Urban Contact Zone: Sharing Areas – Using Places
Eine Plattform der »projektgruppe«, HamburgDeichtorhallen/Haus der Photographie, Frise, Westwerk. Hamburg, Mai und August 2006
von Anca Mihulet, Sibiu/Rumänien
Warum ist die Beschäftigung mit dem urbanen Raum so kontrovers? Es ist banal geworden mit Verlusten, Illusionen, Schockierendem, der Austauschbarkeit von Hoch- und Populärkultur konfrontiert zu werden. Ist es aber genauso gewöhnlich, sich mit Begegnungen und Konflikten auseinander zu setzen?
Die allgemeine und kontinuierliche Aneignung des Raumes hat die bisherigen Vorstellungen von Stadt über deren Grenzen hinausgedrängt, in einen instabilen Zustand, wie er allenthalben sichtbar wird. In dem Moment, in dem unterschiedliche Auffassungen vom urbanen Raum aufeinandertreffen, entsteht eine Zone der konkreten Interaktion. Eine andere Kontaktzone wird geschaffen, wenn Künstler sich bestimmte Orte durch ihre Vorstellungen zueigen machen und diese Gebiete in eine Art Hyperrealität versetzen, die nach Jean Baudrillards These auf der Simulation einer, durch ihre eigene Reproduktion verbrauchten, Realität basiert.
Die Stadt ist mit dem Alltag ihrer Bewohner verbunden, in dem diese verschiedene Zustände wie Normalität, Offenheit, Einschränkungen, Heterotopien miteinander kombinieren und kontinuierlich darüber kommunizieren. Durch diese alltägliche Dekonstruktion von Verfestigungen werden »contact zones» geschaffen wie die Linguistin Mary Louise Pratt soziale Räume bezeichnet, »in denen Kulturen aufeinander treffen, sich überschneiden und miteinander zurechtkommen«. 1
Im Mai und August 2006 hat die Hamburger >projektgruppe< an verschiedenen Kunstorten der Stadt - den Deichtorhallen, der Frise und dem Westwerk – das Konzept der Kontaktzonen auf den städtischen Raum angewandt. Ihr Projekt »Urban Contact Zone: Sharing Areas – Using Places« brachte Künstler und Theoretiker aus Russland, Rumänien, Ungarn, Deutschland und Dänemark zusammen und etablierte so eine Plattform, um neue urbane Tendenzen wie Individualisierungsprozesse, die Revitalisierung von Städten oder charakteristische Konfliktgebiete in unterschiedlichen urbanen Landschaften zu diskutieren. Die Beteiligten zeigten ihre Sichtweisen auf die Städte, in denen sie leben und in denen auf Straßen, Marktplätzen, in Stadien, Museen oder an verlassenen Orten soziale und kulturelle Spannungen zum Ausdruck kommen.
Video works by Anna Szigethy, János Sugár, János Fodor / Tibor Horváth (from left to right), 19 May – 4 June 2006, Photo: Projektgruppe
Die erste Ausstellung im Mai 2006 war der ungarischen Metropole gewidmet. Gezeigt wurden sechs Videoarbeiten, darunter Appropopriation von János Fodor und Tibor Horváth. Die Künstler dekonstruieren den Mythos von Seifenopern, indem sie Fragmente aus verschiedenen Filmen zusammenstellen, denen die Szenerie der Stadt Budapest als Hintergrund dient. Anhand der Verwendung vorgefundener, populärer Elemente, die der Darstellung Budapests durch Außenstehende entnommen sind, sublimieren Fodor und Horváth virtuelle Erfahrungen und konstruieren eine neue Narration.
Tibor Hajas’ Film Self-Fashion-Show ist eine filmische Reihe von Portraiäts im Alltag einer Großstadt. Mitte der 1970er Jahre bat er Menschen auf dem Moskau-Platz in Budapest, sich vor Ort als Modelle für Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Passanten wurden so Teil eines künstlerischen Statements, das versucht, ohne Implikationen, ohne Zwänge, ohne Attitüden eine möglichst objektive Sammlung von Porträts der Alltagsmenschen auf einem öffentlichen Platz anzulegen.
