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12. November 2006

Verlust des Randes – Die Gegenwartskunst im Mainstream

von Pierangelo Maset

Mit diesem Pamphlet soll ein Unbehagen an der gegenwärtigen Kunstentwicklung zum Ausdruck gebracht werden, das im besten Fall eine Sondierung zur Präzisierung eines Gefühls für eine Kunst ohne System sein könnte.

Um die Entwicklung der Kunst seit der Zeit des Barock zu charakterisieren, hatte der Kunsthistoriker Hans Sedlmeyer die Metapher vom “Verlust der Mitte” geprägt. Hier diagnostizierte er eine zentrale Störung der menschlichen Zivilisation, die sich auch in den Werken der Kunst ausdrücke, welche in der Moderne die Auflösung jeder überlieferten Formensprache nachhaltig vorangetrieben hatte. Das kulturpessimistische Werk erschien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg (1948), und es ist durch die Zivilisationsbrüche des Zwanzigsten Jahrhunderts gekennzeichnet. Der Autor lieferte mit diesem Werk Argumente für eine konservative Kulturkritik, die hiermit Vorbehalte und Vorurteile gegenüber die moderne Kunst legitimierte.

Heute ist die von Sedlmayer vermisste Mitte – die noch eine mögliche Einheit von anthropologischer, religiöser und künstlerischer Weltanschauung vorstellt - kaum mehr zu verorten. Wir haben uns daran gewöhnt, dass das, was wir so nebulös verherrlichend als „Kultur“ bezeichnen, in alle möglichen User-Fraktionen partikularisiert ist. Im Gegenzug existiert aber in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen ein jeweils tonan­gebender Mainstream, der sich in der von der (Post-)Moderne geleerten Mitte ausgebreitet hat.

Das betrifft insbesondere wiederum die heutige Kunst. In ihrem Feld gibt es weder ein Zentrum von Werken, noch ein solches von theoretischen Positionen, jedoch eine ständig wechselnde, medial unterlegte Hauptströmung bei überhitzter Betriebs­temperatur und gleichzeitiger hoher Anfälligkeit gegenüber Surrogaten jedweder Provenienz. Die „neue Mitte“ ist dabei der jeweils vorherrschende Mainstream des Kunstsystems, und diese Strömung ist weder durch eine bestimmte Stilrichtung noch durch ein künstlerisches Programm definiert. Der Kunst-Mainstream von heute geht mit der Zeit, er ist ein Apparat, der aus unterschied­lichen Netzwerken, die darauf bedacht sind, abzuwägen, was „passt“ oder was als unpassend aussortiert werden muss. Alles, was im Kunstfeld sichtbar wird, ist aber bereits in das System integriert, es verhält sich so ähnlich wie bei den BORG aus dem Startrek-Universum, das sind die, die ab dem Jahr 2365 mit der wenig einfühlsamen Botschaft Sie werden assimiliert auftreten und den modus operandi des Kunstsystems in intergalaktische Dimensionen antizipiert haben. Jeder Widerstand ist zwecklos und wird bei Übernahme der Eigenschaften des Gegners in das gemeinsame Würfelkollektiv importiert.

Zurück in die Gegenwart: Alle autonomen Kunst-Zonen sind entweder im Mainstream aufgegangen oder sie existieren in den Vorstellungen und Diskursen derer, die die heutige Gegenwartskunst verwalten, nicht als „avancierte“ Kunst und werden entsprechend abgewertet, z.B. dem Kunstgewerbe oder der Hobbykunst zugerechnet. Objektive Kriterien für das Passende bzw. Unpassende gibt es jedoch nicht, die Sortierung hängt vielmehr an den Interessen und Neigungen. Der Kultur des „Fakes“ sind durch diese Situation Tür und Tor geöffnet. Man kann das als eine coole Logik der Kunst­entwicklung betrachten, es ist aber gleichzeitig auch ein Problem für die Fortsetzbarkeit von Kunst, die heute weniger durch das Versickern ihres kreativen Potenzials als vielmehr durch die Politiken einflussreicher Interessengruppen im Sinne jeweils gängiger Mainstreams gesteuert wird.

Haupt- und Nebenwirkungen

Die moderne und postmoderne Entgrenzung der Kunst ist stets doppelbödig gewesen. Adorno konstatierte am Anfang seiner „Ästhetischen Theorie”, dass das „Meer des nie Geahnten” – die nicht mehr begrenzten Gestaltungs- und Darstellungs­möglichkeiten der Kunst seit dem 20. Jahrhundert – zu neuen Engführungen der Kunst geführt hätte. Diese Vorhersage kann heute als zutreffend bezeichnet werden: Alles kann zur Kunst werden, alle Materialien, alle Vorstellungen können in eine künstlerische Arbeit eingehen, entscheidend ist lediglich, dass eine Zuschreibung von legitimierten Profis vorgenommen wird. Hierbei hat eine merkwürdige Verkehrung der ästhetischen Autonomie stattgefunden: Sie ist von den Künstlern und Werken auf die Verwalter des Kunstsystems übergegangen, die diese usurpierte Autonomie – eine Folge der totalen Ökonomisierung des Kunstsystems – dazu nutzen, Wertschöpfung in eigener Sache vorzunehmen. Dabei werden sie von denen unterstützt, die bislang eher skeptisch auf die Freiheitsgrade der Kunst geschaut haben: die Vertreter der Expertenkulturen, die stets einsatzbereiten Diskurs-Produzenten.

