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10. Juni 2008

»Ich bin Bouvard und Pécuchet«

Ein Gespräch zwischen Nana Petzet und Rahel Puffert, geführt im Frühjahr 2008

RP: Nana, du hast diesen Artikel „Wings of Hope“ auf TT geschrieben. Da ist ja relativ viel Recherche hinein geflossen. Und ich würde den Artikel auch als kulturpolitischen Einsatz begreifen. Betrachtest du diese Art von Engagement als Teil deiner künstlerischen Arbeit?
NP: Wenn ich fokussiert auf meine Arbeit schaue, dann lasse ich viele Sachen weg, z. B. dass ich mal gemalt habe und immer noch male, also meine Skizzenbücher, meine Ideensammlungen. Ich lasse auch so was wie „Wings of Hope“ raus und die Kunstvereinsaktion, weil es nicht unbedingt zur Klarheit beiträgt, sondern die Sache eher verkompliziert.
RP: Aber im Sinn des Engagements oder der Einmischung? Es geht ja bei dir schon um Einmischung, um Intervention in einen bestimmten Kontext. Gibt es da vielleicht eine Überschneidung deiner künstlerischen Projekte mit dem politischen Engagement?
NP: Ja, warte mal, das habe ich bisher immer getrennt betrachtet. Also, Kultur-
politik – das ist jetzt nicht mein Hauptthema. Nie gewesen. Ich habe mich auch in meiner Kunst bewusst nicht ausschließlich mit kunstimmanenten Fragestellungen auseinander gesetzt. Wenn ich Malerei benutze, dann als Illustration und nicht als eigenständiges Medium. In meiner Arbeit habe ich mich ganz klar vom l’art pour l’art abgewandt.
RP: Weshalb ich darauf komme: Du tauchst ja schon im Zusammenhang der Kontextkunst der neunziger Jahre auf, neben Vertretern der institutional critique, also zum Beispiel Andrea Fraser, Louise Lawler, Christian Philipp Müller. Jetzt würde mich interessieren, wie du dich da abgrenzt oder deinen kulturpolitischen Einsatz anders verortest.
NP: Ich habe mich immer wieder kunstpolitisch engagiert, also beispielsweise in der KPO (Kunstpolitische Opposition). Das war aber nicht Teil meiner Arbeit, sondern da ging es um Realpolitik, um mein Selbstverständnis als Künstlerin, die sich natürlich auch noch damit beschäftigt, wie die Bedingungen sind, unter denen sie arbeitet.

»Reversion als Realisation negentropischer Prozesse im makroskopischen Bereich«, Nana Petzet hält Vortrag über Zeitumkehr, Versuchsaufbau „Resonanz am Weinglas“, Tafelzeichnung „Maxwell´scher Dämon“, Centre d'Art Contemporain FRI-ART, Fribourg 30. Mai 1992 (Foto: Eliane Laubscher)