Lilla Khóor / Will Potter, “Miklós Khóor's vision of the Inca-Maya culture in Hungary” (video, installation), 19 May – 4 June 2006, Photo: Projektgruppe
Lilla Khoórs und Will Potters Installation »Miklós Khoór’s vision of the Inca-Maya culture in Hungary« stellt einen Ausschnitt aus der Steinsammlung eines eigenwilligen Budapester Stadtpetrologen vor und lässt ihn seine indigene Geschichtsauffassung in einem Videointerview darlegen. Seine individuelle Umdeutung der gesamten europäischen Geschichte jenseits staatlicher Hoheit bezeugt das Bedürfnis nach anderen Sichtweisen und verweist auf Konflikte durch unverarbeitete Geschichte.
Die parallel zur Ausstellung laufende Konferenz des Projekts Urban Contact Zone zeigte anhand einer Fülle von europäischen Beispielen, wie spezielle urbanistische Verfahren einen direkten Einfluss auf bestimmte Gebiete und ihre Bewohner haben können. 2 So widmete sich beispielsweise Annette Wehrmann aus Hamburg dem Problem der funktionalen und produktiven Stadt unter dem von Michel Foucault geprägten Begriff der Heterotopie. Rund um den Konferenzort bestimmte die Künstlerin sogennante »Orte des Gegen«, an denen die Spannungen zwischen Ordnung und Unordnung des Raums ihren Höhepunkt erreichen. Lässt man sich auf die Realität von Heterotopien ein, wird die Stadt zum Prozess, der historische Diskontinuitäten einbezieht und zur Methode des Umherschweifens herausfordert.
Überlieferung, Fortschritt und Stadterneuerung waren die Themen des Budapester Kritikers Levente Polyák. Schrumpfende Städte, Vernachlässigung von Denkmälern und Geschichte, starre Gesellschaftsstrukturen haben zu der Frage geführt, was am Städtischen erhaltenswert sei. Die Idealstadt existiert nicht mehr, die flexible Stadt ist tot. Offen bleibt, was danach noch möglich ist.
Annette Wehrmann »Orte des Gegen – Counter-sites. A city walk through the Oberhafen and Münzviertel areas of Hamburg«, 27 May 2006. Photo: János Vetô
Sofia Tchouikina beschäftigte sich mit den »widersprüchlichen gesellschaftlichen Bedeutungen des postsowjetischen urbanen Raumes« in St. Petersburg. Die einstige Stadt der Zaren ist heute die Stadt einer desillusionierten Arbeiterschicht. Als Hinterlassenschaft des Kommunismus blieb eine chronische Apathie der Arbeiterklasse. Verarmung, Migration, Xenophobie, der konfliktreiche Übergang in den Kapitalismus und öffentliche Manifestationen alldessen können überall in der Stadt vorgefunden werden. Im Sinne der Situationisten bezog Urban Contact Zone in der zweiten Ausstellung im August Überlegungen zu sozialen und politischen Phänomenen, zur Krise des öffentlichen Raumes, zur Vernachlässigung bestimmter Orte und Überbewertung anderer mit ein. Die aus St. Petersburg, Bukarest, Budapest, Hamburg und Kopenhagen stammenden Künstler haben durch ihre Arbeiten und Vorträge die Grenzlinien Europas verbunden, jenes Kontinents, der abrupte historische und geographische Veränderungen durchlaufen musste, wodurch Kommunikation und Austausch unumgänglich wurden. Auf die subjektiven Interpretationen der Ausstellung im Mai folgten nun konkrete räumliche Ansätze.
