»Unlimited Liability« – eine Kunsthandlung, die nicht an Reiche verkauft
Gespräch zwischen Michel Chevalier und Cornelia Sollfrank
Hamburg, 21. Juli 2007
(This conversation has first been published in English in the issue September/ October 2007 of ART PAPERS)
CS: Wir sitzen hier in deinem Laden, der »unlimited liability« heißt. Ein ziemlich ungewöhnlicher Name für ein Geschäft. Und er hört sich nach einem Wirtschaftsbegriff an. Was bedeutet er eigentlich genau?
MC: Es handelt sich dabei tatsächlich um einen Wirtschaftsbegriff, aber ich sabotiere den Begriff. Der Ausdruck »Limited Liability« (Ltd.), bezeichnet in Großbritannien das, was in den USA eine »corporation« ist. Kürzlich ist eine interessante Studie erschienen, Unequal Protection von Thom Hartmann: Er analysiert darin, wie die vermeintlichen Rechte von Firmen im 19. Jahrhundert festgelegt wurden und wie diese Grundlagen des Kapitalismus auf der Fehlinterpretation einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes basieren. Im Endeffekt wurde der demokratische Prozess unterminiert, indem Firmen häufig mehr Rechte eingeräumt werden als Personen. Eines dieser Sonderrechte taucht in dem Namen auf: Firmen haben eine beschränkte Haftung, eine »limited liability«. Wenn du oder ich schuld daran sind, dass jemand durch unsere Nachlässigkeit vergiftet wird, kommen wir dafür ins Gefängnis. Wenn aber eine Firma schuld ist, können die einzelnen Inhaber nicht strafverfolgt werden. Die Firma als solche kann zwar verklagt werden, aber die einzelnen Akteure dahinter sind nicht haftbar. Und ich denke, dass dieses tückische Phänomen eine ganze Reihe – auch aktueller – betrieblicher Vergehen erklärt. In meinem Projekt habe ich den Begriff umgekehrt in »unlimited liability« (unbeschränkte Haftung). Das bezieht sich darauf, dass Leute, die mehr als 50.000 Euro an Vermögenswerten besitzen, eine Strafe zahlen müssen, wenn sie versuchen, etwas in meinem Laden zu kaufen. Bei »Unlimited Liability« angeboten werden Multiples von KünstlerInnen, Kollektiven, Schallplattenlabels und Verlagen.
CS: Bevor wir uns näher über den Laden unterhalten, hätte ich gerne von dir eine Beschreibung dieser Nachbarschaft hier, weil ich glaube, dass dein Projekt damit viel zu tun hat…
MC: Der Laden befindet sich im Münzviertel, einer ziemlich unbekannten Ecke von Hamburg, wo ich seit zehn Jahren lebe. Es ist eine arme Gegend, in der nur wenige Gebäude die britischen Bombenangriffe im 2. Weltkrieg überlebt haben. Obschon das Viertel ziemlich zentral gelegen ist, leben hier nur etwa 800 Leute. Das liegt daran, dass es als Gewerbegebiet ausgewiesen wurde und das meiste Büroraum ist. Ausserdem gibt es noch eine Fixerstube und ein Obdachlosenasyl. Lange Zeit war hier auch die Hauptmeldestelle für Ausländer, die ihre Visa verlängern wollten… es ist also keine wirklich glamouröse Gegend.
CS: Und das Viertel ist umgeben von breiten Schnellstraßen…
MC: Ja, es gibt eine Menge großer Durchfahrtsstraße, jede Menge Verkehr, die Bahngleise gehen hier durch und die Luftverschmutzung ist hoch. Auf der anderen Seite sind wir extrem zentral gelegen, nur etwa 200 Meter vom Kunstverein in Hamburg und den Deichtorhallen entfernt.
CS: … die Teil der Kunstmeile sind, ihr seid also wirklich ganz nah an der Kunstmeile dran…
MC: Ja, die Höhle des Löwen. Aber der Laden hat dadurch eine strategisch gute Lage …
CS: Noch eine Frage zu Nachbarschaft und Kontext. Der Laden ist nur begrenzt geöffnet, nämlich zwei Monate. Und letzten Sommer hast du das schon einmal gemacht. Ist das Teil eines Kunst-im-öffentlichen-Raum Programms?
