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Kommentar [1]
7. März 2008

Einfache Ufos

Ein Interview mit der Hamburger Künstlerin Annette Wehrmann, u.a. Teilnehmerin der Skulpturenprojekte Münster 2007

von Sabine Falk

Sabine Falk:
Hallo Annette. Du lebst und arbeitest schon lange in Hamburg. Wie siehst du die Kunstszene hier?

Annette Wehrmann:
Es ist halt ein bisschen provinziell. Ich geh selten in die Galerien hier. Sonst gibt es diese independent Szene, die sehr interessant ist. Ich muss sagen, es liegt aber auch an mir, ich hab mich in den letzten Jahren daraus zurück gezogen und bin deshalb da auch nicht so präsent. Was anderes gibt es hier auch nicht so richtig. Es gibt noch den Kunstverein… Ich denke, das ist in anderen Städten wie Berlin oder so schon anders, wo es mehr noch ne andere...oder weiss ich nicht. Ist einfach anders strukturiert in anderen Städten.

SF:
Man hätte erwarten können, dass es z.B. im Hamburger Abendblatt oder in der Taz, vom NDR oder so Beiträge über deine Teilnahme am Skulpturenprojekt in Münster 2007 geben würde. Die Berichterstattung war diesbezüglich lausig.

AW:
Aber es ist ja auch so, dass Hamburg eigentlich so eine Durchgangsstadt ist. Es ist ja komisch, dass ich überhaupt noch hier bin. In der Regel ist es hier so: Die Leute machen Diplom, sind fünf Jahre hier, dann sind sie weg. Die Leute, mit denen ich zusammen studiert habe, die sind halt auch alle weg bis auf einige wenige – Christoph Schäfer, Inga Svala Thorsdottir oder Anna Gudjonsdottir z.B. … Ja gut, dann gibt es natürlich noch die Landschaftsgalerie, die ja auch irgendwie ein independent Projekt ist bzw. war. Aber mit denen bin ich halt nicht so verquickt, aus welchen Gründen auch immer... Die meisten Leute aus meiner Generation sind einfach weg, nicht mehr in der Stadt! Wenn die noch hier wären, wäre das glaube ich auch anders.
Die Leute, die jetzt hier in der Szene aktiv sind, die sind 10 Jahre jünger. Sie sind ‘ne andere Hochschulgeneration, mit anderen Verknüpfungen untereinander. Die Leute aus meiner Generation, von denen sind wirklich nur noch wenige in der Stadt. Die sind in Berlin oder sonst wo.

SF:
Es gibt ja immer mehrere Öffentlichkeiten. Ich hab jetzt von der Medien-
öffentlichkeit gesprochen. Man hätte sich auch im Fernsehen einen Beitrag zu Münster vorstellen können. In Hamburg ist grundsätzlich kein Stolz zu spüren auf KünstlerInnen, die hier leben, hier studiert haben und erfolgreich sind. Darüber wird nicht gesprochen.

AW:
Es ist ja andererseits mit den Skulpturprojekten so, wie ich das sehe, dass die intern ein ziemlich gutes Echo gekriegt haben. Aber in der breiteren Öffentlichkeit war kaum etwas darüber zu lesen. Weiss eigentlich nicht wieso. Denn in den Kunstzeitschriften war das Echo relativ positiv. Aber im Spiegel war nichts darüber, oder in anderen grösseren Zeitungen auch nicht. In der Taz ist gar nichts zu Münster erschienen. Wirklich nur in wenigen Zeitungen. Es ging eigentlich immer nur um die Dokumenta. Ich weiss nicht genau, woran es lag. Ob die jetzt schlechte Pressearbeit gemacht haben? Jedenfalls kamen die Skulpturenprojekte relativ selten in der Presse vor. Auf Hamburg bezogen, hat z.B. die Taz ja ihren Hamburgteil nicht mehr, das Abendblatt ist nicht so das Forum dafür und die Szene hat auch nicht mehr das grosse Kunstprogramm.

SF:
Aber Leute wie Jonathan Meese oder Christian Jankowski, die kriegen ja durchaus...

AW:
Das sind aber auch Männer. Und die sind vor allem auch auf dem Markt erfolgreich, das ist was anderes. Das ist bei Christoph Schäfer ähnlich, der ist auf dem Markt auch nicht so erfolgreich. Es geht irgendwie um Marktkünstler. Meese oder Jankowski...ich meine, schon bei Franz Ackermann ist das anders, obwohl der ja sehr erfolgreich ist. Aber auch da ist das schon so, dass er in Hamburg auch nicht unbedingt so wahrgenommen wird, oder. Obwohl der gleichermassen erfolgreich ist.

SF:
In Berlin wird er aber sehr wohl wahrgenommen! Ich habe den Eindruck, dass in Hamburg insgesamt...

AW:
Ich meine, das sind Männer, das muss man auch dazu sagen. Der Kunst-
markt ist letztlich immer noch sexistisch strukturiert. Mittlererweile sind ja 70% der Kunststudenten Frauen, aber insgesamt ist der Anteil von Frauen bei Grossausstellungen von 5% auf - keine Ahnung- 25% oder 30% gewachsen. Wenn du bedenkst, wieviel Frauen Kunst studieren, ist das immer noch genauso verschwindend wie vorher.

SF:
Aber in Münster war es etwa fifty fifty, oder?

AW:
Es waren weniger, ich glaube 30 oder 40%. Also es ist insgesamt auf Großausstellungen besser geworden. Auf dem Markt ist das glaub ich immer noch ziemlich schlecht, da kenn ich mich nicht so aus. Meese oder Jankowski, die sind auf dem Markt auch erfolgreicher, oder?

SF:
Die sind total erfolgreich auf dem Markt.

AW:
Eben. Meese und Richter z.B., das sind beides klassische Maler, das ist ja im Moment so das Ding und das ist für eine Zeitung mit Öffentlichkeitswirkung... Entspricht auch einfach so diesem klassischen Künstlerklischee, da musst du nicht gross was erklären, jeder weiss, was ein Maler ist.

SF:
Aber trotzdem finde ich...

AW:
Ich finde auch, ich finde auch!! Ich will hier bloss nicht so rumjammern. Ich finde auch, dass das voll daneben ist.

SF:
Worauf ich hinaus will ist, dass ich glaube, dass sich in den letzten zehn Jahren ein bischen was verändert hat. Auch Frauen, die älter sind... du kannst auch etwas später reinspringen in die Karriere, wenn dir das gelingt... So klassische Biografien müssen nicht mehr unbedingt sein. Also bei dir, du bist ja jetzt auf einem ziemlich guten Weg. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass du jetzt anfängst, auch in dem Sinne Karriere zu machen, dass du Sachen verkaufst, Galerien findest.

AW: Da will ich mich jetzt nicht zu äußern. Was ich soll ich da jetzt zu sagen? Ich meine, das ist ja jetzt nicht so, dass ich jetzt erst damit...ich habe ja immer mal grössere Sachen gemacht.

SF:
Kannst du mal Beispiele aufzählen?

AW:
Ich habe mal in der Shedhalle ausgestellt.



"Ufos", Shedhalle 1999

SF:
Das war die Ausstellung mit den Ufos?

AW:
Das war ein Teil von einer grösseren Ausstellung in der Shedhalle. Dann hab ich mal in Österreich im Mumok was gemacht, dann in Berlin bei der Buga (Bundesgartenschau). Das war ein Projekt in Koproduktion mit den Berliner Architekten Christoph Stolzenberg, Achim Schultz und Claus Krapf. Das Teil steht auch noch, der Umbau von diesem Turm. Das Buga-Gelände in Potsdam ist auf einem alten Truppenübungsplatz errichtet worden . Die haben halt Teile stehen gelassen von den Sachen, die da existierten. Am Anfang war noch alles voll von alten Baracken. Das Konzept der BUGA sah vor, dass die Geschichte dieses Ortes nicht ganz und gar verleugnet wird. Ich hab einen dieser alten Wachtürme von innen entkernt, also die Aussichtsplattform und die nach oben führende Treppe entfernt,und in so eine Art Spiegelkabinett verwandelt.



