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Kommentar [1]
15. Januar 2008

Ziereremiten im Garten des aufgeklärten Fürsten

Christoph Schäfer


Wenn es in der Kunst je eine höhere Gerechtigkeit gab, dann jenen Sturm, der Ai Weiwei's Template in eine Ruine verwandelte. Foto: Christoph Schäfer, 2007

Schon beim Auseinanderfalten des Plans wird deutlich: die documenta 12 spielt sich in den fürstlichen Gebäuden, Gärten und barocken Achsen ab – so ausschließlich, wie keine documenta zuvor. Das wird besonders augenfällig, wenn man den Rundgang da anfängt, wo es der Leitfaden der Ausstellungsleitung vorsieht: im Schlossgarten von Wilhelmshöhe.

Ich komme abends an, die Ausstellung macht gleich zu, und so will ich wenigstens den Sekula oben am Berg noch gesehen haben. Ich schleppe mich durch die royalen Achsen auf das Schloss zu. Auf dem Weg passiere ich die dahindarbenden Reisterrassen von Sakarin Krue-On.

Zu Reisterassen gäbe es eine Menge zu denken – nichts davon ist hier gemeint. Die Arbeit ist wie in einem romantischen Landschaftsgarten platziert: als exotisches Element, harmonisch eingepasst in den fürstlichen Garten von Kassel. Auch im Katalog ist nichts zum Hintergrund zu erfahren – die Argumentation bewegt sich im formal-ästhetischen und erklärt mögliche Inhaltlichkeit der Terrassen mit Bezug auf die Kaskaden unterm Herkules weg.

Doch die Terrassen halten nicht, der Reis will nicht wachsen. Eigentlich kein Wunder, wo hier doch schon das Denken nicht funktioniert: Was für einen Gewinn stellt das vom Künstler hergeplante Reisfeld eigentlich gegenüber dem kollektiv geschaffenen Original dar? Errichtet von deutschen Landschaftsplanern und Bewässerungsingenieuren, fragt man sich, wessen Überlegenheit mit dem Werk eigentlich hätte bewiesen werden sollen – wenn es denn funktioniert hätte. Und warum werden all diese Differenzen und Fehlübersetzungen, diese Anmaßungen nicht thematisiert, nicht bearbeitet? Jahrzehnte nach Earth Art und Ökologiebewegung wird hier ein Element dekorativ in der Landschaft platziert – unter Ausblendung des sozialen Gefüges, das diese komplizierten Erdarchitekturen entstehen lässt, plant und aufrecht erhält.

Das ist meines Erachtens der Hauptpunkt, den diese documenta zu setzen versucht: die Wiederauferstehung der durch das humanistische Ideal gezügelten Schönheit. Das ist das Gegenteil von linker Ästhetik: Die kritisierte die Rolle der Schönheit innerhalb einer affirmativen Kultur ja als etwas, das die Wahrheit entgiftet und damit verfälscht, und legte Wert darauf, politische Strukturen herauszuarbeiten – zu analysieren (oder gar zu verändern).

In dem Sinne mochte ich Alan Sekula bis dahin, allein wegen seiner großartigen Fish Story auf der documenta 11, wegen seines kapitalismuskritischen Ansatzes, und wegen einer Fotoästhetik, die den Alltag ernst nimmt und aus dem Material das Politische herauszulesen versucht.

Doch Sekulas documenta-12-Arbeit Shipwrek and Workers verkehrt diesen Ansatz in sein Gegenteil: Fotos aus dem Alltag von ArbeiterInnen (Frauen arbeiten als Hebamme, Männer als Kanalarbeiter) werden tiefenpsychologisierend mit den Kaskaden unterm Herkules verstrickt (Geburtswasser, Kanalwasser... auweia). Am Fuße des Wasserfalls, in einem künstlichen See, ist auf einem schwimmenden Ponton das Foto eines havarierten Tankers installiert – und die Art wie das geschieht, „erhöht“ das Geschehen aus der schnöden Sphäre menschengemachter, politischer Profitinteressen, in den Himmel des grundsätzlich tragisch Bejammernswerten, des entpolitisiert Schicksalhaften.

Die Schönheitslinie

Im frühen Landschaftsgarten hat man künstliche Ruinen errichtet – als Verweis auf Bildung, Herkunft, mythische Geschichte, als stimmungssteigernde Elemente, die Gefühle der Erhabenheit und Einsamkeit erzeugen sollten – vor allem jedoch als Vergänglichkeitszeichen. Als follies bezeichnet man diese Ruinen, zweckfreie Zierbauten, die auch als orientalischer Tempel, Pyramide oder Chinesische Pagode in der Landschaft auftauchen konnten. Diese follies wurden als Verweise darauf verstanden, dass das Wissen der Welt zusammenhängt, über Zeiten, Kulturen und Grenzen hinweg. Damals sicher eine fortschrittliche, humanistische, nichtsdestotrotz mit dem Kolonialismus korrespondierende Idee - auf der documenta 12 taucht sie ungebrochen wieder auf: als Migration der Form. Leibniz, dem diese Ausstellung mehr schuldet als sie von sich weiß, verglich die Verbreitung des Wissens um die Welt mit den Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein aufwirft – dass das Wissen, wie diese Wellen, zwar unmerklich, aber dennoch um die ganze Welt wandert.

