Eher die Dynamik. Zu den Anfängen von TT Hamburg
von Rahel Puffert
Wiederholung ist jetzt in. Wenn man die Dinge wiederholt und sie das nicht von selbst tun lässt, wird die Zeit knapp. Ich will zur zweiten Autorenkonferenz von The Thing und bei Puzzelink sind nur heute die Zeichnungen von Sabine Falks Kinderzimmer ausgestellt. Die Künstlerin ist nicht da. Noch nicht. Sabine Siegfried lacht mich an, The Thing? Das hätten sie doch damals im Westwerk gemacht.
Die Falk hat beim Erinnern ihr Zimmer aufgeräumt. Keine Gegenstände außer Möbel, immer wieder ein Heizungkörper, eine Topfplanze, das Fenster. Um so mehr Gelegenheit für das grelle Gelb der Wände, sich neben Furnierholzbraun, Bezugstoffrot und Praktischblau Präsenz zu verschaffen. Daneben geht wirklich nicht viel. Die perspektivisch verlängerten Flächen, meist von einem niedrigen Standpunkt aus konstruierte Blickwinkel, gestatten mit demonstrativer Offenheit von verschiedenen Seiten Einblicke in einen merkwürdig leblosen Raum. Buntstiftfarben, Striche, die bis in die letzte Papierkante ragen und vor lauter kindgerecht farbenfroher Heiterkeit klaustophobische Zustände erzeugen. Die Falk berichtet, es sei ihr schwer gefallen, später von der gelben Wandfarbe wegzukommen.
Der Typ, der bei Claudia Reiches Arbeitsgruppe im Kunstverein für freies Rumspinnen plädiert hatte, beschwert sich, dass er nicht wusste, dass die Zeichnungen aus der Erinnerung gemacht seien. Er fordert einen erklärenden Text. Mir fällt ein, dass ich gehen muss.
Im Buttclub sind die Frauen mal wieder in der Überzahl. Nicht schlimm. Wir warten auf mehr Frauen und weniger Männer. Die kommen auch. Später halt. Wir reden über The Thing und wie alles werden soll. Vor allem, wie wir anfangen wollen. Ich bin dafür, bei The Thing anzufangen. Und wie alles angefangen hat. Ungefähr mehr als die Hälfte der Leute im Raum würden auch gern mal etwas darüber erfahren. Christoph Schäfer stellt irgendwann einen Unterschied fest. Damals sei es um eine kleine Gruppe gegangen. Das erste The Thing Hamburg hätte seinen Reiz gehabt, weil nur etwa 25 ProduzentInnen untereinander eine Diskussion begonnen hatten. Das sei sehr produktiv gewesen und hätte ein kritisches Klima erzeugt. Wir wollten wohl jetzt mehr Öffnung?
Cornelia Sollfrank berichtet, sie habe mit Stefan Beck wieder Kontakt aufgenommen. Der habe The Thing damals in Frankfurt ins Leben gerufen. Er sei inzwischen dabei, das Ding mehr oder weniger als eine Alleinunterhalter zu pflegen. Er ist The Thing in einer Person: Programmierer, Betreiber, Content-Lieferer. Und im übrigen hoch erfreut darüber, dass The Thing Hamburg nun eine neue Auflage erhält. Auch in Wien, wo The Thing inzwischen mehr oder weniger eingeschlafen sei, hätte man ungläubig neugierig zur Kenntnis genommen, dass da in Hamburg jetzt ein Neustart geprobt werde.
Beim Vereinsgründungstreffen wird sie rumgereicht: diese Mappe, auf der in großen schwarzen Lettern THE THING steht. Sie ist gelb und enthält einige Emailkorrespondenzen der damaligen The Thing Contributors. HC Dany wirkt wenig angetan beim Anblick des Dokuments - ein bißchen gequält überfliegt er seine eigenen Beiträge. Weil es der Mythenbildung Grenzen setzt? Die Erinnerung korrigiert? Man fragt sich sowas. Still.
Am selben Abend wird der Verein The Thing Hamburg an einem runden Tisch gegründet. (1)
Christoph Schäfer sitzt mir irgendwann an der Bar im Westwerk gegenüber. Hier, im hinteren Bereich, hatte sich damals The Thing eine Woche lang präsentiert. Damals in den Neunzigern als selbstorganisierte Projekte von Interesse waren. Nachdenklich erinnert er sich: Die Inhalte, die man damals über Bildtelefon und Mailboxkommunikation noch vor dem WWW zwischen Köln, New York, Berlin und München hin- und hergeschickt hatte, seien nicht so richtig interessant gewesen. Eher die Dynamik. Man hatte angefangen, miteinander zu sprechen. Diskussionen über Kunst und den Betrieb seien nicht üblich gewesen. Mit Ausnahme vom Redekreis um Kosuth. Entscheidender als die Diskusssionen in den Mailboxen waren die Gespräche vor und neben den Rechnern. Austausch zwischen Leuten, die eigentlich in sehr unterschiedlichen Szenen unterwegs waren. Später sei dann das Bashen losgegangen. Sehr hart. Vor allem Sabine Vogel hätte es getroffen. Übel. Krome hätte ihr besonders zugesetzt. Ein Hardliner eben, egal, an welcher Stelle sich das Engagement gerade entzünde.
