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5. Juni 2008

»Es muss mehrere Perspektiven geben«

Die Gruppe »Feld für Kunst« nimmt die Eröffnung des »Maritimen Museums« zum Anlass für ihr diesjähriges Programm »Wo der Krieg wohnt«. Eine Reihe von Vorträgen, Performances und Interventionen setzt sich mit dem Krieg, speziell dem Krieg auf den Meeren auseinander. Im Gespräch mit Jörn Müller erzählt Karin Missy Paule vom »Feld für Kunst« über die kulturpolitisch motivierte Kritik am Tamm-Museum, über die Arbeit vom »Feld für Kunst« und über den Gegenwind, der der Gruppe schon vor Auftakt ihrer diesjährigen Veranstaltungen entgegenwehte.

Jörn Müller:
Wo der Krieg wohnt wird konzipiert und organisiert vom Feld für Kunst. Karin, könntest Du kurz etwas zu Eurer Gruppe erzählen?

Karin Missy Paule: Feld für Kunst hat sich 2004 gegründet, um temporär in leer stehenden Räumen Künstlern die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeiten zu zeigen - gekoppelt mit anderen Veranstaltungen wie Vorträgen, Performances und so weiter. Inzwischen hat sich die Struktur des Vereins ein wenig geändert. Seit letztem Jahr suchen wir weniger Orte, die wir für eine Zeit belegen, um dort Ausstellungen zu machen, sondern entwickeln eher Konzepte, für die wir dann die passende Präsentationsform suchen. Letztes Jahr hat Markus Dorfmüller mit anderen Künstlern - die nicht zum Feld gehören - eine Plakat-Aktion mit dem Titel Holy Damn it gemacht, die Feld für Kunst unterstützt hat. Dieses Jahr werden wir viel Kunst im öffentlichen Raum machen.

Jörn Müller: Wie kommt es zu diesem Wandel von der Ausstellungsorganisation zu anderen Aktions- und Präsentationsformen?

Karin Missy Paule: Am Anfang hatte Filomeno Fusco das in die Hand genommen. Er hatte viele Ideen und sehr viel Lust, Ausstellungen zu konzipieren, so haben wir das eine Zeit lang ausprobiert. Vor zwei oder drei Jahren ist er aus dem Verein ausgetreten. Das war Anlass für eine Art Bestandsaufnahme - wir haben noch mal grundsätzlich überlegt, wie wir arbeiten wollen. Diejenigen, die jetzt im Feld aktiv sind, wollen kein Jahresprogramm mit einem festen Ort mehr machen, wollen auch nicht ständig neue Orte suchen. Außerdem denken wir, es gibt mittlerweile viele gute andere Kunstvereine, die genau das tun - an einem festen Ort Ausstellungen organisieren. Wir haben gedacht, es wäre schön, etwas flexibler zu sein, zuerst eine Idee zu entwickeln und dann zu schauen, wie die Form dafür aussieht. Das kann auch mal wieder ein Ort sein. Aber vielleicht ist es auch besser, bestehende Strukturen zu nutzen. Wenn wir einen Vortrag veranstalten, fragen wir in einem anderen Kunstverein nach - wie in diesem Jahr zum Beispiel in der Linda.

Jörn Müller: Und wie organisiert ihr euch? Wie arbeitet ihr, um zu den Themen oder Programmen zu kommen?

Karin Missy Paule: Die Themen ergeben sich aus momentanen Interessen, künstlerischer, gesellschaftlicher oder politischer Art. Das Thema in diesem Jahr entstand aus den kulturpolitischen Diskussionen der letzten Zeit. Das sind zum einen das Engagement und die Entwicklung, die bei Wir sind woanders gelaufen sind, andererseits Tamm Tamm, wo ich selbst auch mitgemacht habe, und der Kontext vom Maritimen Museum und der Sammlung von Peter Tamm. Auch die Entstehung der HafenCity gehört dazu. Wir haben festgestellt, dass außer der Tamm-Tamm-Aktion und dem Buch »Tamm-Tamm« [1] öffentlich nicht viel passiert ist. Wir bieten mit unseren Veranstaltungen, also den Performances, Interventionen und Vorträgen eine Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung. Wo der Krieg wohnt beschäftigt sich damit, wie die Gesellschaft mit Krieg umgeht. Wie wird Krieg im Alltag eingebunden und verortet? Welche Formen der Geschichtsvermittlung gibt es? Oder wie könnten sie aussehen?

Jörn Müller: In welchem Verhältnis steht Wo der Krieg wohnt zu Peter Tamm und zum Maritimen Museum?

