Kunsthochschulen, Universitäten und der Bologna-Prozess
Quelle: Ulf Wuggenig, Art Schools, Universities and the Bologna Process, Andere Sinema AS Mediatijdschrift (Antwerpen), 29. Jg., H. 179, 2007 S. 142-148. Übersetzung Jenny Nachtigall
Ulf Wuggenig
Bei der Auseinandersetzung mit dem Bologna-Prozess im Hinblick auf die Entwicklung von Kunsthochschulen ist zu bedenken, dass dieser Prozess in Reaktion auf bestimmte Probleme des universitären Subfeldes eingeleitet wurde. Kunsthochschulen waren kein spezielles Ziel dieser Reform. Anders als in den USA, wo mittlerweile hunderte von Master Programmen für Fine Arts bzw. Visual Arts im Kontext von Universitäten angeboten werden (vgl. Singerman 1999), stellen sich in Kontinental-Europa beide Sub-Felder des Systems der höheren Bildung immer noch einer hochgradig differenzierten Form dar. Dies gilt insbesondere für Deutschland, dem Land, auf das sich dieser Beitrag hauptsächlich konzentriert. Zusammen mit Frankreich war Deutschland der Hauptakteur bei der Initiierung des Bologna-Prozesses mit der Sorbonne Deklaration vom 1998 (vgl. Ravinet 2005).
Zu dieser Zeit war der deutsche Minister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf der Suche nach Verbündeten wie auch nach Rechtfertigungen für die nationale Reformpolitik der damaligen konservativ-liberalen Regierung im Bereich der höheren Bildung. Bereits mit der vierten Änderung des Hochschulrahmengesetzes (HRG), die das deutsche Parlament im August 1998 nahezu ein Jahr vor der Veröffentlichung der Bologna-Deklaration, die aus dem Juni 1999 stammt, verabschiedete, wurden einige entscheidende Vereinbarungen formuliert, die dauerhafte Effekte auf die Struktur der höheren Bildung in Deutschland haben sollten. Der folgenreichste Schritt war dabei die Einführung eines Zwei-Zyklen-Modells mit neuen Abschlüssen – Bachelor und Master. Dieses neue Modell wird in Deutschland auch als die Quintessenz der Bologna-Reformen verstanden. 1998 wurden die neuen Abschlüsse neben den traditionellen Abschlüssen eingeführt, ohne diese zu ersetzen. Sie sollten erprobt werden. Im Laufe des Bologna-Prozesses, der von diesen Entscheidungen antizipiert wurde, wurde der Übergang zu einer Struktur mit zwei Stufen jedoch in den meisten deutschen Bundesländern durchgesetzt. Da die vierte Änderung des Hochschulrahmengesetzes vor der Unterzeichnung der Bologna-Deklaration im Jahre 1999 formuliert wurde, wird die Tatsache, dass sich der in der HRG-Novelle gebrauchte Begriff »Bachelor« überhaupt nicht in der Bologna-Deklaration findet, von den meisten, die am deutschen Diskurs teilnehmen, bis heute nicht wahrgenommen.
Kunsthochschulen sind jedoch von dem Zwang hinsichtlich der Einführung von Bachelor- und Master-Programmen nach wie vor ausgenommen. Lediglich einige wenige haben beschlossen, die zweigestufte Struktur vollständig – wie die Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HfbK) – oder teilweise einzuführen. Ich werde versuchen, einige der Gründe des Widerstandes der Kunsthochschulen gegenüber dem Bologna-Prozess nach deutschem Verständnis zu erhellen. Generell lässt sich feststellen, dass diese Abwehr viel mit den Besonderheiten sowohl der Debatte um die Bologna-Reform in Deutschland zu tun hat als auch mit der spezifischen Form der Implementierung des Bologna-Prozesses in den Universitäten.
Mittlerweile ist offenkundig, dass sowohl die Interpretation als auch die Implementierung des Bologna-Prozesses hochgradig von kontextuellen Faktoren abhängig sind. Das Label »Bologna« ist zu einer Art Projektionsfläche für unterschiedlichste Ziele geworden. Befürworter und Gegner eignen sich die Dokumente des Bologna-Prozesses auf sehr unterschiedliche Weise an. Dabei spielen nationale Strukturen wie auch spezifische Interessen eine große Rolle. Selbst an ein und demselben Ort gibt es mittlerweile Erfahrungen mit äußerst unterschiedlichen Varianten des Bologna-Prozesses.