RP: Eine Arbeit, die immer wieder genannt wird, der Vortrag, den du 1987 in München gehalten hast. Das war eine sprachbasierte Performance bei der nicht ganz klar ist, wer spricht, welche Rolle, welche Funktion die Sprecherin über-
nimmt und in was für einem Kontext man sich befindet. War das der Ausgangs-
punkt für deine Beschäftigung mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Kunst?
NP: Es war die Idee, etwas besonders weit Entferntes, Fachfremdes wie Quantenmechanik und Gravitation als Thema zu nehmen. Einen Spezialbereich, in dem sich nur ganz wenige Spezialisten unterhalten können. Da geht es um ein grundsätzliches Problem, um dieses Auseinanderdriften von verschiedenen Wissensbereichen und von verschiedenen Fachsprachen. Das ist ja gerade das, wo alle immer so wild drauf sind, wenn es um Wissenschaft und Kunst geht. Dass man sagt, irgendwie muss man das doch alles wieder zusammen kriegen, was mal zusammen war, bei Leonardo zusammen und dann nie wieder.
RP: Die Vorstellung von einem Generalwissen.
NP: Das ist eigentlich so ein Wunsch, von jedem, dass man einen Einblick in alle möglichen Wissensbereiche bekommt, die unsere Gesellschaft prägen, dass man da nicht davor steht und einfach nichts kapiert. Mich fasziniert, dass beispiels-
weise die Quantenmechanik auf so einem unglaublich hohen Niveau theoretisch ist. Wo ich nie wirklich durchgedrungen bin, sonst hätte ich halt Physik studieren müssen. In der Kunst ist das alles immer so eine Mischung aus etwas Geistigem, Inhaltlichem und etwas Praktischem, Gemachtem, Alltäglichem und Persönlichem. Also ich sehe da eher einen Gegensatz zur Kunst. Und ich habe nicht das Verwandte gesucht, sondern den Gegensatz.
RP: In welchem Verhältnis steht das zu deiner Aussage, die in dem Vortrag auch getroffen wird: „Kunst und Wissenschaft sollen identisch sein“?
NP: Das war die Methode der platten Programmatik. So eine Zwangsehe mit einem Ist-gleich. Man kann das einfach mal behaupten. Das ist wie ein Wunder, ein großes Versprechen. Da ist schon Ironie drin gewesen wie auch in dem Titel “Rational Scientific Art“. Man muss bedenken, 1987 war ich echt allein mit dem Thema. Da gab es keinen in meiner Generation, der sich damit beschäftigt hat.
RP: Wenn du das Mittel der Ironie benutzt, geht es dir in der Annäherung an die Wissenschaft dann doch wieder um die Frage, was Kunst ist und nichts anderes?
NP: Ja, wahrscheinlich will ich auf diese Weise eine Grenze ausloten. Was kann Kunst noch sein? Klar, hatte ich auch 60er Jahre Kunst - On Kawara, Bernard Venet, Rune Mields - im Kopf, die ja auch, allerdings auf einer wesentlich formaleren Ebene, eine Faszination für Zahlen und Zahlensysteme zum Ausdruck bringen.
RP: ...also diese sehr analytische Herangehensweise.
NP: Genau und über Sprache, die Auseinandersetzung mit Linguistik. Die Konzept Kunst, das waren meine Vorbilder. Das war mir aber damals nicht so richtig bewusst. Und man muss sagen, das war ’87, da waren ja noch die Neuen Wilden so richtig im Gange.
RP: Das würde jetzt dafür sprechen, dass sich angesichts eines bestimmten Klimas – du hast die Neuen Wilden genannt – also einer neuen Mystifizierung innerhalb der Kunstentwicklung, bei dir das Bedürfnis eingestellt hat, alles wieder auf einen analytischen Kern zu bringen, erneut eine gewisse Rationalität einzuführen und zu behaupten.
NP: Ja, und da habe ich mich mit allen möglichen Kunstgriffen dem Thema genähert: Performance, ein Manifest, dann ein Element der Simulation, weil der Vortrag „gefaked“ war. Vom Wissenschaftlichen her gesehen war es pseudo-wissenschaftlich. Ich habe die selbst gebastelte Theorie eines Abiturienten, ein früherer Freund von mir, zu einer Nobel-Preis würdigen Idee des fiktiven Wissenschaftlers Prof. Dr. Roland Zoschka hochstilisiert. Es war eine Karikatur, eine ironische Herangehensweise, was wiederum im Vortrag nicht unbedingt deutlich wurde. Der Vortrag bestand zum größten Teil aus Formeln und die Massenanziehung wurde durch Wechselwirkungen der kleinsten Teilchen der Materie, der Quarks, erklärt. Viele haben den Vortrag für echt gehalten, weil das Kunstpublikum in der Regel ja auch keine Ahnung von Physik hat und das so hinnehmen musste.
RP: Der Vortrag richtete sich aber an das Kunstpublikum?
NP: Ja, ja sicher, es hätte keinen Sinn gemacht, das vor einem reinen Physiker-
publikum zu machen. Für Physiker wäre das allenfalls ein bisschen krude und ganz witzig gewesen.
RP: Ja gut, aber wenn du ein neues Projekt anfängst, suchst du ja immer den Kontakt mit Wissenschaftlern desjenigen Bereiches, mit dem du dich gerade beschäftigst. Welchen Stellenwert hat das für dich?
NP: Das ist sehr wichtig. Recherchearbeit gehört immer dazu. Und da kommt man halt viel schneller weiter, wenn man ein paar gute Berater hat. Das ist immer ein Kunststück, die richtigen Fachleute zu finden. Ich wähle ja die Themen nicht deshalb, weil ich ein Angebot kriege – erst kommt die Frage und dann suche ich mir entsprechende Fachleute.

