Kulturpolitiker/-innen wieder ganz woanders
von Ulrich Mattes
Die Qualitäten eines »woanders«, die seit 2006 mit dem Titel »Wir sind woanders« von einem Teil der freien Szene Kunstorte und -Initiativen Hamburgs behauptet werden, zeigten sich noch einmal eindrücklich beim abschließenden Politikergespräch des »European Art Festival Hamburg 2007« am 15. November 2007 im Westwerk, Admiralitätsstraße, Hamburg.
[Die vollständige Dokumentation der Diskussion als Audio-Mitschnitt (mp3) unter www.wirsindwoanders.de]Der nachmittägliche TatbestandDie Politiker/innen Brigitta Martens (CDU), Dr. Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Dr. Willfried Maier (GAL) waren geladen, Stellung zur aktuellen Kulturpolitik Hamburgs zu nehmen, die sich als »Talentstadt« mit einer »lebendigen Kunstszene« als Standort- und Tourismusfaktor immer wieder schmückt, daraus jedoch keinerlei Konsequenzen für eine zumindest teilweise Rücknahme der in den letzten Jahren vorgenommenen, drastischen Kürzungen der Fördermittel für eben diese Szene zu ziehen in der Lage ist.
Olaf Bargheer (Moderation und Pressereferent »Wir sind woanders #2«) führt zunächst in das im Oktober während des »European Art Festival Hamburg 2007« von den teilnemenden Kunstorten und -Initiativen Geleistete ein. Móka Farkas (Festivalorganisation) rekapituliert das finanzielle Dilemma der Kunstorte im Zuge der drastischen Mittelreduzierung seit 2003 bei gleichzeitigem Wachstum der Hamburger Szene von 8 auf ca. 30 freie Kunstorte.
Die anschließend eingeforderten Stellungnahmen zur Situation der Bildenden Kunst im Spiegel des Hamburger Haushalts verwässern die geladenen Politiker/innen erst einmal kollektiv und elegant in die komplexe Struktur des gesellschaftlichen Miteinanders dieser Stadt hinein, bei der die Künstler/innen ja nur eine kleine Randgruppe vorstellen. Nun, auch Ingenieure stellen so gesehen eine »Randgruppe« vor ...
Willfried Maier (GAL) tritt gleich zu Anfang in den Fettnapf, die Forderungen der freien Kunstorte nach Verdopplung des Etats von 180.000,- € auf 360.000,- € in Relation zu setzen mit der staatlichen Förderung der Künste während der NS-Zeit: »Das will man so ja auch in der Kunst nicht ... wir kennen die Konsequenzen aus der staatlichen Förderung von Künstlern wie Arno Breker ...«. Dass sich ein Staatswesen wie das der Bundesrepublik grundlegend von dem einer Diktatur unterscheidet, wird dabei mutwillig und um des Argumentes willen unterschlagen. Dass der NS-Staat seine Propaganda-Maschine aus den großzügigen Gaben der Wirtschaft speiste und damit exakt die merkantile Abhängigkeit von Kunst und Kultur beförderte, gegen die sich die Hamburger Initiativen heute wenden, verschließt sich Maiers geistigem Fassungsvermögen. Dieses opportune Podiumsgebaren Maiers ist nicht verwunderlich, wenn man nur beispielhaft einen seiner zurückliegenden Vorschläge kennt, wie der Senat seine Mittel für die Kunstförderung durch wirtschaftliche Schachzüge aufstocken soll: So hat Herr Maier doch ernsthaft in einer Bürgerschaftssitzung 2005 vorgeschlagen, die angekauften Kunstwerke, die die Flure der Behörden zieren, in einer »Artotek« zu versammeln und gegen Gebühr zu entleihen. Einmal davon abgesehen, dass damit die visuelle Präsenz (und damit sicherlich mittelfristig auch die Akzeptanz) bildender Kunst innerhalb der Verwaltung mutwillig zurückgefahren wird, ist Herr Maier nicht in der Lage, den vewaltungstechnischen Aufwand einer solchen Aktion mit den daraus resultierenden Einnahmen in ein Verhältnis zu setzen. Schnell würde ihm dabei klar, dass sich der Vorschlag zu einem Minusgeschäft für die Stadt entwickeln dürfte, ja, das damit eingefahrene Defizit zusätzlich den mageren Kunstetat einschrumpfen würde.
Die zweite Falle aus dem Repertoire opportunistischer Argumentationsketten, in die Herr Maier zielsicher tritt: Die Künstler/innen sollten sich selbst stärker um die wirtschaftliche Verwertung ihrer Produkte kümmern. Ja, was meint er denn, womit Künstler/innen sich im Rahmen ihrer Tätigkeit unter anderem so beschäftigen? Wenn er dann noch von einer »Spitzwegisierung« der Kunst durch eine allzu großzügige staatliche Förderung spricht, steht die Zuhörerin sprachlos vor einer faschistoid verdrehten Welt politischer Kulturverwirrung: Soll die Marktfähigkeit künstlerischer Produktion womöglich vor »Entartung« schützen?
