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von Ania Corcilius
Bei einem kurzen und intensiven Aufenthalt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Mai 2008 hat Ania Corcilius die Stadt fotografiert. In der anschließenden computertechnischen Nachbearbeitung der Bilder setzte sich die in Berlin lebende Künstlerin mit der Wohn- und vermeintlich privaten Lebenssituation des Einzelnen auseinander. Als Spiegel unserer sozialen, ökonomischen und politischen Existenz stand das Wohnen bei Ania Corcilius schon mehrfach im Mittelpunkt: In der von ihr mitkuratierten Ausstellung »Revisiting Home« 2006 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Künste in Berlin-Kreuzberg (NGBK) und 2008 während des Workshops »Homestories« im Center for Contemporary Art in Kiew (CCA).
Ania Corcilius reflektiert in Kiew ihre Wahrnehmung als Fremde, die zudem aus einem anderen Kulturkreis kommt. Sie schafft eine Distanz zu den »Sujets« ihrer Aufnahmen, indem sie formal auf ein technisches Mittel des Films zurückgreift, nämlich dem der Amerikanischen Nacht. Dabei werden Nachtszenen bei Tageslicht aufgenommen und technisch so nachbearbeitet, dass der Eindruck echter Nachtaufnahmen entsteht.
In der stark formalisierten Inszenierung werden einzelne Bereiche hell ausgeleuchtet, andere verschwinden in der Dunkelheit. Die Wahrnehmung der BetrachterIn wird gezielt auf bestimmte Aspekte der umgebenden Wirklichkeit gelenkt, andere Details werden ausgeblendet.
Wird im Fokus eines Bildes für gewöhnlich scharf gestellt, so ist hier erst im fokussierten Bereich überhaupt etwas zu erkennen. Die zunächst in dokumenta-
rischer Absicht entstandenen Fotografien von Stadtlandschaften in der ukrainischen Hauptstadt, werden so in der Nachbearbeitung zu Schauplätzen inszenierter Handlung. Der Lichtkegel des Scheinwerfers rückt scheinbar Nebensächliches ins Zentrum. Kleine Alltagsszenen werden mit Bedeutung aufgeladen und die Bildfolgen konstruieren fragmentarische Erzählungen in der Dunkelheit. Doch die Bedeutungen gehen nicht auf.
Die Atmosphäre in den Bildern zitiert die Nacht, den Traum und das Unbewusste, als Gegenbild zur öffentlichen Inszenierung der Stadt. Während Kiew jeden Tag mehr Farbe aufträgt, um den Freiern aus dem Westen zu gefallen, ist der Alltag für einen Großteil der Bevölkerung angesichts von Wohnungsknappheit und Preisexplosionen von Sorge und Unsicherheit bestimmt. Der Hoffnungsfunke, den die »Orangefarbene Revolution« 2004 entzündet hatte, ist erloschen. Unsichtbar wirkende Kräfte, etwa alte Seilschaften und Korruption, prägen und formen die Gesellschaft und stehen im Gegensatz zur kosmopolitisch cleanen, urbanen Oberfläche. Scheinwerfer sind Tag und Nacht auf die Werbetafeln von Immobilienanbietern und Kreditinstituten gerichtet. Hell erleuchtet sind auch die gläsernen Bürotürme im Zentrum, mit denen sich die Geldelite ihre Denkmäler setzt und wo sich die neokapitalistische Welt als schöne Oberfläche darstellt; Potjomkinsche Dörfer des 21. Jahrhunderts. Transparency International stuft die Ukraine auf einer Korruptionsskala von 1 bis 10 bei 3 ein, wobei 0 totale Korrumpiertheit bedeutet.
Digitale Fotografien, 30 x 40 cm, computertechnisch nachbearbeitet.
Kiew-Berlin, 2008
Sabine Falk
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Der Hintergrund und die Entstehungsgeschichte der Arbeit ist kraftvoll. Interessant.