»System SBF, Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS«. Horst Scholz und Nana Petzet inventarisieren Haushaltsabfälle. Ausstellung "Einräumen", Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2000 (Foto: Stefan Exler)

RP: Was für eine Mentalität muss so ein Wissenschaftler haben? Ist das für ihn dann auch von Interesse?
NP: Ich hatte mit einigen Wissenschaftlern eine sehr gute Zusammenarbeit, auch länger. Ein paar mal wurden Kontakte zu Wissenschaftlern über Kunstinstitutionen hergestellt. Als ich 1992 meinen Vortrag „Reversion als Realisation negentro-
pischer Prozesse im makroskopischen Bereich“ für die Ausstellung „Nos Sciences Naturelles“ ausgearbeitet habe, hatte ich das Glück mit dem Atomphysiker Jean-Claude Dousse von der Universität Fribourg in Kontakt zu kommen. Der hatte richtig Spaß dran, mir meine Ansätze und Fragestellungen so hinzubiegen, dass das dann möglichst plausibel erscheint. Er hatte z.B. die Idee, den Begriff der Negentropie, der normalerweise auf Daten und nicht auf Gegenstände angewandt wird, zu nutzen, um die Wunschvorstellung der Zeitumkehr bezogen auf mein zerbrochenes Weinglas als realisierbar darzustellen. Um einzusteigen brauche ich eine Fragestellung wie die der Zeitumkehr mit der ich mich an die Recherche machen und an die Fachleute wenden kann. Und den Jean-Claude Dousse hat das eben interessiert. Ich habe andere Spezialisten erlebt, die das, was ich mache, überhaupt nicht interessiert hat. Im Fall von Reversion habe ich physikalische Zeitvorstellungen ins Banale kippen lassen, indem ich sie wörtlich nahm und direkt auf die Welt der Alltagsgegenstände übertrug. Von einem Physiker erfordert das natürlich auch eine gewisse Distanz zu seiner eigenen Profession. Und er darf keine Vorurteile gegenüber der Kunst haben. Dass wir die Physik nicht verstehen, ist ja normal. Aber, dass auch manche Physiker die Kunst nicht verstehen, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Weil ja immer dieser Anspruch an die Kunst gestellt wird, sie solle allgemeinverständlich sein.
RP: Und zwar unmittelbar – ohne viel Erläuterung.
NP: Und jeder soll da seine Meinung haben können. Und sagen können, das gefällt mir oder das gefällt mir nicht usw. Wenn jemand diese Erwartung an Kunst hat, dann kann er sich auf so einen Ansatz wie meinen nicht einlassen.
RP: Du hast vorhin gesagt, dass dich kunstimmanente Fragestellungen eigentlich nicht interessieren. Aber diese Zeitumkehr, die Zeit überhaupt, das scheint mir dann aber doch so ein Thema zu sein, das sich durch deine Arbeit hindurch zieht, also die Frage von Konservierung, Recycling, diese ganzen Alterungsprozesse.
NP: Würdest du das jetzt als kunstimmanentes Thema bezeichnen?
RP: Ja, ich denke schon. Also der Umgang mit Zeit, das Kunstwerk als Kristallisationspunkt, die Möglichkeit zur Ausdehnung oder eben auch das Einfrieren von Momenten, das kann man schon so sehen. Du hast dich dann ja in einer weiteren Arbeit auch mit der Vergänglichkeit von Kunstwerken beschäftigt.
NP: Das stimmt, wobei die Vergänglichkeit von materiellen Dingen etwas ganz anderes ist als physikalische Zeitvorstellungen. Wenn man nur den Zeitaspekt betrachtet, den habe ich sogar ziemlich durchexerziert. In der Reversionsarbeit ging es ja um Zeitumkehr, in „Der Tausendjährige Raum“ um Beschleunigung von Alterung im Wohnraum. Und im Modellversuch ROT ging es um die Echtzeit-Alterung in einem Feldversuch. Nur aufzeichnen, was passiert.
Diese alten Arbeiten, über die wir jetzt reden, sind für mich eher ein Abstecken und Abtasten der Grundlagen: Was ist Materie? Was ist Zeit? Grundlagenforschung auf künstlerische Weise. Um das irgendwie zu verstehen, habe ich mal in die eine Richtung übertrieben, mal in die andere.
RP: Einerseits diese Hinwendung zu elaborierten Wissenschaftssystemen, die die Laien, die wir ja in der Regel alle sind, mit Unverständlichem konfrontieren, und die du dann ins Banale kippen lässt. Dann auch immer wieder Werkeinheiten, in denen der Alltag eine große Rolle spielt. Ich denke an dein Hausmüllwiederverwertungssystem oder auch die aktuelle Arbeit das „Ethogramm Robby“, wo der Zugang zunächst recht einfach ist, dann aber darüber eine wissenschaftliche Sprache gelegt wird und letztlich der Alltag verkompliziert wird.