"Der Turm", BUGA Potsdam 2001

Ist eigentlich ganz einfach: wir haben an die Decke und die Wände Spiegel gesetzt und durch die Fenster oben kam noch Licht durch, aber man konnte nicht mehr hoch. Also diese Plattform war herausgenommen. Die Funktion war eigentlich so umgekehrt: ganz klassisch nach Foucault, hab ich den überwachen-
den Blick umgekehrt. Es entstand ein ilusionär unendlicher Raum, wo die Grenzen nicht mehr erkennbar sind, wo vier bzw. fünf Spiegelwände ineinander spiegeln.



"Der Turm", BUGA Potsdam 2001

Das ergab einen endlosen Raum, der eigentlich nur 2 mal 2 Meter Grundfläche hatte. Das ist paradox. Du kommst da rein und bist in so was Unendlichem drin ,wo du Dich auch drin verlierst. Und ausserdem kann der Turm auch nicht mehr wie ursprünglich, zur Überwachung benutzt werden. Na ja, das Ding steht immer noch. Jetzt ist es eine von den vielen Skulpturen, die herumstehen. Eben noch eine Skulptur.

Es ist also nicht so, dass ich die ganze Zeit in Off-Spaces ausgestellt hätte. Ist halt so die übliche Situation, man hat das Studium abgeschlossen, man hat keine Galerie aber man ist immer mal wieder irgendwo präsent. So ne ganz normale Künstlerexistenz, ohne dass man ne Galerie hat. Man verdient nicht unbedingt Geld damit und ist aber auch nicht ganz verschwunden.

SF:
Und wie bist du nach Münster eingeladen worden?

AW:
Also der Kontakt ist schon ziemlich lange da. Ich kenne Brigitte Franzen schon lange, noch aus alten independant Strukturen. Später auch noch. Eigentlich kam das durch sie. 1990 hab ich auch mal zwei Semester in Frankfurt studiert und da war halt grad der König Präsident.
Von daher kannten wir uns so’n bisschen. War jetzt nicht so, dass wir gross künstlerisch was miteinander zu tun hatten. Aber der Kontakt war von daher schon mal da. Als Brigitte Frantzen ihm und Carina Plath das vorgeschlagen hat, da sagten sie gleich okay, gucken wir uns mal an. Sie haben mich nach Münster eingeladen, ich sollte mir die Situation vor Ort anschauen und dann Vorschläge machen. Das hab ich getan und dann ist einer der Vorschläge genommen worden.

SF:
Magst Du erzählen, welche anderen Vorschläge Du hattest?

Absolut unbetretbare OrtAW: Das kann man nur schwer sagen, das waren eigentlich keine ausgearbeiteten Vorschläge. Sondern es war mehr so, dass ich mich so rangetastet habe, langsam. Es gab eine Idee in dem Rahmen, die konnte man da nicht zeigen, die hätte nur ausserhalb von Münster gebaut werden können. Eine Idee, die ich immer noch mag, die ich vielleicht in einem anderen Kontext noch mal machen kann. Obwohl es kaum ne Sichtbarkeit hätte. Das wäre mitten auf so einem Autobahnkreuz, weisst du? Wo man überhaupt nicht hin kommt, auf diesen Grünflächen da so einen Spielplatz zu errichten. Weiss nicht, vielleicht würde es dann lauter Unfälle geben oder sonst was, weil es irritierend ist. Wir sind da auch wirklich noch mal über die Autobahnen gefahren. Das wäre viel zu weit abseits gewesen.



Projekt "Spielplatz", 2005


SF:
Das find ich ziemlich Klasse!

AW: Ja. Irgendwann würde ich das gerne noch mal machen, es muss halt auch einen Kontext dafür geben. Dass du es auch einsehen kannst, wo es halt sinnvoll ist. Ich fänds als Idee ganz gut, obwohl ich nicht so genau weiss, ob es nicht auch Unfälle produzieren könnte. Also vielleicht wäre es deshalb dann doch nicht umsetzbar.

SF:
Och ja...

AW:
Ich würds gerne mal zumindest als Vorschlag irgendwo einreichen. Weil mich diese Orte an Autobahnen so faszinieren, wo man einfach nicht hingehen kann. Das sind diese absoluten Nicht-Orte, absolut unbetretbaren Orte. Aber irgendwer muss ja auch das Gras da mähen. Hab noch nie jemanden das Gras da mähen sehen, aber es wird ja gemäht. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, dass ich schon irgendwann mal jemanden da auf dem Autobahnkreuz hätte mähen sehen. Aber irgendwann wirds ja gemäht.

SF:
Ja, man kennt ja diese Wagen, die haben hinten so ein riesiges Dreieck mit Warnblinkern….Das mit dem Kinderspielplatz hat ja noch mal ne andere Dimension als das, was du dann tatsächlich gemacht hast. Deine realisierte Arbeit hat sehr viel mit einer Fake-Strategie zu tun. Du fakest eine Baustelle und machst damit viele Anspielungen. Du deutest etwas an und kannst es dann kritisieren oder ironisieren. Bei dem Kinder-
spielplatz hat das ja noch eine reale Ebene. Da könnte man ja tatsächlich, zwar sehr waghalsig oder so, aber aussteigen und raufmarschieren.

AW:
Also ich glaub, du nimmst das aus dem Kunstkontext heraus einseitig wahr. Klar, wenn man jetzt aus dem Kunstkontext Appropriation und Guillaume Bijl und so... Aus dem Kunstkontext heraus ist das natürlich eindeutig lesbar. Viele Leute haben das auch so gesehen. Aber viele Leute haben das auch als ganz reale Baustelle wahrgenommen. Leute, die wirklich dachten, da wär sowieso eine Baustelle und ich hätte das komische Schild da aufgebaut. Das wäre das Einzige gewesen, dass ich auf eine existierende Baustelle das Schild da hingebaut hätte. Das haben auch Freunde von mir aus Wien...Die haben mit einer Akademieklasse eine Exkursion gemacht und haben sich da lange darüber gestritten oder unterhalten, ob es das Eine oder das Andere ist.
Einige Leute aus dieser Klasse haben gedacht, da ist jetzt wirklich ne Baustelle. Für mich ging es vor allem konkret darum, dass eben erstmal das Ufer unpassierbar wird. Ein Teil vom Park unbenutzbar wird und zwar ganz real. Diese Situation ist ja auch sehr alltäglich, weil das ist ja ne Sache, die derzeit ständig passiert, dass eben öffentliches Eigentum in privates Eigentum umgewandelt wird. Das ist ja jetzt hier auch mit den Bädern so. Jetzt werden auch in Münster die Bäder geschlossen und privatisiert. Diese Dinge passieren ja ständig überall. Es ist so, dass ich diesen Vorgang, der sowieso stattfindet, noch mal spiegele. Es ist eine sehr konkrete Sache, so ähnlich wie auch das Projekt mit dem Kinderspielplatz. Da geht es aber darum, dass dieser Ort absolut strange gewählt wird, von daher ist es noch mal etwas anderes. Dass man eine ganz reale Sache an einen Ort setzen würde, der absolut unpassend wäre. Während das AaSpa (Anm. SF: Titel der Arbeit von Annette Wehrmann in Münster 2007) der Nachbau eines gewöhnlichen, alltäglichen Vorgangs war, der sich fortwährend ereignet. Auf eine Weise sehr minimal, ausser dass es eher aufwendig war.



"Aaspa - Wellness am See", Skulpturenprojekte Münster 2007

SF:
Das war schon ziemlich aufwendig?

AW:
Ja, aufwendig war es schon …

SF:
Was hat das gekostet, wenn ich fragen darf?

AW:
Hab ich jetzt keine Lust drüber zu reden. War auf jeden Fall im Rahmen von diesen Etats. Das find ich jetzt auch egal.

SF:
Das war jetzt eine Frage, die sich ja auch gleich auftut.

AW: Sonst fragst du aber auch nicht bei so Kunstsachen, wieviel das gekostet hat…

SF: Doch, ich frag mich das schon. Auf The Thing gibt es zum Beispiel einen Beitrag über diese Skulptur "Wings of Hope" auf der Veddel und die kostet eine halbe Million Euro.

AW:
Okay, also das waren jetzt 48.000 Euro.

SF:
Das war ja auch ein ziemlich großes Gelände?

AW:
Das Gelände haben wir mietfrei gekriegt. Das waren eher die Leihgebühren für die Baufahrzeuge. Wir haben das relativ billigste Angebot genommen.

SF:
Wie war denn die Zusammenarbeit? Hattest du direkt mit der Firma zu tun?

