Die Wirtschaft als Kulturproduzent
Der Hamburger Versuch, den Wert von Kultur und Kreativität zu bemessen, kündigt den Umbau des Kultur- zum Wirtschaftsressort an.
Sarah Schreiner und Friedrich Tietjen
„Für die Kulturwirtschaftspolitik steht jetzt die Frage im Vordergrund, wie Kultur und Kreativität zum Produkt, also zu Kulturwirtschaft wird.“
Es gibt sie nicht, die Kulturwirtschaft; trotzdem wird überall in Deutschland versichert, dass es ihr prima geht. Dafür ist, so Bernd Fesel, die Politik verantwortlich, genauer: die Kulturwirtschaftspolitik. Als zehntes Bundesland veröffentlichte die Kulturbehörde der Stadt Hamburg im Herbst 2006 nun ihren Kulturwirtschaftsbericht, und der lässt in erfreulicher Deutlichkeit erkennen, was Kulturwirtschaftspolitik ist: In erster Linie – na klar – eine politische Hervorbringung, in zweiter Instanz ein wirtschaftlicher Faktor, und dann etwas, das irgendwie mit Kultur zu tun hat. Was das sein soll, wissen zum Glück alle ungefähr. Je nach Lebensalter und sozialer Schicht hat sie mit GZSZ und der Kunsthalle zu tun, mit Goethe und der Elbphilharmonie, mit Straßentheater und dem Phantom der Oper. Gütig nimmt sich der Kulturwirtschaftsbericht all dieser einzelnen Aspekte an und kommt – wen wundert’s? – zu dem Ergebnis, dass Hamburg eine führende Kulturmetropole Europas ist, auf Augenhöhe mit Florenz, Paris, London und – natürlich - Berlin. Behauptet worden ist das lange; nun haben wir es endlich amtlich, und gleich wird daraus ein Standortvorteil geschmiedet, den es zu entwickeln gilt und mit ihm die Stadt. Dazu passt dann auch das Ziel des Kulturwirtschaftsberichtes, wirtschaftliche und gesellschaftliche Effekte von Kunst, Kultur und Kreativität in der Stadt Hamburg zu zeigen und damit Kultur als Motor der Stadtentwicklung in den Dienst zu nehmen – sofern sie denn nicht nur schön ist, sondern auch ein wenig golden glänzt.
„Im folgenden Bericht werden Aktivitäten auf dem kulturwirtschaftlichen Markt wertfrei abgebildet.“
Eigentlich merkwürdig, dass es nun so etwas unter eigenem Namen geben soll: Kulturwirtschaftspolitik. Ein wenig hallt darin noch die hehre Auffassung nach, dass die Musen den Machinationen des Alltags und vor allem dem schnöden Mammon enthoben wären: Was Kunst, was Kreativität ist, ist nicht messbar. Sicher: Kultur haben schon immer auch in Hamburg Geld gekostet – aber darüber reden? Man zog es vor, beredt zu schweigen und kürzte unter dem leiser werdenden Wimmern der Betroffenen eine um die andere Förderung: Wie wollte man sich schon guten Gewissens den Luxus der Kultur erlauben, wenn doch soviel anderes zuerst reformiert werden müsste, die Universitäten, die Sozialleistungen und nicht zuletzt die Polizeiuniformen? Dass hier immer schon Kulturpolitik ex negativo Wirtschaftspolitik war, machte ein zweiter Blick stets deutlich. Unter neuen Vorzeichen wird nun die schamhaft vertuschte Mesalliance endlich legitimiert; wie bei vielen modernen Ehen wird aus zwei Namen einer und ein gemeinsames Ziel gestellt: Kultur ist schön, aber sie darf nicht mehr kosten – sie muss sich lohnen. Und man muss kein Prophet sein, um sich den nächsten Schritt zu denken: Bald wird Kultur nur noch das sein, was sich lohnt.