An der Leuphana Universität Lüneburg beispielsweise wurden die in der Zeit vor 2005 unter Berufung auf Bologna geschaffenen Bachelor- und Master-Programme, die über offizielle Akkreditierungen verfügten und auch von dem niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst akzeptiert wurden (Bologna I), von dem neuen Präsidium der Universität im Jahre 2006 als mehr oder weniger unsinnig deklariert. Mit der Erfahrung der Schweizer Reformen im Hinterkopf herrschte ein vollständig anderes Verständnis von dem vor, was der Bologna-Prozess verlangt. Obwohl die neuen Programme, die 2007 entwickelt wurden (Bologna II), in vielen Hinsichten ganz erheblich von den älteren differieren, wurden sie von dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst erneut begrüßt und als mit der Bologna-Reform kompatibel akzeptiert.
Demnach zählt zu den besten Dingen, die über die Bologna-Reform gesagt werden kann, dass offenbar ein großer Spielraum hinsichtlich ihrer faktischen Implementierung zu existieren scheint. Es gibt wohl ein hohes Maß an Freiheit, ermöglicht durch die Tatsache, dass der Bologna-Prozess weder in präziser Form konzeptualisiert wurde, noch auf verbindlichen Dokumenten im Sinne internationalen Rechts basiert (vgl. Kellner 2004). Die Dokumente haben den Status von Absichtserklärungen, formuliert von Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsminister/innen. Sie wurden in einem sehr unterschiedlichen Umfang in nationales und sub-nationales Recht übernommen. Darüber hinaus erfolgte eine bemerkenswert unterschiedliche Rahmung des Bologna Prozesses. So werden im Hinblick auf die Idee einer Erhöhung von Mobilität unter Studierenden und Gelehrten, eines der Hauptziele des Bologna-Prozesses, in nostalgischer Weise Vorstellungen einer mittelalterlichen Vergangenheit mit hoher geographischer Mobilität von Studierenden und Professoren/innen in Europa wachgerufen. Andererseits werden offene Plädoyers für die Notwendigkeit einer Homogenisierung von Strukturen als einer Vorbedingung für einen funktionierenden regionalen kapitalistischen Markt mit einer hohen Mobilität von Humankapital vorgetragen. Letzteres tritt wesentlich häufiger auf, seitdem die Europäische Kommission sich im Jahre 2001 dem Bologna-Prozess angeschlossen hat (vgl. EC 2003: 1).
In vergleichenden Studien (vgl. Witte 2006) wurde deutlich gemacht, dass Deutschland in der Implementierung wie auch in den Ergebnissen des Bologna-Prozesses erheblich von Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden abweicht. Diese besonderen Merkmale der Reform in Deutschland erklären die Distanz, die Kunsthochschulen gegenüber dem Bologna-Prozess zeigen.
In Deutschland wird beispielsweise verlangt, dass alle Bachelor-Abschlüsse berufsqualifizierenden Charakter haben. Dies unterscheidet sich insofern von der Bologna-Deklaration, als in dieser lediglich die Relevanz für den europäischen Arbeitsmarkt erwähnt wird (»relevance for the European labor market«). Das zweite Ziel der Bologna-Deklaration in ihrer ursprünglichen englischen Version bezieht sich auf die »adoption of a system essentially based on two main circles, undergraduate and graduate«. In der vorherrschenden Interpretation des Bologna Prozesses in Deutschland wird nicht die aus dem französischen Kontext stammende Idee der »Zyklen« hervorgehoben, sondern als das Herzstück der Reform der höheren Bildung wird vielmehr eine Bachelor-Master-Struktur eines 3+2-Jahre-Typus angesehen. De facto wurden jedoch weder eine Bachelor- und Master-Struktur, noch ein 3+2-Jahre-Zyklus-Modell explizit in den Dokumenten des Bologna Prozesses spezifiziert. Einer der paradoxen Effekte der Implementierung eines ersten Zyklus, der lediglich drei Jahre umfasst, sind nun die Schwierigkeiten, mit einem deutschen Bachelor-Abschluss in den Master-Programmen der US-Universitäten akzeptiert zu werden. Die ersten empirischen Studien über Bachelor-Studierende weisen auf einen weiteren paradoxen Effekt hin: Die Mobilität der Studierenden hat sich nicht erhöht. Im Gegenteil, die Mobilität deutscher Studierender verringerte sich auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene.