MC: Letztes Jahr habe ich diesen Raum über eine Verbindung zu einem Kunst-Aktivisten aus der Nachbarschaft, Günter Westphal bekommen. Er arbeitet an einem ehrgeizigen Projekt mit Bewohnern des Viertels und bot mir in diesem Zusammenhang an, einen Teil der Räumlichkeiten zu nutzen. Ich sagte ihm: »Hör zu, Günter, ich brauche alle Räume«, und er hat sie mir großzügig zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr mache ich das Projekt in Eigeninitiative, alles was Finanzierung, Stromrechungen und Versicherungen betrifft. Die Räume habe ich glücklicherweise wieder umsonst bekommen.
CS: Du solltest deinen Laden mal beschreiben für die, die ihn nicht kennen. Er sieht ja ziemlich ungewöhnlich aus, finde ich.
MC: Ich würde sagen, einer der besten Kommentare stammt von ein paar Rumänen, die hier ’rein kamen. Sie sahen ein bisschen verunsichert aus und fragten dann: »Hier wird noch renoviert, oder? Wann machen Sie denn auf?« Und ich sagte nur: »Nein, es wird nicht renoviert, es bleibt so wie es ist.«
CS: Und es ist geöffnet!
MC: Genau, die waren ziemlich überrascht. Die Räume sehen ziemlich kaputt aus, weil es hier 2004 eine Überschwemmung gegeben hat. Es ist eine ehemalige Wohnung im Souterrain, deren Mieter wegen eines Wasserschadens evakuiert werden mussten. Seither sind die Räume unvermietet geblieben und wurden auch nicht renoviert. Überall ist Schimmel an den Wänden und es gibt noch psychedelische 60-Jahre-Tapeten.
CS: Uns was verkaufst du alles in deinem Laden?
MC: Dieses Jahr sind 77 Leute am »unlimited liability«-Programm beteiligt. Fast 70 Künstler, Kollektive und Filmemacher und acht Plattenlabels und einige Verlage.
CS: Würdest du es als Outlet für Multiples bezeichnen?
MC: Ja, das ist eine meiner Vorgaben. Ich wollte keine begrenzten Auflagen oder signierte Arbeiten. Es kann aber sein, dass sich trotzdem ein paar signierte Arbeiten eingeschlichen haben. Eine andere strenge Regel hat schon zu Diskussionen geführt: Ich schließe Malerei und Zeichnung als Medien aus. Man könnte grob sagen, dass die Arbeiten hier einen eher konzeptuellen Charakter haben, viel Fotografie, einige DVDs, Arbeiten mit performativen Elementen – das heißt, es gibt einige Dienstleistungen–, Objekte mit appropriativen/détournement-Aspekten und einige aktivistische Projekte.
CS: Warum hast du Malerei und Zeichnung ausgeschlossen? Hast du was gegen Originale? (Lachen)
MC: Es gibt zwei Ausschlüsse in diesem Laden. Leute mit einem Vermögen von mehr als 50.000 Euro dürfen nichts kaufen, obwohl sie natürlich herzlich eingeladen sind, zu kommen und sich umzuschauen – wie es einige auch getan haben. Und Malerei und Zeichnung sind ausgeschlossen, weil diese Medien auf dem Kunstmarkt sehr präsent sind, wo sie in den letzten Jahren ein großes Comeback erlebt haben. Ich wollte in gewisser Weise den Advocatus Diaboli spielen. Viele MuseumsdirektorInnen machen große Malereiausstellungen mit der pseudo-populistischen Begründung »Wir finanzieren uns aus öffentlichen Mitteln und Malerie ist das, was die breite Öffentlichkeit sehen will (ausserdem versteht sie diesen konzeptuellen Kram sowieso nicht)«. Eine groteske Argumentation, weil es aus meiner Sicht grade die Oberschicht ist, die nach dieser vermeintlich sinnlicheren Kunst verlangt, einer Produktion die einen Geniekult ermöglicht. Solche Mythen sind wichtig, weil sie die gesellschaftliche Herrschaft dieser Klasse untermauern: »natürliches« Talent und Geschmack, unbekümmerte Kühnheit (wie Bourdieu in Distinction zeigt). Lucy Lippards Chronic der Konzeptkunst, Six Years, hat mich stark beeinflusst. Das Bild von Konzeptkunst, das daraus für mich entstanden ist, ist das eines Mittelschichtphänomens, das Leuten mit weniger ererbtem kulturellen Kapital, Akteuren für die, wie Bourdieu sagt, Kultur nicht durch den Prozess frühkindlicher Verinnerlichung zur Natur geworden ist, einen Weg öffnet. In dieser DIY-Ästhetik der Gebrauchsanweisung steckte eine große emanzipatorische Kraft.
