Freie und Abrissstadt Hamburg
09.03.2003
Alfred Lichtwark hat den Begriff der Freien und Abrissstadt Hamburg geprägt, denn nicht nur der Hamburger Dom wurde Anfang des neunzehnten Jahrhunderts aus ökonomischen Gründen vollständig abgetragen, seine Kunstwerke und Sammlungen verschleudert; was Brandkatastrophen in Krieg und Frieden verschont haben, fällt in Hamburg unbarmherzig wirtschaftlichen und politischen Überlegungen und Opfer. Kaum ein bedeutsames architektonisches Bauwerk oder Bauensemble aller Kultur- und Stilepochen von internationalem Rang konnte den Spitzhaken entkommen und erhalten werden.
Nun trifft es ein bisher völlig unscheinbares - und weitestgehend von der künstlerisch interessierten Öffentlichkeit unbemerktes – Gebäude an der Alsterchaussee: das Schimmelmuseum von Dieter Roth, eins der bemerkenswertesten Kunstwerke der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Mit Kunstwerken aus verderblichen Materialien hat Dieter Roth seit den siebziger Jahren experimentiert und ist damit berühmt geworden. Es waren Objekte, die dem natürlichen Alters- und Verfallsprozess unterliegen, bis zur totalen Selbstauflösung. Für Sammler und Museen stellt diese Art von Kunst ein kaum lösbares Problem dar; sollen Restauratoren und „Sicherer“ eingeschaltet werden oder widerspricht und zerstört man damit die Grundidee der Arbeit?
Auszug aus einem Gespräch zwischen Dieter Roth und Kees Broos „Sondern 5“, Zürich 1981
D. R.: Also mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, dass ich gerne Sachen gemacht habe, die so leben, aber das ist Zerfall. Das habe ich nicht planmäßig gemacht, um das Zerfall ins Museum zu schmuggeln, aber ich habe gemerkt, dass ich darum nicht herumkomme. Wenn ich die verkaufen will, dann muss ich dies auch zu einem Museumsprinzip erheben. Die wollten hier in Holland – war es im Stedelijk? – Schokolade Objekte kaufen, dann haben sie sich erkundigt, ob da nicht Insekten drin leben und ich habe gesagt: ja. Die haben gesagt, das können sie nicht in ihr Museum bringen, weil das sonst auf die anderen Sachen losgeht. Ich habe gesagt: das müsst ihr entweder sein lassen, oder eine extra Abteilung machen, die kriechtierfest abgeschlossen ist gegen die anderen.
K.B.: Man kann sagen. Das Museum muss sich der Kunst anpassen.
D.R.: Nein es ist gut für ein Museum, wenn das Zeug kaputtgeht. Ich könnte Bilder machen, wo die Kriechtiere dann in die Sammlung hineingehen, um das wegzufressen.
Es ist naheliegend, dass sich die Museen nicht der zerstörerischen Kunst anzupassen gedenken. Ein Museumsdirektor braucht kein Biedermann, der Künstler könnte durchaus Brandstifter sein (Nam June Paik ist es immerhin gelungen, mit seiner Installation das Kunstmuseum Düsseldorf abzufackeln). Dem von Dieter Roth zum Museumsprinzip erhobenen Zerfall begegnen sie daher mit aufwändigen Sicherungsmaßnahmen, schützen ihre Artefakte vor eingeschleppten Kriechtieren, scheuen sich aber nicht, Rothsche Schimmelinseln, Schokoladenobjekte, Gewürzkisten oder Wurstobjekte in die Sammlungen zu stellen, gesichert unter dem Glassturz, fest und luftundurchläßig eingeschweißt, die Poren mit Acryllack verschlossen.
Es war eine großartige Leistung des Hamburger Sammlers Buse, Dieter Roth zu ermöglichen, in der ehemaligen Remise an der Alsterchaussee sein „Schimmelmuseum“ einzurichten. Die totale Umkehrung des traditionellen Museumsgedankens, ein zentrales Anliegen seiner Kunst, konnte Roth in langwieriger Arbeit und mit hohem Aufwand realisieren. Das Schimmelmuseum mit mehreren hundert verderblichen Kunstwerken war dem Verfall (Zerfall) preisgegeben, die Hülle, das Haus, sollte von Pflanzen überwuchert, zugedeckt, verschlungen werden. Ein „Museum“, das sich aus sich selbst heraus zerstört. Neben seinen literarischen Arbeiten war die Vollendung des Schimmelmuseums Roths künstlerischer Triumph. „ Wenn ich auf eine Leistung wirklich stolz bin, dann ist es das Schimmelmuseum“. Es wurde sein künstlerisches Vermächtnis. Nur wenigen war es möglich, zu Lebzeiten Dieter Roths das Museum zu betreten. Es existierten drei, von Roth zusammengstellten, Listen von Personen, die in einem besonderen Verhältnis zu dem Museum standen: 1. Diejenigen, denen der Eigentümer Buse den Zutritt jederzeit gestatten musste, 2. die Personen, die das Museum nur mit ausdrücklicher Zustimmung Dieter Roths betreten durften, und 3. die der persona non grata, die es unter keinen Umständen besuchen durften. Die Veröffentlichung der Namen auf den jeweiligen Listen dürfte äusserst aufschlussreich sein!