AW: Auch, aber vor allem haben das die Mitarbeiter der Skulpturprojekte gemacht.

SF:
Du hast gesagt, wie du es haben willst und dann haben sie das direkt ausgeführt?

AW:
Ich war schon auch da bei dieser Firma. Aber so diesen täglichen Kontakt mit den Firmen, den haben die vor Ort gemacht.



Skulpturenprojekte Münster 2007

SF: War es Brigitte Frantzen, die die Produktion vor Ort übernommen hat?

AW: Konkret war meine Projektbetreuerin vor allem Bibi Mak. Da hatte man erstmal mit den Leuten im Büro zu tun, den Projektmanagern, oder Projekt-
betreuern, die das dann konkret realisiert haben. Ansonsten hatte ich soweit mit dieser Firma zu tun, dass wir da hingefahren sind, Baufahrzeuge ausgesucht haben, Pläne aufgestellt. Wobei ich mich dann bemüht habe, nicht zu künstlerisch frei damit umzugehen. Sondern auch gefragt hab, was ist jetzt realistisch oder nicht realistisch. Wie realistisch das letzten Endes wirklich war… na ja, ich wollte da ja jetzt auch keine Grossbaustelle machen. Ich wollte ja nicht real den Boden ausheben und deshalb stand auch kein Kran da. Sondern es sollte so aussehen wie so die ersten Schritte, die ersten Anfänge einer Baustelle. Das waren ja auch nicht mehr als die ersten Schritte und zu Anfang ist konkret was getan worden. Zwischendurch ist noch mal das ein oder andere verändert worden. Zum Schluss ist es dann langsam wieder abgebaut worden.

SF: Das heisst, dass du während der gesamten Ausstellungsdauer immer wieder etwas hast verändern lassen?

AW: Es ist glaub ich dreimal etwas verändert worden.

SF: Was denn genau?

AW: Also, ich hatte ursprünglich mal vorgehabt, alle drei Wochen was zu verändern. Dann haben wir aber gesehn, dass sich auf diesem großen Gelände die Sachen ziemlich verloren haben. Deshalb haben wir erstmal zu Anfang ziemlich viel aufgefahren. An diesen ersten zwei Tagen, Samstag, Sonntag, sollte eigentlich dieser ganze Kreis schon ausgehoben werden. Es war aber schlechtes Wetter und die Bauarbeiter haben es deshalb nur geschafft, die Hälfte des Kreises auszubaggern. Das ist dann später noch mal weiter ausgebaggert worden, bis der Kreis dann endgültig ausgebaggert wurde. Zuerst war es wirklich nur die Hälfte. Das Gras ist mal geschnitten worden.

SF: Ich habe hier mal ein paar Fotos davon ausgedruckt.

AW: Genau, das ist hier diese Umleitung. Hier sieht man…



Skulpturenprojekte Münster 2007

SF: ….dass der Joggerweg abgesperrt ist...

AW: …so dass die Leute dann diesen Kreis drum gemacht haben. Da waren die Jogger glaub ich nicht so wahnsinnig erfreut. Viele haben auch wirklich zuerst gedacht, dass da real was gebaut werden wird.

SF: An dieser Stelle gings runter zum Wasser vorher?

AW: Ja genau. Aber da kann man eben nicht mehr um den Zaun rum. Hier gehts zum Wasser, genau, hier ist das bis zum Wasser durchgezogen worden.
Hier sieht man die Bauarbeiten, ein Bagger hat das ausgehoben. Hier steht dann ein Baucontainer. Das verliert sich aber auf dieser Wiese. Das war auch die Idee, dass es aussieht, wie etwas, was erst noch losgehn soll. Ich wollte auch kein grosses Loch in die Wiese graben, sondern es sollte so aussehen, als würde etwas beginnen, dann passiert aber doch nichts. Sind die allerersten Arbeiten...

SF: Du wolltest gar nicht bauen, sondern das Bauen andeuten?

AW: Ja, andeuten. Das hätte ja auch mindestens ne Million gekostet! Völlig absurd, sich darüber Gedanken zu machen. Und dann halte ich es auch nicht für besonders sinnvoll, eine Grünanlage zu zerstören. Es ging mir ja nicht darum, da dauerhaft etwas zu zerstören. Also diese Andeutung davon, etwas könnte beginnen oder das sind hier jetzt die ersten Schritte. Jetzt ist gerade mal was passiert, jetzt passiert aber doch nichts weiter und vielleicht ist es auch vergessen worden. Es gibt ja auch diese vergessenen Baustellen.
Es geht jetzt los, oder geht jetzt doch nichts los? Wird gebaut, oder wird doch nicht gebaut?

SF: Ich selber hab das schon als eine Fake-Strategie wahrgenommen.

AW: Ja klar!



Skulpturenprojekte Münster 2007

SF:
…die auch ganz gut aufgeht, weil viele Leute denken ja wirklich, hier fängt was an, das ist ne echte Baustelle. Insofern hat es ja funktioniert. Jetzt gab es diesen Kritikpunkt mit dem Schild, das du gemalt hast und das ja so sehr “künstlerisch” ist. Das eine ist die Fake-Strategie, das Andeuten der Baustelle und hier ist so etwas, das auch an Park Fiction erinnert, an eine bestimmte Ästhetik.

AW: Die Interpretation hab ich jetzt noch nicht gehört, dass es irgendwie an Park Fiction erinnert.

SF: Das Schild sieht sehr “arty” aus. Und wie geht das Schild jetzt zusammen mit dieser Fake-Strategie, also dem Andeuten?

Das absichtlich so gemalte SchildAW: Ich wollte nicht einfach so eine Fake-Strategie machen. Ich wollte nicht den Wiederaufguß von Guillaume Bijl oder so was haben. 80er Jahre Fake. Ich wollte da auch einen Bruch drin haben. Ich hätte jetzt einfach keine Lust... Das ist jetzt aber auch das erste Mal, dass ich hör, dass das “arty” sei. Hab immer nur gehört, dass das ja schlechte Malerei ist und dass die ja nicht malen kann. Wenn das jetzt wenigstens als “arty” wahrgenommen wird, dann ist das ja auch ganz gut (lacht). Endlich wird mal begriffen, dass es absichtlich so gemalt ist. Bin ich ja wenigstens froh, dass die Künstler das merken.

SF: Ich habe eine mögliche Parallele gesehen zu dem Pavillon von Andreas Siekmann. Hast du den gesehen?

AW:
Welchen?

SF: Der jetzt auf der Dokumenta war und vorher in Dresden. Es stellt eine Art Karussell dar. Siekmann hatte so eine Art Pappfiguren gemalt, auf Sperrholz, ziemlich ausgefeilt. Es kam da auch so der Gedanke auf, da muss jemand beweisen, dass er auch malen kann. Die Vorlagen dafür sind allerdings alle am Computer hergestellt worden und keine authentizistische Malerei. Man könnte dagegen halten, dass seine Figuren diese genaue Ausgestaltung benötigten, um als politische Allegorien deutlich zu werden.

AW:
Bei Andreas?

SF: Ja...

AW: Aber Andreas ist doch sowieso Maler, was soll denn das? Er ist doch sowieso jemand, der... Nee, also sorry!

SF: Nein, Andreas Siekmann ist kein Maler.

AW: Siekmann ist Zeichner. Das Wesentliche, was er macht sind Zeichnungen.

SF: Weshalb ich diese Bilder von Siekmann in Zusammenhang bringe mit dem hier ist, dass das Ganze noch mal ausdrücklich als ein Kunstprojekt ausgewiesen wird. Also mit dieser Art von Bauschildern... spätestens, wenn man diese Bauschilder sieht, fängt man ja an zu überlegen, wer ist hier der Bauherr oder die Bauherrin? Und dass das im Widerspruch steht zu dieser Fake-Strategie. Ich hab das jetzt verstanden, dass du das brechen wolltest...

AW: Was soll ich jetzt dazu sagen? Okay, bin mit beiden gut befreundet. Sowohl mit Christoph Schäfer, als auch mit Andreas Siekmann. Wir haben früher auch viel miteinander zu tun gehabt, auch in dieser independent Szene. Wir sind halt auch so eine Generation. Natürlich gibts da auch gegenseitige Einflüsse.