Dmitry Vilensky (installation, newspaper, video, talk), 17 – 27 August 2006
Ausgehend von der Tradition des kritischen Realismus, von situationistischen Praktiken und der Analyse des Alltagslebens vertritt Dmitry Vilensky, politischer Künstler und Mitglied der Gruppe Chto Delat? (What is to be done?), eine Neuinterpretation der Bedeutung von Raum in Russland. In der Ausstellung war eine Installation zum Thema »Kultur und Protest« anlässlich des St. Petersburger G8- Gipfels vom Juli 2006 zu sehen. Vilenskys Projekte zeigen, wie verschiedene Gruppen, Künstler, Arbeiter, Arme, Jugendliche oder Touristen, den öffentlichen Raum zeitweilig bestimmen können. Handlungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden, selbst wenn dabei die politische Ordnung unterlaufen wird. Um in diesem Sinn gesellschaftlich produktiv zu sein, könnten Künstler neue Handlungsräume erschließen. Hierfür schlägt Vilensky sogenannte »Temporary Artistic Soviets« als Aktionseinheiten vor.
Die Fotografie eines renovierten Artist-run space in Wien, ein Buch mit dem Titel Walls, fünf Sitzbänke und ein Türstopper, kennzeichneten in der Hamburger Ausstellung Lone Haugaard Madsens Methode künstlerischer Sensibilisierung. Durch den Türstopper definierte die dänische Künstlerin den Zutritt zum Ausstellungsraum des Projekts Urban Contact Zone; durch ihre Bänke, die allen anderen Arbeiten zugeordnet waren, unterstützte die Künstlerin die gesamte Ausstellung und strukturierte so den Projektraum auf konstruktive Weise.
Neben den politischen und konzeptionellen Auseinandersetzungen mit dem Raum der Kunst in konkreten, lokalen Zusammenhängen standen auch kuratorische Perspektiven zur Debatte. Judit Angel, Kuratorin der Kunsthalle Budapest, erläuterte in einem Vortrag die Zielrichtung ihrer Tätigkeit am Beispiel der Schaffung neuer politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge in Arad, einer Stadt im Nordwesten Rumäniens, in der zeitgenössische Kunst zuvor eher als entbehrliches Ornament galt. Mitte der 1990er Jahre, während ihrer Zeit am Kunstmuseum in Arad, organisierte Judit Angel die Ausstellung Art Unlimited srl; die Künstler reagierten auf die Sterilität der Institution, indem sie diese als Firma auffassten und dabei den Status der Kunst und des Museums in der postkommunistischen Gesellschaft hinterfragten. In der Folge ging die Kuratorin mit dem Projekt Inter(n) aus dem Museumsraum hinaus in die vernachlässigten Straßen der Stadt und realisierte mit den beteiligten Künstlern eine Reihe von Arbeiten, die erstmals eine Auseinandersetzung mit den aktuellen lokalen Verhältnissen herausforderte.
Attila Menesi / Christoph Rauch in cooperation with Mihály Vargha, “A detour within the periphery” (talk, project documentation), 17 – 27 August 2006, Photo: Projektgruppe
Das Spiel mit der Produktion von Geschichte und der Herstellung von Situationen, die den institutionellen Kanon ignorieren, sind Bestandteile der Arbeit von Christoph Rauch und Attila Menesi aus Hamburg und Budapest. Sie zeigten ihr Projekt A Detour Within the Periphery – ein Versuch die Periferic Biennale von Iasi, der wichtigsten Stadt in Nordrumänien, in die transsylvanische Peripherie umzuleiten. Ihr Konzept war es, den Kunsttransport der Biennale auf halbem Weg zwischen Iasi und Bukarest einen kurzen Abstecher in die Kleinstadt Sf. Gheorghe machen zu lassen und der lokalen Bevölkerung einen Einblick in den internationalen Kunstevent zu geben. In der Hamburger Ausstellung wurde einerseits die abschlägige Reaktion des Biennalen-Kurators dokumentiert, im Widerspruch dazu aber auch die Präsentation des Kunsttransports in Sf. Gheorghe, ja sogar ein Video über die Transportstrecke. Durch diese Konstruktion zeigten sich die ganz realen Möglichkeiten von Transfers, Abweichungen und Umgehungen.