Doch nicht einmal fünf Jahre hat das Schimmelmuseum Dieter Roths Tod überdauert. Bereits der ersten Sicherung des Gebäudes fielen die von Roth und seinen Helfern gesetzten Kletterpflanzen (Ziel Überwucherung) zum Opfer, nun ist es bereits im November/Dezember des vergangenen Jahres abgebaut worden. Die Kunstransportfirma hat alle Objekte fachgerecht verpackt, sie sind oder wandern demnächst in ein Depot. Zu Lebzeiten Dieter Roths hatte der Eigentümer des Museums sich von ihm gestatten lassen, bei dringendem Grund das Museum auflösen zu dürfen; jetzt hat er von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht. Noch wird im Internet unter www.dieter-roth-museum.de zum jederzeitigen Besuch des Museums eingeladen und der User kann virtuell das Museum durchwandern und sich die einzelnen Stationen erläutern lassen. Und der jüngsten Publikation der ‚Dieter Roth Foundation‘, „Dieter Roth Originale“ (1), liegt der virtuelle Rundgang durch das Schimmelmuseum als CD ROM bei. Doch das authentische Schimmel-Werk ist verloren — ohne endgültig verschimmelt zu sein!
Die professionellen Kunst-Wissenschaftler, -Vermittler, -Restauratoren, -Sammler, -Händler, -Liebhaber und Besserwisser können sich nun mit guten Ratschlägen andienen, wie mit den Einzelteilen umzugehen sei. So werden wir möglicherweise den ‚gesicherten‘ Artefakten in den Museen, vielleicht sogar in einer peniblen Rekonstruktion innerhalb einer Kunstausstellung oder an anderen Orten wiederbegegnen. Aus dem Kontext gerissen und vor dem Verfall gerettet, sind diese ‚gesicherten‘ Objekte in Wahrheit zerstört. Sie mögen noch einen ökonomischen Wert besitzen, bzw. zu dem vorhandenen sogar noch dazugewinnen, aber ihre künstlerische Bestimmung ist verloren. Im eigentlichen Sinn sind sie wertlos geworden.
Kann es eine Rettung des Schimmelmuseums geben?
Noch steht das Gebäude. Es wäre möglich die Objekte wieder an die alte Stelle zu setzen, vorausgesetzt, sie sind nicht bereits von den Restauratoren zerstört worden. Und sollte das Gebäude selbst (etwa durch Schimmelbefall!!) Nachbargebäude gefährden, könnte es soweit instandgesetzt werden, dass es die Nachbarschaft nicht mehr bedroht, und dann das Museum wieder beherbergen. Aber dazu bedarf es des schnellen Handelns, tatkräftiger Unterstützung und der Einsicht, dass es sich Hamburg nicht leisten kann, eines der bedeutendsten Kunstobjekte (2) der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu verlieren.
Wenn der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust und seine böhmische, für die Kultur zuständige, Senatorin kein Problem damit haben, 30 Mio. EUR für ein Museum bereitzustellen, in dem der durch Zeitungsprodukte des Springerkonzerns reich gewordene Sammler Tamm Schiffsmodelle zeigen kann, scheint es jedenfalls nicht am Geld scheitern zu müssen, wollte man im letzten Moment doch noch das Vermächtnis Dieter Roths vor der endgültigen Zerstörung bewahren.
Akteure sind gefragt und viele Fragen zu beantworten:
• Wer verbirgt sich hinter der ‚Dieter Roth Foundation‘ und welche Rolle spielt sie bei diesem Zerstörungswerk?
• Warum haben sich die Erben Dieter Roths nicht für den Erhalt engagiert?
• Was hat der einflussreiche Freundeskreis von Dieter Roth zur Rettung unternommen?
• Wie ist zu verstehen, dass die finanzkräftigen Sammler und Kunstmanager um Maja Oeri und Theodora Vischer, die die spektakuläre Roth-Retrospektive 2003 für das Schaulager Basel, die Tate Modern London, das Museum of Modern Art New York und das Museum Ludwig Köln vorbereiten, für diese Ausstellung die „Dieter Roth Foundation“ als zentralen Leihgeber gewinnen konnten, in der Vorankündigung für die Ausstellungstournee „Dieter Roth als einen der wenigen Universalkünstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, am ehesten vergleichbar mit Andy Warhol und Joseph Beuys“ rühmen, aber einer Vernichtung der wichtigsten Roth-Arbeit nicht entgegengetreten sind?
• Wussten die kunstvermittelnden Einrichtungen der Stadt (insbesondere die Kunsthalle) von der drohenden Vernichtung?
• Was hat die Hamburger Kulturbehörde, die — jedenfalls in der Person von Christina Weiss — frühzeitig unterrichtet worden war, getan, um das Schimmelmuseum zu retten?
Wenn sich auch weiterhin keine Hand für den Erhalt der Verfallsprojektes regt, sollte wenigstens, um Dieter Roth Genüge zu tun, der geniale Plan der Kultursenatorin realisiert werden, das verschlafene Harburger Helmsmuseum in ein Terrormuseum umzugestalten. Dieter Roth hätte sicherlich große Freude daran. H.H.
(1) edition hansjörg mayer, london, 49 EUR.
(2) Werner Hofmann hat jüngst – offenbar ohne Kenntnis der Tatsache, dass das Museum bereits abgeräumt ist - in einer Rezension in der FAZ, 20. Dezember 2002, eine ähnliche Einschätzung abgegeben.