SF: Ich frag´ mich nur, ob das ganze Ding es noch nötig gehabt hat, als Kunstprojekt ausgewiesen zu werden über diese beiden Schilder?

AW: Ich sag mal so, das ist einfach ein Spaß, den ich mir gegönnt habe. Und ich muss auch sagen, der hundertste Aufguss von ner Fake-Strategie wäre mir einfach auch zu langweilig und ich finde das eigentlich ganz gut, wenn da noch so’n Bruch reinkommt. Und dass es als Kunstprojekt ausgewiesen ist, das ist eh klar, weil es im Rahmen der Skulpturprojekte stattfindet. Das muss man nicht gross ausweisen. Von daher finde ich die Art von Kritik absurd. Ich dachte, ein Bauschild gehört auf jeden Fall dazu und das ist halt auch so’n bisschen Parodie und ... wie erklärt man das jetzt ... Ich wollte einfach noch was Komisches drin haben. Ich arbeite auch eigentlich ganz gern so, dass ich Sachen, die ich mache, innerhalb der Arbeit noch mal in Frage stelle. Ich baue ganz gern immer noch mal so’n Bruch in Sachen rein, um das mal so zu sagen.

SF: Und was hast du in Frage gestellt mit den Schildern?

AW: Na, z.B. diese reine Lesbarkeit als Fake. Also dass man es dann weder auf die eine noch die andere Weise so bruchlos lesen kann. Ich hab eigentlich die bruchlose Lesbarkeit in Frage gestellt. Also so’n Bruch in diese reine Fake-Strategie reingemacht.

SF: Wenn ich mir hier diese Ufo-Bilder (“Mondo Imaginario”, Shedhalle 1999) anschaue, da deutest du ja auch an. Es ist auch klar, dass dies ein Kunstrahmen ist, in dem das Ding gezeigt wird. Hier in der Shedhalle finde ich, dass die Andeutung richtig gut funktioniert. Aber in Münster prallt das so sehr aufeinander. Hat das damit zu tun, dass diese Baustelle so wahnsinnig aufgeblasen war? In Anführungsstrichen, wir haben ja gesagt, dass es noch relativ wenig war, was da aufgefahren wurde. Aber das war ja schon recht gross.

Eine Komposition der Bauarbeiter
AW: Es sollte ja auch ein recht grosser Teil vom Park nicht benutzbar sein. Klar, wenn du die Baustelle jetzt rein als ästhetisches Konstrukt siehst, dann hätte man sagen können, okay, dann mach das Ding da kleiner und dann ist das voller. Aber andererseits ging es ja schon darum, im grossen Rahmen da abzusperren.

SF: Das finde ich auch gut. Aber ich habe es teilweise auch so wahrgenommen worden, dass es da so Zwänge gab, kompositorische Zwänge. Die Art und Weise der Verteilung auf dem Gelände hat auf einmal mit Komposition zu tun.

AW: Ich hab die Firma gefragt, wie man das hinstellen würde. Wenn das eine Komposition ist, dann ist das die Komposition von den Bauarbeitern. Ich hab mir nicht selber ne Komposition überlegt, sondern hab gefragt: wo würde man das da jetzt hinstellen? Ich glaube, das Kompositorische kommt dann zwangsweise. Es waren ja nur so wenige Sachen, die aufgestellt werden mussten. Es ist ganz egal, wie Du sie aufstellst, das wird immer als Komposition wahrgenommen. Aber meine Komposition war das nicht.

SF:
Okay. Deshalb wird dann ein Baufahrzeug gleich als Ready-made wahrgenommen?

AW:
Es wird automatisch als Ready-Made wahrgenommen, weil es dort steht. Die haben mich dann immer gefragt, und ich hab versucht das mˆglichst zu vermeiden. Aber dann fangen halt die...

SF: Wer hat Dich gefragt?

AW: Die Bauarbeiter, die das aufgestellt haben: "Wo sollen wir das jetzt hinstellen, Frau Wehrmann? Wo würden Sie das denn hinstellen?"

SF: Weil sie schon länger für die Skulpturenausstellungen in Münster arbeiten?

AW: Ja, und sie haben auch gefragt, was ist denn jetzt daran Kunst… und wo sollen wir das hinstellen. Ich meine, das ist auch ganz normal. Ein Bauherr sagt dann immer, irgendwo muss es hingestellt werden. Hab dann versucht zu sagen, okay, wenn Sie jetzt eine Baustelle einrichten würden, was würde hinkommen und was würde nicht hinkommen? Zumindest habe ich versucht, darauf hin zu arbeiten. Wo würde man jetzt die Container hinstellen? Würde man sie da hinten oder da vorne hinstellen, was wäre realistisch?

SF: Diese Fake-Strategie hat ja als ein Versuch begonnen, sich aus diesen ganzen ästhetischen Zwängen heraus zu arbeiten. Dass dus als KünstlerIn nicht mehr direkt mit Komposition zu tun hast. Es ging darum, sich aus diesen Zwängen herauszuwinden, die mit der Produktion eines Originals und eines künstlerischen Habitus und Duktus in Zusammenhang standen. . Sich von all dem zu lösen, wozu man irgendwie gezwungen wurde, was künstlerisch zu sein hatte oder wie man als Künstler oder als Künstlerin zu agieren hatte, damit das auch deutlich als Kunst erkennbar war. Das war auch eine Funktion der Fake-Strategie[1], die ja sogar schon ganz früh angefangen hat, in den 60ern, verstärkt aber in den 80ern und in den 90ern. Zum Beispiel bei Ingold Airlines, da kann man ja sehr gut sehen, wie das funktioniert. Was in sich so ‘ne Logik entwickelt hat, die sehr ziseliert war, ganz fein ausgearbeitet, mit vielen Drehungen in sich und dadurch quasi eine Parallelwelt geschaffen hat Die hat man aber, wenn man jetzt nicht aus dem Kunstkontext kommt, erstmal nicht als Kunst kapiert. Sondern der konnte man erstmal auch auf den Leim gehen.

Die eingefahrene Ästhetik des Fake
AW: Aber darum ging es mir ja gar nicht. Du fängst jetzt immer wieder an, das in so ‘ne bruchlose Weiterführung der Fake-Strategie... Während es bei mir in erster Linie um eine Kritik an der Umstrukturierung vom öffentlichen Raum ging. Für mich ging es darum, ein politisches oder gesellschaftliches, ein wirtschaftliches Phänomen, was derzeit manifest ist, das auf eine Weise aufzugreifen, ohne dass ich jetzt da so’n langen Text formuliere und diskursiv verhandle, jetzt wird aber der öffentliche Raum vernichtet und ich finde das Scheisse, jetzt werden die Fakten aufgelistet und deshalb und sonstwas. Das ist ja eine Strategie, sich dem eher auf soziologischer Ebene anzunähern, was viele Leute machen, zum Beispiel diese Öffentliche Kartierungsgruppe in Hamburg. Was ich auch sehr gut finde! Ich finde deren Arbeit sehr gut. Aber ich wollte es hier nicht auf diese Weise machen, sondern sehr unvermittelt spürbar machen, was Umstrukturierung ist. Das eben nicht auf die eine oder andere Weise in Text verwandeln. Und vor allen Dingen wollte ich das auch nicht bruchlos als Fake rüberbringen, weil es das eben als gut eingeführte Gegenwelt, mit ihren eigenen Traditionen und ihren eigenen ästhetischen Strategien, ja auch schon gibt. Dadurch ist die Richtung der Lesbarkeit von vornherein schon so stark gegeben, dass es dann auch keine Fragen mehr aufwirft. Wenn es eindeutig als Fake zu lesen ist, wo es schon mindestens 15 Jahre so eine gut eingeführte Tradition gibt, dann ist eben die unmittelbare Wahrnehmung, der direkte Bezug auf aktuelles Geschehen auch reduziert, in meinen Augen. Nicht weil ich Fake-Strategie für wenig politisch halten würde, im Gegenteil. Das finde ich überhaupt nicht, sonst würde ich das ja nicht aufgreifen. Sondern einfach, weil es da so eine eingefahrene Sprache gibt, die selbst schon ästhetisch geworden ist. Von daher wollte ich diese Sprache, die ein eingefahrenes, ästhetisches Phänomen ist, die wollte ich nicht wieder aufgreifen. Das wäre jetzt so wie das 500ste Recycling von ... sagen wir aus dem musikalischen Bereich, Black Flag oder so. Du würdest heutzutage Punksongs mit politischen Texten in der Art von Black Flag, heute ja auch nicht mehr auf die Weise politisch wahrnehmen, wie sies mal gewesen sind. Man kann das in der Form auch einfach nicht mehr so machen. Ich wollte also nicht in der Form an diese Fake-Strategie so bruchlos anknüpfen, weil es eben selbst schon wieder ein ästhetisches Genre geworden ist.