Die Agenten des Kunstsystems dürfen dabei so auto­kratisch regieren, wie es ansonsten nur Angehörige mafioser Clans vermögen. Darüber hinaus können sie sich gleichzeitig als „avantgardistisch“ wähnen, weil nur sie bestimmen, was im Kunstsystem als avancierte Kunst angesehen werden kann. Das kunstsoziologische Denken Niklas Luhmanns hat in dieser Hinsicht einen Effekt gezeitigt, den es vermutlich nicht intendiert hatte. Der Soziologe hatte in „Die Kunst der Gesellschaft” das inzwischen verbreitet angeeignete Credo geprägt, dass die Bestimmung dessen, was Kunst ist, einzig dem Kunstsystem zu überlassen sei. – Ein folgenreiches Dogma, denn damit entscheiden nur die als „zugehörig“ Definierten darüber, was Kunst ist bzw. sein könnte, womit eine völlige Abhängigkeit von den so genannten „Profis“ entstanden ist.

Unterdessen kommen viele dieser Akteure jedoch nicht aus der Kunst, sondern aus Wissenschaften, die sich mit ihr als Objekt beschäftigen: der Politik, der Soziologie, der Ökonomie etc. Seit den neunziger Jahren scheint ihre Kunstferne sie geradezu für eine Position im Kunstfeld zu qualifizieren, zumal sie sich mit Zahlen sehr gut auskennen.

Das war und ist der Kunst und den Künsten in der jüngsten Vergangenheit abträglich gewesen. Ihre enge Anbindung an die „Diskurse” und die sich aus ihnen abzuleitenden Gestaltungen haben die Kunst geschwächt. Sie gelangte nicht in ungeahnte Dimensionen neuer Schöpfungen, sondern in die schleichende Er-Schöpfung bei vollem Bewusstsein. Ein unheimlicher Zusammenhang besteht zwischen der Politisierung der Kunst der Neunziger und ihrer parallelen Kommerzialisierung. Im Zuge dieser Entwicklung ist paradoxerweise eine neue nachahmende Kunst entstanden. Richtete sich die Moderne mit der vollen Kraft ihrer Avantgarden massiv gegen die Nachahmung der Natur in der Kunst, so ist in der heutigen Kunst nahezu ein Mimesis-Gebot auszumachen. Was in unserer Zeit jedoch nachgeahmt wird, sind aber weder die Natur noch traditionelle Formvorgaben, sondern es sind Theorien. Foucault wird nachgeahmt, Lacan sowieso und Derrida schon immer, von Bourdieu und Luhmann gar nicht zu sprechen, die beiden sind die unfreiwilligen Väter der in Deutschland sehr beliebten Theorie-Karaoke, und leider wird sogar der gute Deleuze nachgeahmt, denn wir alle wollen transversale Nomaden werden, die ihre rhizomatischen Produktionen deterritorialisieren. Und dieser ganze Nachahmungswust ereignete sich in den letzten Jahren in solch gewaltigen künstlerischen Neuerungen wie dem mittlerweile wieder unmodischen „Dokumentarismus“ oder den zwischenzeitlich sogar „Inhaltismus“ genannten Kuratoren­schmeicheleien akademisch verwirrter Kunstgewinnler. Es verwundert deshalb nicht, dass die Theoretiker heute selbst den Künstlerstatus verpasst bekommen, so wie das z.B. in 2006 mit der hagiografischen Ausstellung zu Pierre Bourdieus Fotografien in den Hamburger Deichtorhallen geschehen konnte.

Die Dominanz soziologischer Kunsttheorien – eine zwangsläufige Folge des Mainstreams der 90er Jahre – hat zur Abwertung der Gestaltungsnotwendigkeit von Kunst und zur Ignoranz wesentlicher innerer Probleme der Kunstentwicklung geführt. Die Kunsttheorien von Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu haben aber bei all ihren Verdiensten einen gemein­samen Mangel: Sie sind recht gleichgültig gegenüber dem singulären Kunstwerk und verstehen dessen Form nicht aus dessen inneren Bewegungs­gesetzen. Sie nehmen entweder eine Vogelperspektive oder eine Froschperspektive ein, sind aber selten mit der Kunst auf Augenhöhe.

Theorien gehen der Kunst voraus, konfigurieren den Mainstream, und Kuratoren und Künstler folgen. Zurzeit zirkulieren Expertisen der sich formierenden „Bildwissenschaften“ bzw. der aus den angelsächsischen Ländern importierten Kunstgeschichts­version für Couch-Potatos, die „Visual Studies“ genannt wird, und die Kunst übt sich darin, diesen Richtungen zu folgen.

Es ist eine Folge der Selbstaufklärung der Kunst, dass sie von ihren importierten Wissenschaftsanteilen durchsetzt wurde, ihr Reflexionsgehalt gilt immer noch als Qualitätssiegel. Was in den achtziger und neunziger Jahren als konsequente Fortsetzung konzeptueller Kunst deren Verschränkung mit wissenschaftlichen Begriffen und Arbeitsweisen herausarbeitete, erscheint heute aber als eine Sackgasse, aus der die Kunst sich vermutlich – wie zurzeit zu beobachten - nur mit dem Mittel der Regression, der bewussten Primitivierung, heraus begeben kann.