CS: Und was hat das mit den Kaufbedingungen zu tun?
MC: Die Kriterien bei der Auswahl der Art der Arbeiten, der KünstlerInnen sowie der KäuferInnen stellen ein Experiment dar, das zeigen soll, ob diese Kraft wieder belebt werden kann, ob sie heute überhaupt noch eine Bedeutung hat ¬– beispielsweise für junge KünstlerInnen, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben. Es ist relativ egal, ob Leute der Tatsache, dass sie Kunst kaufen und dass einige der ProduzentInnen »bekannt« sind, große Bedeutung beimessen (oder ob sie sich dessen überhaupt bewusst sind). Es reicht, wenn die Käufer sich einfach für diese komischen Sachen interessieren.
CS: Kannst du die Auswahl erklären. Du suchst doch alle Arbeiten selbst aus, oder?
MC: Nein, halt. Ich wähle die KünstlerInnen aus. Es ist also nicht wie in einer kuratierten Ausstellung, »diese Arbeit von soundso neben jener Arbeit von soundso…«. Ich habe Leute eingeladen, die mir daraufhin Vorschläge gemacht haben. Und einige Sachen sind extra für »unlimited liability« hergestellt worden, das freut mich ganz besoders. Einige Leute sind auch ins Grübeln geraten: »Was für eine Art Multiple kann ich nur machen?« … Auch das ist etwas, was StudentInnen an der Kunsthochschule nicht lernen.
CS: Wie sieht’s mit den Preisen aus?
MC: Oh ja, eine sehr wichtige Frage. Alles kostet weniger als 30 Euro, denn es würde keinen Sinn machen (oder wäre nur noch ein langweiliger Kippenbergeresquer Streich), erst Leute mit Vermögen auszuschließen und dann nur teueres Zeug zu verkaufen. Ein Drittel kostet zwischen 50 Cents und 5 Euro, und vier Sachen gibt es in diesem Jahr sogar umsonst.
CS: Was gibt es zum Beispiel?
MC: Zwischen 50 Cents und 5 Euro kosten alle unsere Buttons und Aufkleber, die Hälfte unserer CDs, alle Postkarten, verschiedene Publikationen, sogar einige unserer DVDs.
CS: Ich finde es interessant, dass du sagst, du willst – sagen wir mal – »reiche Leute« ausschließen, denn das ist genau das Gegenteil von dem, was in der Kunstwelt passiert, die ja von reichen Leuten lebt…
MC: … das aber selten zugibt …
CS: … Kannst du mir erklären, warum Reiche ihr Geld nicht für solche Sachen ausgeben sollen, wenn sie wollen? Wäre das nicht sogar gut für die KünstlerInnen?
MC: Reiche Leute haben jede Menge Möglichkeiten, ihr Geld für Kunst auszugeben. Ich wollte einen Kontext schaffen, in dem Künstler herausgefordert sind, ihre Arbeiten zu verkaufen, ohne an die strukturelle Abhängigkeit von der Spitze der Gesellschaft gebunden zu sein. Was den Ausschluss von Sammlern betrifft, geht es nicht darum, Leute mit einem bestimmten Lebensstil zu bestrafen. 50.000 Euro ist natürlich nicht so viel. Wenn du eine Wohnung besitzt oder Geld von deiner Oma geerbt hast, kannst du hier nicht einkaufen. Bisher habe ich aber noch keine negativen Rückmeldungen von Leuten, die knapp über der Grenze liegen, bekommen. Was ich versuche ist, innerhalb der dominanten gesellschaftlichen Gruppen, diejenigen zu isolieren, die den Hebel in der Hand halten, und etwas Licht auf den hässlichen Umstand zu werfen, der in der Kunsthochschule selten thematisiert wird: die Käufer, nach denen die Galerien ihre Arme ausstrecken, sind dieselben Leute, die die neoliberale Politik vorantreiben. Sammler benutzen diese Artefakte einer vermeintlichen Selbstbestimmung als Quelle ihrer persönlichen Legitimation und meinen, damit auch noch so hip und so cool sein zu können, wie die KünstlerInnen, mit denen sie zu tun haben... (Die andere Funktion der Kunstmarkt-Kunst ist natürlich die, eine Investition zu sein.) Gleichzeitig verhindern diese Millionäre kollektive Selbstbestimmung auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Quantitative und qualitative Forschungen belegen, dass die oberen 2% der Bevölkerung, also die Leute, die Kunst kaufen, in überwältigender Mehrheit konservative Parteien wählen und neoliberale Politik unterstützen.