SF: Klar. Und gleichzeitig war es aber notwendig für Dich, darauf zurück zu greifen.

AW: Du kannst ja sowieso nichts absolut Neues machen. Für mich war es in der Form das, was ich mir am ehesten vorstellen konnte. Weil ich auch nicht auf diese soziologische Weise da rangehen wollte. Ich bin auch nicht Soziologin, ich schreib auch nicht. Es ging auch um Kunst im öffentlichen Raum und zu untersuchen, wie die eigentlich funktioniert. Wie kann man heutzutage noch Kunst im öffentlichen Raum machen, was bedeutet das eigentlich, was ist für mich da eigentlich noch möglich?

SF: Ich fand gut, dass du dieses riesige Gelände so bespielt hast, dass durch deine Eingriffe nicht das ganze Gras weg war. Du hattest vorhin schon gesagt, du wolltest ja nicht die ganzen Grünflächen vernichten. Und gleichzeitig hast du aber die Wucht dieser baulichen Eingriffe ziemlich deutlich gemacht. Dass einem klar werden konnte, was das heisst, wie riesig das ist. Weil man sonst ja eher ausgesperrt wird von so einer Baustelle, da ist ein Bretterzaun drumherum, man sieht gar nichts. In der Ludwigstrasse Ecke Schanzenstrasse hier ist das gerade der Fall. Dort entsteht ein hohes Teil, was unheimlich schnell wächst, nachdem dort mindestens vier Jahre lang nur eine Brachfläche war. Die Wucht und die Gewalt, mit der so etwas Grosses hochgezogen wird, das finde ich, hast du ganz gut zitiert über diese Andeutung. Du hast eben dieses riesige Gelände abgesteckt, mit diesem Zaun und diesen Zitaten da drauf, mit den Hügeln, den Aushebungen und den Baggern. Das finde ich, hat gut funktioniert.
Ich versteh das mit den Brüchen, mit den Schildern aber es hat sozusagen noch mehr dazwischen gefehlt. Hat nicht so richtig gut funktioniert.

AW:
Gut, das kannst du so finden. Das nimmt man halt auch unterschiedlich wahr. Gibt auch Leute die finden, dass es gut funktioniert hat. Ich akzeptiere, wenn du das so sagst. Für mich war das so in Ordnung. Wie gesagt, ich wollte einfach was Abweichendes da reinsetzen, ich wollte diesen Bruch da reinsetzen und irgendwas dadrin haben, was auch provoziert. Wenn du einfach daran vorbeigehst und siehst, da ist so ‘ne Baustelle, dann regen sich die Leute halt auf, aber das ist es dann eben auch. Weiter hinten, näher zur Stadt hin, da ist ja in Münster gerade so eine riesige Baustelle. Da bauen sie Appartmenthäuser, direkt am Aasee. Es wird eben immer mal wieder so was gebaut. Die Leute sind auch ziemlich daran gewöhnt. Dadurch, dass jetzt noch mal so ‘n Bruch drin ist, kann es sein, dass es für ein Kunstpublikum aussieht wie: Ja, das ist jetzt doch wieder Kunst, und das stimmt! Dadurch wird es aber auch noch mal als etwas nicht Selbstverständliches dargestellt, was man einfach so übersieht. Da ist ja jetzt doch keine richtige Baustelle! Ja, wieso ist es denn jetzt keine richtige Baustelle? Das wird dann direkt noch mal, ganz unmittelbar dargestellt, dass es das eben doch nicht ist und das was anderes gemeint ist, als einfach etwas nachzustellen, was man total übersehen kann. Der Umstand, dass eine Baustelle simuliert wird, wird dadurch direkt zur Diskussion gestellt. Es ist keine Baustelle, es ist noch was damit gemeint. Die Tatsache, dass es eben auch als Aussage gemeint ist, wird für mich dadurch noch mal verstärkt. Diese Fake-Sache zielt dann ja noch mal in ne andere Richtung, allgemein die Fake-Strategie. Es ging mir ja schon darum, ganz konkret vor Ort eine Frage aufzuwerfen. Fake-Strategie zielt ja darauf, dass sich diese Frage erstmal nicht unbedingt stellt, sondern dass sie sich vielleicht dann im grösseren Kontext aufwirft. Dadurch, dass Du diesen Fake dann in den Kunstkontext setzt, dass sich dann innerhalb des Kunstkontextes die Frage aufwirft, ist das jetzt Kunst oder ist das jetzt keine Kunst? Mir ging es nicht um den Kunstkontext und das Fake darin, sondern ob sich diese Frage auch jemandem stellt, der nicht aus dem Kunstkontext kommt. Kunst im öffentlichen Raum ist nicht nur für Künstler und für Kunstinteresssierte. Dass es auch vor Ort als Eingriff wahrgenommen wird und sich direkt diese Frage stellt: Was soll das denn eigentlich?

SF:
Die Fake-Strategie hat ja immer mit dem Original zu tun gehabt. Mit dem Verweis auf das Original. Nicht das Fake als solches ist interessant, als Artefakt, sondern der Verweis auf das Original. Der Verweis, als Kritik an der Ideologie vom Original, ist dann sozusagen die Arbeit gewesen. Hier ging es ja um den Verweis auf neoliberale Stadtbaupolitik und nicht auf ein originales Kunstwerk.
Welche anderen Arbeiten in Münster fandest du gut, welche nicht?

AW: Ich hab, ehrlich gesagt, nicht so viel gesehen, denn ich hatte diese Beinverletzung. Egal. Was mir sehr gut gefallen hat war dieser Film von Eva Meyer und Eran Schaerf (“Sie könnte zu Ihnen gehören”) Ich fand’s halt einen schönen Film und die Dinge, die sie da zitiert haben, dass es so eine komplexe, eigene Welt war. Das hat mir gut gefallen. Die Sache von Andreas Siekmann hat mir gut gefallen, als ästhetische Form und auch von der Haltung her, von den ganzen Themen her, die er sich da erarbeitet hat (“Trickle Down”). Der Film von Clemens Wedemeyer hat mir glaub ich auch ganz gut gefallen, dieses Non-Stop-
Kino so (“Von gegenüber”). Dass es auch ein Non-Stop-Kino war, dass man da immer reingehen konnte und es immer lief. Angenehme Reminiszenz an die 70er Jahre. Der Mark Wallinger, der ist für mich da total untergegangen (“Zone”). Fand die Idee eigentlich ganz gut, aber das hat für mich als Arbeit nicht richtig funktioniert. Obwohl ich die Idee eigentlich interessant fand, mit diesem Faden da. Irgendwas hat mich daran gestört. Schien mir nicht so richtig zu Münster zu passen. Schien mir in dieser Stadt so neutralisiert zu sein.

Ganz klar: das ist Kunst
SF: Wie fandest Du den Beitrag von Bruce Nauman?

AW: Ja, ich finde Bruce Nauman gut (“square depression”). Weiss aber nicht so richtig. Ich finde es eigentlich ‘ne gute Arbeit, aber sie ist halt aus den 70er Jahren. Ist halt keine aktuelle Arbeit. Ich find’s ganz interessant, dass sie das jetzt noch mal sozusagen nachgebaut haben.

SF: Das war ja das erste Mal nicht möglich. Es ist ihm ja verboten worden.

AW: Es ist ihm verboten worden. Da haben sie ihm das jetzt doch noch mal gebaut. Und das find ich irgendwie so ganz interessant. Ich habs jetzt eigentlich nicht als so aktuelle Arbeit wahrgenommen.

SF: Jetzt ist es möglich!

AW: Ja, jetzt ist es möglich und es ist auch ganz klar, dass es Kunst ist.

SF: Zu sehr Kunst? Endlich möglich, weil es Kunst ist?