Alle Versuche der Kunst, dem Kunstsystem mit den Mitteln der Aufklärung zu begegnen, es als mafios zu überführen, seinen machtbetonten Charakter bloßzustellen und die Kunst allen potenziellen Betrachtern zugänglich zu machen, haben bislang eher zum Gegenteil geführt: Sie stärkten die mafiosen, machtgeilen und auf Exklusivität pochenden Kräfte. So ist zu bezweifeln, ob es in Deutschland heute eine auch nur halbwegs unabhängige Kunstkritik gibt. Alle hängen in bester Seilschaften-Manier irgendwie miteinander zusammen, feiern ihre gegenseitigen Abhängigkeiten und Gefälligkeiten als Erfolge, und ihre mittelmäßigen Hervorbringungen als progressive art. Dabei schieben sich familiär organisierte Netzwerke untereinander die Fördermittel zu, die dazu eingesetzt werden, die Projekte zu verwirklichen, in denen man sich und sein Kunstverständnis spiegeln kann. Über allem thronen hierzulande vier bis fünf einflussreiche (Sammler-)Familien, die ihre Satelliten und Proselyten an jedem entscheidenden Punkt in der Umlaufbahn haben und mittels ihrer Dienste die Gegenwart der Kunstzukunft als Self-fullfilling-prophecies notieren.

Die Künstlerinnen und Künstler sind die schwächsten Glieder in der Kette des umtriebigen Mainstream-Austausches. Sie müssen wohl oder übel den ungeschriebenen Regeln folgen und ihre künstlerischen Arbeiten in der Hoffnung, einst selbst zum Mainstream zu gehören, an dessen Maßstäben ausrichten.

Mit dem umfassenden „Mainstreaming”, dem alle schöpferi­schen künstlerischen Ansätze ausgesetzt sind, werden die Ränder des Kunstsystems ausradiert; Ränder, an denen sich vormals Individualisten mit nicht-integrierbaren aber häufig vorauseilenden Positionen aufhielten, die für die Leere der Mitte unverzichtbar waren.

In neuester Zeit wird dieser schöpferisch-anarchische Rand nicht mehr benötigt, da sich genügend professionelle Verwalter in der vakanten Mitte des Kunstsystems bewegen können, die ihre Legitimität aus den angrenzenden Wissenschaften beziehen und für Institutionen und Finanziers plausible Argumente liefern, die von empirischen Studien gestützt werden können. Indem Kunst und Wissenschaft eng miteinander verflochten werden, gewinnt zwar die Legitimität zeit­genössischer Kunst, sie wird nachvollziehbarer, ihre Radikalität und Differenz wird jedoch durch die Diskurse gefiltert und geschwächt. Der Traum einer solchen Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft ging klar zu Lasten der Kunst und ihrer Potenziale, denn sie ist nun gezwungen, sich auf einen Rationalitätstypus einzulassen, dem sie ja gerade das „Andere der Vernunft“ entgegen halten wollte.

Heute müsste die Differenz von Kunst und Wissenschaft wieder betont werden, da die Kunst – hier ist Kant immer noch zu folgen – nicht im Begriff aufgeht, Kunst, die sich auf ein wie auch immer geartetes Sprachmodell als hauptsächliche Referenz bezieht, wird früher oder später durch dieses überzeichnet und schließlich ersetzt.

Doch warum soll überhaupt auf den Eigensinn der Kunst beharrt werden? Eine alte Antwort muss wiederholt werden: Weil es mit der Kunst um grundsätzlichen Freiheits- und Experimentiergrade der menschlichen Conditio geht, die eine radikale Differenz zum allgemeinen Ökonomie- und Bürokratie-Werden darstellen.

Heute ist die Freiheit der Kunst durch die Kunstsystem-Seilschaften eingeschränkt, die sich mittlerweile komplett der kritischen Kunstpositionen bemächtigt haben und sowohl Kritiker, Publikationsorgane, Stiftungen, Künstlerinnen unter ihrer argumentativ abgefederten Kontrolle haben oder sie alimentieren. Als Folge dieser Abhängigkeiten und Gefolg­schaften werden langweilige Positionen hochgejubelt und stumpfe Künstler und Kuratoren polyglott hofiert. Jede Vernissage, auf deren Einladungskarten Logos großer Firmen oder Stiftungen zu finden sind, ist eine anstößige Inszenierung, die ihre eigenen Referenzen feiern will,

Mittlerweile erheben sich Stimmen gegen die Referenz-Ästhetik: „Seit einigen Jahren lässt sich sowohl im Bereich Bildender Kunst als auch im Bereich zeitgenössischer, vornehmlich elektronischer Musik ein Spiel mit Referenzialität beobachten, das sich insofern von postmodernen Strategien der achtziger Jahre (zum Beispiel Zitat oder Appropriation) unterscheidet, als es sich nunmehr ganzer Diskurse (auch aus Literatur, Film u.s.w.) sowie ihrer geschichtlichen und soziokulturellen Zusammenhänge bedient. Die Überlappungen bieten zwar ihrerseits ein dankbares Assoziationsfeld für Journalisten, Kritiker und Kuratoren, doch werden die komplexen Fragestellungen, die sich innerhalb und über diese Diskurse hinweg ergeben, in diesen ‚Grenzüberschreitungen’ nicht mehr reflektiert. [...] Aufmerksam gemacht werden soll auf die Diskrepanz zwischen der künstlerischen Banalität dieser Ansätze und ihrer unreflektierten Wertschätzung seitens selbst ernannter Experten aus Journalismus und Kunstbetrieb“ (Sander, Klaus/ Werner, Jan St.: Vorgemischte Welt, Frankfurt 2005, S.67f.).


