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12. Dezember 2006

Kollektivität und Basisdemokratie! – Die Neue Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin

von Ania Corcilius

Die Idee: Selbstorganisation und Struktur

Die Gründung eines neuen, basisdemokratischen Kunstvereins in Berlin stand 1969 als ein politischer Akt im Zusammenhang von Studentenbewegung und außerparlamentarischer Opposition. Als Kampfansage gegen die verkrusteten Strukturen des alten Kunstvereins (der deutschen Gesellschaft für bildende Kunst) wandte man sich gegen die Privatisierung von Kunst und der Definitionsmacht darüber, was Kunst ist. Die 78 Gründungsmitglieder, unter ihnen auch der junge Anwalt und spätere Innenminister Otto Schily, forderten ein Verständnis von Kunst als Mittel der Aufklärung, Gesellschaftskritik und Emanzipation. Die Beispiel gebende Eröffnungsausstellung präsentierte das Werk des von den Nationalsozialisten geschassten Künstlers John Heartfield erstmals nach dem Kriege der deutschen Öffentlichkeit und leistete damit einen wesentlichen Beitrag zu dessen Rehabilitierung. Kunst sollte politisch Stellung beziehen, sich einmischen und breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich werden. Viele der damaligen Forderungen haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. So sollte der Kunstverein ein Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Grundlagenforschung sein, ein Forum nicht- kommerzieller künstlerischer Arbeitsformen und nicht nur Wertschöpfungsinstrument im Dienste einer geschlossenen Gesellschaft von Sammlern und Händlern.

Auszug aus der Satzung:

Vereinszweck

1. Veranstaltung und Förderung von Kunstausstellungen, soweit sie informativen, aufklärenden oder exemplarischen Charakter haben,

2. Grundlagenforschung zu aktuellen Fragen der bildenden Kunst und der mit ihr korrespondierenden Gebiete sowie eventuelle Vergabe von Forschungsaufträgen,

3. Schaffung eines kulturellen Zentrums,

4. Hebung des Rezeptionsvermögens und Qualifizierung des ästhetischen Bewusstseins breiter Bevölkerungsteile durch kulturelle Arbeit,

5. kunsttheoretische Publikationen, Dokumentationen u.ä.,

6. Veranstaltung und Förderung von öffentlichen Diskussionen, Seminaren, Vorträgen, Colloquien, Führungen, Kunstreisen u.ä.

Die Transparenz der internen Entscheidungsprozesse war und ist dafür eine unverzichtbare Voraussetzung. Im Verein ist deshalb die Hauptversammlung aller Mitglieder (im Oktober 2006 waren es 831) das oberste Beschluss fassende Gremium. Die Hauptversammlung findet mindestens zweimal jährlich statt, wobei besonders der Frühjahrstermin, bei dem über die Projekte des folgenden Jahres entschieden wird, auf großes Interesse stößt und oft von mehr als 300 Mitgliedern besucht wird. Zwischen den Hauptversammlungen dienen die monatlichen Zusammenkünfte des Koordinationsausschusses (KOA) der Vorbereitung und Umsetzung von Mitgliederentscheiden. Der KOA besteht aus dem Präsidium, der Geschäftsführung, jeweils einem Vertreter aller eingesetzten Arbeitsgruppen (meist um die 15 Gruppen, die ein Projekt vor- oder nachbereiten bzw. aktuell durchführen) sowie drei frei gewählten Mitgliedern. Während das Präsidium der NGBK ein ehrenamtlicher Beirat mit hohem Ansehen ist, garantiert die Geschäftsführung, der formal eine rein administrative Funktion zukommt, praktisch die Kontinuität der Abläufe bei der Ausstellungsabfolge, Sicherung der Finanzierung, Partnerschaften, Pressearbeit und Postverkehr. Die personelle Besetzung der Geschäftsstelle ist darum von großer Wichtigkeit. Sich in der Geschäftsstelle vermeintlich oder tatsächlich verfestigende Machtstrukturen, die der basisdemokratischen Konstitution des Vereins zuwider laufen könnten, sind immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. Im Abwägen zwischen pragmatischen Erfordernissen und ideellem Selbstverständnis geht es darum, stets neu zu hinterfragen, wo beispielsweise zu „Sachzwängen“ geronnene Gewohnheiten aufgebrochen werden müssen, aber auch, wo Kritik unproduktiv und zum Selbstzweck wird. Die aktive Anteilnahme der Mitglieder am Verein und der Durchsetzung seiner übergeordneten Ziele ist in der NGBK ebenso wesentlicher Bestandteil der Identität wie das Engagement in der Realisierung von Projekten.

