Ewiger Pilz
Frankfurter Rundschau, 04.02.2004, von Frank Keil
Die Abrissbirne ist noch nicht positioniert, als der Student (mit Hut) fragt, ob er sich noch mal umschauen kann. Die Handwerker sind nett, lassen ihn rein; beschäftigt mit einem der vielleicht seltsamsten Aufträge ihrer Handwerkerkarriere: das in Sichtweite der Hamburger Alster gelegene Schimmelmuseum des Dieter Roth abzureißen. Ein Museum, eingerichtet von Roth persönlich, der mal geknurrt haben soll: Klasse, wenn so ein Museum einstürzt (so ungefähr). Im Häuschen eines befreundeten Sammlers schuf er ein Antimuseum voller verderblicher Exponate, das nun nicht einstürzt, sondern schnöde ausgeräumt wurde. Einiges steht verpackt in Kisten, statt den sonst so um Bestand und Besitz besorgten Kunstfreunden eine Nase zu drehen, während die Handwerker beginnen, "diese Bilder oder was das sein sollen..." aus den Wänden zu flexen.
Das Schimmelmuseum war schon immer ein mysteriöser Ort. Nicht nur wegen des Schimmels. Nur gelegentlich und nur nach einem längeren Prozedere durfte man es besuchen. Man schien nicht allzu interessiert an kunstinteressierter Öffentlichkeit. Wo doch Roth zu Lebzeiten so mitteilsam war und überall Kunst verteilte und liegen ließ, unterwegs zu seinen verstreuten Ateliers, zu denen zeitweise auch das Hamburger Schimmelmuseum gehörte.
Damit jedenfalls ist es nun vorbei und der so an Dieter Roths Schimmelmuseum interessierte Student fragt sich, warum niemand sich für dessen Erhalt eingesetzt hat. Wen fragen? Den Sammler jedenfalls nicht, der so reich sein soll, dass er nicht mal mehr zu telefonieren braucht, wie man sich in Kunststudentenkreisen erzählt. Die Nachbarn sollen sich beschwert haben. Wegen des Schimmels. Und dem hat man so einfach nachgegeben?
Wozu dem Studenten wiederum Ursula Bode aus dem Bazon-Brock-Bilderstreit-Team einfällt, wie sie mal erzählte, wie sie als junges Mädchen in Köln oder Bonn oder vielleicht auch Düsseldorf (das erinnert er jetzt nicht mehr so genau) eine frühe Dieter-Roth-Ausstellung besuchte, untergebracht in einer Galerie mitten in einem Wohnhaus, bestehend aus großen Käselaiben, die - es war ein sehr, sehr heißer Sommer - zu leben und noch mehr zu riechen begannen, bis bald darauf die Polizei kam. Dazu hatte sie den schönen Satz gesagt: "Wir waren ja noch so jung; man konnte uns ja noch so schnell verschrecken." Für manchen gilt das bis ins hohe Alter.
Der Student schüttelt derweil den Kopf. Schon komisch, dass jetzt, wo er endlich im Schimmelmuseum steht, dieses keines mehr ist. Und er fotografiert mit seiner Kamera mit Blitzlicht einen bräunlich-faserigen Haufen: Zweifelsfrei Schokolade, wie man riecht, während der eine Handwerker fast zärtlich mit der Hand über die Kiste mit der Aufschrift "Fenster mit Blumenkasten" streicht, dazu sagt: "Das ist mir nicht in die Wiege gelegt worden, dass das Kunst ist." Sich umdreht, die Treppe hinauf geht, um zu schauen, was noch zu zerlegen ist, für immer und ewig.