Beispiele

Kurz vor der nächsten Documenta im Jahr 2007 lohnt es sich, einen Blick zurück zu werfen auf die letzte Weltausstellung der Kunst: „ Auf der Documenta XI wird man von einer Kunst überrascht, die in ihrem direkten politischen Engagement der Ästhetik des sozialistischen Realismus merkwürdig nahekommt“ (Harry Lehmann: „Die flüchtige Wahrheit der Kunst“, München 2006, S. 8).

Nach dem medialen und kommerziellen Erfolg der Documenta XI im Jahre 2002 konnte man den Eindruck gewinnen, dass sich ein neuer Kunstbegriff durchsetzen konnte. Die Political Correctness wurde zum Radical Chic eines Segmentes der Kunstszene, das weniger an der Entwicklung neuer Formen interessiert war, als weitaus mehr am Import diskursiver Stoffe und neuer alter Erzählungen, wie z.B. „Empire“ von Antonio Negri und Michael Hardt. Mit der Politisierung der Kunst knüpfte man an Traditionen der Moderne an, und es gab wieder ein Avantgarde-Bewusstsein, dass den Anderen die Welt erklärte.

Die üblichen Schwellen des Kunstbetriebs – Hochkulturschema, Exklusivität - wurden in die D 11 jedoch mit implementiert. Dies kam in unverblümter Deutlichkeit in der Innenraumgestaltung des Fridericianums zum Ausdruck, die eine äußerst museale Form repräsentierte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnte das Gewissen der Ausstellungsbesucher im symbolischen Raum des Kunstfeldes mit der Form der musealisierten Globalisierungskritik zentriert werden, die Enwezor und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im dankbaren Kassel inszenierten. Der entscheidende Clou seitens des Kuratorenteams bestand darin, ständig zwischen politischen und ästhetischen Motiven hin- und her zu schwanken. Damit konnte das avantgardistische Kunst-Flair mit einer politischen Haltung legitimiert werden, und umgekehrt konnte der ethische Gehalt der künstlerischen Formen mit politischen Referenzen legitimiert werden.

Ein so ausgerichtetes Format sicherte sich in den vergangenen Jahren international erkleckliche Summen an Fördergeldern, während es in den Ausstellungsrealisierungen häufig arg scheiterte, die bemitleidenswert uninspirierte 3. Berlin-Biennale im Jahr 2004 war da nur die Spitze des schmelzenden Eisberges. Immer mehr Ausstellungen wurden in den letzten Jahren zu beredten Beispielen dessen, was sie kritisieren wollten, so z.B. auch „Identität versus Globalisierung“ im Herbst 2004 in Berlin, bei der die aus Südostasien eingeladenen Künstler unvorteilhaft in ein typisch westeuropäisches Diskurs-Korsett eingezwängt wurden, das ihre Arbeiten total überlagerte.

Die nächste Documenta, die Nummer 12, wird vieles anders angehen, und auch die Schönheit wird 2007 wieder eine Rolle spielen. Vielleicht wird sogar die leere Überfülle der Mitte thematisiert werden. Die Documenta soll keine Weltausstellung mehr sein und wird sich postmodern hinter vielen Metareflexionen und ironischen Divertissements verstecken, für sich selbst also einen Ausschnittsblick reklamieren, was für einen neuen Versuch wohl unumgänglich ist. Da sie von mehreren der üblichen verdächtigen Netzwerke mit zusammengeschraubt wird, ist heute schon klar: Die Documenta 12 wird entweder absolut hinreißend oder grottenschlecht.

Aufgaben am Rand

Die Mitte-Fixierung des Kunstsystems bedeutet auch, dass von vielen heutigen Ausstellungen eher der Name des Kurators haften bleibt als der der Künstler, denn die Kuratoren sind die Regisseure des Mainstreams. Hierzu haben unter anderem das verbreitete Profil „Kurator X präsentiert 30 internationale junge KünstlerInnen“ geführt sowie die gute Geländegängigkeit der Kuratoren in den Netzwerken. Problematisch ist, wenn Kuratoren sich mit einer frivolen Rest-Aura umgeben, die sie den Künstlern schlichtweg geraubt haben. Die Künstler, in den neunziger Jahren auf den dekonstruktiven „Tod des Autors“ verpflichtet, mussten das hinnehmen. Für sie bedeutet die Aufwertung der Rolle des Kurators neben einer Einschränkung ihrer Autonomie auch eine weitere Ebene der Selbstausbeutung, denn nun können sich diejenigen mit Aspekten künstlerischer Kreativität schmücken, die vorher deutlich gemacht haben, dass es dem „progressiven“ Künstler nicht mehr ansteht, Autorschaft einzuklagen. Umso hemmungsloser kann die Autorschaft dann von Kuratoren eingenommen werden. Der wegbrechende Rand bedeutet auch, dass eine künstlerische Nischen-Existenz immer schwieriger zu führen ist.