CS: Wie kannst du nun sicherstellen, dass keine reichen Leute in deinem Laden einkaufen? Wenn sich unser berühmter Sammler hier als gewöhnlicher Typ von der Straße verkleidete oder einen Assistenten schickte, wie könntest du das verhindern?
MC: (Lachen) Der Käufer/ die Käuferin muss einen Vertrag unterzeichnen und mir einen Ausweis zeigen, damit ich die Identität überprüfen kann. Der Vertrag, den sie dann unterzeichnen beinhaltet, dass für den Fall der Regelverletzung eine Strafe von 1000 Euro bezahlt werden muss. Das Kunstwerk muss ebenfalls zurückgeben werden. Das ist ein Risiko, das sie eingehen. Dazu kommt die negative Publicity.
CS: Aber bisher ist das noch nicht vorgekommen…
MC: Jemand, bei dem ich gewisse Zweifel habe, hat letztes Jahr eine Arbeit gekauft, aber es gab einen kleinen Fehler, was den Vertragsabschluss betrifft. Jemand der mich hier vertreten hat, hat den Vertrag unterzeichnet und das macht es etwas kompliziert. Ich hoffe, die Person kommt in diesem Jahr wieder.
CS: (Lachen) Okay… Wie aufregend. Welche Reaktionen hast du denn von den KäuferInnen hier bekommen? Auf der einen Seite sind die Multiples ziemlich kostengünstig, andererseits ist da diese ganze Bürokratie, mit der man sich auseinandersetzen muss, um ein Objekt kaufen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das den Leuten gefällt, wenn sie erst ihren Ausweis zeigen und einen Vertrag unterschreiben müssen, um einen Sticker für zwei Euro kaufen zu können.
MC: Es stimmt, dass das Ganze ziemlich »bürokratisch« ist, aber es gab wenig Probleme damit. Die Leute sehen ein, dass es notwendig ist im Rahmen des Konzeptes und finden es auch witzig. Eigentlich hatte ich nur eine Kundin, die – wie die Dinge eben so sind – auch eine Künstlerin war und für Magazine des Establishment, wie Texte zur Kunst schreibt… Die wurde jedenfalls richtig wütend, weil das mit dem Vertrag angeblich so »naiv« wäre und »bürgerliche Institutionen« nachahmt und irgendwie eine »Polizeistaat-Mentalität« verkörpert. Von Leuten, die nicht für Texte zur Kunst schreiben, habe ich aber noch keine Beschwerden erhalten. Die meisten machen das gerne, wenn sie die Gründe kennen. Ein anderer Aspekt ist, dass viele KünstlerInnen ihre Arbeiten sehr billig verkaufen (sie sagen mir »das ist weit unter meinem üblichen Preis«). Für mich ist es wichtig, ihr Vertrauen nicht zu missbrauchen und eine Art »Firewall« einzurichten, so dass diese Arbeiten nicht zu Investitionsobjekten werden der sozialen Gruppe, über die wir vorhin sprachen. Ausserdem bietet das Ausfüllen des Vertragsformulares auch eine Gelegenheit zur Diskussion. Es ist ein performatives Ritual, das eine Situation markiert, in der wir die ökonomische Praxis des freien Marktes verlassen.
Multiples von Sabine Falk
CS: Was bedeutet es, wenn jemand aus der Nachbarschaft herein kommt, der sich dieses besonderen Kontextes nicht bewusst ist und ein Glas »(Theorie-)Marmelade« oder ein paar Aufkleber kaufen will und dann diesen Vertrag vorgelegt bekommt? (Lachen)
MC: Nun...