Und nachgereicht: Die politische Rede von der Verwertungssteigerung künstlerischer Leistungen unterschlägt konsequent die jedem »Marktgebaren« in anderen Sparten widersprechende Honorierung, die die Stadt Hamburg bei der Inszenierung ihrer offiziellen »Verschönerungsevents« an die Künstlerschaft zu zahlen bereit ist – wenn überhaupt Honorare fließen. Die Stadt selbst agiert hier als Preisdrückerin mit Leitbildcharakter auch für die Wirtschaft, Künstler/innen als kostengünstige »Rampensäue« wider Willen zu mißbrauchen.
Nun geht es aber den Hamburger freien Kunstorten eben nicht vorrangig um die Verwertung einzelner Werke (dies wäre dann in der Tat auch Sache der Künstler/innen), sondern um die (in großem Umfang ehrenamtliche) Bereitstellung von Experimentierfeldern und Präsentationsmöglichkeiten für die Kunstschaffenden, die diesen Freiraum als Forschungslabor nutzen, also um das Schaffen der Voraussetzungen für eine bessere Sichbarmachung künstlerischer Arbeit als Basis selbstbestimmter »Talentförderung« einerseits (zwangsläufig »selbstbestimmt«, denn in der Bildenden Kunst gibt es dafür im Gegensatz zu anderen Berufsfeldern außer der »Off«-Kultur kaum »offizielle« Foren) und erst andererseits und unter anderem um die Etablierung späterer »Verwertbarkeit« neuer künstlerischer Arbeitsformen und daraus resultierender Produkte. Auch dieser feine Unterschied war den anwesenden Politiker/innen nicht nahe zu bringen: Es besteht ja nur in Ausnahmefällen eine Personalunion von Präsentation der »eigenen« Kunst und dem Betreiben eines Kunstortes. Die in Hamburg unter dem Label »Wir sind woanders« von Künstler/innen betriebenen Räume sind nicht im klassischen Sinne Produzentengalerien, sondern Orte der Auseinandersetzung mit Kunst, kleine Bildungsinstitute, die zur Zeit unter keinen Umtänden marktfähig sind, was aber nichts über ihre gesellschaftliche Relevanz aussagt – das sollte man historisch gelernt haben.
Die finanzielle Lage der freien Szene spitzt sich im Zuge der allgemeinen Kommerzialisierung der Gesellschaft enorm zu, jede Streichung von Mitteln bedeutet de facto eine zunehmende Verarmung der Kunstszene und ihres Ideenreichtums. Da steht uns ein »Artensterben« bevor, das 200 Jahre Moderne ignoriert. Ein Grund mehr für die Politik, ihrem propagierten Engagement für den Sozialstaat und ihrer Verantwortung als Vertretung aller Bürger/innen gerecht zu werden, so könnte man meinen. Von der derzeit in den einschlägigen Parteiprogrammen diskutierten Pflicht zur Förderung kultureller Bildung als »Staatsziel« wollen wir hier gar nicht erst reden.
Mit großem Aufwand werden Plattformen wie »Jugend forscht« [1] inszeniert. Möchte Herr Maier indirekt wirklich vorschlagen, zukünftig sollen auch hier die Jugendlichen diese Events selbst und ohne staatliche Unterstützung veranstalten?
Nun ist die Hamburger Szene ja nicht derart betriebsblind, dass sie einfach nur mehr Geld von Vati Staat einfordert. Ihre Forderungen beziehen sich auf die staatlich unterstützte Akquise neuer Geldquellen für die freie Kunstszene, eine Leistung, die zu den Leuchtturmprojekten Elbphilharmonie, Tamm-Museum und anderen privaten Investorenprojekten von Seiten der Stadt ganz selbstverständlich erbracht wird. Der Grund dieser Forderung liegt in der ungleich höheren Effizienz, die ein staatlich ausgegebenes Paradigma ermöglicht, wie das bereits ansatzweise die Millionenspende eines anonymen Sponsors gezeigt hat, die derzeit von der Kulturbehörde Hamburg (auch zugunsten der freien Kunstszene) verwaltet wird. Die einzelnen Kunstinitiativen können eine derartige Leistung im Kleinen nur unter sehr hohem Zeit- und Arbeitsaufwand erbringen und sie ist zudem in der (hier sogar von Seiten der geladenen Politiker/innen angesprochenen) kunstfeindlichen Atmosphäre in der Hansestadt aufgrund der vielen kleinen Erniedrigungen, denen man sich bei der Einzelakquise aussetzt, fast schon kontraproduktiv. Kunst ist eben in Hamburg traditionell nur was für Spinner ... Diese Erkenntnis wird von den anwesenden (Kultur)Politiker/innen überraschend schicksalsergeben hingenommen.