Der Rand insistiert, ökonomisch befinden sich die meisten Künstler ohnehin dort. Die Kunst hat sich über einen sehr großen Zeitraum hinweg entwickelt, und ihre Hervorbringungen sind keineswegs von flüchtiger Wirklichkeit. Es sind stets Formen von Kunst notwendig, die sich nicht scheuen, das Wagnis der Erfindung und Erprobung autonomer Gestaltungen auf sich zu nehmen und die Suche nach den Lücken der Repräsentation und den referenzlosen Setzungen einzuleiten. Ohne den Rand der Kunst bleibt ihr Zentrum eine Geschäftsstelle, und wir sind gezwungen, sich leer wiederholenden Mainstreams zu folgen, die man auch als Surrogat-Mitten bezeichnen könnte. Das System lässt der Kunst keine Wahl. Sie kann den Verlust der Mitte jedoch weitaus leichter verschmerzen als den Verlust ihres Randes.

Kommentare [3]
Edmund Friedrich schrieb am 16.02.2007 14:28

Gegen die gefühlte Liebhaberei einer verlorenen Kunst

Einwände gegen das Pamphlet von Pierangelo Maset „Verlust des Randes – Die Gegenwartskunst im Mainstream“

Konfusion überall
Ach hätte Pierangelo Maset nur ein bisschen vom dem Vorbild seiner Eingangsfor-mulierung, dass das Pamphlet „im besten Fall eine Sondierung zur Präzisierung ei-nes Gefühls für eine Kunst ohne System sein könnte.“ Ein posthum erschienenes Buch von Rolf Dieter Brinkmann heißt „Erkundungen zur Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand“. Brinkmann ist in diesem Buch präzise, er wusste, wie er das, was er dachte, sprachlich genau darstellen musste. PM weiß dies offenbar nicht.
Sein Pamphlet ist konfus, deshalb ist es schwierig unmittelbar auf seine Diagnose und These zu antworten. Vielmehr muss man zunächst die „Gefühle“, die PM zu Pa-pier gebracht hat, sortieren, damit sie sich selber verstehen können.
Erstaunlich ist die Konfusion, weil die Folgerung aus seiner These recht einfach ist: „Kunst, vulgo Künstler und Kunstwerk mögen sich vom Diktat des Kunstbetriebes befreien.“
Die konfusen Gefühle dominieren alles. Die sprachliche Formulierung, die begriffli-chen Identifikationen verschiedener Sachverhalte und die Logik der Argumentation.
Von den sprachlichen Wirrnissen mag sich jeder Leser selbst überzeugen. Hier sol-len wenige Beispiele genügen: „Coole Logik der Kunstentwicklung; „Problem für die Fortsetzbarkeit (sic!) von Kunst“; grundsätzliche Freiheits- und Experimentiergrade der menschlichen Conditio“; „die radikale Differenz zum allgemeinen Ökonomie- und Bürokratie-Werden“. Das sind ganz unmißverständlich: Blähungen ...; kaum vorstell-bar, dass ein professoraler Künstler, auch wenn er nur seine Befindlichkeiten aufs Papier bringen möchte, derartig ungestaltete Wörter und Sätze sich durchgehen ließ.
Wo die Sprache schludert, glänzt zwangsläufig die Kompetenz zur begrifflichen Diffe-renzierung durch Abwesenheit. Im Pamphlet wimmelt es vor pseudobegrifflichen Luftballons.
Da wird der Verlust einer ominösen „Mitte“ zitiert, „die noch eine mögliche Einheit von anthropologischer, religiöser und künstlerischer Weltanschauung vorstellt“. Darunter geht es nun einmal nicht. Ein alter Trick, wenn man es nicht so genau weiß, greift man nach den ganz großen Bildern und Begriffen und möchte suggerieren, man hät-te alles gesagt. Aber wehe, der Rauch verzieht sich.
Gleich nach der allumfassenden Weltanschauung schreibt PM, „dass das, was wir (!) so nebulös verherrlichend als >Kultur< bezeichnen, in alle möglichen User-Fraktionen partikularisiert ist.“ Der Rückgriff auf kollektive Wir ist immer entlarvend für jemanden, der sich dahinter verstecken möchte, und siehe da: Wovon PM eben noch sich souverän distanzieren wollte, flutscht ihm in die Tasten und so redet er von der „Kultur des Fakes“. So ist das, wenn man alles unter allem subsumiert, bleibt nichts übrig als das Nichts.
Es liegt die Schlußfolgerung nahe: Wer mit der Sprache schludert, hat vorher oder im aktuellen Vollzug nicht gedacht, dann fällt das Argumentieren schwer.
Um dies zu belegen, müßte ich die Diagnose von der gefährdeten Gegenwartskunst und der These, wie sie noch zu retten sei, im Text von PM rekonstruieren. Das aber scheint mir angesichts ihrer desaströsen Darstellung überflüssig. Ich gehe lieber di-rekt auf die Unterstellung ein, daß die Autonomie gegenwärtiger Kunst gefährdet, wenn nicht gar vollends aufgehoben sei. Dabei möchte ich auch das Gerede von der „verlorengegangenen Mitte“ als hohle Metaphorisierung eines an sich belanglosen Phänomens entlarven.