Karin Missy Paule: Wir kennen alle die Diskussion um Peter Tamms Sammlung und die Entscheidung der Hamburger Bürgerschaft, ihm so viel Platz in dieser Stadt zu bewilligen. Er bekommt die Gelegenheit, seine Sammlung in einem städtischen Gebäude aufzubauen; es wurde eine private Stiftung gegründet mit ihm als Vorsitz. Gleichzeitig wird von der Stadt viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, als wäre es ein städtisches Museum. Diese Diskussion darüber, wie schnell er an das Geld gekommen ist, die 30 Millionen, und die Event-Kulturpolitik, die Hamburg betreibt und natürlich auch das, was wir als Off-Kunsträume oder als nichtkommerzielle Kunsträume erfahren – gekoppelt mit der Aktion Künstler informieren Politiker – waren für uns Anlässe, noch mal einen anderen Blick auf dieses Museum zu werfen – darauf, was dort inhaltlich passieren wird. Jetzt muss man schauen, was das Museum tatsächlich bietet, wie sich die Stadt zu dem Museum verhält. Uns interessiert auch, wie Geschichte dort präsentiert wird. Peter Tamm sagt ja immer ganz deutlich, dass die Objekte für sich sprechen. Wir wollen noch einen anderen Blick darauf werfen: In welchem Kontext stehen die Objekte? Was gäbe es noch dazu zu sagen? Und was wird nicht gesagt und warum?


Aufkleber an Laternenmasten: Fingierter Zeitungsartikel des »Feld für Kunst«

Jörn Müller:
Euch ist ja kürzlich in der Presse vorgeworfen worden, dass ihr eine Kampagne gegen das Maritime Museum macht. Macht ihr eine Kampagne?

Karin Missy Paule:
Nein, ich würde das nicht sagen. Wir nehmen die Museumseröffnung zum Anlass. Bundespräsident Horst Köhler kommt zur Eröffnung, in der ganzen Stadt wird Werbung gemacht – »Hamburgs neues Seezeichen« – das ist medienwirksam. Uns geht es nicht nur ums Museum. Es geht uns speziell um den Krieg auf den Meeren, um Hamburg als Handelsstadt, die ja eine sehr lange Geschichte mit Seefahrt und daher auch mit Krieg auf den Meeren hat. Wo wohnt der Krieg heute noch in dieser Stadt? Interessant ist in diesem Zusammenhang das WandsbekTransformance-Projekt von Jokinen, welches sich mit der Hamburger Kolonialvergangenheit beschäftigt hat. Wir kennen das Maritime Museum, so wie es jetzt ist, nicht. Aber es ist auf jeden Fall wichtig, eine andere Sicht auf die Dinge und ihre Geschichte zu werfen, als die, die das Museum haben wird.

Jörn Müller: Für wen macht ihr das?

Karin Missy Paule: Für die Menschen, die sich für Geschichte interessieren und diese von verschiedenen Perspektiven betrachten wollen, für Menschen, die an einer kritischen Öffentlichkeit teilhaben möchten. Hamburg ist bislang, was das Museum angeht, wenig kritisch. Diejenigen, die die Möglichkeit hätten, eine breite kritische Meinung zu vermitteln, tun das nicht, wie z.B. die Presse. Sie stellen sich hinter Peter Tamm und das Museum. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass Peter Tamm nie ein Museumskonzept vorlegen musste. Auf der einen Seite wird argumentiert, es sei seine Privatsammlung und kein öffentliches Museum, auf der anderen Seite hat er wahnsinnig viele öffentliche Gelder und ein öffentliches Gebäude mietfrei für 99 Jahre bekommen, was bei der Größe einem weiteren städtischen Zuschuss von ca. 1,8 Millionen Euro im Jahr entspricht. Für die 99 Jahre hochgerechnet wären das 170 Millionen Euro. Dies steht in keinem Verhältnis zu Minibudgets und Budgetkürzungen im sonstigen Kulturbereich oder aufwendigen Antragstellungen, die z.B. nichtkommerzielle Kunst-Orte leisten müssen, wenn sie 2.000 bis 10.000 Euro für Jahresprogramme beantragen.

Jörn Müller: Ihr plant ja auch Interventionen im öffentlichen Raum - da wird es möglicherweise von Passanten Widerstände und Kritik geben. Es gab bereits eine Unterlassungsklage gegen euch. Habt ihr euch vorher damit auseinandergesetzt, wie ihr mit Kritik an euch und eurer Arbeit umgehen wollt?