»Selbstversuch: Wohnen nach dem SBF-System«, Gästewohnung des isländischen Bildhauervereins, Nylendugata 15, Islandaufenthalt von Nana Petzet mit Mann und zwei Kindern (1.10.1997 - 31.03.1998), Sammlung und partielle Weiterverarbeitung aller anfallenden Verpackungsabfälle, Reykjavík 1998 (Foto: Ivar Brynjólfsson)

Das Abflusssieb im Waschbecken wurde aus dem Boden einer Bierdose hergestellt. Versuchswohnung Nylendugata 15 zwei Jahre nach Abschluss der Versuchsphase, Reykjavík 2000 (Foto: Nana Petzet)

»Das SBF-System«, Wiederverwertungsbeispiele für Verkaufsverpackungen und Flaschentrockner aus altem Postkartenständer und Backblech, Ausstellung „GREEN DREAMS“, Kunstverein Wolfsburg 2007 (Foto: Claudia Mucha)

NP: Ja. Bei dem SBF-System war der eigentliche Ausgangspunkt der ganz alltägliche Ärger mit dem Hausmüll und der Einführung des Grünen Punkts. Als Reaktion darauf habe ich seit 1995 meine eigenes Abfallwiederverwendungssystem entwickelt, das so genannte Sammeln Bewahren Forschen – „SBF-System“. Hier und in der verhaltensbiologischen Untersuchung über unser Hauskaninchen („Kaninchen-Ethogramm Robby“) geht es zwar auch um Zeit und Materie. Nur stehen diese Themen nicht mehr im Zentrum der Arbeit. Ich habe mir in meinen früheren Arbeiten eher grundsätzliche Fragen gestellt, die stell ich mir jetzt – fällt mir gerade auf –nicht mehr so sehr.
RP: Hört dann die Forschung auf, in dem Moment?
NP: Nein. Da fängt sie erst richtig an. Wo es um echte Forschung im Bereich der Mathematik oder Physik geht kann ich ja als Künstler nur kapitulieren. Aber ich kann mich schon in Protokollierungs-, Aufzeichnungs- und Klassifizierungssysteme, alles was eigentlich von realen Situationen ausgeht und dann abstrahiert und verwissenschaftlicht wird, hineinbegeben. Und selbst wenn es um Statistik geht, bin ich immer noch Herrin der Lage. Da kann ich mir auch helfen lassen, aber es geht immer noch um von mir erstellte Daten, die ausgewertet werden. Im „Kaninchen-Ethogramm Robby“ oder im SBF-System bin ich tatsächlich mehr forschendes Subjekt. Die Arbeitsweise ist weniger distanziert als z.B. bei „Reversion“. Ich bin dann einfach mehr drin, ich tu’s einfach.