CS: Wie kommunizierst du mit deinen Nachbarn?
MC: Da ist einmal das Schild hier über meinem Kopf, das die Regeln erklärt, nach denen der Laden funktioniert … Ausserdem es ist nicht immer sofort zu erkennen, wer aus der Nachbarschaft kommt. Es ist schon erstaunlich, wie die Leute einfach mitmachen. Ich vermute, sie finden es auch irgendwie unterhaltsam, wenn ich ihnen das alles erkläre. Wenn man in Eile ist, ist es natürlich nervig, aber die meisten Leute die kommen, verbringen sowieso ziemlich viel Zeit hier, wenn sie sich das ganze Material anschauen. Und da wir etwas ab vom Schuss sind, bringen sie auch die Zeit mit, sich das ganze Projekt anzuschauen. Was die Leute betrifft, die hier wohnen, gibt es natürlich schon ein paar Studenten, die sagen »sehr interessant, ich komme später wieder«.
CS: Treffen hier Leute aus anderen Stadtteilen mit Leuten aus der Nachbarschaft zusammen?
MC: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Was die Verkäufe anbelangt, ist das Mischungsverhältnis etwa 50:50.
CS: Die Idee des Multiples geht in der Kunst zurück auf die, ich weiss nicht, 60er oder 70er Jahre, auf die Demokratisierung der Kunst. Beziehst du dich auch darauf?
MC: In gewisser Weise geht es sogar zurück zu Dürer, der mit Holzschnitten und Stichen arbeitete, um ein anderes Publikum und andere Länder zu erreichen. Später kamen dann Walter Benjamins Überlegungen über die Auswirkung der Reproduzierbarkeit auf die Aura des Kunstwerkes. Leute wie John Heartfield machten Arbeiten für militante kommunistische Zeitungen und verbreiteten in diesem Kontext sehr interessante und wichtige Kunst. Dann hast du natürlich auch Recht, wenn du die späten 50er und 60er Jahre erwähnst, als Fluxus einen großen Einfluss hatte. Der extrem anti-elitäre Ansatz von Macunias, Brecht und Flynt.
CS: Letztes Jahr zum Beispiel gab es in der Zeit, als auch »unlimited liability« lief, im Kunstverein gleichzeitig das Projekt Drei Geschäfte [1]. Einmal hat es sich sogar ergeben, dass ich von deinem Shop hier direkt in ein »Geschäft« im Kunstverein gegangen bin. Ich frage mich, wieso diese ganzen »Geschäfte« in der Kunst? Und kann man deinen Laden und die Geschäfte im Kunstverein vergleichen, oder worin siehst du die Unterschiede? Verstehst du deinen Shop als ein funktionierendes Geschäft oder mehr als Metapher?
MC: Das sind sehr interessante Fragen. In gewisser Weise ist mein Projekt eine Antwort auf das Kunstvereinsprogramm. Eine Gruppe, in der ich Mitglied bin, das Archiv »Kultur & soziale Bewegung«, wurde im Dezember 2005 auch eingeladen, an der »Geschäfte«-Reihe im Kunstverein teilzunehmen. Das war kurze Zeit nach den Konflikten – von denen du sicherlich weißt (Lachen) –, in deren Verlauf einige KünstlerInnen in den neuen Vorstand des Kunstvereins gewählt worden waren, um der dort herrschenden Übermacht einer Gruppe von Sammlern und Galeristen etwas entgegenzustellen. Diese waren aber nicht gewillt, den möglicherweise folgenreichen Wechsel zu akzeptieren und führten dann eine Kampagne, in der sie das Wahlergebnis für ungültig erklärten.[2]
Diese Erfahrung mit dem Kunstverein bestätigt nur, was ich vorhin gesagt habe, nämlich dass es für KünstlerInnen höchste Zeit ist, sich ihrer strukturellen Abhängigkeit bewusst zu werden und Verbündete in anderen sozialen Gruppen zu finden (immer vorausgesetzt dass materielle Autonomie eine Einbildung ist). Die meisten der millionenschweren Sammler – und wir haben ganz gute Beispiele dafür hier in Hamburg – interessieren sich bei ihren mäzenatischen Aktivitäten viel mehr für sich selbst, als für die Kunst. Das wurde in dem oben erwähnten Fall sehr deutlich, als Jochen Waitz [3] und Harald