Beck hat sich inzwischen in den Gründungsprozess eingeschaltet. Wir sollten doch bitte The Thing immer groß schreiben.
Ich telefoniere mit einer mir bekannten Person. Er will auch informiert werden über THE THING. Klare Sache. Und ob er das damals mitgekriegt habe. - Im Namen des Hyde sei doch die Liste der Documeta-Künstler im Vorfeld über THE THING Frankfurt veröffentlicht worden. Catherine David hatte die Liste bis kurz vor Eröffnung zurückhalten wollen.
"The Thing" - ebenso schlicht wie anmaßend lautet der Titel von Michael Kromes Artikel in der Babias Bibel zur 90erJahre-Kunst (1995). In der Kurzbiografie des Autors steht zu lesen: "Aufbau von the Thing in Deutschland, seit 1994 Galerist (Schipper & Krome Berlin). Im Text selbst heißt es: "Wer nach "Qualität", "Stringenz", und "essentialistischen Infomationsgehalt" fragt oder den Sinn des "Bad Writings" nicht versteht, argumentiert oftmals von hermeneutischen Axiomen aus. Reflektiert man den immer schon ökonomisch codierten Informationsbegriff mit seinen verdinglichten, identitätslogischen Implikationen, dann entzieht sich das bei TT praktizierte Kommunikationsverhalten deutlich dieser Kritik. 'Beteiligung' und 'Intervention', also eine mehrfach relationale Kommunikation, haben Vorrang gegenüber dem klassischen eindimensionalen Sender-Empfänger-Modell. (...) Zur Disposition stehen u.a. Autorbegriff, Copyright, Vertrieb, Dialog/Polylog. Das langsame stetige Wachsen von TT hat in puncto Dezentraliserung und Verantwortlichkeit ebenfalls Fragen aufgeworfen. Wer trägt bei zunehmender Dezentralisierung überhaupt die Verantwortung?" (2)
Ich surfe ein bisschen. Die Webseite von THE THING Berlin ist noch "aktiv". Ein vernachlässigter Kalender der Berliner Galerien ödet vor sich hin. Während ich ein Fenster nach dem nächsten öffne, das lediglich vorgibt, mit Inhalt gespickt zu sein, stelle ich fest, dass ich was für Hermeneutik übrig hab.
Das Schweizer Printmagazin du unternahm im Jahr 2000 einen ersten Rückblick. "Net.Art. Rebellen im Internet" heißt es auf dem Titel. Innen vermitteln körnige Schwarz-weiß-Photos einen atmosphärischen Eindruck vom Medialab THE THING New York, das 1995 in einem Lagerhausloft am Hudson River sein Büro eröffnete. Die Mieten seien inzwischen um das Siebenfache gestiegen, heißt es im Auftakt der Reportage von vor nunmehr knapp sieben Jahren. Die Abbildung daneben zeigt ein verschlagen in die Kamera blickendes Gesicht, das auch eine Van Morrison-CD Hölle zieren könnte. Es gehört dem seit den 70ern in N.Y. lebenden Schwaben und Netzpionier Wolfgang Staehle, der THE THING 1991 erfand. Das journalistische Profil präsentiert seine Persönlichkeit als tiefgründig, erfahren, eigensinnig. Vom Beginn der Shareware weiss Staehle zu berichten: "Wenn ich etwas nicht wußte, habe ich den Mailadministrator angemailt. Ich bekam immer eine freundliche, informative Antwort. Das fand ich erfrischend, denn in der Kunstwelt war alles so tight, gerade in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, als der Markt runterging, alle mit ihrer Karriere beschäftigt waren und jeder Informationen gehortet hat. (...) Weil in der Kunst institutionelle Kritik damals gerade ein wichtiges Thema war, hatte ich plötzlich die Idee, dass es sinnvoll wäre, wenn
diese Kritik nicht immer innerhalb der Institutionen stattfände, die kritisiert wurden." (3)
Im Kunstverein versucht man mit der Buchpräsentation "Wiederholung wiederholt" (4) originell und um Gottes willen nicht original zu sein. In dieser angestrengt unangestrengten Mischung aus seriöser Fußnotenpflege und betont lapidarem Popkultureinsprengseln wird auf jeder fünften der über dreihundert Seiten Deleuze zitiert oder auf andere Art verwurstet. Als gäbe es Chancen, dessen Fenstersprung dadurch nochmal rückgängig zu machen: Rhizom, Maschinengefüge, Werden, Differentes und Identitäres bis zum Abwinken. Irgendwie bedauerlich auch: der b_books-Angehörige, der bei einem weiteren Veranstaltungsabend nicht vorgestellt wird und seinen der-Autor-ist-tot-also-schreib-ich-meinen-Namen-auch-nicht-mehr-unter-den-Titel-Text aus der Messe 2ok-Zine (5) noch einmal zum Besten gibt. Rauchend und sich die Frage stellend, wie es damals nur dazu hatte kommen können, liest er und unterbricht sich durch Kommentare, über die im Publikum niemand, eine von den b_books-Leuten aber umso lauter lachen kann. Was tun, wenn die Wiederholung auch nicht klappt?