„Unmerklich“ – das scheint mir einer der antirationalen Schlüsselbegriffe in diesem romantischen Bildungsgarten zu sein: man soll sich einlassen, wandeln und unhinterfragt die Werke ins Bewusstsein sickern lassen. Natürlich entspricht eine solche – den Bruch vermeidende – Ästhetik den herrschenden Sehgewohnheiten – im Hollywoodfilm ist das Doktrin. Die wiederum hat ihre Wurzeln im Landschaftsgarten, genauer: in der Auffassung der Theodizee und damit einer Ästhetik, in der die unsichtbare aber ordnende Hand Gottes die Wirklichkeit arrangiert, ohne ihre Gesetzmäßigkeiten preiszugeben. Dieses Ideal wird im Englischen Garten verkörpert, etwa in der Suche nach der sanft mäandrierenden Schönheitslinie. Dieser Schönheitslinie musste alles andere unterworfen werden – nichts war so verpönt, wie sichtbare Grenzen, Zäune oder Mauern. Herausgekommen sind jene Landschaftsgärten, die man – auch heute noch – mehrheitlich als schön empfindet . In linken Diskussionen nannte man das einmal: Ästhetik der Verschleierung .

Wenn man so will, ist auch das Gebäude, in das das meiste Geld geflossen ist, nichts anderes als ein Folly: der Glaspavillion in der Aue als Miniaturversion des Londoner Kristallpalastes zur Weltausstellung. Nur das von dem kristallenen Eindruck nichts übrig blieb. Der um Ausreden nicht verlegene Buergel konterte zynisch, ihm gefalle der Verhau viel besser, habe er doch ohnehin eine Favela bauen wollen. Wahrscheinlich war dem Kurator gar nicht klar, dass er sich damit in jene herrschaftliche Gartentradition einschrieb, die von Marie Antoinette in Form eines pittoresk-ärmlichen Schaudorfes im späten Garten von Versailles begründet wurde.

Dieses Schaudorf war Teil einer Entwicklung, die lebendige Menschen als Gestaltungselemente in die Landschaften integrierte, und die mit der Mode des Ziereremitentums weite Verbreitung fand: Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigten zahlreiche Adelige "decorative hermits", die zur Zierde eines Gartens und gegen Bezahlung in Eremitagen wohnten.

Der documenta diese Figuren zu beschaffen, hatte sich der beliebte chinesische Künstler Ai Weiwei zur Aufgabe gemacht. 1001 Chinesen brachte der Künstler in einem Kassler Lager unter. 1000 und 1 – das klingt konzeptig-unangreifbar und orientalisch zugleich. Fairytale hieß die Arbeit, die mit den eingeflogenen Chinesen gleich alle ostasiatischen Besucher exotisierenden Besucherblicken aussetzte. Obendrein stellte Ai Weiwei den Kuratoren auch noch den im Englischen Garten unvermeidlichen Chinesenturm hin. Der war zunächst nicht nur schön, sondern auch gut - nämlich aus Türen und Fenstern von Abrisshäusern gebaut, die den brutal durchgezogenen Olympischen Planungen in Peking weichen mussten. Dass Ai Weiwei selbst zentral an diesen Planungen beteiligt ist, nämlich mit dem nach seinen Entwürfen (in Kollaboration mit Herzog und de Meuron) gebauten Olympiastadion – das findet in dem Zusammenhang nirgendwo Erwähnung. Und auch in den zahlreichen gegen die Ausstellung hubernden Kritiken wird diese zynische Verbindung nicht herausgearbeitet. Wenn es in der Kunst je eine höhere Gerechtigkeit gab, dann jenen Sturm, der „Template“ in eine Ruine verwandelte.