Wer in der NGBK ein Ausstellungs- oder Veranstaltungsprojekt, eine Buchveröffentlichung oder sonst irgendein künstlerisches oder kunsttheoretisches Projekt plant, muss zunächst einmal Vereinsmitglied sein oder werden und mit vier gleich gesinnten Mitgliedern eine Arbeitsgruppe gründen, die dann ein umfassendes Konzeptpapier nebst Finanzplan ausarbeitet.
Da die NGBK aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB) finanziert wird, muss der Etat jährlich neu mit detaillierten Programm- und Finanzangaben für das darauf folgende Jahr beantragt werden.
Den einzelnen einreichenden Arbeitsgruppen bietet die NGBK dann eine Gelegenheit zum „klärenden Gespräch“ mit VertreterInnen des KOA, bei dem auf mögliche Schwächen des Antrages oder der Projektidee aufmerksam gemacht wird. Neulinge, die nach diesem mitunter kreuzverhörartigen Termin noch nicht aufgeben, und alle anderen AntragstellerInnen präsentieren schließlich ihre Projekte auf der Hauptversammlung. Bei dieser ein- bis zweitägigen, ebenso unterhaltsamen wie spannenden Marathonveranstaltung mit Vollverpflegung versuchen um die 15 Gruppen mit unterschiedlichsten Mitteln (vom klassischen Lichtbildvortrag bis zur aktionistischen Gruppenperformance), das Interesse und die Stimmen des Publikums zu gewinnen.

Das Selbstverständnis: Kollektivität. ... und jetzt?

Als unser Projekt „Revisiting Home“ Anfang 2005 von den Mitgliedern der NGBK in das Jahressprogramm 2006 gewählt wurde, glaubten wir, die größte Hürde überwunden zu haben. Die NGBK schien uns der einzig richtige Ort zur Realisierung unseres Vorhabens, da hier – jenseits der Frage, ob eine Ausstellung gefällt oder nicht – immer die ernsthafte Suche nach Auseinandersetzung des Themas mit den BesucherInnen im Mittelpunkt steht. Immer merkt man: allen Beteiligten geht es um etwas. Als regelmäßiger Gast hatte ich den offenen Stil an der NGBK zu schätzen gewusst. Nun konnten wir selber hier unsere Ideen zur Diskussion stellen. Die Phase der konkreten Planung begann.

Wie viele Arbeitsgruppen in der NGBK waren auch wir kein Team professioneller KuratorInnen, sondern eine Gruppe von fünf KünstlerInnen, die sich für ein Thema interessierte. Wie unterschiedlich dann im Einzelnen unsere jeweiligen Auffassungen und Herangehensweisen waren, sollte sich – bei uns wie bei vielen Arbeitsgruppen – erst im Verlauf der weiteren Arbeit zeigen. Die Gruppendynamik erwies sich als schwierig und zäh. Obwohl ich im Nachhinein sagen würde, dass das Gelingen von Ausstellung und Katalog die Mühen und Auseinandersetzungen wett gemacht hat, scheint mir die (inzwischen häufig beklagte) Vereinsvorgabe, dass Projekte nur von mindestens fünf Mitgliedern gemeinsam realisiert werden können, eine kritischen Überprüfung wert zu sein. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen auf der Ebene der individuellen Gruppe, auf struktureller Ebene und in Bezug auf das basisdemokratische Prinzip des Vereins. Warum scheitern so viele Arbeitsgruppen an der Vorgabe kollektiver Produktion? Ist die Form der kollektiven Arbeit heute nur noch ein historisches Relikt? Welche Rolle spielt diese Arbeitsform für das Selbstverständnis der NGBK, die sich – zu Recht! – nicht als Dienstleistungsunternehmen zur Beförderung einzelner KünstlerInnen- oder KuratorInnenkarrieren vereinnahmen lassen will? Lässt sich Kollektivität einfordern? Oder anders gefragt: Welches sind die Voraussetzungen, unter denen künstlerische und kuratorische Arbeit im Kollektiv funktionieren kann?