Kunst autonom: Überall?
Die „darstellerischen“ Schwierigkeiten von PM könnte man auch auf einen Fehler in der Sache zurückführen. PM setzt ein Autonomiekonzept der Kunst voraus, das zum einen viel zu aufgebläht daherkommt; denn es umfasst nicht nur den autonomen Gel-tungswillen des einzelnen Kunstwerkes selbst, sondern auch die Definitionsmacht darüber, was Kunst sei; und das Autonomiekonzept will zudem die Aufgaben des Kunstbetriebes insgesamt übernehmen. Kein Wunder, dass ein derartiger Aufga-benberg, den er der Kunst vorsetzt, ein drückendes dumpfes Gefühl erzeugt.
PM rekonstruiert den Begriff der Autonomie falsch. Deshalb kommt er zwangsläufig zum paradoxen Resultat, dass die Kunst erst dann (wieder) autonom sei, wenn sie sich die Macht der Selbstdefinition und zugleich die ökonomischen Marktstrategien zurückerobere. Es sind dies gerade außerästhetischen Bereiche, von denen Kunst sich einst emanzipierte, um autonom zu werden. Kunst hat sich dort autonom ge-setzt, wo sie sich gewissermaßen blind machte gegen die Zwangsgewalten der öko-nomischen Notwendigkeit und der Rationalität jeweiliger politischer und religiöser Herrschaft. Nichts sollte sie als autonom konstituieren, was sie nicht aus rein imma-nenten Gründen der Stoffaneignung und Stoffgestaltung als notwendig ansah.
PM kritisiert die Abhängigkeit der Neuen Kunst vom Kunstsystem, ohne jedoch deut-lich zu machen, wie (oder ob) Kunst als produktive Kunst selbst dazu gehört. Das Tauschprinzip gehört seit ihrem Autonomiebestreben wie selbstverständlich der Kunst an. PM will eigentlich die Dominanz der außerästhetischen Systeme kritisieren,
unterscheidet aber nicht zwischen deren eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten und den immanenten Gesetzmäßigkeiten der Kunst“produktion“ selber.


Ästhetische Identität? Nirgendwo
PM macht den Fehler, die ästhetische Identität geschaffener Kunstwerke überhaupt nicht zu thematisieren. Wenn dann tut er dies unbewusst ex negativo. Denn er fragt nur nach den verantwortlichen Systemen (Personen), die Kunst auf dem und für den Markt definieren; d.h. Kunst wird von außerhalb identifiziert. Das aber ist keine im-manente ästhetische Selbstidentifikation der Kunst, sondern eine bloß funktionale Zusprechung nach Maßgabe einer ökonomischen Verwertungsrationalität.
PM beschreibt Kunst aus einer vorästhetischen Perspektive, er leitet ihre Legitimati-on gerade nicht aus einer ihr angemessenen Position („Augenhöhe“) ab.
Adorno, auf dessen Autorität PM sich rückversichernd beruft, nennt diesen soziologi-schen Versuch einer expressis verbis außerästhetischen Kommunikation eigentlich immanent ästhetischer Sachverhalte Ausdruck eines barbarischen Rückstandes ei-nes regressiven Bewußstseins.
PM fordert die Autonomie für die Kunst in Form einer Art der Wiedergutmachung. Daß er zur contradictio in adjecto sich versteift, ohne dies zu ahnen, hat eine ihrer Ursachen in der außerästhetischen Perspektive, die diesen Präzisierungsversuch leitet. Wäre Kunst in dem Stadium völliger Heteronomität, was dieser Hilferuf nach Autonomie ja beklagt und voraussetzt, wäre von Kunst keine Rede mehr. Was sonst zeichnete Kunst aus als eben ihr selbstformulierter Anspruch, sich autonom in der Gesellschaft gegen diese Gesellschaft zu setzen. Autonomie tatsächlich autonom zu begreifen, gerät diesem Pamphlet jedoch völlig aus dem Blick.