Karin Missy Paule:
Uns ist schon klar, dass wir Dinge ansprechen, die vielen Menschen in Hamburg nicht gefallen werden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wir versuchen, durch das Künstlerische, das Thema noch mal anders zu beleuchten. Dieses könnte eben auch zur Diskussion anregen.
Und wir setzen uns der Kritik auch aus. Man kann uns eines Besseren belehren. Wir würden uns auf jeden Fall über Diskussionen freuen. Wenn unsere Aktionen oder unsere Performances Menschen dazu bringen, mit uns in Kontakt zu treten oder dadurch miteinander in Kontakt treten, dann haben wir schon sehr viel gewonnen. Dann haben wir das Thema tatsächlich in die Öffentlichkeit getragen. Bis jetzt wurde viel in bestimmten Kreisen diskutiert - aber dort ist man sich mehr oder weniger einig. Deswegen wollen wir in den öffentlichen Raum: weil das alle Leute angeht.
Es wird sehr viele Leute geben, die das Museum gut finden. Wir haben auch nichts gegen ein Maritimes Museum in Hamburg - das sei noch einmal klargestellt. Es ist einfach nur die Art, wie es in der Stadt verhandelt wurde - bezüglich der restlichen Kultur, die es sonst noch gibt. Vielleicht sind wir da etwas altmodisch, aber: Ein Museum wie das Maritime Museum muss genau wissen, was es wie ausstellt. Wenn man es mit einem Museum wie dem Imperial War Museum in London vergleicht, das 1914 auch aus einer privaten Idee entstanden ist: Dort kommt man in die Vorhalle und hat lauter blank geputzte Kanonen, Gewehre und Waffen. Nirgends steht, wer die Waffen gebaut hat, wer damit sein Geld verdient hat. Ein Museum dieser Art im Jahr 2008 in einer Stadt wie Hamburg zu errichten, reduziert auf die Objekte, ohne sie in einen Kontext zu stellen, damit sind 100 Jahre echt verschenkt. Ein Museum hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Wenn Ehrenamtliche dort Schulklassen durchführen, dann muss es dort einfach mehrere Perspektiven geben, als zu behaupten: Die Objekte sprechen für sich. Blankgeputzte Kanonen in Vitrinen, das reicht nicht aus!

Jörn Müller: Es gab ja auch eine Unterlassungsklage gegen euch. Wie kam es zu der Klage und wie habt Ihr reagiert?

Karin Missy Paule: Wir haben vorab eine Kunstaktion gemacht, bei der wir fingierte Zeitungsartikel in der Stadt verteilt haben. Dort haben wir in Form satirischer Geschichten Zusammenhänge behauptet, die teilweise unwahr sind. Einer dieser Artikel war ungeschickt formuliert, so dass sich eine Reederei angegriffen fühlte. Sie hat die Unterlassungsklage erwirkt und wir haben uns entschuldigt.

Jörn Müller: Ihr unterlasst also diese Behauptung jetzt? Und bemüht euch, die verteilten Aufkleber wieder zu entfernen - oder wie geht das jetzt konkret vor sich?

Karin Missy Paule: Ja - wir werden den Aufkleber »Marinemaler« wieder entfernen.

Jörn Müller: Habt ihr überlegt, wie ihr reagiert - ob ihr euch auf die Forderung einlasst oder ob ihr trotzdem weitermacht und die Auseinandersetzung riskiert?

Karin Missy Paule: Wir haben uns mit Anwälten beraten. Wir haben unseren Fehler erkannt und nun machen wir weiter. Mehr gibt es nicht zu sagen.


Gegen einen ähnlichen satirischen »Zeitungsartikel« des »Feld für Kunst« wurde eine Unterlassungsklage erwirkt

Jörn Müller:
Seid ihr bei dem Projekt Veranstalter? Oder seid ihr Künstler? Habt ihr dazu überhaupt eine Position - oder ist es euch egal?

Karin Missy Paule: Wir sind beides: Veranstalter, aber auch Künstler. Ich beschäftige mich in meiner eigenen Arbeit schon seit den 90ern mit Kunst im öffentlichen Raum. Ich habe einiges ausprobiert und immer wieder neue Formen gesucht. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass es auch sehr gut ist, wenn man Kunst im White Cube macht - das hat unglaubliche Vorteile. Man hinterfragt das System nicht, sondern man bespielt es. Man wird als Künstler akzeptiert, es gibt nicht diese grundsätzliche Systemfrage. Aber mich hat es immer schon gereizt, das zu durchbrechen und in das andere System der Kunst im öffentlichen Raum einzugreifen - das ist ja auch schon ein System mit eigener Tradition. Ich finde es immer wieder spannend, dort etwas auszuprobieren und zu schauen, mit welchen Fragen man konfrontiert wird und welches dann die Formfragen sind. Was ist da die Kunst?

Jörn Müller: Intervention und Vortrag treten ja in eurem Programm immer paarweise auf. Warum gibt es die Vorträge, sollen sie die Aktionen erklären?

Karin Missy Paule: Es gab ein paar Ideen zu Interventionen, dann gab es ein paar Ideen wer uns als Theoretiker interessiert oder wen wir gerne zu den Themen hören würden. Dabei haben wir gesehen, dass einige Dinge gut zusammenpassen. Manchmal auch ganz simpel durch die Form. Und es erweitert die Interventionen auf einer anderen Ebene. Vielleicht kann ich ein Beispiel nennen: Unsere erste Intervention heißt High Noon. Das wird eine kleine ballistische Performance, bei der es um Firmen in Hamburg geht und darum, wie sie in Krieg verwickelt waren oder sind. Und der Vortrag von Rolf Uesseler dreht sich um den Markt der privaten Militär-Firmen. Das eine ist ein performatives Spiel, mit dem wir etwas deutlich machen, und abends gibt es den Vortrag von jemandem, der dazu über Jahre recherchiert hat. Und dort erfährt man vielleicht noch andere Dinge als über eine Performance.

[1] Friedrich Möwe Tamm-Tamm: Eine Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum. Hamburg, 2005 (PDF-Version: http://freenet-homepage.de/hamburgerforum/tamm-buch.pdf)

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