Die Interessen und die sozialen Bedingungen der einzelnen Mitglieder klaffen heute weiter auseinander als in den Anfangsjahren, als der Verein mehrheitlich von Studenten (und einigen Studentinnen) getragen wurde. Viele, die unter selbstausbeuterischen Bedingungen künstlerische Projekte realisieren, leben heute in ökonomisch labileren Verhältnissen als noch vor 20 Jahren – gerade in Berlin. Häufigere Wechsel von Jobs und Wohnort tragen dazu bei, dass die Fluktuation unter den aktiven Mitgliedern größer wird. Die Arbeitgruppen sind zunehmend Zweckbündnisse, die nicht aus der gemeinsamen Vereinsarbeit heraus entstehen, sondern für ein bestimmtes Projekt gebildet werden. Darin liegt für die NGBK aber die Gefahr, dass sich immer weniger Mitglieder noch über ihr eigenes Projekt hinaus für den Verein engagieren. Was bleibt von einem basisdemokratischen Verein ohne Basis? Im besten (oder schlimmsten) Fall ein Kunstverein unter vielen, dessen Programm von immer denselben Vereinsautoritäten bestimmt wird, die ihre Mehrheiten bei der Hauptversammlung gleich mitbringen. Das Selbstverständnis der NGBK als eine Institution, die einen Beitrag leistet in der Diskussion aktueller gesellschaftlicher Fragen, verlangt die Auseinandersetzung mit den veränderten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen auch ihrer Mitglieder. Wie kann der Verein den sich ändernden Verhältnissen gerecht werden?

Die internen Konflikte, die ich heute erlebe, ähneln auffällig jenen, die bereits 1990 in der Publikation zum 21jährigen Bestehen der NGBK erwähnt werden: Verkrustung der Strukturen von Verwaltungs- und Entscheidungsprozessen, Lagerbildungen, aber auch widersprüchliche Interessen von Fachleuten und Laien, von Angestellten und temporären MitarbeiterInnen (aus den AGs), von KarrieristInnen und ehrenamtlich Engagierten. Auf die Frage, wie ein basisdemokratischer Kunstverein heute strukturiert sein muss, wie eine Form von kollektiver Kulturproduktion darin aussehen kann, gibt es keine einfache Antwort. Im Vordergrund muss das offene Gespräch aller Beteiligten stehen, ob kurzzeitig eingebunden oder längerfristig mit Verantwortung ausgestattet. Es hilft vielleicht, sich immer wieder die größeren gemeinsamen Ziele vor Augen zu halten, und dabei können wir auch auf die Anfänge der NGBK zurückschauen:
Die Notwendigkeit der Hinterfragung der gesellschaftlichen Funktion von Kunst und der Einmischung von Kunst in das gesellschaftliche Leben, in einer Zeit, in der der Kunstmarkt zunehmend die Definitionsmacht über Kunst (zurück-)gewinnt, macht deutlich, wie wichtig eine Institution wie die NGBK heute ist: als Versuchsfeld, Raum für Grundlagenforschung, Ort der Begegnung mit vielleicht langsamer und sperriger, unbequemer und kritischer Kunst.

Ania Corcilius

Vom 8. September bis zum 15. Oktober dieses Jahres war in der NGBK Berlin die Ausstellung „Revisiting Home“ zu sehen. „Revisiting Home“ thematisierte „Wohnen” als Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Offene, bewusste und unbewusste Aspekte und Funktionen des Wohnens waren Gegenstand künstlerischer und theoretischer Reflexionen in Ausstellung, Katalog und Rahmenprogramm. Kuratiert und organisiert wurde „Revisiting Home“ von Ania Corcilius, Birgit Kammerlohr, Iain Pate, Inken Reinert und Janine Sack. www.revisitinghome.de

Weitere Informationen unter: www.ngbk.de

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