Als Zeichen beiderseitigen guten Willens ist der Kulturwirtschaftsbericht noch im Auftrag der Kultur-, nicht der Wirtschaftsbehörde erstellt worden. Aber dafür bekommen die einzelnen Kulturbereiche, Musik, Literatur, Kulturelles Erbe, Darstellende, Bildende und Angewandte Kunst ein neues Attribut: Sie sind nun „Teilmärkte“. Zu früh freut sich, wer meint, dass Kinder-, Jugend- und Stadtteilkultur, Interkulturelle Projekte/Kulturaustausch sowie Bürgerschaftliches Engagement davon ausgenommen wären: Das sind jetzt „Aktionsfelder“, die alle Teilmärkte berühren. Und dort gibt es dann Gelegenheit, noch eine ganz andere Kulturwirtschaftspolitik zu loben: „Bürgerschaftliches Engagement“ meint Stiftungen, Spenden und Sponsoring, Ehrenamt und Förderkreise, mit denen Kulturinstitutionen ökonomisch erhalten werden. Klar wird spätestens hier, dass mit der Etablierung der Kulturwirtschaftspolitik der Rückzug staatlicher Instanzen aus diesem Bereich, inklusive der offen auftretenden Umverteilung von unten nach oben und damit der Privatisierung von Kultur und ihrer Förderung einen schönen Schritt vorangekommen ist.
„Die dabei eingesetzten Begriffe Kultur, Wirtschaft und Kulturwirtschaft schwanken je nach Tiefe und Kenntnistiefe zwischen extremer Verengung und universalem Anspruch.“
Das hört sich nach Reflexion an; geboten wird ein blinder Spiegel. Der Kulturwirtschaftsbericht stützt sich auf einen bestenfalls allgemein gehaltenen Kulturwirtschaftsbegriff: „Kultur“ seien schlicht alle künstlerischen Leistungen; wirtschaften dagegen „ist im Wesen nicht mehr als ein planvoller und zielgerichteter Umgang mit knappen Gütern.“ (Kulturwirtschaftsbericht Hamburg 2006, Seite 13) Was nun eigentlich Kulturwirtschaft sei, lässt sich daraus eher ahnen als ableiten. Die Ergebnisse des Berichtes, Daten zu Anzahl, Umsatzvolumen, Wertschöpfungsbetrag, Beschäftigtenstand und Subventionierung der Kulturwirtschafts- Einrichtungen der fünf Teilmärkte, zeigen das Dilemma: Neben einem fehlenden Auseinandersetzung mit Definitionen sind dann auch noch die Datengrundlagen nur in Teilen vorhanden oder vergleichbar. Kreativität und freies künstlerisches Schaffen kommt dagegen nicht zur Sprache. Man stützt sich in diesem Fall auf Zahlen, die in allgemeinen Wirtschaftsstatistiken aufgrund des Beschäftigtenstatus oder Jahresumsatzes der Betriebe auftauchen. Erklärungsnot entsteht, da gerade im Kultursektor, so er Freie, Bildende und Angewandte Kunst Schaffende mit einbezieht, sich vielfältig überlagernde soziale und ökonomische Prozesse vorherrschen. Stolz wird vermerkt, dass es in Hamburg 9.000 gemeldete selbständige Künstler (nein: von Künstlerinnen ist da nicht die Rede) gibt; wie viele von ihnen Taxifahren, um arbeiten zu können, wird nicht mitgeteilt. Und selbst wenn es 20.700 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Kulturbereich gibt, möchte man doch schon wissen, ein wie großer Anteil des Jahresumsatzes von 4,37 Mrd. EUR wohl von Praktikantinnen, Zeitarbeitern und anders prekär Beschäftigten wohl erarbeitet wird. Ein großer Teil, wenn nicht die meisten Kulturschaffenden, die nicht an die ökonomische Verwertung ihrer Produktion denken wollen oder denken können, wird damit in der Statistik nicht berücksichtigt.