Verlust der Mitte?
Der Einstieg in die pessimistische Diagnose vom gegenwärtigen Stand der Kunst, den PM gewählt hat, taugt nicht dazu seiner Argumentation ein logisches Fundament zu geben. PM knüpft an die konservative Kulturdiagnose von Hans Sedlmayer an, daß das Zentrum eines einheitlichen Weltbildes verlorengegangen sei. Es gibt keinen zentralen Fixpunkt mehr, auf den sich alle gesellschaftlichen Definitionsmächte be-ziehen könnten, um weltliche Phänomene je nach gustus zu interpretieren, also sich anzueignen. PM stimmt dem zu, einer Kritik, die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges formuliert worden war. Aber was macht er dann? Er schreibt, dass die verlorengegangene Mitte heute „kaum noch zu verorten sei“. Ach? „Heute“ ist die Mitte nach Sedlmayers These bereits mindestens 60 Jahre nicht mehr da. Stimmt PM diesem Autor nun zu oder nicht? Zunächst ja, um sich dann aber selber in die Parade zu fahren. Nein, die Mitte als notwendiger Verweisungszusammenhang dafür was Kunst sei, ist erst heute nicht mehr recht zu erkennen. Dass PM sich selbst schwindlig denkt, dürfte schlicht daran liegen daß die Rede vom „Verlust der Mitte“ von Beginn an eine untaugliche Metapher für eine fehlgeschlagene Kritik der Situati-on von Kunst gestern und heute ist.
Es ist richtig, dass ein Verlust der Mitte zwangsläufig mit dem Verlust der Ränder oder Extreme einhergeht. Der wechselseitige Konstitutionszusammenhang von Mitte und Ränder bedingt, dass man nur das eine mit dem anderen kriegt. Verwendet man ein derartiges statisches Bild, um einen hochkomplexen Zusammenhang anschaulich erklären zu wollen, kommt man halt aus dem circulus vitiosus nicht heraus.
Auch der Versuch die Mitte hingegen als ideologiekritische Metapher zu verstehen, schafft dies Problem nicht aus der Welt. Aus welcher Perspektive will man das, was nicht Mitte sein soll, verorten? Will man Kritik formulieren, kann man dies sinnvoll nur von der Mitte her tun. Die jedoch ist nicht mehr da!
Mitte meint metaphorisch, daß eine einheitliche Weltanschauung, das meint eine all-gemeinverbindliche Deutung weltlicher Phänomene, zu einem Bild führt, das von verschiedenen Standpunkten aus Übereinstimmung und Zustimmung erlangen kann. Verlust der Mitte soll dann heißen, daß eine solche transzendente Sinnstiftung ihre Kompetenz und Legitimation für die Zustimmungsfähigkeit verloren hat.
Wenn man hingegen Mitte gleichsam als Bild einer von verschiedenen Bereichen konstituierten prästabilierten Harmonie begreift, unterstellt man sogleich, daß dies harmonische Weltbild selber aus Teilbildern von Welt konfiguriert ist. D.h. Kunst als solcher Teilbereich ist Zuträger zu einem Sinngebilde. Dann aber ist sie Instrument, wird funktionalisiert. Nimmt man PM beim Wort, soll Kunst anno dazumal autonom, also nicht funktional sprich heteronom gewesen sein. Diese Argumentation ist zirku-lär, egal wie die Metapher von der verlorengegangenen Mitte verstanden wird.
PM nimmt falsche Anleihe, greift auf ein untaugliches Kritikmodell der modernen Welt zurück. Es ist eine Unterstellung, daß Kunst einstmals autonom jenseits ihrer eige-nen Form, Technik und Material gewesen sei. Im Bild von der Mitte wird sie zu einem bloßen Zuträger von Sinn reduziert. So hätten es die Bürger gern, wenn sie sich mit dem Rotweinglas vorm Kamin an der Kunst gütlich tun. Diese soll erhaben sein und vom Alltag entlasten.
Kunst kann Sinn stiften, wenn diese altersbemoste Vokabeln denn noch verständlich sind, aber nur dann, sofern sie mit dem Anspruch antritt, dass Ganze zu sein, jeden partikularistischen Funktionszwang abschüttelt. In dieser Anmaßung eines autono-men Überschwanges entlarvt sie jeden Versuch, der sie zurecht stutzen will zu einer erbaulichen Begleiterscheinung nach Feierabend.
Wenn also PM den Mißgriff macht, indem er sich auf eine falsche Fundamentierung von Kunst beruft, wie soll er dann erkennen, was heute „falsch“ ist? Er fühlt, daß et-was faul ist im Staates des Ästhetischen; aber wie das dann halt so ist, wenn man Gefühlen im Bereich der rationalen Argumente eben deren Status verleiht, sie sind dann nichts anderes als unverdaute Brocken von zu schwerer Kost.

