Dundee, Schottland
von Cornelia Sollfrank
Durchschnittlich fliege ich einmal im Monat nach Schottland, um an der Universität in Dundee, wo ich ein „practice-based Phd“ mache, meine Supervisors zu treffen und mich in einem Forum mit KollegInnen auszutauschen. Schuld an der ganzen Sache ist die Werkleitz-Gesellschaft, namentlich Peter Zorn, der mich 2001 vorschlug für ein EMARE (European Media Artist Residency Exchange)-Stipendium [1] in Dundee. Eigentlich hatte ich mich für London beworben, was aber aus organisatorischen Gründen nicht geklappt hatte, und so bekam ich die Gelegenheit nach Schottland zu gehen, für drei Monate, im Winter.
Als ich einen Anruf erhielt von der Universitätsverwaltung, die wissen wollte, ob ich bestimmte technische Anforderungen hätte für mein Stipendium, antwortete ich, dass mir eine gut funktionierende Heizung genügen würde. Für den Notfall hatte ich mir selbst vorher gedanklich die Versicherung gegeben, dass ich den Aufenthalt einfach abbrechen und auf eigene Kosten nach Hause reisen könne, falls es gar nicht geht, mit mir, im Winter, in Schottland.
Wie immer kam alles ganz anders. Vom ersten Tag, an dem ein Welcome-Dinner für mich ausgerichtet wurde (von Mike Stubbs), bei dem ich schon eine ganze Menge künftiger KollegInnen kennenlernen konnte bis zum letzten Tag, an dem der Dean der Medienfakultät vorzeitig die Universität verließ, um eigenhändig für meine Abschiedsparty zu kochen, die bei ihm zu Hause stattfand, habe ich mich sehr wohlgefühlt bei den Schotten.
Mein Arbeitsplatz befand sich im VRC (Visual Resaerch Center), das im Keller des DCA (Dundee Contemporary Art) angesiedlt ist. Obwohl das VRC ein Teil der Universität ist, befindet es sich räumlich im Kunst-Center, einem äußerst lebendigen Ort, in dem ein gutes Café und Restaurant, ein anständiges Programm-Kino, das Center für Artist Books sowie eine ganze Reihe von Werkstätten für Kurse unterschiedlichster Art beheimatet sind. Meine Kollegen im VRC waren Künstler und Designer, die an ihrem PhD, also ihrem „doctorate“, einem “Doctor of Philosophy” arbeiteten. Die Besonderheit bestand für mich nicht nur darin, dass sie das als praktizierende KünstlerInnen und DesignerInnen taten, sondern ihre praktische Arbeit auch noch Teil und Gegenstand ihrer theoretischen Forschung ist.
Dazu kam, dass mich nicht nur dieses Konzept interessierte, sondern ich auch die Leute, die das machten, sehr interessant und sympathisch fand – was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Während meiner Rsidency in Dundee habe ich nicht nur einige dauerhafte Freundschaften geschlossen, sondern auch das Angebot bekommen, mit einem PhD-Projekt zurückzukehren an die Universität. Das war 2001.
In den folgenden Jahren wälzte ich die Idee hin und her und unternahm mehrere Versuche, ein Forschungsvorhaben zu formulieren, die ich größtenteils wieder verwarf. Zu den inhaltlichen Schwierigkeiten gesellten sich praktisch-organisatorische: eine Bedingung, um zu einem PhD zugelassen zu werden, ist ein M.A., ein Masters degree, das ich nicht habe und auch nicht das, das für die Zulassung zum Bachelor erforderlich ist. Ich habe ein deutsches Kunsthoschul-Diplom, das im Prinzip nichts wert ist im anglo-amerikanischen akademischen System – im deutschen übrigens auch nicht. Denn bei meiner Suche nach einer Alternative in Deutschland bekam ich z.B. von der UdK in Berlin eine Absage mit der Begründung, dass ich keine allgemeinen Hochschulabschluss hätte…
Zwischen 2001 und 2006 war ich dann zwei bis dreimal im Jahr in Schottland, meist in Verbindung mit Vorträgen und nur dem unermüdlichen Einsatz meines Supervisors Nigel Johnson ist es zu verdanken, dass ich mich dann im September 2006 offiziell einschreiben konnte als PhD-student. Nachdem ich selbst insgesamt vier Jahre an Kunsthoschulen und Universitäten unterrichtet hatte, war ich selbst wieder Studentin. Eine weitere Identität, sogar eine mit Ausweis.
Unsere Vereinbarung ist, dass ich im ersten Jahr meine Forschung “remote”, also von Hamburg aus betreiben kann. Im zweiten Jahr wird meine Anwesenheit erforderlich – um mich für das akademische Leben zurechtzubiegen. Im Moment holpert und stolpert das noch etwas, und die Tatsache, dass ich meiner künstlerischen Praxis noch den Vorzug gebe, vor der theoretischen Forschung, wird zähneknirschend gebilligt. Noch. Nächstes Jahr wird alles ganz anders.
Und morgen mache ich mich also wieder auf den Weg nach Dundee. Seit drei Monaten gibt es aus unerfindlichen Gründen keine Direktflüge mehr von Hamburg nach Schottland, weder Glasgow, noch Edinburgh. Ich muss also umsteigen, was nicht nur länger dauert, sondern auch viel teurer ist. Das alleine ist schon schlimm genug. Nach den gescheiterten Anschläge in London und dem Anschlag in Glasgow am vergangen Wochenende kommt aber noch etwas Anderes dazu. Die Security-Hysterie am Flughafen London Heathrow wird zu einem unkalkulierbaren Faktor. In Heathrow wird man am meisten schikaniert in den Kontrollen. Für ein Umsteigen innerhalb des gleichen Terminals werden inzwischen 60 Minuten veranschlagt. Die Wahrscheinlichkit, dass ich meinen Anschlussflug nicht bekomme, ist relativ groß. Das bedeutet dann in weiteren Schlangen stehen und auf Umbuchungen warten. Nach Streichungen von Flügen kann das schon mal drei bis fünf Stunden dauern. Da der Flughafen in Glasgow nur teilweise in Betrieb ist nach dem Attentat fliegen sicher viele über Edinburgh nach Schottland ein. Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet. Ein Anruf bei der Airline hat ergeben, dass die Verbindung heute geklappt hat. Ich hatte schon überlegt, den Flug einfach verfallen zu lassen und mir diesen Stress und diese Demütigungen zu ersparen.
Längerfristig ist es sicherlich die einzig richtige Idee, sich für ein Lebensmodell zu entscheiden, das keine Reise-Tätigkeit erfordert. So lange ich in Hamburg lebe, wird mir das aus strukturellen Gründen leider nicht möglich sein. Nun fliege ich also morgen erst einmal nach Heathrow und lasse mich überraschen. Es wäre schade, wenn ich dort einer islamistischen Bombe zum Opfer fallen würde, denn die schottische Hochzeitfeier mit Dudelsack und Kilts von meinen lieben Freunden, die am Freitag in Edinburgh stattfindet, würde ich nur ungern verpassen.
[1] inzwischen ist die Duncan of Jordanstone University in Dundee leider nicht mehr Partner im EMARE-Netzwerk