Eine weitere Eigenheit der deutschen Interpretation des Bologna-Prozesses besteht in der Entscheidung, den Zugang zur Master-Ebene streng zu beschränken. Lediglich eine Minderheit, die weniger als 50% der Bachelor-Absolventen umfasst, erhält die Zulassung zu dem zweiten Zyklus. In einigen Bundesländern wird diese Übergangsquote sogar noch restriktiver gehandhabt. Somit werden im Vergleich zu dem herkömmlichen einstufigen Modell Hierarchie und Selektion auf eine offene Weise in das universitäre Feld eingeführt.
Der deutsche Wissenschaftsrat, einer der Hauptakteure der Reformen der höheren Bildung, hat bereits seit längerem Quoten im Bereich von lediglich 20% für den Zugang in den zweiten Zyklus vorgeschlagen. Die ersten Vorschläge dieser Art gehen auf die 1960er Jahre zurück. Zu dieser Zeit blockierte jedoch die aufkommende Studentenbewegung solche Ideen von Selektivität. In den 1970er Jahren wurden in Deutschland Fachhochschulen eingeführt, wobei eine der Intentionen darin bestand, die Masse von Studenten in angewandte Programme zu lenken. Allerdings verhielten sich die Studierenden nicht wunschgemäß. Sie zogen die Universitäten weiterhin den Fachhochschulen vor. In Folge dieses Verhaltens plädierte der Wissenschaftsrat für eine Umkehrung der Relation von Studierenden an Universitäten und Studierenden an Fachhochschulen, die sich Anfang der 1990er Jahre auf 70 : 30 belief. Da der »Markt«, d.h. die faktische studentische Nachfrage, das gewünschte Verhältnis von 20 : 80 nicht erbrachte und da absehbar war, dass er dieses auch nicht erbringen würde, änderte man die Strategie. Das Ziel sollte nun über die Einführung von Bachelor-Programmen an Universitäten erreicht werden. Bachelor-Abschlüsse in Deutschland sind lediglich äquivalent mit Fachhochschulabschlüssen und nicht mit traditionellen Universitätsabschlüssen. Die Fachhochschulabschlüsse wiederum sind bei der beruflichen Platzierung in der Regel mit einem geringeren ökonomischen und symbolischen Kapital verbunden als die von Universitäten. Dies ist auch als einer der Gründe anzusehen, warum die intendierte Umkehrung des Verhältnisses von Universitäts- und FH-Studierenden nicht von Marktmechanismen hervorgebracht wurde.
Eine andere Strategie – die das erste Mal in Deutschland an der Universität Lüneburg verfolgt wurde – ist die Fusion von Universitäten und Fachhochschulen gemäß dem britischen Modell der Integration von Polytechnics in Universitäten. Als eine allgemeine Tendenz lässt sich beobachten, dass traditionelle Universitäten und Fachhochschulen auf Bildungsebene einander immer ähnlicher gemacht werden, da nun beiden Hochschultypen das Recht eingeräumt wurde, Master-Programme anzubieten.
Ein weiteres Charakteristikum der Situation in Deutschland kann man in der Regelung sehen, dass die Bundesländer die Verantwortung für die Sicherstellung der Äquivalenz und Qualität der neuen Programme an einen zentralen Akkreditierungsrat übertragen haben. Der Rat ist für die Gewährleistung vergleichbarer »Qualitätsstandards« in einem dezentralisierten Akkreditierungssystem verantwortlich. Die Akkreditierung von Abschlüssen liegt gegenwärtig hauptsächlich in der Hand von privaten Agenturen. Das Akkreditierungsverfahren, welches etwa 15.000 Euro kostet, beinhaltet einen formalisierten Peer-Review-Prozess, ähnlich den Evaluationsverfahren. Dabei gibt es hohe Voraussetzungen für die Anerkennung der Programme. Die Bachelor-Programme beispielsweise müssen gemäß der vorherrschenden Interpretation des Bologna-Prozesses in Deutschland nachweisen, dass sie zu »Employability« (Beschäftigungsfähigkeit) der Absolventen führen und auch, in welcher Form dies der Fall ist. Module sind im Detail zu beschreiben. Für einige Agenturen müssen ausführliche Curricula für einen Zeitraum von fünf Jahren im voraus entwickelt werden. Dabei wachsen die Anträge inklusive ihrer Anlagen leicht zu Dokumenten von 200 bis 500 Seiten an. Die Prozedur ist dermaßen bürokratisch, dass sogar die dezidiertesten Verteidiger des Bologna-Prozesses mittlerweile über den »Wahnsinn der Akkreditierung« (Müller-Böling 2007: 16) klagen.