Zum Abschluss
Das Pamphlet steht in einer Traditionslinie maulender Helden, die „fühlen“, dass sie irgendwie zu kurz gekommen seien. ...
Ob ein Kunstwerk gelungen ist, vermag es allein nicht zu sagen. Es ist zunächst nur einfach da. Dass der produzierende Künstler von sich und dem einen oder anderen seiner Werke groß denkt, wird man ihm kaum verübeln können. Allein ist dies nun mal kein Maßstab für ästhetische Qualität oder Kunst überhaupt.
Will der Künstler also dazugehören zur Welt der großen Künste, muß er raus mit sei-nen Werken auf den Markt der Eitelkeiten. Die Werkstatt öffnen und die Werke auf die Straße stellen, die Schubladen aufziehen und die vielen vollgeschriebenen Seiten verteilen. Kunst und Öffentlichkeit gehen nun eine verhängnisvolle Affäre ein.
Nur gelten für den Zugang zum und auf dem öffentlichen Markt andere Regeln und Direktiven als bei der privaten Produktion des Werkes selber. Das kann man kritisie-ren, ja verachten. Aber will man öffentlich sein, gehört das dazu. Man kann sich sel-ber in den Geltungsbereich der Zwangsgesetze des Vermarktungssystems begeben oder dies anderen „Nichtkünstlern“ überlassen. Nur zu bejammern, daß Künstler in diesem System nichts zu sagen hätten, ist einigermaßen larmoyant. Und wenn die-ses System marktkonforme Werke eher belohnt, weil sie eben einen höheren Tauschwert erzielen, dann ist dies nichts anderes als die Manifestation des ökonomi-schen Konkurrenzprinzips. Und schließlich, ein höherer Marktpreis ist kein Gütesie-gel gelungener Kunst. Dem kann man sich leicht entziehen, indem man als Kunst-schaffender nicht vom Verkauf seiner Werke „leben“ will. Will man jedoch genau das, macht sich sie auch zur Tauschware. Das ist die harte Realität neben der durchaus berechtigten Scheinrealität des Ästhetischen. Man sieht, wieder mal beißt sich die Katze in den Schwanz. Kunst ist autonom nur in ihrer Scheinwelt, die natürlich für ihre Existenz als Kunst konstitutiven Sinn hat. Paradox ist, daß sie sich als Kunst in die heteronome Sphäre der realen anderen sprich kunstfernen Welt begeben muß, will sie als Kunst anerkannt werden. Dieses Paradoxon inklusive seiner sozialen Kränkung mag schmerzhaft sein, aber aushalten muß es jeder Mensch, der sich sel-ber oder seine Produkte verkauft.
Die gefühlte Diagnose von PM ist deshalb falsch, weil sie ein Grundproblem der Kunst für ein nur aktuelles Problem nimmt. Das ist ihr kardinaler Denkfehler. Es ge-hört zur Konstitutionsproblematik ihrer Entstehungsgeschichte in der Moderne, die immer zugleich die Geschichte ihrer vergeblichen Autonomie ist, daß Kunst sich auch über ihren internen Produktionsprozeß des je individuellen Kunstwerkes hinaus au-tonom dünkt. In der realen Welt des Tauschprinzip kann sie dies aber nie sein. Der Warencharakter ist in dieser Welt konstitutiv für jedes Ding (und jeden Menschen). Deshalb ist die Geschichte der modernen Kunst, die gewiß um hunderte Jahre älter ist als das Documenta-Zeitalter, immer zugleich die Geschichte des Scheiterns. Not-wendig scheitert jeder Versuch von Kunst, sich außerhalb ihrer virtuellen Welt, in der nun mal ausschließlich ästhetische Gesetze zählen (sollten), autonom behaupten zu wollen. Dies hätte PM wissen müssen. Was sein Pamphlet trotz seines kopflosen
Daherkommens sympathisch macht, ist die Wut seines Autoren über die ewige Nie-derlage der Kunst. Wer daran verzweifelt von Zeit zu Zeit, ist noch nicht ganz verloren.

Stefan Beck schrieb am 25.11.2006 16:19

Ich möchte hier noch zwei Bemerkungen anschliessen:

1) Aus welcher Position heraus spricht der Autor? Die kurze biographische Notiz zu Pierangelo Maset lässt verschiedene Deutungen zu. Ist es der Künstler Maset? Gibt es den noch? Oder ist es der "Professor für Kunst und ihre Vermittlung"? Oder der "Chefredakteur der Kulturzeitschrift Das Plateaux"?

Im Falle der letzteren beiden Rollen schmälern sie keineswegs die Wahrheit der Aussagen, rücken sie aber näher in den Bereichs des Betriebs, den sie eigentlich kritisieren sollen. Von einem "Professor für Kunst und ihre Vermittlung" wird wohl auch erwartet, daß er den Betrieb durchleuchtet und kritisch kommentiert.

Von einem Künstler eher nicht. Zumindestens sind kritische Aussagen zum Kunstbetrieb von Künstlern seltener zu finden, als von Kunsttheoretikern. Mir lag immer daran The Thing als ein Instrument zu verstehen, mit dem Künstler ihre eigene Sicht auf den Betrieb darstellen sollten.

2) Des Weiteren zeigen die Ausführungen des Autors, daß es sich bei der Autonomie der Kunst über weite Strecken um eine Anomie handelt. Gesetzlosigkeit, statt Selbstgesetzgebung. Jeder macht, wie er will, Argumente werden nur insoweit bemüht, als sie sich als nützlich erweisen, der Stärkere gewinnt usf.

Wem nützt nun diese Anomie? Es wäre nun im Anschluß an den Artikel herauszuarbeiten, in welchem Sinne Kunst Habitus ist. Eine Hypothese wäre, Kunst als eine Art Hintertreppe des gesellschaftlichen Aufstiegs zu betrachten. Nirgendwo sonst ist es möglich, so unverfroren aus Nichts Etwas, aus Scheisse Geld zu machen. Kunst als Betrug, das ist Nietzsche, der sie daher konsequent dem Regime der Mächtigen verschreibt, Vernunft und Gesetz jedoch den Schwachen überlässt. Betrachtungswürdig sind darin allein die, die auf Anomie setzend schliesslich den Kürzeren gezogen haben, die ausgestossenen Künstler. Gefallene Adler.

StefanBeck schrieb am 13.11.2006 17:33

Den Text finde ich gut.

Ich hatte die Idee von Wolfgang Staehle immer so verstanden, daß es darum ginge, einen Teil der Deutungsmacht von Kuratoren und anderen Vertretern der Institutionen zurückzuerobern.

Meine Arbeit für The Thing Frankfurt schliesst genau daran an.

Als ein Bruchstück nur der Text: "Eine andere Kunst ist möglich." www.thing-net.de/cms/artikel185.html

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