Des Pudels zottelige Locken
von Cornelia Sollfrank
Die Idee, eine Veranstaltung durchzuführen entstand im Rahmen einer THING-Redaktionssitzung. Wir besprachen mögliche Beiträge zur IBA und stellten fest, dass zum einen ein geplanter, kritischer Beitrag vom und zum letzten Jahr noch immer nicht eingetroffen war (obwohl seit langem in Arbeit) sowie von uns geschätzte Künstler aus dem Ausland (Critical Art Ensemble und A la plastica) sich – auf Einladung des IBA Kultursommers – gerade in der Stadt aufhalten. Wir fragten uns, ob diese Künstler etwas wüssten über den lokalen Kontext und die Kritik, die sich begann nach dem letzten Sommer zu manifestieren. Es war naheliegend, die am diesjährigen Kultursommer beteiligten KünstlerInnen einzuladen und sich mit ihnen über die – auch im letzten Jahr entstandenen – Erfahrungen mit der IBA auszutauschen und besonders auch die für nur kurze Zeit aus dem Ausland angereisten KünstlerInnen mit einer lokalen Perspektive zu konfrontieren.
Da keine Mittel für eine solche Veranstaltung vorhanden waren, war schnell klar, es würde eher informell sein und an einem für uns leicht und kostenlos zugänglichen Ort stattfinden. Zudem war schnelles, um nicht zu sagen überstürztes Handeln notwendig, denn die oben erwähnten KünstlerInnen waren kurz vor der Abreise. Da niemand aus der THING-Redaktion Zeit hatte, sich verantwortlich um die Realisierung zu kümmern, einen Termin zu setzen oder einen Ort zu organisieren, sprang Christoph Schäfer in die Bresche, kümmerte sich um Ort und Termin und die Einladung. Dass ihm das später zum Vorwurf gemacht wurde, halte ich für unfair, weil es ohne seine Initiative überhaupt keine Veranstaltung gegeben hätte. Dass wir (THING-Redaktion) durch Christophs Engagement die „Kontrolle über die Veranstaltung verloren hatten“, hat mich nicht gestört, dennoch hätte ich es begrüßenswert gefunden, wenn mit der THING-Redaktion als Initiatorin einige Dinge genauer abgesprochen worden wären, insbesondere die Frage der Strukturierung des Abends (Moderation) sowie die Einladungspolitik. So kam es entgegen dem ursprünglichen Wunsch von THE THING zu der Entscheidung, KEINE Moderation anzubieten, darüber hinaus tauchten in der von Christoph verfassten Einladung weitere Einladende und Organisatoren auf, von denen mir das Gartenkunstnetz bis dahin vollkommen unbekannt war.
Da ich laut meinem Terminkalender an dem geplanten Montag sowieso nicht mehr in der Stadt hätte sein dürfen, habe ich mich weitgehend aus allen Entscheidungsfindungen rausgehalten und mich nicht aktiv eingebracht im Hinblick auf die Organisation. Dass ich meine Abreise dann kurzfristig doch verschoben habe, lag nur daran, dass ich unbedingt sehen wollte, was dieser Abend bringt...
Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich bereits dazu geäußert haben, fand ich den Abend insgesamt positiv. Die als negativ angeführten Argumente, es hätte „keine gemeinsame Sprache, keine geteilten Probleme, keine gemeinsame Interessen gegeben“ oder „keinen gemeinsamen Nenner“ stufe ich ingesamt positiv ein. Entgegen der sonst in Hamburg sorgfältig durchgehaltenen Aufteilung der Stadt in Szenen, in denen Sprache, Probleme, Interessen und Nenner nur allzu einheitlich sind, habe ich mich erst einmal gefreut, dass sooo viele Mensche da waren, die ganz offensichtlich alle aus sehr verschiedenen Szenen kommen. Wie Brigitta bereits bemerkte war sogar das vorhandene Spektrum bei weitem noch nicht breit genug, denn „... Von den Betroffenen, den Bewohner_innen schien niemand anwesend zu sein, insbesondere niemand von den dort lebenden ethnischen Minderheiten.“ Dem könnte man aber auch entgegensetzen, dass es in der Einladung nicht geheißen hatte, in erster Linie über die IBA zu diskutieren, sondern über die „... zunehmende Instrumentalisierung von Subkulturen, kritischen Intellektuellen und Künstlern“.
Ich hatte das Anliegen des Abends so verstanden, dass diejenigen, die an dem Abend zusammenkommen wollten – ausgehend von der aktuellen Situation bezüglich der IBA – darüber nachdenken, welche Rolle SIE jeweils in dem „Szenario einer zunehmenden Instrumentalisierung“ selbst spielen, freiwillig oder unfreiwillig, wissentlich oder unwissentlich. Dass überraschenderweise so viele gekommen waren, habe ich so interpretiert, dass viele sich bereits als in dieser Problematik befindlich wahrnehmen und durch den Austausch mit anderen, besser verstehen wollen, was vor sich geht, an welcher Stelle sie sich selbst befinden und was sie – mit ihren üblichen Verbündeten oder möglicherweise in ganz neuen Konstellationen – tun könnten, um die schleichenden und reibungslosen Prozesse der Vereinnahmung zumindest zu stören.