Falckenberg [4] ihre (Geschäfts-)Freunde gegen den frisch gewählten Künstler-Vorstand mobilisierten. Es war auch sehr interessant zu sehen, wie bei der Hauptversammlung, der Kunstvereinsdirektor Yilmaz Dziewior versuchte, Punkte zu machen, indem er seine Kontakte zur Subkultur ins Feld führte. Als er das Programm für das kommende Jahr skizzierte, sprach er äußerst detailliert darüber, wie bestimmte interessante Mode-/Politik-/Subkultur-Praktiken nun endlich im Rahmen der geplanten »Geschäfte«-Reihe gezeigt werden könnten. Gleich anschließend wurde der neue Künstler-Vorstand entrechtet, der sich der hermetischen und Markt orientierten kuratorischen Ausrichtung des Kunstvereins gegenüber kritisch geäußert hatte. Ein weiteres Beispiel für die zwei-Fronten-Strategie des Kunstmarktes: Den »Warenfluss aufrecht erhalten« und gleichzeitig Imagepflege mit subkulturellen Phrasen.
CS: Würdest du also sagen, dass die »Geschäfte«-Reihe des Kunstvereins nichts anderes war, als der Versuch, die kleinen Läden, die er eingeladen hatte, zu missbrauchen, um seine Nähe zu kleinen, selbst-organisierten Projekten zu demonstrieren, während er zugleich Leute unterstützt und von Leuten getragen wird, die das genaue Gegenteil verkörpern?
MC: Wie du schon bemerkt hast, gibt es im Hinblick auf Status und Budget eine auffallende Asymmetrie zwischen dem Kunstverein und der Geschäfte, die er großzügig im Erdgeschoss ausstellte. Der kuratorische Gedanke lautete etwa: »Lass uns ’mal schauen, wie sich andere Ökonomien vom Kunstmarkt, von uns, unterscheiden«. Ich frage mich, warum lädt man nicht Freshfields-Bruckhaus-Deringer, oder Elaflex ein? Stattdessen hat der Kunstverein überschaubare, subkulturelle, sympathische und nicht-ausbeuterische Unternehmensformen eingeladen. Die Tatsache, dass zwei der drei »Geschäfte« unmittelbar mit der Kunstwelt zu tun haben, kann auch verstanden werden als «Imagepflege für die Kunst«. Diese Inszenierung steht nämlich in krassem Widerspruch zu dem ganzen kapitalistischen Zirkus, der im (Haupt- und) Obergeschoss stattfindet – und wie er zum Beispiel auch sehr deutlich wurde, in der Ausstellung Formalismus, Moderne Kunst heute[5]. Ich würde nicht so weit gehen, und von einem Missbrauch zu sprechen; die Läden haben die Einladung bereitwillig angenommen und sie hatten neben einem nicht unbeträchtlichen Budget, die Freiheit, den Raum ganz nach ihren eigenen Vorstellungen zu nutzen. Als wir, das Archiv »Kultur & soziale Bewegung« eingeladen worden waren, haben wir aber ganz klar die Bedingung gestellt, auch die (vorhin erwähnte) aktuelle soziale Bewegung innerhalb des Kunstvereins zu reflektieren. Davon wollte der Direktor aber rein gar nichts wissen. Zu seinem Glück hat auch noch die progressive Berliner Buchhandlung b_books die Scharade mitgespielt und ihm jede »kritische Reflexion« – mit der sie auf ihrer Website werben – erspart.
Vielleicht ist es angebracht, ein paar Worte zum visuellen Kontext zu sagen: Wenn man den Kunstverein betritt, steht man in diesem extrem coolen Vorraum, den Kuhn & Malvezzi entworfen haben; die Farbe heißt sogar »Arctic Blue«, glaube ich. Und dann steht da immer dieser riesige Blumenstrauß, auf dem etwa schulterhohen Tresen, wie im Hyatt Regency. Du sollst also durch diesen Vorraum gehen und dann so tun als wärst du in einem kleinen Geschäft. Ich bezweifle, dass irgend jemand auch nur eine Minute lang vergisst, dass er sich an einem Kunstort befindet. Bei »unlimited liability« hingegen kommen die Leute rein und wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es ein Kunstort ist. Viele der Besucher sind wahrscheinlich seit ihrer Jugend in keiner Kunstausstellung mehr gewesen...