Der gute Eindruck, den im Gegensatz dazu das wenigstens vorsichtig subversive Mohnfeld von Sonja Ivecovic, dass elegant Monets Mohnwiese mit einem kommunistischen Frauenchor aus Afghanistan kombinierte (und so Schönheitserwartung an Kunst und Blumen, die Frauenrolle in Kunst und Kommunismus, dessen Pathos, dessen Versprechen und dessen Niederlage, Rausch, Drogenhandel unter Schutz des deutschen Militärs in Afghanistan - facettenreich aber provokativ zusammengleiten ließ) und das Karussell von Andreas Siekmann mit seinen komplexen Bezügen auf Dantes Reise durch die Höllenkreise als Metapher für die Sonderzonen der Globalisierung hinterlassen, wird schon auf der Nachbarwiese durch die dort aufgestellten, wie Siekmanns Karussel und Ivecovic's Mohn, roten Bänken zurückgenommen - und im Portal des Fridericianums schließlich vollkommen zunichte gemacht. Das Foyer tritt einem als verspiegelter Raum, als Pendant zum Spiegelsaal in Versailles (aber ohne dessen Raffinesse), als eine Art selbstgemachter Dan Graham (aber ohne dessen doppelten Boden) entgegen, mit einer kupferfarben spiegelnden Skulptur in der Mitte. Das ist übrigens symptomatisch an dieser Documenta: immer wieder trifft man auf Dünnes, Kunstartiges, das man besser von anderen kennt, und wenn man rauszukriegen versucht, was es ist, stellt es sich als von den Kuratoren selbst geplantes Zwischending – als rote Bank, Beirat oder partizipatorischer Schwebebalken heraus.

Und obwohl die documenta 12 ein englischer Landschaftsgarten ist, kommen Künstler, die sich damit beschäftigt haben, nicht in der Ausstellung vor. Einzige Ausnahme: Lukas Duwenhögger’s Celestial Teapot – ursprünglich ein Beitrag zum Wettbewerb für ein Denkmal für die von den Nazis ermordeten Homosexuellen. Celestial Teapot ist ein Modell für ein folly: eine Teekanne als Pavillion, die die gleichnamige tuntige Geste darstellt. Genaugenommen eine aristokratische Rokoko-Geste, die, von der bürgerlichen Kultur und ihrem heterosexistischen und frauenfeindlichen Naturbegriff verdrängt und diskriminiert, über den Umweg durch die schwule Subkultur zurück aufs Podest in dieser bürgerlich bildungsbeflissenen Ausstellung gefunden hat.


"Celestial Teapot" von Lukas Duwenhögger ist ein Modell für ein "Folly" – eine Teekanne als Pavillion, die die gleichnamige tuntige Geste darstellt. Foto: Christoph Schäfer, 2007

Jeder auf seinen Platz


Eine Reproduktion des Angelus Novus von Paul Klee hing im Herzen des Fridericianums. Das Aquarell, laut Katalog untrennbar mit seiner Interpretation durch Walter Benjamin als Engel der Geschichte verknüpft, versprach leitmotivisch über der Ausstellung zu schweben. Dann hätte die d12 ein Versuch sein müssen, die in der Vergangenheit verratenen Versprechen wieder auszugraben, dem in der Wirklichkeit Gescheiterten und Unterdrückten seine Würde zurückzugeben, das gesellschaftlich Verdrängte zu zeigen . Ein Jahr zuvor ließ die Ankündigung, Ricardo Basbaum, Alice Creischer und Imogen Stidworthy würden gezeigt, hoffen, dass es eine materialistische, kritische und dialektische Ausstellung würde, eine, die das Künstler-Publikum-Verhältnis umgekehrt – und einen kollaborativen Kunstbegriff aktualisiert hätte. Doch keine Erwartung konnte falscher sein.

Denn die documenta 12 entspringt einem ganz anderen Geist. Jeder bekommt in diesem Reich der affirmativen Kultur seinen Platz zugewiesen: der Galeriekünstler reflektiert in der Galerie über die Galerie, der Einwohner darf sich im Kulturzentrum treffen und folgenlos im Beirat diskutieren, der Exot bastelt, die Eingeborenen müssen ihre Haartrachten ethnologisch einordnen lassen, der Chinese in Massen auftreten, der deutsche Videokünstler analysiert den Blick auf den Fußball, die japanisch-deutsche Kollegin kommt in bondage auf die Leinwand, die brasilianischen Slumbewohner müssen für Diaz und Riedweg die Menschenfresser mimen. Der Modus, in dem sich die documenta der Wirklichkeit nähert, ist der des humanistischen Aristokraten, der sich die politischen Widersprüche wegromantisiert und die Welt in einen idealisierten Landschaftsgarten sortiert, ausgestattet mit orientalischen Pavillions und follies, künstlichen Ruinen, Ziereremiten, und mit Schlössern voller erotischer Pikanterien und exotischer Sammelstücke.






Kommentar [1]
Bernd Leifeld schrieb am 13.07.2008 00:56

Sieht man diese höhere Gewalt (Sturm) als “zutreffende höhere Gerechtigkeit” an, dann würden entsprechend kultivierte Leser annehmen, daß Ai Weiwei und/oder sein Turm die (!) Autoren nicht erfreut haben. (Turmbau in der Geschichte — auch das kann man kultur-anthropologisch diskutieren…) Und wer hält sich, bitte schön, für einen “aufgeklärten Fürsten”?! :-)

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