AW: Nein. Gar nicht. Ich hab das einfach nicht als aktuelle Arbeit wahrgenommen. Ist es ja auch nicht. Genauso wie Michael Asher, den finde ich immer gut. Das zieht sich auch durch, es ist auch ‘ne prima Arbeit. Es ist aber auch ein Konzept aus den 70er Jahren. Ich find’s auch gut, dass sie das immer wieder so machen und finde es auch gut, dass sie den Bruce Nauman als Verweis auf die ursprüngliche Sache jetzt wieder aufgegriffen haben, dass das Ding jetzt doch noch realisiert wurde. Weil ich’s auch ‘ne schöne Arbeit finde. Es ist ne absolut schöne konzeptuelle, minimalistische Skulptur. Aber ich hab’s jetzt nicht als aktuelle Arbeit zu Münster wahrgenommen. Das ist ja nicht aktuell auf den derzeitigen Diskurs zugeschnitten.

SF:
Wie fandest du Dominik Gonzales-Förster (“Roman de Münster”)?

AW:
Hat mir nicht so gefallen.

SF: Warum?

AW: Ich fand das einfach zu kulissenhaft. Zu ästhetisch. War halt so’n bisschen Spielwiese.

SF: Bisschen zu billig?

AW: Bisschen zu harmlos. Dabei mag ich sie eigentlich. Andere Arbeiten von ihr mochte ich sehr. Mit der Sache da von Elmgreen & Dragset hatte ich das gleiche Problem. Diese Thematisierung von Kunst und Skulptur, das war alles etwas zu glatt. bisschen zahnlos.
Komisch und auch ganz ambivalent dann die Arbeit von Gustav Metzger (“aequivalenz – shattered stones”). Diese ganze komische Ambivalenz, also erstmal fand ich dieses minimalistische Konzept ziemlich toll, die Steine, die da immer so rumgefuhrwerkt wurden. Das sollte ja jetzt die Bombardierung von Münster aufgreifen. Erinnern an den Krieg, was sich einerseits aus dem aktuellen deutschen Diskurs heraus irgendwie so unangenehm in diese neokonservativen Diskurse einschreibt, obwohl das von seiner Seite natürlich keinesfalls so gemeint war.
Andererseits ist das auch so’n Verweis auf die Totalverdrängung von diesem Neubau Münster, als perfekt oder quasi perfekte, wieder restaurierte mittelalterliche Stadt. Die war ja völlig abrasiert, die Stadt. Ich fand das sehr ambivalent, aber auch sehr interessant. Auch als eine Sache, die aus einem ganz anderen Kontext herauskommt, der sehr alt ist, da er diese Sachen selbst erlebt hat und jetzt schon seit Jahrzehnten in England lebt.

SF: Auch was ganz Altes.

AW: Ja, aber auch etwas, was für mich nicht so aufgeht. Wo sich von den aktuellen deutschen Diskursen zur Bombardierung her so eine unangenehme Assoziation einstellt, obwohl sie von ihm eigentlich so auch gar nicht gemeint ist und das aber auch so einen komischen Dreh kriegt, womit man gar nicht so fertig werden kann. Das war für mich ein ziemlich starker Eindruck. Ich mag seine Arbeit sowieso sehr.
Society cutting up menSF: Gleich nach Münster hast du an der Ausstellung "Work Fiction" im Wolfsburger Kunstverein teilgenommen. Was mir gut an der Wolfsburger Arbeit gefiel, das war die Sabotage daran und dass du ein Regularium ausgehebelt hast.

AW: Ich versteh’ im Moment nicht, worauf du anspielst. Valerie Solanas hat ja damals diesen Text geschrieben, ich hab mich damit beschäftigt.

SF: Den Text von SCUM: Society Cutting Up Men?




S.C.U.M. (U.F.O. für V.Solanas), Kunstverein Wolfsburg 2007


AW:
Ja. Im Rahmen von "Work Fiction", wo es um die Zukunft der Arbeit geht. Um das Aushebeln. Also ich muss jetzt noch mal rekapitulieren, wie das war. In dieser Ausstellung "Work Fiction" geht ja um die Zukunft der Arbeit. Dann war die Frage von dem Justin -[Kurator war Justin Hoffman] - zuerst, ob ich son Ufo-Gesamtkonzept für die Ausstellung machen will.

SF: Für die ganze Ausstellung?

AW: Ja, genau. Diese ganze Ausstellung mit mehreren Ufos so zu strukturieren, dass... also jeder künstlerische Beitrag sollte dann eigentlich in einem Ufo sein. Was natürlich `ne groteske Idee ist, da wirds wirklich. ... Wollte ich natürlich nicht machen, weil das wäre viel zu aufwendig gewesen und ich hab´ mit den Künstlern auch nix zu tun. … Ich wollte entweder ein einzelnes Ufo machen oder eben ... also dafür hab´ ich mich dann entschieden, ein einfaches Ufo zu machen. Dann die letzte Ausstellung, wo ich Ufos gemacht hab, das war glaub ich im Jahr...warte mal, 1999 war glaub ich, "Mondo Imaginario" und dann im Jahr 2000, dass ich dann noch mal ... 2001 war das in der Plattform, da war auch noch mal `n Ufo.

SF: Mit Ulrike Kremeier [Anm. SF: damalige Veranstalterin der "Plattform", einem unabhängigen Ausstellungsort in Berlin]?

AW: Genau, das müsste 2001 gewesen sein.

SF: Und deine Arbeit für "Work Fiction", die hast du auf diesem Buch von Valerie Solanas aufgebaut?

AW:
Ja. Für mich war dann eben die Frage, wie geh´ ich jetzt eigentlich wieder da ran. Ist ja ganz klar, wenn du sechs Jahre lang mit einem bestimmten Konzept nichts mehr gemacht hast, dass du Dich dann fragst, wie ...

SF: Mit dem Konzept der Ufos?

AW: Ja. Ich hatte sechs Jahre lang an den Ufos nichts mehr gemacht. Nicht, dass mir die Sache nicht mehr gefiel, es hat sich einfach nicht ergeben. Wie gehe ich damit um? Welchen neuen Inhalt geb´ ich dem? Damals hatte ich mich halt ganz stark mit billigen Science Fictions auseinandergesetzt, also nicht nur billige Science Fictions. Ich hatte mich mit Science Fiction auseinandergesetzt, die von Frauen geschrieben sind. Ich hatte so einige Sachen in der Richtung gelesen. Dieses Lese-Ufo, wo dann diese ganzen Science Fictions rumlagen, auch so von Weltentwürfen, utopischen oder obskuren Entwürfen, teils feministische, teils auch ganz angepasste, was es halt in der Richtung so gibt. Auch aus soner biografischen Geschichte heraus, dass ich so was gerne lese. Also zu Unterhaltungszwecken und manche sind auch richtig gut …(lacht)

SF:
Liest du immer noch Science Fiction?

AW: Na immer mal wieder. So von Trash bis zu eher komplexen Texten, da gibts ja alles mögliche, wo ich auch bewusst keine Auswahl getroffen hatte, sondern in diesen Leseufos so `ne Art Gegenwelt oder einfach, nein, was heisst Gegenwelt, da lagen diese Bücher rum, da konnte man sitzen. Da konnte man lesen, einfach so als Angebot, sich damit auseinanderzusetzen. Ich glaub, die meisten haben sich nicht getraut, die Bücher zu lesen, weil, die haben ja alle so bunte Umschläge (lacht)

SF: Vielleicht fühlen sich viele Leute auch beobachtet, wenn sie so was nutzen?

AW: Die fühlen sich natürlich beobachtet, wenn sie öffentlich da lesen. Vor allen Dingen, da normalerweise, wenn Du im Kunstkontext Leseräume hast, dann sind das ja vorwiegend diese hochgeistigen, in der Regel theoretischen Texte. Hat sich schon n bisschen davon unterschieden. Dieses Teil ist dann ja auch sehr Ufo-mässig fragil und komisch, also das ist schon was anderes... Und ich wollte jetzt da nicht wieder direkt anknüpfen. Ich bin auch nicht wirklich die Science-Fiction-Expertin. Also mein Interesse ist schon einseitig, ich hab jetzt kein allgemeines Wissen ¸ber Science Fiction Lektüre, sondern es ist ausgewählt nach einer persönlichen Vorliebe.

SF:
Zu dieser Vorliebe gehört auch Scum?