Beate Kaz, Say no to monopop-Stickers
CS: Wenn man die Idee, kleine Geschäfte in den Kunstverein zu bringen weiterdenkt, wäre es dann nicht auch konsequent, dich in den Kunstverein einzuladen?
MC: Ja, klar. (Lachen) Ich würde es natürlich ablehnen, in den Kunstvererein zu gehen…
CS: Aber mit demselben Konzept, dem selben Vertrag, alles genau so wie jetzt, einfach von hier nach dort gebracht?
MC: Ich glaube nicht, dass der Direktor das mitmachen würde. Ausserdem habe ich auch T-Shirts im Laden, die sich über seinen Freund (den Sänger von Tocotronic) Dirk von Lotzow lustig machen. Ich glaube das reicht schon. Zudem biete ich in unserer »Fundgrube« Kunstvereinskataloge mit 90% Preisnachlass an – für die sich trotzdem noch niemand interessiert hat. (Lachen)
CS: Ich möchte noch mal auf die Idee des Laden zurückkommen, ohne sie mit der Kunstvereinsreihe zu vergleichen, sondern in Bezug auf die Idee, dass KünstlerInnen Geschäfte betreiben. Wie real ist für dich die Vorstellung, dass du einen richtigen Laden betreibst? Oder benutzt du ihn als symbolische Form?
MC: Als Unternehmen ist das natürlich wirtschaftlich nicht tragfähig. Wir sind hier in einer Gegend, in der die meisten professionell geführten Läden, die keiner Kette angehören, Mühe haben, zu überleben. Mit dem, was als Ertrag dabei raus kommt, könnte ich mir selbst noch nicht mal einen Mindestlohn zahlen. Insofern könnte man sagen, dass es eine Ausstellung ist, aber ich sehe es auch als eine Art von Kunstvermittlung, oder … als kunstpolitische Kampagne. Sie besteht darin, KünstlerInnen dazu zu bringen, sich nasse Füße zu holen und ihre Sachen zu verkaufen, und ich tue mein bestes, um Leute dazu zu bringen, Sachen zu kaufen, eine affektive Beziehung zwischen KünstlerInnen und anderen Gruppen, anderen Leuten herzustellen. Nicht nur, indem ich ihnen etwas verkaufe, sondern indem ich vorsichtig ihre Neugierde wecke und sie langfristig hoffentlich dazu ermutige, Flagge zu zeigen und ihre Stimme zu erheben, wenn es um Kulturpolitik geht.
CS: Ich würde es auch als eine Art Experiment ansehen, denn du hast ja schon letztes Jahr deine Erfahrungen damit gesammelt und dich entschieden, es jetzt noch mal zu machen und auf diesen Erfahrungen aufzubauen. Wenn du das letzte Jahr zusammenfasst, was hast du dann jetzt verändert, was hast du beibehalten, was war deine wichtigste Erfahrung und warum hast du dich dafür entschieden, es fortzusetzen?
MC: Nach bestimmten Gesprächen mache ich mir Notizen, ich bewahre meine Notizen alle auf, und ich habe alle Verträge. Das ist natürlich private Information, aber ich kann sehen, wer was kauft. Ich würde sagen, es gibt drei verschiedenen Gruppen von Besuchern hier: Leute von der Straße, die einfach mal so reinkommen und nichts mit Kunst zu tun haben; eine bohemienhaftere Gruppe von StudentInnen und kulturell gebildeten Leuten, die sich mit Stadt-/Kulturpolitik beschäftigen und da auch »engagiert« sind; und dann die KünstlerInnen, die ich selbst einlade. Mit denen führe ich Diskussionen und wir tauschen E-Mails aus. Die sind auch ein Publikum. Auf diesen verschiedenen Ebenen funktioniert das Projekt, Leute die zufällig reinkommen (und dann unter Umständen denken »Kunst ist vielleicht gar nicht so schlimm/ schlecht/ unzugänglich«), Leute die Zeitungen lesen und KünstlerInnen.