Auch die Arbeit von Sándor Bartha befasste sich mit der Erkundung einer Kunstinstitution und ihrer ortsspezifischen Realität. Seine Videotour durch das Kulturhaus des einstigen Ganz-Mávag Konzerns in Budapest wendet dokumentarische Strategien an und wirkt wie die Untersuchung eines über und über genutzten kulturellen Raumes, der seine Identität verloren zu haben scheint. Im Zentrum der gesamten Ausstellung stand die Befragung von Kulturinstitutionen und ihrer Rolle im gegenwärtigen urbanen Wettbewerb sowie die Entwicklung analytischer und kritischer Strategien.3 In diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion des Hamburger Künstlers Michel Chevalier über die neu definierte Biennale de Paris zu sehen. Er stellte diese künstlerische Initiative aus Frankreich als ein Projekt vor, das auf den Konventionalismus und die Machtstrukturen des Kunstsystems reagiert, und lud auf der Hamburger Veranstaltung zur aktiven Teilnahme ein.4
Der rumänische Künstler Sebastian Moldovan präsentierte The Paris, eine aus einem Straßenschild und einem Video bestehende Installation, die das Image eines Goldenen Zeitalters der Stadt Bukarest als „Klein-Paris“ zitiert und mit der Realität der Gegenwart konfrontiert. Die Videoarbeit Palatul von Mona Vătămanu und Florin Tudor konzentriert sich auf zwei Führungen durch den Palast des Parlaments, das ehemalige Haus des Volkes, von denen beide eine andere Version der Geschichte des berühmten Gebäudes in Bukarest erzählen.
APA - Abteilung für Produktentwicklung und Analytik (poster), 17 – 27 August 2006, Photo: Projektgruppe
APA (Abteilung für Produktentwicklung und Analytik), eine Künstlergruppe aus Hamburg, und Miklós Erhardt aus Budapest reflektierten in ihren ausgestellten Arbeiten auf verschiedene Weise die eigene Integration in bestimmte vernachlässigte Gebiete ihrer Heimatstädte. Es ging dabei nicht um eine Aneignung dieser Räume zu persönlichen Zwecken, sondern um die Tatsache, unweigerlich ein Teil bevorstehender Raumerschließung und -entwicklung zu sein. Dies führte sowohl APA als auch Miklós Erhardt dazu, sich mit stadtplanerischen Praktiken kritisch auseinanderzusetzen und in Konsequenz eine Form von künstlerischer Abstinenz zu üben
Die Interpretationen verschiedener europäischer Kontaktzonen in dem Projekt Urban Contact Zone stellen die Permanenz des Raumes in Frage. Die künstlerischen Arbeiten zeigen, dass Straßen, Stadtviertel, berühmte Bauwerke, Museen oder vergessene Plätze tatsächlich Orte von Konflikten und Kompromissen zwischen offiziellen Anforderungen und ortspezifischer Realität sind. Demgegenüber fordern sie ein, dass diese Räume nicht von Machtstrukturen oder einem singulären Image definiert werden, sondern von Teilhabe und gemeinsamem Nutzen. Methoden, um Räume kennen zu lernen und zu verstehen, alltägliche Inventionen oder das Weitergeben von lokalem Wissen sind Wege des Widerstandes gegen Globalisierungstendenzen. Sie durchziehen virulente, umstrittene und aktivistische Bereiche im urbanen Raum, die als contact zones aufgefasst werden können. Die Kritik des Raumes verlangt dessen Auffächerung, um produktive Umgangsweisen hervorzubringen; Umgangsweisen, die durch die immer wieder neue Bestimmung von contact zones erzielt werden.
1 Vgl. Pratt, Marie Louise: Arts of the Contact Zone, in: Ways of Reading (hrsg. v. David Bartholomae und Anthony Petroksky), New York 19995.
2 Von den insgesamt 26 Konferenzbeiträgen ist hier nur eine kleine Auswahl genannt. Das gesamte Programm mit den Abstracts der Referent/innen ist einsehbar unter www.projektgruppe.org.
3 S. a. Clifford, James: Museums as Contact Zones, in: Negotiations in the Contact Zone / Negociações na zona de contacto (hrsg. v. Renée Green), Lissabon 2003.
4 Vgl. www.biennaledeparis.org
Mehr zur PROJEKTGRUPPE unter http://www.projektgruppe.org/