AW: Ja, Scum ist ja nicht eigentlich Science Fiction. Mich interssieren daran eben auch so Entwürfe, positive und negative Entwürfe anderer Welten, und ein Interesse an Scum ist natürlich ähnlich gelagert, weil es eben.... also eigentlich ist es Science Fiction, was sie beschreibt. Sie beschreibt ja eine völlig absurde Welt, die es nicht gibt und nicht geben kann, also diese Welt ohne Männer, ohne Tod und Reproduktion … Wenn man es genau liest, schafft sie eben nicht nur Männer ab, sondern letztlich auch die Frauen oder auch die Menschheit, denn letztlich geht es um die totale Verweigerung von Reproduktion. Eigentlich könnte man ja… da man technisch jetzt auf dem Stand ist, in den 60er Jahren vielleicht noch n bisschen vorweggenommen und das dauert noch n bisschen, müsste man eigentlich keine Männer mehr herstellen, weil die irgendwie Scheisse sind, sondern nur noch Frauen. Also wenn man das bis zuende denkt…, sie denkt das bis zuende, dahingehend zuende, dass es dann halt diese utopische Welt gibt, in der es keine Männer, keine Arbeit gibt, die wird halt von Maschinen gemacht. Eben auch keine Arbeit, die wird ja automatisiert. Vielleicht muss man da gelegentlich noch mal n bisschen was machen, wie in der Geschichte von – wie hiess er noch mal, LaFargue oder? Es gab ja verschiedene Theoretiker der Abschaffung der Arbeit.

SF: Ein Franzose, der gerade in den 70ern...

AW: Nein, ich red von Paul Lafargue, das war der Schwiegersohn von Karl Marx und hat Ende des 19. Jahrhunderts ein Buch "Das Recht auf Faulheit" geschrieben als Antithese zum "Recht auf Arbeit" von 1848.

SF: Ich bin nicht so gut mit Namen…

Nur 3 Stunden pro Woche sind wirklich notwendige Arbeitszeit
AW: Ich bin auch nicht so gut mit Namen und ich habe mich da nicht so eingelesen, dass ich mich da auch nicht direkt auf einen Autor... Sagen wir mal, es war die Utopie der Zeit, dass die Automatisierung jede Arbeit abschaffen könnte..., dazu muss die Welt auch anders strukturiert sein, weil eine Konsumgesellschaft kannst du auf dem Level natürlich nicht machen. Als wirklich gesellschaftlich notwendige Arbeit, wer auch immer das bestimmt, wann man die macht, bleiben dann nur 3 oder 4 Stunden Arbeit pro Tag oder pro Woche...

SF: Und du hattest Dich dann auf Scum bezogen, weil dort die Arbeit “abgeschafft” ist?

AW: Die ist abgeschafft! Weil sie automatisiert ist. Dann sind der Tod und die Krankheit auch abgeschafft, weil sich die ganze Kreativität erstmal nicht auf die Produktion von überflüssigen Konsumartikeln und vor allen Dingen Massenware richtet, Vernichtungswaffen nicht mehr produziert werden, all diese Kreativität nicht mehr lebensfeindlichen oder unnützen Zwecken dient. Wenn die darauf gerichtet wird, positive sinnvolle Sachen herzustellen, so ihre Argumentation, dann könnte man in ein paar Jahren alle medizinischen und sonstigen Probleme lösen. Also so argumentiert sie zumindestens. In dem Moment, in dem die Frauen die Macht ergreifen, oder Scum die Macht ergreift, also nicht die Frauen, Scum die Macht ergreift, wird genau das passieren, also totale Automation, die Probleme von Hunger, Krankheit, Tod und natürlich das Problem der Männlichkeit erledigen sich von selbst, weil, wie gesagt, alle Arbeiten, auch Reproduktion, können maschinell erledigt werden, und sie führt das dann an einer bestimmten Stelle auch soweit aus, dass sie fragt, wieso future generations, also weil der Tod und das Leben...Also wenn das Alter und die Krankheit: "Why should there be future generations? ... When ageing and death are eliminated, why continue to reproduce?" So steht das bei ihr, also warum sollte man sich darum scheren, ob es hinterher weitere Generationen gibt. Das steht da wörtlich drin.




Zeichnung zu S.C.U.M.




SF: Die Menschheit kann also auch ruhig aussterben?

AW: Ja, die Menschheit kann ruhig aussterben, das ist egal. Weil alle dann ja...

SF: Und warum ergreift Scum dann die Macht?

AW: Weil die Gesellschaft Frauen überhaupt gar keine Chance lässt und weil die Gesellschaft Scheisse und dysfunktional ist.

SF: Also um erstmal Raum für Frauen zu schaffen.

AW: Nee, für Scum.

SF: Du hast vorhin gesagt, nicht die Frauen ergreifen die Macht, sondern Scum ergreift die Macht.

A la Scum die Macht ergreifen
AW: Ja, Scum ergreift die Macht, ist halt diese Organisation von Scum, also Abschaum, von Frauen, die so sind wie Valerie Solanas selbst, also die sich eben abseits aller sozialen Klischees aufhalten oder eben auch aus allen sozialen Funktionen rausfallen. Ich glaub, man muss das schon buchstäblich nehmen, also sie selbst war ja immer mal wieder obdachlos, hat von Prostitution gelebt, also, sie hat sich eben wirklich jenseits aller gesellschaftlichen Konventionen bewegt. Und ich glaube, so ist das mit Scum auch gemeint. Sie meint keineswegs Mittelklasse- Ladies wie Dich und mich - auf den Klassenaspekt geht Solanas ausdrücklich ein, also Mittelklassedamen.. Oder durchschnittliche Frauen. Also ihr war die Frauenbewegung auch viel zu angepasst und nett und lieb. Das fand sie alles total Scheisse. Es blieben letztlich wohl nicht viele Frauen übrig, die wirklich Scum sind, aber sie meinte, Frauen, die könnten ja noch verbessert werden. Wenn man jetzt erst Mal à la Scum die Macht ergreift, dann werden die anderen schon mitmachen. Das ist ihre Argumentation zumindest, ist jetzt ja nicht...

SF: Und du hast sie zu "Work Fiction" mitgenommen, weil sie die Arbeit quasi abschafft? Das ist sozusagen das Zitat?

AW: Ja, weil sie die Arbeit abschafft und eine Welt ohne...

SF: Und auch ihre Argumentation, mit der sie die Arbeit abschafft?

AW: Ja, und es geht auch um die Methoden, wie sie die Arbeit abschafft, Scum ist die "member of the unwork force". Die Idee, dass Frauen, also Scum, an ihren Arbeitsplätzen nicht mehr arbeiten werden, wie gesagt, diese Sabotage, dass die Frauen in ihren Jobs ihre Funktionen nicht mehr ausüben, auch aktiv am Arbeitsplatz Sabotage ausüben und dass das eben auf breiter Ebene passiert. Ist eigentlich sehr lustig geschrieben (lacht), es ist natürlich ne Parodie!

SF: Du hast von den Kassiererinnen gesprochen.



S.C.U.M. Detail, Kunstverein Wolfsburg 2007


AW: Ja, die Kassiererinnen, die Telefonistinnen, die das nicht mehr machen werden, und die Frauen in der Produktion, die nicht arbeiten werden und die Maschinen zerstören werden, also sie geht schon immer mal wieder auf die Funktion der Arbeit ein.

SF: Ich habe eine Frage an dich, die nochmal mit Münster zu tun hat oder die beide Arbeiten betrifft: Münster habe ich so verstanden, dass du einen Platzhalter inszeniert hast, also eine Baustelle inszeniert hast, die ein Platzhalter sein könnte für dieses Fitnesscenter?

AW: Ja?

SF: Also Stichwort Platzhalter. Und in der Ausstellung "Work Fiction" beschreibst du, indem du Scum nochmal vorstellst und quasi für Scum wirbst, auf ne Weise, dort werden ja Arbeitsplätze, also sozusagen auch Platzhalter zerstört, auf denen vorher reguläre Arbeit stattfand.

AW: Wo? Bei Scum?

SF: Ja, in Scum. Die Kassiererinnenarbeitsplätze, die Telefonistinnenarbeitsplätze, die Arbeitsplätze, die von Männern eingenommen wurden. Die ganzen Platzhalter, also das ist ja fiktiv, werden alle in dem Buch Scum eliminiert. Und in Münster eliminierst du die Platzhalter für eine mögliche Baustelle. Und dazu fällt mir dann noch mal Bartleby ein von Melville, kennst du das Buch?

