provozierend unvernünftige biologische Versuchsanordnung – ICOMOS, das Beratergremium der UNESCO in Sachen Denkmalschutz, hatte recht, als es die Weltöffentlichkeit auf den drohenden Verlust des »Schimmelmuseums« aufmerksam machte: Kein Kunstwerk des 20.Jahrhunderts hat de Vergänglichkeit so elementar gehuldigt wie diese monströse Installation, die nun doch nicht vergehen darf.