»Kaninchenethogramm Robby«, fotografische Verhaltensstudien des eigenen Haustiers, Geruchs-Wahrnehmung versus Gehör, Hamburg 2007 (Foto: Nana Petzet)

RP: Wenn man mal unterscheidet zwischen künstlerischer Forschung, Kunst über Forschung oder Kunst als Forschung. Könntest du dich dem klar zuordnen?
NP: Also, eigentlich mache ich eher Kunst hinter, vor und zwischen Forschung, aber Spaß beiseite – künstlerische Forschung, also gut. Damit könnte gemeint sein, dass sowieso jeder Künstler forscht, dass also künstlerisches Handeln, auch wenn ich jetzt meinetwegen gegenständliche Bilder male, dass das Forschung ist. Kann man so sehen. Dann würde ich natürlich sagen: Klar ja, mache ich.
RP: Wahrscheinlich heißt das auch, dass die Kunst ein eigenes methodisches Vokabular anbietet.
NP: Genau, und dass das dann eine gewisse Systematik oder innere Konsequenz hat, dass es nicht einfach „aus dem Bauch ’raus“ geschieht. Der Künstler ist kein Subjekt, das irgendetwas willkürlich in die Welt stellt, sondern der Künstler hat ein hart erarbeitetes Instrumentarium, mit dem er an die Sachen herangeht und die in sich eine gewisse Gesetzmäßigkeit haben. Das kann man wenn man will, auf jede Kunst anwenden. Wollte man so etwas wie einen Doktor artis einführen, dann müsste man in diese Richtung gehen.
RP: Kunst über Forschung?
NP: Also, ich habe von vornherein immer gewisse Grundannahmen über die Wissenschaft gehabt. Was ich zeigen wollte, war das Problem der rationalistischen Weltbetrachtung oder einer rein mechanistischen, szientistischen Sichtweise, also dieses ganze Problem Ratio-Emotio, Analysieren, Zerstückeln – das, was ich untersuche, muss ich tot machen, im Grunde auseinanderschnippeln. Neben dem reinen Erkenntnisinteresse ging es mir immer um das Reflektieren sehr grundsätzlicher Probleme, wie eben um die Verselbständigung von Wissensbereichen und das Lebensfeindliche von Analysen, Kategorisierungen usw. Mich hat an Analysen und Kategorisierungen, die ich über alles liebe, immer interessiert, dass sie nicht funktionieren, dass sie gewollt und brutal sind. Das ist Kunst über Forschung: eine Reflexion über das Forschen. Dass man sich selber noch mal drüber stellt. Und dabei bin ich auch selbst das Versuchskaninchen.
RP: Kunst als Forschung?
NP: Kunst als Forschung – das Zusammenfallen von Kunst und Forschung. Das erste Beispiel, wo ich sagen kann, dass das fast 100%ig gelungen ist, war der „Modellversuch ROT“. Das war Kunst als Forschung. Ich habe da einen realen Versuch durchgeführt, den reale Fachleute ernsthaft begleitet haben und über den in einem Restauratorenmagazin ernsthaft berichtet wurde. Und der „Modellversuch ROT“ hätte wissenschaftlich verwertbare Ergebnisse haben können, wenn meine Möglichkeiten ausgereicht hätten. Dafür hätte ich eben fünf Mitarbeiter haben müssen.
RP: Worum ging’s?
NP: Es ging um Alterung moderner Kunst im Alltag. Im Sommer 1991 stellte ich, angeregt durch das Buch „Restaurierung moderner Malerei“ von Heinz Althöfer 73 identische Malereimodelle her. Modell Nr. 1 wurde aus dem Prozess herausgehalten und gelagert, als so genanntes Referenzexemplar, die anderen nahmen an 15 verschiedenen Orten an Ausstellungen teil. Die Idee war, ich mache einen Modellversuch, in dem ich Malereimodelle herstelle den Herstellungsprozess genau dokumentiere und dann protokolliere, wie die Bilder altern, wenn ich sie transportiere und ausstelle. Die Modelle wurden dann immer wieder ausgepackt, an die Wand gehängt, einem Publikum ausgesetzt, wieder abgehängt, eingepackt und haben dann wirklich trotz bester Behandlung Schäden bekommen, und zwar konsequent alle. Da war ich gerade raus aus dem Studium. Da wurden die Bilder natürlich nicht einzeln in Klimakisten verpackt, sondern zu zehnt in Luftpolterfolie und einfache Kisten. Und dieser Standard hatte einfach zur Folge, dass sämtliche Randbereiche angegrabbelt waren. Das Problem war nur, dass ein Zustandsprotokoll von einem Bild eine halbe Stunde dauert. Und 73 Mal ein halbe Stunde vor dem Hängen und nach dem Abhängen, das hab ich halt nie richtig hingekriegt.
RP: Hättest du aber gerne gemacht?