Auf den ersten Aufruf zur Textproduktion zum Thema "Selbstorganisation + Existenz" bekommen wir von Beck einen Kommentar zugeschickt. Er bezweifele die Unabhängigkeit eines unabhängigen Weblabs, das veröffentlichte Artikel bezahle.
Ein zweiter Artikel in der du erzählt die Geschichte vom THE Swiss THING. (6) Hier war es Barbara Strebel, die das Community- Building übernommen hatte. In Basel richtete sie neben der Programmierung des anfänglich wie in Hamburg nur über Mailboxsysteme (BBS) kommunizerenden Netzwerks einen Laden ein, Anlaufstelle für Netzinteressierte, in dem man sich traf, beraten lassen oder Programmierkurse belegen konnte. Strebels Philosophie wird als "Idee des Teilens" beschrieben. Sie habe auf internationale Vernetzung bei gleichzeitiger lokaler Verankerung gesetzt. Ich finde, das klingt ganz gut. Fussnoten oder Anmerkungen/Links(1) Link zur Vereinssatzung
(2) Mariua Babias: Im Zentrum der Peripherie. Kunstvermittlung und Vermittlungskunst in den 90er Jahren, Dresden/Basel 1995, S. 281
(3) in: Barbara Bating/Donna Ferrato: Ein Besuch im New Yorker Media Lab 'The THING', in: du - Die Zeitschrift der Kultur Heft Nr.71, November 2000, S.12f
(4) Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen, Sabeth Buchmann, Alexander mayer, Karolin Meunier, Stefan Moos, Erich Poos, Martina Rapeius, Thomas Rindfleisch, Sabin Tünschel, Verlag der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, Hamburg/Berlin 1995
(5) Messe 2ok talking the economics ÖkonoMiese machen, Reader zur gleichnamigen Messe von 10.-14. November '95 in Köln, Amsterdam 1996
(6) Villö Huszai: Basels ambulanter Salon, in: du - Die Zeitschrift der Kultur Heft Nr.71, November 2000, S. 21-23
Liebe Rahel,
danke für diesen kleinen Einblick in die Gründung von The Thing Hamburg. Dein Text gefällt mir.
Ich hoffe es ist nicht zu kleinkariert, wenn ich mir zwei Anmerkungen im Hinblick auf die Erwähnung meiner Person erlaube:
1) ich habe nicht verlangt The Thing sollte immer groß geschrieben werden, sondern, daß es The Thing Hamburg oder The Thing Berlin oder The Thing Frankfurt heißen sollte.
2) ich habe auch nicht die Unabhängigkeit eines unabhängigen Weblabs bezweifelt, sondern die Sinnhaftigkeit der Trennung von bezahlten und nicht bezahlten Artikeln.
Grüsse
Stefan
Zu Form und Funktion von The Thing Hamburg
Inhalte sind soweit prima, aber wie steht es um Form und Funktion von The Thing Hamburg?
Bestehen auch irgendwelche Überlegungen zu einer möglichen Benutzer Interaktion?
Zur Zeit sieht das ja etwas mager aus. Mehr als Kommentare abgeben geht nicht. Und auch die sind eher unkomfortabel. Man kann sich nicht auf einen Kommentar beziehen. Muß auch jedes Mal seine Daten neu eingeben.
Eigene Inhalte in anderer Form eingeben ist auch nicht möglich.
Das ist weniger als kostenlose Anbieter wie blogger.com oder myspace.com anbieten.
Indem The Thing Hamburg sich im Internet präsentiert, stellt es auch eine Öffentlichkeit her. Und zwar auch von seiner Form her. Ist also Interface.
Wie wäre es nun schön, um mit Kurd Alsleben zu fragen. Was wäre optimal?
Was ist Internet Ende 2006, und was sollte das für ein Angebot wie The Thing Hamburg bedeuten?