Leider schien dann insgesamt wenig Interesse zu bestehen, die eigene Praxis und die eigene Rolle kritisch zu betrachten und in einem Vereinnahmungsszenario zu verorten; viele derjenigen, die sich geäußert haben, fühlten sich zwar bemüßigt, sich irgendwie zu rechtfertigen, doch zu klaren Analysen und eindeutigen Stellungnahmen im Hinblick auf die Thematik der Vereinnahmung kam es überhaupt nicht. Stattdessen stellten sich – leider in linken Kreisen sehr übliche – moralische Superioritätsdarstellungen ein. Dabei kann Mitmachen oder Nicht-Mitmachen nicht die Frage sein, bei der die Diskussion endet, damit kann sie allerhöchstens beginnen. Was spricht wofür oder wogegen? Ein unsichtbares Nicht-Mitmachen ist nicht zwangsläufig „besser“ als ein störendes Mitmachen...
Nicht übersehen werden sollte auch der Umstand, dass es für viele KünstlerInnen keinen sehnlicheren Wunsch gibt als endlich „mitmachen“ zu DÜRFEN, dabei zu sein, dazuzugehören – eine Befindlichkeit, die das Projekt „Wir nennen es Hamburg“ gut für seine Zwekce zu nutzen weiß. Solange wir nicht ehrlich mit diesen Voraussetzungen umgehen, unsere Verletzlichkeit und Prekarität nicht auf den Tisch legen, zugeben wie leicht wir gerade in den sich verschärfenden Verhältnissen korrumpierbar sind, können wir nicht über Instrumentalisierung sprechen. Ein „Dilemma der künstlerischen Praxis in Hamburg“ (Ligna) gibt es m.E. als solches nicht; Vereinnahmung ist kein auf Hamburg beschränktes Problem. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Städten, größeren und kleineren – hat Hamburg den großen Vorteil, dass man in dieser Stadt, die (sich verändernden und gleichzeitig erstaunlich starren) Verhältnisse relativ deutlich ablesen und benennen kann. Das hat verschiedene Gründe, die ich an dieser Stelle nicht ausführlich darlegen kann, aber die Größe einerseits und die kontinuierliche, lokale Arbeit von KulturproduzentInnen zur Kulturpolitik, vielfach praktizierte Kritik an der Institution sowie ein relativ hoher Grad an Informiertheit und Organisiertheit tragen dazu bei.
Die Ausgangssituation ist also keine schlechte. Im Vergleich zu den vielen anderen Orten, die ich besucht habe in den letzten Jahren, sieht es sogar so aus, als ob Hamburg die Stadt sein könnte, in der das, was bereits an vielfältigen Formen von Widerspenstigkeiten und Widerständigkeiten vorhanden ist, sich zu einer neuen „Form“ weiterentwickeln könnte – wobei „Form“ sicherlich der falsche Begriff ist. Es sollte keine erkennbare Form sein, nichts was sich leicht identifizieren und damit wieder institutionell einverleiben ließe. Ich denke, dass Teile der späteren Vorwürfe gegen Christoph und Pudel sich darin begründen, dass man weiß, dass „das Geschäft der Kunst eins der Repräsentation ist, weshalb man sich davor hüten sollte, diese Prozesse zu Kunst zu erklären“ oder zumindest in die Nähe eindeutig identifizierbarer Künstlersubjekte und Marken zu bringen, denn die schamloseste aller Instrumentalisierung passiert nicht durch die Politik, sondern durch die Kunst selbst, passiert, wenn politische Prozesse und Themen zu Kunst erklärt werden und sich nahtlos einordnen in Strukturen künstlerischer Repräsentation.
Dennoch braucht man, um weiter machen zu können ein paar Orientierungspunkte, Begriffe, minimale und bewegliche Strukturen. In ihrem Text „ Das Transversale und das Unsichtbare: Wie macht man wirklich ein Kunstwerk, das kein Kunstwerk ist?“ schlägt Susan Kelly anstatt „Form“ den Begriff „Konsistenz“ vor: „Konsistenz bezieht sich auf eine Bewegung und eine materielle Stofflichkeit, die Heterogenitäten zusammenhält, ohne der Materie durch den Rückfall auf eine Struktur eine Form aufzuzwingen“... „Und unter diesen Bedingungen geht es bei dem Versuch, Praxen in einer bestimmten Konsistenz zu halten, also maßgeblich darum, für die beschriebenen Ideen, Konzepte und Aktivitäten eine andere, bislang unbekannte Zukunft zu öffnen.“ Ob dieser Begriff wirklich hilfreich ist, weiß ich nicht, man könnte es mal ausprobieren. Oder vielleicht gibt es noch andere Vorschläge?
Ich finde es naheliegend und wünschenswert, dass es ein weiteres Treffen gibt, eins, das von anderen Leuten organisiert wird und an einem anderen Ort stattfindet. Üblicherweise schlage ich an dieser Stelle vor zur Organisierung so eines „losen Haufens“ eine Mailingliste einzurichten, das könnte man schnell und problemlos machen, aber vielleicht ist das für dieses Vorhaben schon zuviel? Die virale Verbreitung der Einladung beim letzten Mal hat ja gut funktioniert...
Mir hat der Abend im Pudelsalon gefallen; er hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass viel möglich ist – gerade in Hamburg.