„Dies ist eine sicher nur schwer wissenschaftlich beweisbare Feststellung.“
Dabei hätte es das Forschungsteam sich leichter machen können – wenigstens was die Definition des Gegenstandes angeht: Unter den Kulturpolitikzuständigen der Länder versteht man die Kulturwirtschaft als Querschnittsbranche, die in Anlehnung an Konzepte aus Nordrhein-Westfalen, Großbritannien, Frankreich und Österreich neun Kernbereiche umfasst: Verlagswesen, Filmwirtschaft, Rundfunk, Musik/ Visuelle/ Darstellende Kunst, Museen/Ausstellungen, Journalismus/ Nachrichtenbüros, Architektur, Designwirtschaft und Einzelhandel mit Kulturgütern. Ausgeklammert werden Werbung, Software und Spieleindustrien sowie Informations- und Kommunikationstechnologien.
Anders gesagt: Es fehlt was, und nur spekuliert kann werden, warum die gerade in Hamburg immer wichtiger werdenden Sektoren der „Creative Industries“ kaum im Kulturwirtschaftsbericht integriert sind – weil sie ohnedies schon mehr Wirtschaft sind als Kultur? Dabei wären gerade dort Erfolgsmeldungen zu verzeichnen: Vor allem in Werbung, Multimedia, IT-Dienstleistungen und Designwirtschaft gibt es in den letzten Jahren steigende Zahlen an Umsatz und Beschäftigung, und im bundesweiten Vergleich führt Hamburg in diesen Sparten. Hamburgs Bruttoinlandsprodukt wächst vor allem dadurch, dass für diese Branchen nicht nur Produktion und Distribution, sondern auch Konsumierende in der Stadt vorhanden sind. Die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen am Markt reagieren und kreative Produkte designen zu können, ist gerade in den Hamburger innenstadtnahen Quartieren aufgrund der sozialen Mischung, des Angebots an qualifizierten Arbeitskräften und Möglichkeit der face-to-face-Kontakte vorhanden. Hinzu kommt eine steigende Bedeutung der „Kulturwirtschaft“ und ihrer öffentlichen Wahrnehmung, die zu einer zunehmenden Aufwertung der Kulturberufe und –unternehmen führt; die Attraktivität der Stadt Hamburg entsteht maßgeblich durch die kulturelle Vielfalt und spin-off- Effekte kreativer Produkte, inklusive der „Creative Industries“.
„'Sozialkapital' meint das Interesse der Bürger an öffentlichen Belangen ihrer Kommune ...“
Dass die Kulturbehörde versucht, eigene Maßnahmen wie Subventionseinsparungen und privatwirtschaftliches Engagement zu postulieren, anstatt den eigenen Wert von Kulturprodukten aufgrund des kreativen Schaffensprozesses gesellschaftlich und ökonomisch anzuerkennen, ist nachvollziehbar aber nicht verständlich. Klassische Faktoren der kulturellen Wirtschaftsförderung, die eher der Wirtschaftsbehörde zuzuordnen sind als der Kulturbehörde, werden im Kulturwirtschaftsbericht genannt, aber nicht als gemeinsames Handlungsfeld erkannt. So ist das Musikgründerzentrum „Karostar“ ein von der Hamburger Wirtschaftsbehörde in Kooperation mit der Hamburger Stadterneuerungsgesellschaft konstruiertes Produkt, welches Musikproduktion, -handel und –Dienstleistungen vereint. Dies scheint ein Modell der Zukunft für die Stadt Hamburg zu sein, welches ohne große Gesten, Majors oder langjährige Förderungen der Stadt auskommen muss. Auch wird auf den Bereich der „Cultural and Creative Industries“ keinesfalls adäquat eingegangen, obwohl doch gerade diese die kulturelle Wertproduktion verkörpern, die sich rechnet. Für einige Kulturschaffende zumindest wird der sich ankündigende Paradigmenwechsel bedeuten: Von der kulturellen Kälte in die kulturwirtschaftlichen Eiszeit.
Zitate sind Originalzitate aus dem Kulturwirtschaftsbericht Hamburg 2006, siehe
http://www.miz.org/artikel/kulturwirtschaftsbericht_hamburg.pdf
weitere Hinweise:
Bernd Fesel, Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft, August 2006
http://www.kulturpolitik-kulturwirtschaft.de/Default.aspx?tabid=72 (Abruf: 10.09.2006)