Somit wird in Deutschland die staatliche Autorisierung von Hochschulprogrammen zum Teil durch »Akkreditierung« ergänzt, zum Teil ersetzt – und das hauptsächlich durch dezentrale, private Agenturen. Diese Prozedur ist weitaus bürokratischer als das etablierte Verfahren der Einführung neuer Programme.
Etwas Ähnliches gilt für die Mikro-Reformen, für die der Übergang zu einer zweistufigen Struktur genutzt wird. Es handelt sich dabei um die fundamentalen Reformen der Curricula mit Modularisierungen der Programme und der Quantifizierung ihrer Werte – den Credit Points, die auf der Grundlage der Investitions-Philosophie der Humankapital-Theorie herangezogen werden. Die Implementierung dieser zweistufigen Struktur ist mit einer radikalen Umstellung der Curricula verbunden, die weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Abschlüsse und der Freiheit sowohl von Studierenden als auch von Lehrenden hat. Es ist zu unterstreichen, dass die Bologna-Reform im Rahmen eines Top-down-Prozesses eingeführt wird. Letztendlich hat sie so gut wie nichts mit der ihr oft zugeschriebenen neoliberalen Gouvernementalität gemein (vgl. Prinz / Wuggenig 2007, S. 254ff.).
Die Umwälzungen im Universitätsbereich, die zu Recht oder zu Unrecht im Namen des Bologna-Prozesses realisiert wurden, haben schwer an Akzeptanz eingebüßt. Dafür ist nicht nur ihr disziplinarischer Charakter verantwortlich, sondern auch der Umstand, dass zahlreiche Universitäten zur gleichen Zeit massive Budgetkürzungen erfahren haben. Ein weiterer Grund ist in der Einführung von Studiengebühren im Jahr 2006 zu sehen, ohne dass dies durch ein überzeugendes Stipendien-System begleitet worden wäre. Diese unpopulären Maßnahmen haben nicht direkt etwas mit dem Bologna-Prozess zu tun, in dem Bildung als ein öffentliches Gut verteidigt wird. Nichtsdestoweniger werden sie dem Bologna-Prozess zugeschrieben und tragen zur Verringerung seiner Akzeptanz bei.
In Zusammenhang mit der Legitimierung der Hochschulreformen in den 1990er Jahren wurden die folgenden Arten von Problemen betont: a) Der Universitätsbereich der USA zieht weit mehr internationale Studierende an, nicht nur aus westlichen Ländern, sondern auch aus den Ländern der Semi-Peripherie mit Aufwärtsmobilität, die von besonderem ökonomischen Interesse für Deutschland sind. b) Der Universitätsbereich der USA ist mit seinen Forschungsuniversitäten in der Produktion und Anziehung von hochgradig kreativen Forschern/innen über eine große Spanne von Disziplinen hinweg wesentlich erfolgreicher. c) Der Großteil der Studierenden entscheidet sich für Programme an Universitäten, anstatt an Fachhochschulen. d) Die Studierenden sind beim Verlassen der Universität zu alt.
Mit Ausnahme von d), ein Punkt von geringfügiger Relevanz, der hauptsächlich aus rhetorischen Gründen angeführt wird, ist es nicht möglich, bei den deutschen Kunsthochschulen von ähnliche Probleme zu sprechen. Wie Daten in Capital oder Artfacts belegen, nimmt die Dominanz von US-amerikanischen Künstler/innen gemessen an ihrer internationalen Sichtbarkeit stetig ab, die Bedeutung der europäischen, und insbesondere der deutschen Künstler/innen steigt hingegen.
US-amerikanische bzw. in den USA lebende Künstler/innen dominieren das Kunstfeld jedoch nicht in ähnlicher Weise wie dies für Wissenschaftler/innen, die in den USA tätig sind, der Fall ist. Die Mobilität von Künstler/innen und Kunst-Studierenden ist hoch. Es besteht augenscheinlich nicht die Notwendigkeit einer Reform von Kunsthochschulen auf der Grundlage von Problemen, die in Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess geltend gemacht werden. Da die Reformen, die im Namen von Bologna durchgeführt wurden, auch die bürokratischen und disziplinarischen Charakteristika der höheren Bildung gestärkt haben, ist es kaum überraschend, dass sich die Kunsthochschulen diesem Prozess nicht angeschlossen haben.
