Kurzer Prozess

(Im Bild, In: WoZ, Die Wochenzeitung, Zürich/CH, 18.3.04, Nr. 12, 22. Jg.,
S. 21, von Ute Vorkoeper)

In diesem Winter wurde in Hamburg eines der letzten grossen Werke des
Künstlers Dieter Roth, das «Schimmelmuseum», zerstört. 1991 hatte der
Hamburger Sammler Philipp Buse dafür ein Grundstück mit einer baufälligen
Remise (in bester Hamburger Wohnlage) gekauft, die zunächst einem Neubau
weichen sollte. Doch Roth übernahm sie - als Werkstatt, Werkraum und Werk.
Hier goss er bis 1998 gemeinsam mit Assistenten Zucker- und
Schokoladenköpfe, die zu grossen Türmen aufgeschichtet wurden. Er überzog
Wände und Böden mit verderblichen Materialien und rahmte sich verändernde
Schimmelbilder. Roth wollte sein eigenes Kunsthaus schaffen, das sich,
seinem ab Mitte der sechziger Jahre entwickelten Konzept von vergänglicher
Kunst folgend, sukzessive zersetzt und irgendwann ganz verschwinden würde.
Kletterpflanzen unterstützten diesen Transformationsprozess von aussen. Der
Prozess ist jetzt beendet - schneller und anders als es sich der Künstler
vorgestellt hatte. Die Zucker- und Schokoladenobjekte sowie viele der
Wandbilder wurden abgeräumt und verpackt, um sie, so darf vermutet werden,
später hinter Glas in einem White Cube zu zeigen. Zuletzt wurde das alte
Häuschen abgerissen.

Der Begriff Museum suggeriert zunächst, dass hier nur ein Raum abgerissen
und seine Inhalte für die Umsiedelung verpackt worden seien. Das aber, was
der Künstler Museum nannte, war so wenig ein Museum wie jedes andere
Kunstwerk, wenn wir unter Museum eine gesellschaftlich getragene
Institution zur Auswahl, Sicherung, Präsentation und Vermittlung von
Kulturgütern verstehen. Dieter Roths «Schimmelmuseum» widersprach dem in
allen Punkten: Es war eine private Initiative, in der allein der Künstler
die Auswahl der Objekte traf, die, ihre Wertlosigkeit betonend, nicht
gesichert, sondern dem Verfall preisgegeben wurden. Und das fast unter
Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne jede Vermittlung. Zweifelsohne aber
war die Kunstremise damit eines von Roths späten Hauptwerke, ein
Kulminationspunkt seiner Themen, Objekte und Konzepte. Mit ihr pervertierte
er noch einmal den Kunstbetrieb: Der Sammler bezahlte für etwas, das -
begleitet von Geruch und Getier - verschwinden würde.

Nach Roths Tod bot die Dieter-Roth-Foundation Führungen an und stellte
einen virtuellen Rundgang ins Internet, «auch wenn sich der
charakteristische Geruch und das Kleben unter den Schuhen so nicht
vermitteln lassen» (www.schimmelmuseum.de). Dennoch blieb das
Gesamtkunstwerk ein Insidertipp. Als später widersprüchliche Gerüchte über
den Abriss (wegen Geruchsbelästigung der Anrainer) innerhalb der Hamburger
Szene kursierten, wurden sie weder ernst genommen noch öffentlich
diskutiert - ausser von drei HamburgerInnen: Die Netzkünstlerin Cornelia
Sollfrank interessierte Idee und Diskurs, die Künstlerin Nana Petzet die
sperrige Materialität, Herbert Hossmann, einen Freund Dieter Roths, dass
ein exemplarischer Prozess erfahrbar bleibt und nicht, wie üblich,
konserviert und gebändigt in den Museumsraum getragen wird. Die drei
bewirkten, dass sich Icomos (International Council of Monuments and Sites)
2003 für den Erhalt des «Schimmelmuseums» aussprach, mussten aber im
Februar eine letzte Meldung über dessen Abbruch verfassen.

Nun, der Sammler hatte durchaus Gründe, das «Schimmelmuseum» abzureissen.
Neben seinen ökonomischen, nachbarschaftlichen und konservatorischen
Erwägungen aber scheint mir ein offiziell nicht genannter Aspekt
massgeblich: Es ist die eigentliche Unerträglichkeit dieses künstlerischen
Nachlasses. Denn die Bürde, die Dieter Roth seinem Förderer Buse durch das
schimmelnde Kunsthaus aufgeben hatte, war für einen Einzelnen schwer
erträglich. Ertragen hätte das anstössige Prozesswerk vielleicht die
Gesellschaft, für die es entwickelt wurde. Und hier kommt man zum Punkt:
Der Sammler hätte sich offensiv an die Öffentlichkeit wenden müssen. Und an
die Hamburger Kunsthalle als oberste Autorität des Landes in Sachen
Sammlung von zeitgenössischer Kunst. Kunstinteressierte, Kunstkritik und
der Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede, der 1974 die erste
Dieter-Roth-Retrospektive überhaupt veranstaltete, hätten die Gesellschaft
von der Übernahme der Verantwortung für diesen besonderen Kunstprozess
überzeugen können. Damit wäre dem «Schimmelmuseum» zuteil geworden, was
Roth abwehrte: Auswahl, Werturteil und Vermittlung. Aber es wäre noch da
und könnte - sichtbar für die Öffentlichkeit - langsam und verstörend
weiter vergehen. Zumindest redet man seit dem Abriss so. Aber vielleicht
sind alle auch insgeheim froh, dass man sich um die Verantwortung drücken
konnte.

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