»Modellversuch ROT, Eine Untersuchung zum Schicksal moderner Malerei im Alltag«, 73 identische Gemälde (Modell Nr. 1-73), Dispersion, Öl, Eitempera auf Leinwand 30x50cm, Thermohygrograph. im Hintergrund Werke von Günter Fruhtrunk, Ausstellung "Integrale Kunstprojekte" Nationalgalerie Berlin 1993 (Foto: Bernd Sinterhauf)

NP: Das wäre es gewesen. Dann wäre es ein wirklicher Modellversuch gewesen. Das Interessante am Modellversuch Rot ist, dass die Exponate in realen Ausstellungen einem realen Kunstpublikum ausgesetzt waren. Und das kann ja ein Restaurierungsinstitut nicht machen.
RP: Diese Frage der Konservierung mit der du dich beschäftigt hast, erscheint vor dem Hintergrund erstaunlich, dass es ja seit den 60er Jahren in der Kunst eher darum ging, die künstlerische Arbeit prozessual oder vergänglich anzulegen. Und nun beschäftigst du sich ausgerechnet mit der Konservierung.
NP: Es gibt sofort, bei jeder Kunst, die noch so vergänglich ist, den Waren- und Sammleraspekt, siehe Dieter Roth. Da tritt die Problematik auf, dass alles, was er sich eigentlich als vergänglichen Prozess gedacht hat, nach seinem Tod dennoch fixiert und konserviert wird oder sogar reinszeniert und signiert von seinem Sohn. Und das ist ein Widerspruch, der in der Sache liegt und um den keiner herum kommt, auch wenn er noch so ephemere Sachen macht. Wenn er einen Namen hat und tot ist, wird gnadenlos konserviert.
RP: Könntest du dir das vorstellen, dass die Sachen sich irgendwann verbrauchen oder dass die Kunstwerke in ihrer Zeit ihre Wirksamkeit entfalten, aber eben nicht tradiert werden?
NP: Ich fände es konsequenter, wenn Sammler und Museen in derartigen Fällen die Grundgedanken des Werks, mit dem sie es zu tun haben, ernster nehmen würden. Die Dokumentationsebene bringt es ja eigentlich auch.
RP: Also, einerseits dieser Zwang, die Dinge zu erhalten und andererseits Künstler, die im Gegensatz dazu, alles dafür tun, dass ihre Werke vergehen. Wie war das denn nun beim Modellversuch ROT? – Das waren monochrome Bilder, bei denen traditionell eher die Unveränderlichkeit im Vordergrund steht.

»Modellversuch ROT«, mikroskopische Aufnahme Modell Nr. 6, 12-fache Vergrößerung: Farbrisse, schmutzigglänzende Bereibung auf den Leinwandnoppen, Dörnerinstitut München 1992 (Foto: Susanne Willisch)

NP: Die monochrome Malerei war für mich in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil es nichts gibt, was derartig empfindlich ist wie ein monochromes Bild. Jede minimale Verunreinigung, der kleinste Kratzer, jede Beule ist eigentlich ein Totalschaden. Dazu kommt bei dieser Kunst das überhöht Auratische, Symbolische. So betrachtet steckt auch eine Art Institutionskritik im „Modellversuch ROT“, weil da der Umgang mit Kunst thematisiert wird – deshalb auch der Untertitel „Eine Untersuchung zum Schicksal moderner Kunst im Alltag“. Denn das was passiert ist Alltag, alles geht irgendwann kaputt.
RP: Danke, Nana, für das Gespräch.



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