Das soll nicht heißen, Veränderungen in Kunsthochschulen seien nicht notwenig oder es gäbe keine Probleme mit diesem Modell. Kunsthochschulen sind mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert: a) Das Meisterklassenmodell erscheint für viele Arten künstlerischer Produktion als obsolet. b) Kunsthochschulen haben die Kontrolle über die Karrieren von Künstler/innen verloren. Universitäten hingegen verfügen über ein erhebliches Maß an Kontrolle über die Karrieren von Wissenschaftler/innen insofern es von Bedeutung ist, ob jemand beispielsweise in einer führenden Forschungsuniversität situiert ist (wie den Ivy-League-Universitäten, Oxbridge oder den französischen Grandes Écoles) oder nicht. Dagegen ist der Lehrstuhl an einer Kunsthochschule für künstlerische Karrieren von marginaler Bedeutung. c) Die meisten der Studierenden an Kunsthochschulen sind später nicht als Künstler/innen erfolgreich. Dies ist lediglich bei etwa 2-5% der Fall.
Gewiss gibt es strukturelle und historische Gründe für diese Probleme. Der Markt gewann bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Übermacht über die Akademie. Diese Entwicklung wurde von Harrison C. White and Cynthia White sehr klar beschrieben, einschließlich der damit verbundenen Konsequenzen: »A fatal price was paid by the Academy […]. One usually had to be famous externally – in the critic-dealer, buyer, and free café circles – to achieve renown inside its institutional system proper. No system can maintain independent, much less dominant, power when its communication as much as its major rewards are monitored by independent systems.« (White/White 1993: 100). Dieses in spezieller Weise marktgeprägte System hat im Gegensatz zur Situation in vielen anderen akademischen Disziplinen den Charakter einer »The-winner-takes-all«-Ökonomie (vgl. Frank/Cook 1995; Abbing 2003), einer grausamen Ökonomie, die zahlreiche Misserfolge und sehr wenige Erfolge kennt.
Somit erscheint es schwierig zu erkennen, inwieweit Reformen des Bologna-Typs etwas Bedeutendes in Bezug auf die Probleme b) und c) von Kunsthochschulen ändern könnten. Lediglich Veränderungen hinsichtlich des Meisterklassenmodells erscheinen als eine realistische Möglichkeit. Sie könnten auch im Rahmen des Bologna-Prozess erfolgen. Kunsthochschulen sind dennoch gut beraten, sich nicht an dem überaus bürokratischen neuen Modell der deutschen Universitäten zu orientieren. Es gibt gute Gründe für Kunsthochschulen, nicht einfach den an den Universitäten stattfindenden Veränderungen nachzueifern, sondern eigene Reformstrategien zu verfolgen.
Literatur:
Frank, Robert / Cook, Phillip (1995), The Winner-Take-All Society, New York.
Abbing, Hans (2003), Why artists are poor. The exceptional economy of the arts, Rotterdam.
European Commission (2003): The role of the universities in the Europe of knowledge. COM (2003) 58 of 5.2. 2003. Brussels
Keller, Andreas (2004), alma mater bolognaise. Perspektiven eines Europäischen Hochschulraums im Rahmen des Bologna-Prozesses. Berlin.
Prinz, Sophia / Wuggenig, Ulf (2007), Das unternehmerische Selbst. Zur Realpolitik der Humankapitalproduktion. In: Susanne Krasmann / Michael Volkmer (Hg.), Michel Foucaults „Geschichte der Gouvernementalität“ in den Sozialwissenschaften. Internationale Beiträge. Bielfeld, S. 239-267.
Ravinet, Pauline (2005), The Sorbonne meeting and declaration : actors, shared vision and Europeanisation. In: Tor Halvorsen / Atle Nyhagen (Hg.) The Bologna Process and the shaping of the future knowledge societies : Conference Report from the Third Conference on Knowledge and Politics, The University of Bergen, May 18 - 20th 2005 / edited by. Bergen, University of Bergen, 187 – 204.
Witte, Johanna (2006), Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses. Aus Politik und Zeitgeschichte, 48, pp. 21-27
Singerman, Howard (1999), Art Subjects. Making Artists in the American University. Berkeley and LA.
Müller-Böling (2007): Ein Fest für Bürokraten. Süddeutsche Zeitung, 25.6.2007, S. 16.
White, Harrison C. / White, Cynthia (1963), Canvases and Careers. Chicago, S 100.
Der Autor dieses Beitrages ist Teil des Problems, nicht seiner Lösung. Während er hier den Kritiker der neoliberalen Übernahme der Hochschulen gibt, hat er an seinem sicheren Arbeitsplatz an der "Leuphana" Universität (hihihi) in Lüneburg eine ganz andere Rolle inne, nämlich die als williger Vollstrecker von "Reformen" à la CHE & Co. Selbst Köttering ist dagegen harmlos.