Durbahn, eine der beiden Vertreter/innen der freien Hamburger Kunstszene auf dem Podium, setzte die Runde immer wieder mit der Aufforderung unter Druck, nicht vom Thema abzuschweifen, sondern zu formulieren, was sie angesichts des kulturellen Engagements, das sie sich als »Sachverständige« im Einzelnen auf die Fahnen schreiben, zu tun gedenke – am Ende, es half nichts. Die von den politischen Vertreter/innen zwischenzeitlich selbst proklamierte Verstrickung in die Ohnmacht vor dem Apparat (»... am Ende stehen sie dann doch wieder vor dem Finanzsenator«) kann man auch ohne Mutwilligkeit als talentlos auslegen. Ein Politikerpraktikum am Thalia-Theater mag als guter Wille zur Sache gewertet werden, doch für die Realität der freien Kunstszene in Hamburg ist damit sicherlich kein Erfahrungshorizont zu gewinnen. Vor allem der späte Versuch von Herrn Maier, über das Persönlichkeitsmerkmal »ich komme ja von der Ästhetischen Theorie her, das habe ich studiert« Autorität in der Sache zu simulieren, läßt die Zuhörerin im Mark erschaudern. Undurchdringlich gibt sich die Argumentationskette für eine direkte künstlerische Produkt-Verwertung, auf die sich der auf dem Podium versammelte politische Lach- und Sachverstand traditionell hanseatisch versteift, soll heißen: »Kunst« bedeutet in diesen Köpfen immer noch Bilder malen, Skulpturen anfertigen, einen eigenen Stil entwickeln, der seine Liebhaber findet – wer das nicht schafft hat kein Talent.
»Sie verlassen nun den Schutzraum Hochschule ...« So beginnt alljährlich die Rede Martin Kötterings, Präsident der Hochschule für bildende Kunst Hamburg, an die abgehenden Diplomant/innen. Jeder andere Berufszweig kennt eine Industrie, die die Berufsabgänger in die Gesellschaft eingliedert, ihnen Arbeit und damit gesellschaftliche Würde wenn nicht garantiert, so zumindest in Aussicht stellt. Bildende Künstler/innen hingegen sind traditionell freischaffend und müssen sich ihren Arbeitsplatz selbst entwickeln. Darin sind sie ja auch zum Vorbild für die »creative industries« avanciert. Die wenigen gesellschaftlich etablierten Angebote für Bildende Künstler/innen jedoch stehen in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen und propagandistischen Profit, den die Gesellschaft aus der Vermarktung von Bildender Kunst zieht. Doch die »Eingliederung« Bildender Künstler/innen in das gesellschaftliche Leben leisten zunächst einmal (und nicht erst seit heute) die in Eigeninitiative der Künstlerschaft eingerichteten Kunstorte und –Inititativen, freie Archive, themenbezogene Projekte, ohne die eine »freie« Kunst, wie wir sie heute kennen und in unseren Museen rühmen, nicht vorstellbar ist.
Würde sich »die Wirtschaft« ein Vorbild nehmen am Engagement der freien Kunstszene, in der die einzelnen Protagonisten noch ihre kleinsten Gewinne freiwillig in die Förderung der Kollegenschaft, des Berufsstandes und die kulturelle Bildung des Publikums stecken, so hätten wir in Deutschland und anderswo kein jährlich wiederkehrendes Problem bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Doch selbst diese Freiwilligkeit der Künstler/innen gerät im Zuge der Funktionalisierung und Profitmaximierung der Gesellschaften an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, sie braucht die Unterstützung durch die Politik ebenso, wie die Werte unseres Grundgesetzes. Das Verhältnis zur Kultur bedarf eines Paradigmenwechsels – auch in der Bildenden Kunst.
Standesgemäß um Auswege bemüht, beklagte die anwesende Politik abschließend, dass zwischen dem in Hamburg zirkulierenden Reichtum und der Bereitschaft, dafür Steuern zu entrichten, eine tiefe Grube klafft. Hamburgs Image als »Hauptstadt der Stiftungen« läßt ja das schlechte Gewissen erahnen, das hier herrscht. Dennoch fördert das Kulturbewußtsein im Stiftungswesen Hamburgs zielsicher an den Realitäten des kulturellen Selbstverständnisses der Kulturschaffenden vorbei: Die meisten Projekte der freien Szene passen einfach nicht in das Satzung gewordene schlechte Gewissen, das die Stiftungen bindet – und der Bürgermeister schaut da ja auch nicht vorbei. Spartenübergreifende Arbeit, wie sie nicht erst seit heute in der Kunst üblich ist, findet keine Töpfe – und keine Köpfe, die diese einzurichten in der Lage wären. Die Stiftungspolitiken spiegeln darin den politisch vorgegebenen Kleingeist der Stadt, den eine kleine Kulturbehörde bei allem Engagement der Mitarbeiter/innen und der parteilosen Senatorin nur schwer aufzubrechen vermag. So entsteht derzeit ganz nebenbei eine neue Kunst der »Antragsprosa«, die sich der Doppelzüngigkeit der hanseatischen Kunstverwertung anpasst und sich dabei mittelfristig selbst um ihre fundamentalen Anliegen zu bringen droht. Das nennt man Assimilation.
[1] ... Veranstalterin von »Jugend forscht« ist die Stiftung Jugend forscht e.V., die allerdings kein eigenes Vermögen besitzt und deren Vorsitz die / der amtierende Minister/in der Bundesministeriums für Bildung und Forschung führt. Näheres siehe [http://de.wikipedia.org/wiki/Jugend_forscht] und [www.jugend-forscht.de] ...