AW: Gelesen hab ichs nie, aber ich kenne natürlich diese Geschichte, Judith Hopf hat einen Film darüber gemacht und es war ja auch ziemlich in der Diskussion in den letzten Jahren, ich glaube, es haben verschiedene Leute darauf verwiesen. Haben nicht Deleuze und Guattari sich auch darauf bezogen? Eben auf diesen jungen Mann, der immer "I would prefer not" ...

SF: "I would prefer not to". Jemand, der quasi die Referenz abschafft, also der nicht sagt, was er lieber möchte. Bartleby sagt, er möchte lieber nicht, sagt aber gleichzeitig nicht, was er lieber möchte und schafft auf diese Weise sozusagen die Referenz als solche ab. Es gibt nichts mehr, was er lieber möchte. Also diese Formel verwüstet sozusagen jede Bezugnahme und er schafft sich am Ende selber aus der Welt, indem er auch zu dem Essen, was er im Gefängnis kriegt und zu dem, der ihm das Essen bringt sagt: "I would prefer not to". Diese Verweigerungshaltung lebt er radikal und Deleuze nennt ihn deshalb auch den Anti-Helden. Das fällt mir dazu ein: das Abschaffen von Platzhaltern.

AW: Was meinst du denn mit Platzhaltern? Ich verstehe das Wort im Moment nicht.

SF:
Also, in Münster, indem du halt diesen Platz umzäunt hast. Du hast ja durch so Andeutungen, indem du auch diese Maschinen da hast hinfahren lassen, eine Baustelle inszeniert. Damit hast du einen Platzhalter geschaffen für etwas, was ja in realiter gebaut werden könnte. Noch bevor du das inszeniert hast, lag es ja schon in der Luft, weil tatsächlich solche Baustellen überall entstehen.

AW: Ja, ja.

SF: Das meine ich mit Platzhalter. Und wenn du von Scum sprichst, dann kommt mir das so vor, als wenn du etwas zitierst, was vom System her gesehen, auch Platzhalter zerstört, Platzhalter für eine Vorstellung von Arbeit.

AW: Hm.

SF: Und das meinte ich mit dem Aushebeln eingangs...

AW: Ja

SF:...dass du Referenzen aushebelst.

AW: Kann sein (lacht). Also bei mir ...also in der Form hab´ ich jetzt nicht darüber nachgedacht, weil ob ich jetzt damit Referenzen aushebel, sondern ...

SF: Also das war auch das, was ich mit Sabotage meinte.

AW: Ja, ja, schon. Ich meine, das stimmt natürlich. Weil dieser Arbeitsbegriff wird doch sehr selten hinterfragt oder...

SF: Meine Frage wäre dann, ob das auch ein verbindendes Moment ist zwischen den Arbeiten in Münster und Wolfsburg?

AW: Da muss ich mal überlegen. Also ich vermute, hm...Also es stimmt schon, dass irgendwie die Arbeiten dort nicht wirklich einen Sinn hatten. Also konkret gings mir natürlich um die Zerstörung des öffentlichen Raums, also das war erstmal…

SF: Was du vorführen wolltest?

AW: Ja, vorführen, erfahrbar machen wollte in einem...in einer Verfremdung. Es wird halt auch als solches akzeptiert, indem ein Prozess der Umwandlung in einem Kunstkontext reinszeniert wird, wird das natürlich auch auf eine andere Weise anstössig. Es haben sich ja ziemlich viele Leute, eingesessene Münsteraner vor allen Dingen auch deshalb darüber geärgert, weil sie da verständlicherweise nicht mehr ans Seeufer konnten. Interessant ist natürlich, dass es nicht weit davon eine reale Grossbaustelle gibt, was ganz klar so eine Umwandlung ist, wo vorher so’n netter kleiner Segelclub war, mit kleinen altmodischen Bretterhäuschen, wo man auch Eis essen konnte, und jetzt halt mehr so ‘ne repräsentative Terrassenanlage gebaut wird und auch Wohnungen da entstehen. Geht also schon in die Richtung von Privatisierung. Eine nicht ganz unähnliche Sache passiert ein paar hundert Meter entfernt davon, aber ich glaube, Demonstrationen gab es bisher deswegen noch nicht, und ich hab auch nicht gesehen, dass viele Leute drum herum stehen und sich geärgert haben. Nicht? Oder weiss ich nicht genau. Es ist schon so, wenn es im Kunstkontext reingestellt wird, dass die Leute ganz anders darauf reagieren, als wenn es real passiert. Weil die Verinnerlichung der kapitalistischen Logik, glaub ich, ziemlich weit fortgeschritten ist. Also, gesamtgesellschaftlich.




Zeichnung zu S.C.U.M.




SF: In Science Fictions implodieren häufig ganze Welten, erledigen sich sozusagen von selbst. Das fällt mir noch dazu ein. Und dieser gross angelegte Boykott hat mir gut gefallen. Dass sich das dann so in die Todesnähe begibt.

AW: Ja, ja.
Lebensbejahung und Lebensvernichtung werden in Scum ununterscheidbar
SF: Es ist ein Ende, ohne dass es ein Suizid ist.

AW: Ich kenn mich jetzt nicht genug damit aus, aber es ist psychoanalytisch gesehen ganz interessant, mit Eros und Todestrieb, weil es da nämlich wirklich in eins fällt, es wird da ja wirklich ununterscheidbar, diese Lebensbejahung und die Lebensvernichtung.

SF: Du meinst die Lebensbejahung von Frauen, die bisher...

AW: Ja, also der Wunsch nach einer Veränderung, nach einem utopischen, wirklichen Leben, wird also, was ich daran auch so interessant finde, ununterscheidbar von einem Ende des Lebens. Es fällt dann natürlich auch aus den Kategorien raus, es lässt sich schwer erfassen, was es denn eigentlich ist, weil es...

SF: Das meine ich mit dem Ende der Referenzen.

AW: …aber auch der Repräsentation. Doch, es ist auf jeden Fall ein Ende der Referenzen, also das ist nicht mehr abbildbar, auf keinen Fall. Das ist es dann auch, was so ‘ne komische Ambivalenz erzeugt, wo man gar nicht so genau weiss, wie man sich dazu verhalten soll. Denn, das stimmt, es changiert zwischen den Referenzen, ohne dass es eindeutig zuzuordnen ist.

SF: Ich muss das nochmal lesen.

AW: Na klar, solche Stellen daran find ich halt interessant, ich finde den ersten Satz auch Super...

SF: Hast du den auch zitiert?

AW: Ja, klar.

SF:
Wie lautet der erste Satz?

AW: Oh Gott. Lies es mal im Internet, das gibt es tausendfach im Internet. Es gibt kein Copyright darauf. Sonst erzähl ich den falsch... Warte mal... “Life in the society being in utter bore and no aspect of society” ...lies es im Internet nach.., weisst du, es ist lang.

SF: Und der erste Satz ist der, der da in der Luft schwebt?

AW: Insgesamt hab ich da drei Sätze benutzt:


Life in this society being, at best, an utter bore and no aspect of society being at all relevant to women, there remains to civic-minded, responsible, thrill-seeking females only to overthrow the government, eliminate the money system, institute complete automation and destroy the male sex.

When aging and death are eliminated, why continue to reproduce?

SCUM will become members of the unwork force, the fuck-up force; they will get jobs of various kinds and unwork.





[1] siehe dazu: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/roemer-stefan-1998-07-09/HTML/index.html

Credits:

Bild 1 - 4 und Bild 9 - 12 © Annette Wehrmann
Bild 5 - 8 © Cornelia Sollfrank

Kommentar [1]
Dieter schrieb am 10.03.2008 00:57

Dass der AA-SPA Bauzaun unvermittelt den Joggingweg versperrte (verwirrte Besucher), man stattdessen den Zaun entlang über den heiligen Rasen latschen musste (nicht "ökologisch") und wie es Jede/r es für möglich hielt, dass die Stadt Münster selbst so eine prominente Erholungsfläche an einen privaten Projektentwickler verscherbelt, war mit das Beste in der ganzen Skulpturen-Ausstellung.
Die taz hat übrigens doch berichtet:

www.taz.de/1/leben/kuenste/artikel/1/das-geraeuschlose-heben-des-klodeckels/

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