Atomic Tit Corporation, Performance, 11.August 2007, mit einem Poster von Boris Nieslony im Hintergrund
CS: Worüber wir noch nicht gesprochen haben ist, dass du nicht nur Sachen verkaufst, sondern auch kleine Events organisierst. Vielleicht könntest du deren Charakter noch einmal beschreiben und erklären, welche Rolle sie für das »Geschäft« spielen?
MC: Die Events sind ein zusätzlicher Versuch, den Raum intelligent zu nutzen und Leute anzulocken. Man kann sagen, dass es in diesem Laden-Projekt diverse Untergruppen gibt. Es gibt Verleger, Leute, die in Bands spielen, solche, die sich für Kulturpolitik, Stadtentwicklung und Urbanismus interessieren. Ich habe versucht, Events auf die Beine zu stellen, die diesen verschiedenen Interessensgruppen auf den Leib geschneidert sind. Da das Ganze ja nur zwei bis drei Monate dauert, kann man auch nicht warten, bis es sich herum gesprochen hat, deshalb mache ich ständig Werbung.
Diskussion »Unlimited liability, etc.: mit oder gegen Gentrifizierung«[6] am 01.07.2007
Foto: Rahel Puffert
Und natürlich habe ich auch Vorgänger in dieser Arbeitsweise, zum Beispiel Fashion Moda in New York und The Times Square Show, wo Objekte mit einem Durchschnittspreis von $5 ausgestellt/ verkauft worden sind. Das sind Projekte aus den späten 70er und frühen 80er Jahren in New York. Und sieht man sich historische Rückblicke an, wie Do you remember institutional critique? in Transform, muss man feststellen, dass diese Zeit von all den dort vertretenen AutorInnen einfach ignoriert wird. Da ist immer die Rede nur von den späten 60er und frühen 70er und dann den 90er Jahren, als Periode institutioneller Kritik, ganz der Argumentationslinie James Meyers (im Kontext-Kunst-Katalog) folgend. Ich versuche also in gewisser Weise auch Positionen zu erneuern und zu reaktivieren, die im »abgesegneten« kunsttheoretischen Diskurs heute unterbewertet werden.
CS: Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück mit deinem Unternehmen. Ich hoffe, dass ich es nächstes Jahr wieder sehe und ich muss sagen, ich würde es sehr gerne als permanentes Projekt im Internet sehen…
Übersetzung aus dem Englischen: Ania Corcilius
Hanna Linn Wiegel, hunger-burgers-Performance, 11.August 2007
Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben) von Michel Chevalier.
[1] http://www.kunstverein.de/kv/menu.php?cat=3
[2] Siehe »Kritik an der Institution. Der Fall Kunstverein in Hamburg«, Kulturrisse (Wien) 5/2006 , S. 62.
Online unter: http:///igkultur.at/igkultur/kulturrisse/1143541391/1143566427
[3] Immobilieninvestor, Wirtschaftsanwalt bei der Firma Freshfields Bruckhaus Deringer bis 2005.
[4] Geschäftsführer der Elaflex Gruppe, Gründer der Sammlung Falckenberg /Phoenix Kunst Stiftung.
[5] In der Ausstellung Formalismus. Moderne Kunst, heute im Jahr 2005 waren 7 von 25 Künstlern Mitglieder im Artist Pension Trust. Kunstvereinsdirektor Yilmaz Dziewior war in seiner Nebentätigkeit als „Mitglied des kuratorischen Ausschusses“ des APT aktiv, bis er im Herbst 2006, anscheinend unter dem Druck des Kunstvereinsvorstandes seinen Posten aufgab. Michael Lingner hat verschiedene Artikel über den APT veröffentlicht (siehe Michael Lingner, Gewinnwarnung, im Netz unter http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt06-2.html. Die Formalismus-Ausstellung wurde im Artforum vom kommenden Haustheoretiker des Kunstvereins, Diedrich Diederichsen hoch gelobt.
[6] Die Audio-Dokumentation dieses Abends gibt es hier in zwei Teilen online:
http://artwarez.org/static/audio/gentri_1.mp3 (57min)
http://artwarez.org/static/audio/gentri_2.mp3 (70min)